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Ausgabe 9/2024

Traumatische Ereignisse bei der Arbeit: Meldung und Intervention

Notfälle mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Betroffenen können sich in jedem Betrieb ereignen. Der Beitrag stellt mögliche Traumafolgestörungen vor und erläutert, wie der Betrieb mit traumatischen Ereignissen umgehen und welche Maßnahmen er ergreifen sollte. Dazu zählt eine Meldung beim zuständigen Unfallversicherungsträger.

Key Facts

  • In jedem Betrieb kann sich ein Notfall ereignen
  • Die umgehende Meldung der Betroffenen von traumatischen Ereignissen beim Unfallversicherungsträger ermöglicht eine zeitnahe professionelle psychotherapeutische Unterstützung, beispielsweise im Rahmen des Psychotherapeutenverfahrens
  • Eine frühzeitige Intervention kann das Wohlbefinden der Betroffenen verbessern und das Risiko langfristiger negativer Folgen verringern

Selbst eine kurze Ablenkung kann dazu führen, dass man ins Stolpern gerät oder auf den Boden stürzt. Zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfälle zählen Unachtsamkeit und Unordnung.[1]Ob ein Absturz von einer Leiter oder ein Verkehrsunfall auf dem Weg zur Arbeit – glücklicherweise verlaufen die meisten Unfälle in der Arbeitswelt eher glimpflich und man kommt vielleicht „lediglich“ mit einem kleinen Schrecken davon. Es kann aber auch anders kommen: Ein Überfall, Gewalterfahrung oder das Miterleben eines schweren Unfalls als Augenzeugin oder Augenzeuge können tiefe Spuren hinterlassen.

Grundsätzlich kann sich in jedem Betrieb ein Notfall ereignen, der zu schwerwiegenden Auswirkungen für die direkt betroffene Person führt, mitunter auch für Kolleginnen und Kollegen, die das Geschehen (zum Beispiel als Augenzeugen/Augenzeuginnen) mitverfolgen müssen. Auch wenn diese Personen keine physischen Verletzungen erleiden, können sie dennoch erhebliche psychische Einwirkungen erleben. Denn solche Extremereignisse lösen ein hohes Ausmaß an Stressreaktionen aus, die sich qualitativ deutlich von alltäglichen Stressreaktionen unterscheiden und die Psyche an die Grenze ihrer Regulationsfähigkeit bringen.[2]

Traumatische Ereignisse

Traumatische Ereignisse am Arbeitsplatz sind unerwartet und treten plötzlich auf. Sie können mit dem Erleben von Angst, Bedrohung, Hilflosigkeit, Entsetzen oder auch Schuld einhergehen. Diese Ereignisse, die einen klaren Beginn und ein klares Ende haben, können das individuelle Wohlbefinden sowie das Arbeitsumfeld erheblich beeinträchtigen. Beispiele für traumatische Ereignisse am Arbeitsplatz sind vielfältig und reichen von Tötungsdelikten über schwere Körperverletzungen bis hin zu Suiziden und Sexualdelikten. Auch Unfälle mit schweren Verletzungen oder Todesfälle von Schutzbefohlenen im beruflichen Kontext sowie Überfälle auf dem Arbeitsweg zählen hierzu.[3]

Die ein bis zwei Tage nach dem Ereignis andauernde schockartige Spontanreaktion wird akute Belastungsreaktion genannt. Sie ist gekennzeichnet durch einen Zustand innerer Betäubung. Häufig wechseln sich Phasen ab, in denen intensive Angst, depressive Stimmung, aggressives Verhalten und körperliche Symptome wie Atemnot oder Schwitzen erlebt werden. Dies stellt zunächst eine normale Reaktion auf ein außergewöhnliches Ereignis dar. Meistens regulieren sich dann die psychischen Funktionen wieder.[4][5][6]

Möglich ist aber auch, dass sich Traumafolgestörungen entwickeln, die das Leben der Betroffenen erheblich beeinträchtigen können. Die bekannteste Traumafolgestörung ist die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), weiterhin zählen die Komplexe PTBS, die anhaltende Trauerstörung und die Anpassungsstörung hierzu. Die Symptome von Traumafolgestörungen können vielfältig sein und das tägliche Leben bedeutend einschränken. Dazu können gehören:[7]

  • Flashbacks oder wiederkehrende Erinnerungen an das traumatische Ereignis
  • Albträume und Schlafstörungen
  • intensive Angst und Panikattacken
  • vermeidendes Verhalten, um traumatische Erinnerungen zu unterbinden
  • Gereiztheit, Wutausbrüche oder Aggression
  • emotionale Betäubung oder Taubheit
  • Schwierigkeiten bei der Konzentration

Traumatische Ereignisse können aber auch weitere Störungen zur Folge haben, wie beispielsweise Depressionen, Essstörungen, dissoziative Störungen oder Abhängigkeitserkrankungen.[8]

Das Erleben eines Extremereignisses führt nicht unmittelbar zu einer Störung. Es gibt verschiedene Schutzfaktoren, die die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Traumafolgestörung bedeutend reduzieren können. Einer der stärksten Schutzfaktoren, die einen guten Verlauf begünstigen, ist die soziale Unterstützung, das heißt, die Betroffenen fühlen sich eingebettet in ein sicheres Umfeld und erhalten Hilfe. Auch die erfahrene Anerkennung als Betroffene beziehungsweise Betroffener, das „Wahrgenommenwerden“, ist für die Verarbeitung des Erlebten zentral. Darüber hinaus ist die Möglichkeit, über das Erlebte zu kommunizieren (sogenanntes Disclosure), ebenfalls ein wichtiger Schutzfaktor.[9]

Umgang mit traumatischen Ereignissen im Betrieb

Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte auf verschiedenen Ebenen. Betrieblich sollte eine Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) im Sinne von sozialer Unterstützung sichergestellt werden. Beispielsweise können betriebliche psychologische Erstbetreuende[10]ausgebildet werden, die Betroffene von Extremereignissen kurzfristig und ereignisnah unterstützen. So kann die akute Stressreaktion gemindert und Orientierung und Sicherheit hergestellt werden.

Dass Betroffene nicht allein gelassen werden, sondern deren Betroffenheit (an-)erkannt wird, ist ebenfalls ein wichtiger Schutzfaktor. Das umfasst auch eine sensible, offene Kommunikation am Arbeitsplatz. Insbesondere sollten Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen Hilfebedarfe identifizieren und sicherstellen, dass ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Zugang zu angemessener professioneller psychologischer Unterstützung erhalten. So bietet beispielsweise die gesetzliche Unfallversicherung im Rahmen des Psychotherapeutenverfahrens zeitnah professionelle psychotherapeutische Unterstützung an. Betroffene erhalten unter andere die Möglichkeit, über das Erlebte zu kommunizieren. Beim Psychotherapeutenverfahren handelt es sich um eine psychologisch-therapeutische Intervention nach Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten. Das Ziel ist es, der Entstehung und Chronifizierung von psychischen Gesundheitsschäden frühzeitig entgegenzuwirken. Nur ärztliche und psychologische Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen mit spezifischen fachlichen Qualifikationen und der Bereitschaft zur Übernahme bestimmter Pflichten können am Psychotherapeutenverfahren teilnehmen. Die Einleitung der Therapie erfolgt durch den Unfallversicherungsträger oder einen Durchgangsarzt beziehungsweise die Durchgangsärztin.[11]

Meldung von Betroffenen beim Unfallversicherungsträger

Damit die gesetzliche Unfallversicherung ihre Unterstützungsangebote zeitnah unterbreiten kann, sollten das Ereignis und die betroffenen Personen dem zuständigen Unfallversicherungsträger schnellstmöglich gemeldet werden, auch wenn diese Personen nur behandlungsbedürftige psychische Symptome aufweisen. Die Identifizierung der betroffenen Personen, insbesondere von Augenzeuginnen oder Augenzeugen, die nicht aktiv in das Geschehen involviert waren, kann eine Herausforderung darstellen. Es gibt verschiedene Formen der Traumaexposition. So kann nach dem DSM-5 (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) unterschieden werden in direkte Erfahrung, persönliche Zeugenschaft, Erfahren von einem plötzlichen und gewaltsamen Ereignis in der nahen Familie beziehungsweise bei nahen Freundinnen und Freunden und wiederholter oder extremer Konfrontation mit aversiven Details eines Ereignisses.[12]Deswegen sollte allen, die in das Extremereignis involviert waren, Unterstützung angeboten werden. Traumatische Ereignisse sollten darüber hinaus grundsätzlich im Unternehmen oder der Einrichtung intern dokumentiert werden, ähnlich der Erste-Hilfe-Dokumentation.

Arbeitgebende haben verschiedene Möglichkeiten, traumatische Ereignisse bei ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden. Grundsätzlich besteht eine Verpflichtung zur Anzeige von Unfällen von Versicherten im Unternehmen bei einer über drei Tage hinausgehenden Arbeitsunfähigkeit (siehe § 193 Abs. 1 und Abs. 8 SGB VII) in Form einer Unfallanzeige.[13]Aber auch dann, wenn Beschäftigte weniger als vier Tage arbeitsunfähig sind oder gar nicht erst arbeitsunfähig wurden, kann eine formlose Meldung beim zuständigen Unfallversicherungsträger erfolgen. Zusätzlich können sich betroffene Personen auch selbst beim Unfallversicherungsträger melden, möglich ist darüber hinaus auch, dass der Durchgangsarzt oder die Durchgangsärztin, der Hausarzt oder die Hausärztin die Meldung vornimmt.

Detaillierte Informationen zu den Meldewegen können der neuen Fachbereich AKTUELL FBGIB-004 „Meldung von traumatischen Ereignissen“ entnommen werden. Diese bieten Arbeitgebenden eine Orientierung, um traumatische Ereignisse zu identifizieren und entsprechend zu melden. So kann der Unfallversicherungsträger zeitnah Unterstützung bereitstellen, um die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Versicherten zu erhalten und sicherzustellen. Die frühzeitige Meldung von traumatischen Ereignissen und somit zeitnahe Intervention kann dazu beitragen, das Wohlbefinden der Betroffenen zu verbessern und das Risiko langfristiger negativer Folgen zu minimieren.[14]

Fußnoten

  1. Frese, J.: Unfallursachen erkennen, Arbeitsunfälle vermeiden. Arbeit und Gesundheit. Das Portal für Sicherheitsbeauftragte, https://aug.dguv.de/arbeitssicherheit/arbeitsunfaelle-vermeiden-unfallursachen-erkennen/ (abgerufen am 17.05.2024).

  2. Maercker, A.: Trauma und Traumafolgestörungen, C. H. Beck, München 2017.

  3. FBGIB004 „Meldung von traumatischen Ereignissen“, https://publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/4937 (abgerufen am 19.06.2024).

  4. DGUV Information 206-023 „Standards in der betrieblichen psychologischen Erstbetreuung (bpE) bei traumatischen Ereignissen“, hrsg. von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Berlin 2017.

  5. Maercker, A.: Trauma und Traumafolgestörungen, C. H. Beck, München 2017.

  6. Pausch, M. J. & Matten, S. J.: Trauma und Traumafolgestörung – In Medien, Management und Öffentlichkeit, Springer Vieweg. Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2017.

  7. Maercker, A.: Traumafolgestörungen, Springer Berlin, Heidelberg, 2019.

  8. Pausch, M. J. & Matten, S. J.: Trauma und Traumafolgestörung – In Medien, Management und Öffentlichkeit, Springer Vieweg. Springer Fachmedien, Wiesbaden GmbH, 2017.

  9. Maercker, A.: Traumafolgestörungen, Springer Berlin, Heidelberg, 2019.

  10. DGUV Information 206-023 „Standards in der betrieblichen psychologischen Erstbetreuung (bpE) bei traumatischen Ereignissen“, hrsg. von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V., Berlin 2017.

  11. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.: Psychotherapeutenverfahren, https://www.dguv.de/landesverbaende/de/med_reha/psychotherapeuten/index.jsp?query=webcode+d139696 (abgerufen am 19.06.2024).

  12. Pausch, M. J. & Matten, S. J.: Trauma und Traumafolgestörung – In Medien, Management und Öffentlichkeit, Springer Vieweg. Springer Fachmedien, Wiesbaden GmbH, 2017.

  13. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V.: Serviceportal der gesetzlichen Unfallversicherung, https://serviceportal-uv.dguv.de/ (abgerufen am 19.06.2024).

  14. Frommberger, U.; Angenendt, J. & Berger, M.: Posttraumatische Belastungsstörung – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung. In: Dtsch Arztebl Int 2014; 111(5), S. 59–65, DOI: 10.3238/arztebl.2014.0059.

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