„Mitgestalten und Wissen aktiv einbringen“

Ende November 2023 wählte die Mitgliederversammlung der DGUV Bernhard Wagner als Vertreter der Versicherten und Gabriele Axmann als Vertreterin der Arbeitgebenden in die Ämter der Vorsitzenden. Beide sind vom bewährten Prinzip der Selbstverwaltung überzeugt.

Sie sind beide seit langer Zeit in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Unfallversicherung aktiv. Welche Erfahrungen möchten Sie in Ihr neues Amt einbringen, welche Themen voranbringen?

Wagner:
Tatsächlich bezeichnen mich meine Kolleginnen und Kollegen als „Silberrücken“ in der Selbstverwaltung der Unfallversicherung. Prävention, Reha, Arbeitsmedizin, klinische- und Notfallmedizin, Finanzen und Informationstechnologie waren einige Schwerpunkte, die ich in den vergangenen zwei Jahrzehnten bearbeiten durfte. Diverse Ausschüsse und Vorsitze in den BG-Gremien brachten Wissen und Können für das neue Amt in der DGUV. Die sich schneller verändernde Arbeitswelt und die damit einhergehenden Veränderungen der verschiedensten Arbeitsplätze stellen uns vor ständig neue Herausforderungen. Transformation in der Automobilindustrie, Digitalisierung in den Kliniken, künstliche Intelligenz in Prävention, Reha und Forschung verlangen häufig kurzfristige Handlungshilfen und Regelungen für alle Player. Zwei von vielen Schwerpunkten der neuen Amtszeit – Informationstechnologie und Digitalisierung – gilt es mit Hochdruck voranzutreiben. Moderne, zukunftsfähige Arbeitswelten verlangen eine moderne, zukunftsorientierte Verwaltung. Auch das Thema „New Work“ mit dem Schwerpunkt „mobiles Arbeiten“ wird das Handeln der Selbstverwaltung stark beeinflussen. Unser Ziel muss immer sein: gesunde Arbeitsplätze und gesunde Beschäftigte. Falls es dennoch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen am Arbeitsplatz oder auf der Wegstrecke kommt, stehen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen den Beschäftigten mit allen geeigneten Mitteln zur Seite.

Axmann: Über die Wahl als Vorsitzende der Mitgliederversammlung für die Seite der Arbeitgebenden freue ich mich und nehme die Aufgabe sehr gern an. In der gerade zu Ende gegangenen Wahlperiode – in der ich bereits einige Zeit den Vorsitz im Finanzausschuss der Mitgliederversammlung der DGUV innehatte – konnte ich meine langjährigen Erfahrungen aus verschiedenen Funktionen im Bereich der Unfallversicherung und anderen Bereichen einbringen. So war ich unter anderem Mitglied der Vertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund sowie Mitglied des Verwaltungsrates der AOK Nordost. Dabei habe ich stets die Chancen der Sozialpartnerschaft gesehen.

In der Unfallkasse Mecklenburg-Vorpommern, Unfallversicherer für die Kommunen und das Land Mecklenburg-Vorpommern, bin ich seit 2013 Vorsitzende des Vorstandes. Von daher kann ich auf langjährige Erfahrung in der paritätischen Zusammenarbeit in unterschiedlichen Organen zurückgreifen.

Gemeinsam mit den bewährten und den neuen Mitgliedern der Mitgliederversammlung möchte ich die Arbeit der DGUV für sichere und gesunde Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen in hoher Kontinuität und guter Qualität fortsetzen. Dafür braucht es wie bisher auf der Grundlage der verbandspolitischen Ziele die enge Zusammenarbeit mit dem Hauptamt.

Aktuell hat die Selbstverwaltung mit der im vergangenen Jahr abgeschlossenen Organisationsuntersuchung mit Personalbemessung wichtige Impulse gesetzt, deren Umsetzung die organisatorische und personelle Verfasstheit der DGUV neu aufstellen wird. Wir werden seitens der Arbeitgeber- und der Versichertenvertreter in der Mitgliederversammlung den Umsetzungsprozess begleiten. Auf lange Sicht, das heißt in Vorbereitung der nächsten Sozialwahlperiode, liegt mir viel daran, die Arbeit der Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter noch attraktiver zu machen. Dafür muss es in Zukunft gelingen, Familie, Berufstätigkeit und Ehrenamt noch besser vereinbaren zu können.

Die Vorsitzenden der Mitgliederversammlung der DGUV (v. l. n. r.): Bernhard Wagner, Versichertenseite (Berufsgenossenschaft Holz und Metall, BGHM); Gabriele Axmann, Arbeitgeberseite (Unfallkasse Mecklenburg-Vorpommern) | © Jan Röhl/DGUV
Die Vorsitzenden der Mitgliederversammlung der DGUV (v. l. n. r.): Bernhard Wagner, Versichertenseite (Berufsgenossenschaft Holz und Metall, BGHM); Gabriele Axmann, Arbeitgeberseite (Unfallkasse Mecklenburg-Vorpommern) ©Jan Röhl/DGUV

Es gibt die Kritik, Selbstverwaltung sei nicht mehr zeitgemäß, Verwaltung brauche mehr Spezialwissen. Wie ist Ihre Einschätzung hierzu?

Axmann:
Lassen Sie es mich so sagen: Was ist zeitgemäßer, als Probleme und Herausforderungen dort zu lösen, wo sie auftreten, und von denen, die sie direkt betreffen? Soziale Selbstverwaltung ist für mich in allererster Linie Selbstgestaltung. Dieses Prinzip hat sich auch im 140. Jahr der gesetzlichen Unfallversicherung nicht überlebt und steht der Tatsache, dass Verwaltung Spezialwissen braucht, in keiner Weise entgegen, sondern ergänzt sie.

Wagner: Wie kann gelebte Demokratie nicht mehr zeitgemäß sein? Ohne eine aktive und innovative Selbstverwaltung wäre zum Beispiel die Reform des Berufskrankheitenrechts in der vergangenen Amtszeit nicht zustande gekommen. Es gilt, die jetzige Amtszeit zu nutzen, um den Versicherten und Unternehmen die Arbeit und besonders die Erfolge der Selbstverwaltung mit modernen Medien zeitgemäß zu vermitteln. Selbstverwalter und Selbstverwalterinnen sind „cool“ – sie setzen sich direkt für die Belange der Beschäftigten zum Wohl der Belegschaften ein.

Die sich verändernde Arbeitswelt auch bei uns in der DGUV und deren Mitgliedern verlangt themenorientiertes Handeln. Dies macht eine Spezialisierung in verschiedenen Themen notwendig. Hier sind wir auf einem guten Weg, den wir weiter ausbauen.

Wofür wird die Selbstverwaltung jetzt und in der Zukunft gebraucht und was sind ihre Stärken?

Wagner:
Unsere Stärke konnten wir in der Pandemie gut sehen. Kurzfristige Änderungen der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und die notwendigen Handlungshilfen für die verschiedensten Branchen haben wir in kürzester Zeit auf den Weg gebracht. Für die Zukunft und hier besonders für den sozialen Frieden in unserer Arbeitswelt ist die paritätische Selbstverwaltung nicht wegzudenken. Mitmachen, verändern, mitgestalten und Wissen aktiv einbringen – dazu möchte ich alle jüngeren Beschäftigten motivieren. Zugleich sind neue Gefahren für die Gesundheit und Lebensqualität der orts- und zeitflexibel Arbeitenden offensichtlich. Dabei spielt offenbar die Existenz oder das Fehlen von Schutz- und Partizipationsrechten der Betroffenen eine wichtige Rolle. Allein dafür bedarf es einer starken Selbstverwaltung.

Axmann: Die Grundsätze der paritätischen Selbstverwaltung haben sich bewährt und werden auch in Zukunft ihre Berechtigung haben. Der Staat überlässt Ausgestaltung und Fortentwicklung den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, die diese – und das ist ihre Stärke – autonom, gemeinsam und einvernehmlich umsetzen. Anliegen aller Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter ist es, dieses hohe Gut bewusst pflegen.

Selbstverwaltung wird digitaler, der Anteil von Frauen ist gestiegen. Was ist noch zu tun, um die Beteiligung an Sozialwahlen zu erhöhen und Nachwuchs zu gewinnen?

Axmann: Die Gestaltungsrechte der Sozialen Selbstverwaltung sind dort, wo es sinnvoll ist, zu stärken. Der Staat sollte sich dazu auf den Erlass der Rahmengesetzgebung beschränken und die konkrete Ausgestaltung dieser Gesetzgebung der Selbstverwaltung überlassen. Nur so gelingt es, das Interesse am Prinzip der Selbstverwaltung aufrechtzuerhalten, ehrenamtliche Vertreterinnen und Vertreter zu gewinnen und das Interesse der Wahlberechtigten an der Sozialwahl zu erhöhen. Selbstverwaltungsarbeit muss noch mehr mit der Lebenswirklichkeit vereinbar werden. Konkret heißt das, wie bereits gesagt, dass Familie, Berufstätigkeit und Ehrenamt unter Nutzung aller Möglichkeiten besser vereinbar werden müssen, zum Beispiel durch digitale Sitzungs- und Abstimmungsformate. Konkret in unserem Zweig der Sozialversicherung sollte aus Arbeitgebersicht geprüft werden, ob nicht zukünftig auf die Soll-Vorgabe für Vorschlagslisten der gesetzlichen Unfallversicherung verzichtet werden kann, da die 40 Prozent Frauen-Quote bei einigen Berufsgenossenschaften nicht repräsentativ ist.

Wagner: Tu Gutes und rede darüber – ein altes Sprichwort, das auch heute noch zählt. Wir müssen verstärkt in moderne Kampagnen investieren, um den jüngeren Beschäftigten aufzuzeigen, wie einflussreich und gestalterisch Selbstverwaltung sein kann.

18 Prozent Frauenanteil in den Metall-Berufsgenossenschaften und dennoch haben wir über 40 Prozent Frauenanteil in der neuen Selbstverwaltung – das ist die beste Werbung dafür, dass wir die Selbstverwaltung attraktiver gemacht haben. Auch in den Jugend- und Auszubildendenvertretungen der Betriebe gilt es zukünftig, die Selbstverwaltung zu platzieren. Selbstverwaltung muss zu einem neuen Selbstverständnis bei den Versicherten führen – nicht nur bei den „Silberrücken“. 

Das Interview führte Dr. Anna Kavvadias.

Bernhard Wagner ist Vorstandsvorsitzender der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM) und repräsentiert dort die Gruppe der Versichertenvertreter. Seit dem Jahr 2000 ist Bernhard Wagner freigestellter Betriebsrat der Mercedes-Benz Car Group.

Gabriele Axmann ist Vorstandsvorsitzende der Unfallkasse Mecklenburg-Vorpommern (UK MV). Von 2001 bis 2021 war sie geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Bis 2023 war sie Vorsitzende des Finanzausschusses der DGUV.