Wegfall des Unterlassungszwangs – Auswirkungen auf die berufsbedingten Hauterkrankungen

Zum Jahresbeginn 2021 entfiel der Unterlassungszwang, der bisher eine Voraussetzung zur Anerkennung verschiedener Berufskrankheiten (BK) war. Das betrifft auch die BK-Nr. 5101 "Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen". Es ist zu erwarten, dass sich hierdurch auch Konsequenzen für verschiedene sozialversicherungsrechtliche Aspekte beruflich bedingter Hauterkrankungen ergeben.

Wegfall des Unterlassungszwangs

Beruflich bedingte Hauterkrankungen (BK 5101/5102/5103) nehmen – wenn man COVID-19 ausklammert – mit etwa 40 Prozent aller Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit einen Spitzenwert ein. Am 1. Januar 2021 ist das "Siebte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" in Kraft getreten. Zu den Neuregelungen gehört unter anderem der Wegfall des Unterlassungszwangs, der bei einigen der häufigsten Berufskrankheiten Voraussetzung für eine Anerkennung war (Römer & Zagrodnik, 2021; Krohn et al., 2020). Auch die BK-Nr. 5101 mit jährlich über 20.000 Verdachtsanzeigen fiel bislang unter diese Regelung. Bei der BK-Nr. 5101 handelt es sich zu über 80 Prozent um Hauterkrankungen im Bereich der Hände und hier vor allem durch Feuchtarbeit ausgelöste irritative Kontaktekzeme. Aber auch allergische Kontaktekzeme und berufliche Verschlimmerungen des atopischen Handekzems gehören dazu (John, 2018).

Aktuelle Konzepte der Prävention bei Hauterkrankungen

Die frühzeitige Erfassung berufsbedingter Hauterkrankungen durch das sogenannte Frühmeldeverfahren ist vielfach entscheidend, um Präventionsmaßnahmen rechtzeitig einzuleiten und einer (chronischen) Berufskrankheit vorzubeugen. Wesentliche Elemente des Frühmeldeverfahrens sind das sogenannte Hautarztverfahren und die verwaltungsseitige Handlungsanleitung "Verfahren Haut" mit den gegliederten Konzepten für Maßnahmen der Individualprävention (John, 2018; siehe Tabelle 1). Sie ermöglichen in vielen Fällen die Fortsetzung der beruflichen Tätigkeit trotz aufgetretener Dermatose und damit den Erhalt des Arbeitsplatzes. Bei gesunden Versicherten handelt es sich unter anderem um Beratung und Maßnahmen der Verhaltensprävention nach dem STOP-Prinzip mit besonderer Rolle der persönlichen Schutzmaßnahmen. Dazu gehören zum Beispiel der adäquate Umgang mit Gefahrstoffen (Feuchtarbeit nach TRGS 401) und die Umsetzung eines optimierten Hautschutzkonzepts im Hinblick auf Handschuhe, Hautschutz-, Hautpflege- und Hautreinigungsmittel (Fartasch et al., 2015).

Die Unfallversicherungsträger werden verpflichtet, tätig zu werden, damit eine weitere Schädigung der Gesundheit der Versicherten vermieden wird. Sie bekommen zugleich aber auch die Möglichkeit, früher einzugreifen, um eine weitere Verschlechterung der Erkrankung zu verhindern.

Prof. Stephan Brandenburg, Hauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW)

Des Weiteren werden von einigen Unfallversicherungsträgern Seminare zur Individualprävention angeboten. Dazu zählen eine gesundheitspädagogische Intervention, die Auswahl geeigneter Schutzmaßnahmen sowie berufsdermatologische Untersuchungen und  Beratungen (Brans & Skudlik, 2019).

Mit Fokus auf schwere Berufsdermatosen wurde im Rahmen des von der DGUV geförderten Forschungsprojekts "Medizinisch-berufliches Rehabilitationsverfahren 'Haut' – Optimierung und Qualitätssicherung des Heilverfahrens" eine modifizierte stationäre Heilbehandlung nach dem sogenannten Osnabrücker Modell entwickelt (vgl. Skudlik et al., 2009; Brans et al., 2016; Gina, 2019). Durch diese Maßnahme waren nach drei Jahren auch Patientinnen und Patienten mit schweren berufsbedingten Hautkrankheiten zu rund 83 Prozent weiterhin beruflich tätig. 75 Prozent der Patientinnen und Patienten konnten sogar am gleichen Arbeitsplatz verbleiben. Gleichzeitig konnten die Arbeitsunfähigkeit infolge einer Hauterkrankung und die Notwendigkeit einer Therapie mit Glukokortikoiden (Kortison-Entwöhnung) signifikant reduziert werden (Brans et al., 2016). Diese Maßnahme wird aktuell in den vier Kliniken Bad Reichenhall, Hamburg, Heidelberg und Osnabrück angeboten.

Präventionsarten für berufsbedingte Hauterkrankungen
Tabelle 1: Übersicht über die verschiedenen Präventionsarten für berufsbedingte Hauterkrankungen nach Brans & Skudlik, 2019

Was ändert sich für die Individualprävention?

Durch de Reform des Berufskrankheitenrechts ergeben sich voraussichtlich Änderungen beziehungsweise Ergänzungen sowohl inhaltlicher als auch formaler Natur im bisherigen Melde- und Berichtswesen, der Heilverfahrensstruktur, der Begutachtung und der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Skudlik & Bauer, 2020). Man geht davon aus, dass die Zahl der angezeigten und anerkannten Berufskrankheiten deutlich steigen wird (Skudlik, 2019).

Um sogenannte Bagatellerkrankungen weiterhin von einer BK-Nr. 5101 abgrenzen zu können, musste der Begriff der "Schwere" präzisiert werden (Skudlik et al., 2020; Skudlik et al., 2021). In diesen Publikationen berücksichtigen die Autoren bei der Definition der "Schwere" sowohl die klinische Ausprägung der Beschwerden als auch das Ansprechen auf die leitliniengerechte Therapie und Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen sowie die Relevanz einer beruflich erworbenen Allergie in Abhängigkeit davon, ob der Einsatz des Gefahrstoffs vermieden werden kann oder nicht (Skudlik et al., 2020).

Um die Früherkennung und Einleitung der geeigneten Maßnahmen zu optimieren, wird in Zukunft eine noch engere Zusammenarbeit der dermatologisch und betriebsärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte notwendig.

"Die Unfallversicherungsträger werden verpflichtet, tätig zu werden, damit eine weitere Schädigung der Gesundheit der Versicherten vermieden wird. Sie bekommen zugleich aber auch die Möglichkeit, früher einzugreifen, um eine weitere Verschlechterung der Erkrankung zu verhindern. Die Beratungstätigkeit wird ausgeweitet werden, weil die Unfallversicherungsträger durch die neuen gesetzlichen Bestimmungen dazu verpflichtet werden, Versicherte umfassend über die mit einer weiter ausgeübten gefährdenden Tätigkeit verbundenen Gefahren und mögliche Schutzmaßnahmen aufzuklären", so Prof. Stephan Brandenburg, Hauptgeschäftsführer der Berufsgenossenschaft Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW), zu den zukünftigen Herausforderungen für die Unfallversicherungsträger.

Zusätzlich besteht vonseiten der Versicherten noch stärker als bisher eine Mitwirkungspflicht bei den individualpräventiven Maßnahmen und der Verhaltensprävention. Erst wenn es trotz der eingeleiteten Maßnahmen der Individualprävention bei Fortsetzung der gefährdenden Tätigkeit zu einer Progression der Berufskrankheit kommen sollte oder die Maßnahmen der Individualprävention nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung der Hauterkrankung führen, sollten nach § 9 Abs. 4 Sozialgesetzbuch (SGB) VII die Unfallversicherungsträger darauf hinwirken, dass die Versicherten die gefährdenden Tätigkeiten unterlassen.

Um die Früherkennung und Einleitung der geeigneten Maßnahmen zu optimieren, wird in Zukunft eine noch engere Zusammenarbeit der dermatologisch und betriebsärztlich tätigen Ärztinnen und Ärzte notwendig. Wichtig ist dabei, dass das BK-Feststellungsverfahren die Einleitung der Individualprävention nicht verzögert, da eine gut funktionierende Frühmeldung mit schneller Einleitung der individualpräventiven Maßnahmen die Anzahl der chronischen Berufsdermatosen beziehungsweise Berufskrankheiten reduzieren kann.

Literatur

Brans, R.; Skudlik, C.: Prävention des Handekzems. In: Hautarzt 2019, 7 , S. 797–803

Brans, R.; Skudlik, C.; Weisshaar, E.; Scheidt, R.; Ofenloch, R.; Elsner, P. et al.: Multicentre cohort study "Rehabilitation of Occupational Skin Diseases – Optimization and Quality Assurance of Inpatient Management (ROQ)": results from a 3-year follow-up. In: Contact Derm 2016, 75, S. 205–212

Fartasch, M.; Diepgen, T. L.; Drexler, H.; Elsner, P.; John, S. M.; Schliemann, S.: S1-AWMF-Leitlinie (Langversion) Berufliche Hautmittel: Hautschutz, Hautpflege und Hautreinigung. In: Dermatologie in Beruf und Umwelt 2015, 63, S. 47–74

Gina, M.: Die Dermatologie in der BG Klinik Falkenstein. In: Aktuelle Dermatologie 2019, 45, S. 552–556

John, S. M.: Hauterkrankungen am Arbeitsplatz: Frühzeitig alle Register ziehen. Deutsch Ärzteblatt Int 2018: 115: S. 18-24

Krohn, S.; Drechsel-Schlund, C.; Römer, W.; Wehrmann, W.; Skudlik, C.: Rechtsänderungen bei Berufskrankheiten – Auswirkungen auf die dermatologische Praxis. In: Dermatologie in Beruf und Umwelt 2020, 68, S. 145–148

Römer, W.; Zagrodnik, F.-D.: Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts nach dem 7. SGB-IV-Änderungsgesetz. In: DGUV Forum 1/2021, S. 3–10

Skudlik, C.: Paradigmenwechsel in der Berufsdermatologie: Alles anders ohne Unterlassungszwang? Osnabrück, 2019

Skudlik, C.; Bauer, A.: Wesentliche Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Anerkennung von Berufskrankheiten: Voraussichtlicher Wegfall des Unterlassungszwangs zum 01.01.2021. In: J Dtsch Dermatol Ges 2020, 18, S. 184

Skudlik, C.; Krohn, S.; Bauer, A. et al.: Rechtsbegriff/Auslegung "Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankung" ab dem 1. Januar 2021: Beratungsergebnis der AG Bamberger Empfehlung. In: Dermatologie in Beruf und Umwelt 2020, 68, S. 149–152

Skudlik, C.; Krohn, S.; Bauer, A.; Bernhard-Klimt, C.; Dickel, H.; Drexler, H. et al.: Berufskrankheit Nr. 5101 – Rechtsbegriff der schweren oder wiederholt rückfälligen Hautkrankheit. In: Dermatologie in Beruf und Umwelt 2021, 69(1), S. 6–10

Skudlik, C.; Weisshaar, E.; Scheidt, R.; Wulfhorst, B.; Diepgen, T. L.; Elsner, P. et al.: Multicenter study "Medical-Occupational Rehabilitation Procedure Skin – optimizing and quality assurance of inpatient-management (ROQ)". In: J Dtsch Dermatol Ges 2009, 7, S. 122–126