Beratung und Überwachung in der SARS-CoV-2-Epidemie aus Sicht der BG BAU
Im Jahr 2020 hat das Virus SARS-CoV-2 die Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) vor ganz neue Herausforderungen bei der Wahrnehmung ihres Überwachungs- und Beratungsauftrags gestellt – praxisorientierte Lösungen waren gefragt.
Besondere Herausforderungen für Aufsichtspersonen
Zu Beginn der Epidemie im Februar und Anfang März letzten Jahres wusste man noch nicht, wie gefährlich das SARS-CoV-2-Virus ist und kannte dessen Übertragungswege nicht. Damit war es schwierig, wirksame Schutzmaßnahmen für den Eigenschutz der Aufsichtspersonen festzulegen sowie den Unternehmen Empfehlungen hinsichtlich der Schutzmaßnahmen an die Hand zu geben. Inwieweit eine Überwachung durchgeführt werden konnte, war während des ersten Lockdowns offen. Dazu fehlten in dieser ersten Phase der Epidemie noch die rechtlichen Grundlagen im Arbeitsschutzrecht. Eine Regelung zu einer Epidemie gab es lediglich im Infektionsschutzgesetz, das aber nicht von den Aufsichtspersonen herangezogen werden kann.
Nach und nach stellte sich heraus, dass der Hauptübertragungsweg des SARS-CoV-2-Virus durch Partikel (Aerosole) erfolgt. Jetzt tauchten im Rahmen der Tätigkeit der Aufsichtspersonen neue Fragen auf, zum Beispiel: Welcher Atemschutz (Mund-Nase-Bedeckung – sogenannte Community-Masken – oder FFP2-Masken) ist notwendig? Sind KN95-Masken ohne CE-Kennzeichen ausreichend? Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen fragten sich, ob sie ihren Beschäftigten Masken zur Verfügung stellen müssen. Eine große Herausforderung bestand in dieser Phase der Epidemie vor allem in der fehlenden Verfügbarkeit von Masken und Desinfektionsmitteln.
Daneben gab es von Anfang an spezielle bauspezifische Herausforderungen für die Aufsichtspersonen: Toiletten mit Handwaschgelegenheiten waren auf dem Markt nicht verfügbar, sodass gemeinsam mit den Unternehmen Lösungen vor Ort gefunden werden mussten, die den Hygieneforderungen entsprachen. Auf kleineren Baustellen fehlte häufig der notwendige Wasseranschluss, sodass die Aufsichtsperson prüfen musste, ob die vor Ort erstellten "Eigenkreationen" den geforderten Maßnahmen zum Infektionsschutz gerecht wurden (siehe Abbildung 1).
Die Frage nach einem hinreichenden Infektionsschutz stellte und stellt sich beispielsweise auch bei der Durchführung von Fahrten mit mehreren Beschäftigten zur Baustelle im Firmenfahrzeug hinsichtlich der Einhaltung des Mindestabstands von 1,5 Metern. Dieser Abstand kann aufgrund der Art der auszuführenden Arbeiten auf Baustellen und der Tatsache, dass die Arbeiten auf Baustellen oftmals unter einem hohen Zeitdruck und unter beengten Verhältnissen stattfinden, häufig nicht eingehalten werden. Dies trifft auf Baustellen auch für andere Bereiche zu – insbesondere für die Pausenbereiche. Weiterhin werden auf Baustellen häufig Beschäftigte mehrerer Unternehmen gleichzeitig tätig.
Frühzeitig wurde die Prämisse festgelegt: 'Solange auf Baustellen gearbeitet wird, ist die BG BAU auch vollständig im Außendienst.'
Eine Abstimmung beziehungsweise Koordination der Festlegungen der Schutzmaßnahmen (zum Beispiel für gemeinsam genutzte Sanitäranlagen) findet zwischen den Unternehmen häufig nicht statt. Diese Aufgabe liegt gleichzeitig auch in der Verantwortung des Bauherrn beziehungsweise des Koordinators nach Baustellenverordnung. Gegenüber diesen haben Aufsichtspersonen im Regelfall aber keine unmittelbare Handlungsmöglichkeit. Sie sind in diesen Fällen auf die Unterstützung durch die Arbeitsschutzbehörden der Länder angewiesen.
Eine weitere Herausforderung stellt die Struktur der Unternehmen dar. Ein Großteil der Firmen sind Kleinbetriebe, die ohne Stabsstellen auskommen müssen, die für die Ermittlung sowie Festlegung der notwendigen Arbeitsschutzschutzmaßnahmen zuständig sind. Daneben erschweren Sprachbarrieren die Beratungs- und Überwachungstätigkeit der Aufsichtspersonen der BG BAU, wenn keine deutschsprachige Ansprechperson vor Ort ist.
Wie begegnete die BG BAU den Herausforderungen?
Als sich die Situation im März 2020 verschärfte, wurde die BG BAU sofort tätig. Von zentraler Bedeutung war dabei der bereits Anfang Februar in der Hauptverwaltung der BG BAU installierte Krisenstab. In diesem Gremium wurden und werden interne sowie externe Maßnahmen stets schnell und zielgerichtet abteilungsübergreifend abgestimmt. Frühzeitig wurde die Prämisse festgelegt: "Solange auf Baustellen gearbeitet wird, ist die BG BAU auch vollständig im Außendienst."
Der Außendienst der Prävention wurde nach Umsetzung der notwendigen Maßnahmen zum Infektionsschutz (Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung der Beschäftigten, Beschaffung von Desinfektionsmitteln und FFP2-Masken) bereits nach Ostern wieder in voller Personalstärke tätig. Zu Beginn standen in dieser Phase die Überwachung der Ausführung von gefährlichen Arbeiten auf Baustellen sowie die Hygienesituationen auf den Baustellen im Fokus. Mit den sinkenden Infektionszahlen im Sommer wurden verstärkt auch die übrigen Präventionsleistungen (zum Beispiel Beratung auf Anforderung und Qualifizierung) schrittweise wieder aufgenommen.
Der Anstieg der Infektionszahlen ab September erforderte dann besondere Maßnahmen für die sogenannten "Hotspots" (Zahl der Neuinfektionen in sieben Tagen > 50 pro 100.000 Einwohnern). Vorrangig wurde versucht, die direkten, persönlichen Kontakte im Rahmen der Revisionstätigkeit der Aufsichtspersonen so weit wie möglich zu reduzieren. Das Einhalten von Abständen war diesbezüglich eine der primären Maßnahmen. Für die Fälle, in denen Tätigkeiten mit Außenkontakten unvermindert fortgesetzt werden mussten oder nur ein Arbeiten vor Ort möglich war, wurden organisatorische Maßnahmen ergriffen: zum Beispiel die Einführung von Schichtsystemen, die Bildung fester Teams ohne übergreifende persönliche Kontakte oder die verbindliche individuelle Anreise.
Die Epidemie wird uns 2021 im Arbeitsschutz weiterhin beschäftigen. Es werden neue Fragen aufkommen, für die praxisorientierte Lösungen gefunden werden müssen. Die entscheidende Basis dafür ist ein gut funktionierendes Krisenmanagement.
Ergänzend traf man Maßnahmen zum persönlichen Schutz. Aufgrund der besonderen Situation auf Baustellen (beengte Verhältnisse, häufiger Kontakt zu Personen) wurden die Aufsichtspersonen zum Eigen- und Fremdschutz mit KN95-Masken beziehungsweise mit FFP2-Masken ausgestattet. Auch PCR- und Antigen-Testungen konnten in besonderen Fällen durch den Arbeitsmedizinischen Dienst der BG BAU vorgenommen werden.
Bereits im März wurde eine Handlungsanleitung für das Revisionshandeln erstellt, um bundesweit ein einheitliches und rechtssicheres Revisionshandeln für die Aufsichtspersonen zu gewährleisten. Diese Handlungsanleitung wurde an den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard und an die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel unmittelbar nach deren Inkrafttreten im August angepasst.
Spezielle Angebote und Maßnahmen der BG BAU in der Epidemie
Auf den Bedarf nach aktuellen Informationen und Handlungshilfen wurde schnell reagiert. Auf ihrer Webseite richtete die BG BAU schon Ende Februar 2020 eine Corona-Internetseite mit Medienangeboten ein. Diese wurde Anfang März 2020 zielgruppengerecht unterteilt nach Angeboten für den Unternehmer und die Unternehmerin – zum Beispiel Hinweise zur Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung – und Angebote für Versicherte – zum Beispiel Plakate mit den fünf lebenswichtigen Regeln (siehe Abbildung 2).
Der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im April 2020 veröffentlichte SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard wurde für die Bauwirtschaft und die Gebäudereinigung branchenspezifisch konkretisiert. Weiterhin gab es mehrere Pressemitteilungen zu aktuellen Themen. Auch die Social-Media-Seiten der BG BAU wurden mit speziellen Informationen zur Coronabedrohung ergänzt, die Zahl der Mitarbeitenden, die die Hotline betreuten, wurde erhöht, um den stark angestiegenen telefonischen Beratungsbedarf abzudecken.
Weiterhin erfolgte die Einführung eines begleitenden Berichtswesens zum Außendienst. Damit konnten die Anzahl der angetroffenen Unternehmen und Versicherten, die vorgefundene Hygienesituation und die zur Anwendung gekommenen Revisionsmittel dokumentiert werden.
Wie wurden die Angebote angenommen?
Die Rückmeldungen der Aufsichtspersonen und auf den Social-Media-Seiten der BG BAU zeigen, dass das Medienangebot von den Unternehmen und den Versicherten sehr gut aufgenommen wurde und wird. Auch für die schnelle Wiederaufnahme des Außendienstes nach dem ersten Lockdown gab es viele positive Rückmeldungen.
Spezielle Erfahrungen in der BG BAU während der SARS-CoV-2-Epidemie
Die Themen im Rahmen der Revision der Aufsichtspersonen haben sich nicht gänzlich verändert, es sind aber Themen, die vor der Epidemie trotz vorhandener Festlegungen an den Rand gedrängt wurden und jetzt in den Fokus gerückt sind. Dazu zählt zum Beispiel das Thema Sanitäranlagen, insbesondere Toiletten auf der Baustelle.
Im Verlauf der Epidemie wurden die geforderten Hygienemaßnahmen mit viel Improvisationstalent in immer höherem Maße umgesetzt. Beispielsweise die Forderung nach geschlossenen Wasserabflusssystemen, damit die Beschäftigten nach dem Händewaschen nicht mehr mit dem Abwasser in Berührung kommen. Aufgrund der Tatsache, dass Sanitärcontainer oder mobile Toiletten mit Handwaschgelegenheit vielerorts nicht verfügbar waren, entstanden auch neue Einrichtungen wie eine Hygienestation (siehe Abbildung 3). Sie vereint Waschbecken, Seifenspender und Desinfektionsmittel, Trockentücher und einen Mülleimer.
Aufgrund der Epidemie wurde deutlich, dass neben dem Arbeitgeber und der Arbeitgeberin als primäre Normadressierte der Maßnahmen zum Infektionsschutz auch der Koordinator nach Baustellenverordnung und damit der Bauherr für die Umsetzung dieser Maßnahmen verantwortlich ist. Für die Überwachung der Umsetzung der geforderten Maßnahmen durch die Bauherren ist eine stärkere Abstimmung der BG BAU mit den Arbeitsschutzbehörden der Länder notwendig. Dafür wurde neben der bereits bestehenden GDA-Leitlinie "Planung und Ausführung von Bauvorhaben" eine zweite GDA-Leitlinie "Überwachung und Beratung während der SARS-CoV-2-Epidemie" geschaffen.
Fazit
Die Epidemie wird uns 2021 im Arbeitsschutz weiterhin beschäftigen, auch wenn sie inzwischen eine „alte“ Epidemie ist. Es werden neue Fragen aufkommen, für die praxisorientierte Lösungen gefunden werden müssen. Die entscheidende Basis dafür ist ein gut funktionierendes Krisenmanagement. Daneben werden für die Erstellung von praxisnahen Handlungshilfen ein rascher Abstimmungsprozess und ein schneller Informationsfluss zwischen den Akteurinnen und Akteuren im Arbeitsschutz von zentraler Bedeutung sein.