Die HGU in Zeiten der Pandemie: Von heute auf morgen ins digitale Lehren und Lernen

„Willkommen in der Welt der digitalen Möglichkeiten“, hieß es im Sommersemester für unsere Studierenden und Lehrenden. Innerhalb kürzester Zeit erfolgte die Umstellung des bis dato reinen Präsenzlehrbetriebs auf digitale Lehr- und Lernformate. Um die Welt dieser Möglichkeiten, den didaktischen Umstellungsprozess, aber auch um Licht und Schatten wird es in diesem Beitrag gehen.

Der Sprung ins kalte Wasser

Das erste digitale Sommersemester neigt sich dem Ende zu. Wie an vielen anderen deutschen Hochschulen wurde auch an der DGUV Hochschule (HGU), veranlasst durch das gemeinsame Schreiben des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und der Hochschulpräsidentinnen und Hochschulpräsidenten[1], entschieden, den Präsenzlehrbetrieb auszusetzen. Für das Bachelorstudium Sozialversicherung, Schwerpunkt Unfallversicherung als dualer Studiengang mit Theorie- und Praxisphasen sowie einer klaren zeitlichen Verzahnung dieser Phasen bedeutete das, den Abschluss des fünften Semesters und das im April startende zweite und vierte Semester rasant sicherzustellen. Anders als an anderen Hochschulen wurde nicht wochenlang konferiert – ein ausgesetzter Lehrbetrieb oder verschobener Semesterstart kam schlichtweg nicht infrage. „Versorgung der Studierenden“, lautete die erste Botschaft unseres Rektors, mit anderen Worten: Es gab keine Wahl. Diese Maßnahme und die daraufhin neu zu beschreitenden Wege wurden in enger Abstimmung mit der Kooperationsinstitution, dem Fachbereich Sozialpolitik und Soziale Sicherung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, durchgeführt. Zunächst ausgesetzt bis Ende April, später bis Ende Mai gab es Hoffnung auf einen zweiten Semesterteil in Präsenzbetrieb. Irgendwann im Mai war klar: Wir bleiben im Digitalsemester.

So hieß es von Monat zu Monat, Ärmel hochkrempeln: Lehre neu denken, Lehrveranstaltungen und Prüfungsformate umstellen und zu einem erheblichen Maß neu konzipieren. Darum soll es in diesem Beitrag gehen. Dargestellt werden Anforderungen an digitale Lehr- und Lernformate sowie digitale Möglichkeiten und Variantenreichtum. Darüber hinaus werden Blitzlichter aus diesen ersten Erfahrungen illustriert – wo Licht ist, ist auch Schatten. Auch das soll an dieser Stelle nicht vorenthalten werden. Ziel ist es, interessierten Leserinnen und Lesern einen Einblick zu geben, wie digitale Lehr- und Lernformate gestaltet wurden, um damit Analyse und Reflexion und vielleicht auch Verständnis auf den verschiedensten Ebenen anregen zu können.

Anforderungen an das digitale Lehren und Lernen

Präsenzlehre auf digitale Formate umzustellen, bringt hohe Anforderungen an Lehrende mit sich. Digitale Medien und damit auch digitale Lehr- und Lernformate haben nicht erst seit der Corona-Pandemie eine stetig fortschreitende Entwicklung genommen. Einerseits hat sich Lernen mit Medien über Jahrzehnte verändert. Heute werden digitale Medien bei der Planung von Lernangeboten zunehmend ganz selbstverständlich mitgedacht. Andererseits geht es statt des einfachen Pro und Kontra Computer oder statt Lehrinstruktionen, wie sie in den ersten E-Learning-Anwendungen zum Einsatz kamen, heute darum, Lernangebote zu gestalten – mit den vielen und weiter zunehmenden Optionen, die die Digitalisierung für organisierte Bildungsarbeit, aber auch informelles Lernen eröffnet (vgl. Kerres 2018, S. 1 f.).

In diesem Kontext eröffnen sich für Lehr- und Lernformate völlig neue Gestaltungsmöglichkeiten – allgemein eingeteilt in Abbildung 1.

VarianAbbildung 1: Szenarien zum Einsatz digitaler Lehr- und Lernformate (in Anlehnung an Bachmann et al. 2002 und Bremer 2017) | © HGU
VarianAbbildung 1: Szenarien zum Einsatz digitaler Lehr- und Lernformate (in Anlehnung an Bachmann et al. 2002 und Bremer 2017) ©HGU

Häufig sammeln Lehrende zunächst Erfahrungen im Rahmen der Integration einzelner Tools und Möglichkeiten, beispielsweise über den Einsatz einer Lernplattform in der Begleitung von Lernenden oder den Einsatz von digitalen Endgeräten (zum Beispiel für Audience-Response-Systeme in Großgruppenveranstaltungen) in der Präsenzlehre. So war es auch bisher den Lehrenden an der HGU freigestellt, ebendies zu nutzen. Die Lernplattform ILIAS und digitale Tafeln in allen Räumen sind seit mehreren Jahren für die Lehrenden verfügbar.

Ab September 2021 wird an der HGU der berufsbegleitende Master of Public Management Sozialversicherung an den Start gehen (siehe DGUV Forum 11/2019, S. 28–30). Dieser Masterstudiengang sollte das erste Blended-Learning-Format der Hochschule darstellen. In Vorbereitung auf die Lehre in einem solchen Bildungsangebot und im Bewusstsein der neuen Anforderungen an Lehrende in der Kombination aus Onlineseminaren und Onlinevorlesungen, Selbststudienphasen und Präsenzanteilen sowie für den weiteren Aufbau zeitgemäßer Bildungsangebote wurde bereits Ende 2018 ein modulares Qualifizierungsangebot für Lehrende zum Aufbau mediengestützter Lehr- und Lernformate an der HGU etabliert. Das hatte zum Eintritt der Pandemiesituation den Vorteil, dass der größte Teil des Kollegiums bereits Grundlagen zum Lernplattformenaufbau und die damit verbundenen didaktischen Möglichkeiten kennengelernt als auch erste Erfahrungen in virtuellen Seminarräumen gesammelt hatte. Gleichwohl stellte die kurzfristige Etablierung eines Digitalisierungskonzepts, das heißt das Umstellen der Präsenzlehre auf komplette Onlinelehre, alle Beteiligten vor extreme Herausforderungen. Hinzu kam die Unsicherheit, für welchen Zeitraum die einzelnen Formate konzipiert werden mussten. Eine erste mögliche Grundstruktur wurde mit der „Handreichung zur digital unterstützten Lehre im Bachelor im Sommersemester 2020“ empfohlen (siehe Abbildung 2). Schlussendlich mussten sich aufgrund der andauernden Pandemie bis zum Semesterende alle Lehrenden im Modell 3 wiederfinden.

Abbildung 2: Auszug aus der Handreichung zur Umstellung der Bachelormodule vom 19. März 2020, S. 2 | © HGU
Abbildung 2: Auszug aus der Handreichung zur Umstellung der Bachelormodule vom 19. März 2020, S. 2 ©HGU

Die damit verbundenen Anforderungen sind vielgestaltig und sollen hier in Ansätzen skizziert werden.

  • Bei digitalen Lehr- und Lernformaten wieSkript/Reader, Podcasts, Screencasts, Aufgaben oder die Vorbereitung einer Onlinevorlesung/eines Onlineseminars muss besonders auf die Gestaltung von Text, Ton und Bild geachtet werden (vgl. Kerres 2018, S. 153 ff.).
  • Der Kern erfolgreichen Lernens ist eine lebendige Kommunikation der Studierenden mit den Lehrenden und/oder Mitstudierenden. Oft konstituiert sich das Eindringen in ein Themenfeld erst durch den Diskurs. Diese Diskurse virtuell oder digital anzuregen, ist eine Herkulesaufgabe und verlangt ein tiefes Verständnis von sozialem Lernen sowie die Entwicklung einer Kommunikations- und Interaktionsstrategie für diese Formate (vgl. Arnold et al. 2015, S. 34).
  • Lernangebote müssen geplant und organisiert werden. Lernen muss über einen längeren Zeitraum zeitlich getaktet, die unterschiedlichen Lernaktivitäten müssen eingeteilt und organisiert werden. Lernende benötigen insbesondere in volldigitalen Formaten zeitliche Orientierungen in Form von Lernplänen, geschnittenen Lerneinheiten oder Bereitstellung zeitlich strukturierter Angebote (vgl. Bremer 2017, S. 330).
  • Begleitende, individuelle Beratungs- und Betreuungsformate wurden in virtuellen Bildungsangeboten lange unterschätzt. Sowohl über die Lernplattform als auch über virtuelle Räume stehen inzwischen Möglichkeiten persönlicher, asynchroner oder synchroner Lernunterstützung zur Verfügung. Die Nutzung von (unterschiedlichen) Betreuungsformaten erhöht die Motivation und Akzeptanz aufseiten der Lernenden, erfordert aber gleichzeitig Gestaltungskompetenz dieser Beratungs- und Betreuungsformate aufseiten der Lehrenden (vgl. Arnold et al. 2015, S. 208).

Lehrende müssen anders als bisher, anders als gewohnt, anders als selbst erlebt und anders als qualifiziert Lernszenarien gestalten. Neben inhaltlichen und didaktischen Kompetenzen erfordert dies eine hohe Offenheit und Veränderungsbereitschaft, aber auch multimediale und interaktive Fähigkeiten, die eine begründete und effiziente Gestaltung und Durchführung virtueller Bildungsangebote trotz Vorbereitung und Unterstützung zu einer allseitigen, nicht zu unterschätzenden Herausforderung werden lassen.

Variantenreichtum und erste Erfahrungen: Schwimmen lernt man, indem man es tut

Wichtig ist, an dieser Stelle zu betonen, dass es sich in den Lehr- und Lernformaten im Bachelorstudiengang vollumfassend um in Eigenleistung der Lehrenden konzipierte Lehr- und Lernformate handelt. Auf den Einsatz von professionell produziertem Content wurde aus Zeit- und Ressourcengründen verzichtet. Die Lehrenden arbeiteten vorrangig mit den einzelnen Elementen, die die Lernplattform ILIAS in den Bereichen „Organisation“, „Lernmaterialien“, „Kommunikation und Feedback“ sowie „Leistungsüberprüfung“ bietet. ILIAS hat sich vom Dokumentenfriedhof und Ablagetool zum elementaren Medium der Lernprozessbegleitung an der Hochschule gewandelt. Darüber hinaus etablierte sich im Laufe des Semesters immer stärker der virtuelle Seminarraum YuLinc – für die Lernenden auch einfach über die Lernplattform zugängig.

Dabei sammelten sowohl Lehrende als auch Lernende ganz unterschiedliche Erfahrungen. Für die meisten Lehrenden eröffnete sich die Welt des digitalen Variantenreichtums im Verlauf des Semesters. Nicht wenige Kolleginnen und Kollegen zeichnen sich nach kurzem Innehalten mittlerweile durch kreativ und elaboriert aufbereitete Skripte, sich schleuniges Einfinden in die „neuen“ Lehr- und Lernformate, Ausprobieren der verschiedenen Kommunikationstools mit ihren Studierenden, unterhaltsame Podcasts aus dem Homeoffice oder durch Witz und Charme bei der Moderation in virtuellen Räumen aus. Gleichzeitig sind Reflexionsprozesse unterschiedlichster Art angestoßen worden: Das Nachdenken darüber, welches Format passt zu meinem Inhalt, zu meiner Studierendengruppe, aber auch zu mir als Lehrkraft, ist in vollem Gange. Dazu gehört oft auch, eigene Erfahrungen zu sammeln und den Sprung ins kalte Wasser selbst zu erleben. Das könnte in dieser Komplexität eines ganzen Semesters kein Qualifizierungsangebot für Lehrende leisten.

Abbildung 3: Blick in die Möglichkeiten der Lernplattform ILIAS | © Screenshot
Abbildung 3: Blick in die Möglichkeiten der Lernplattform ILIAS ©Screenshot

Bei den Studierenden wird deutlich, dass die „Digital Natives“ an der HGU angekommen sind. Mit etwas Unterstützung finden sie sich schnell auf der Lernplattform oder im virtuellen Raum zurecht und haben viel schneller als manche Lehrkraft alle Funktionen im Griff. Nichtsdestotrotz zeigen die ersten Evaluationsergebnisse, wo Licht ist, gibt es auch Schatten. Im Modulteil „Einführung in das wissenschaftliche Arbeiten“ antworten (N = 94) auf die Frage „Der Medieneinsatz ist themengerecht und abwechslungsreich“ immerhin 90 Prozent der Studierenden mit „Trifft voll oder überwiegend zu“. 88 Prozent finden die Unterlagen für das Selbststudium hilfreich. Darüber hinaus wird rückgemeldet, dass eine Mischung aus verschiedenen Elementen wie Skripte, Podcasts, Aufgabenstellungen und YuLinc-Veranstaltungen von den Studierenden als sehr hilfreich empfunden wird. Das ist nachvollziehbar, denn ganztägig Skripte  zu bearbeiten oder sich im virtuellen Raum aufzuhalten ist eintönig und erschwert die Wissensverarbeitung. Gleichwohl wird signalisiert, dass das Lernen an der Hochschule (in Präsenz) insgesamt deutlich leichter fällt. Das Feedback zur Arbeitsbelastung an den Wochenenden lässt darauf schließen, dass die Studierenden mitunter deutlich mehr Zeit mit Aufgaben verbringen, als von den Lehrenden geplant. Für die sehr engagierten oder auch für die leistungsschwächeren Studierenden, denen es mitunter schwerfällt, können durch digitale Lernformate unvorhergesehene Belastungen und Beanspruchungen entstehen. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Digitale Lehr- und Lernformate erfüllen differenziert nach Fächern, Inhalten und zu vermittelnden Kompetenzen in der Hochschule verschiedene Funktionen  – nicht jeder Inhalt und jede Kompetenzfacette lässt sich uneingeschränkt abbilden. Wichtig ist, dass der Einsatz digitaler Medien und Onlineformate einen Mehrwert entfalten muss, der für Lehrende und Lernende transparent ist. Im Zuge der Corona-Pandemie war der Mehrwert klar und der mit der Etablierung dieser Formate verbundene anfängliche Mehraufwand unausweichlich. Ohne Pandemie-Zustand braucht es vermutlich noch stärker gute Rahmenbedingungen, Anreize, ausgefeilte Infrastrukturen sowie Unterstützungsprozesse auf allen Seiten, um Motivation und Kompetenz für die Entwicklung entsprechender didaktischer Konzepte weiter zu stärken und diese professionell umzusetzen.

Wann und in welcher Form der Präsenzbetrieb wieder aufgenommen werden kann, ist im Lichte der Entwicklungen zu entscheiden. Die oberste Maxime ist dabei die Gesundheit aller Beteiligten. Allerdings scheint ein schlichtes „Weiter so“ wie vor der Krise, ein völliges Zurückfallen in die alten Bahnen schwer vorstellbar. Die gemachten Erfahrungen und gewonnenen Kompetenzen schaffen Erwartungshaltungen und Überzeugungsveränderungen, die es von der HGU insgesamt zu nutzen gilt. Die nächste Entwicklungsstufe des Studiengangs wird sich, voraussichtlich bereits im Wintersemester, durch eine durchdachte Kombination von Präsenz- und Onlineformaten, durch ein strukturiert konzipiertes Blended-Learning-Format[2] auszeichnen. Wie auch immer die HGU aus diesen Zeiten wieder „auftauchen“ wird – sie wird sich nachhaltig verändert haben.

Literatur

Arnold, P. et al. (2015): Handbuch E-Learning. Lehren und Lernen mit digitalen Medien. Bielefeld

Bachmann, G. et al. (2002): Das Internetportal LernTechNet der Uni Basel. Ein Online Supportsystem für Hochschuldozierende im Rahmen der Integration von E-Learning in die Präsenzuniversität. In: Haedeli, O. et al. (Hrsg.): Campus 2002 – Die Virtuelle Hochschule in der Konsolidierungsphase, Münster, S. 87–97 

Bremer, C. (2017): Einsatz digitaler Medien in der Hochschullehre: Szenarien und Mehrwerte für die Kompetenzentwicklung. In: Erpenbeck, J./Sauter, W. (Hrsg.): Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz. Bausteine einer neuen Lernwelt. Stuttgart, S. 307–336

Brünner, K.; Hofmann, C.; Kahnwald, N. (2020): Handreichung zur digital unterstützten Lehre im Bachelor Sozialversicherung im Sommersemester (internes Arbeitspapier)

Kerres, M. (2018): Mediendidaktik: Konzeption und Entwicklung mediengestützter Lernangebote. München