Aktuelle Ausgabe mit Schwerpunkt Bildungseinrichtungen erschienen
Jetzt als PDF herunterladen
Ausgabe 10/2025

Qualifizierung zur Risikobeurteilung mit Techniken virtueller Realität

Was früher auf dem Papier veranschaulicht wurde, ist jetzt erlebbar: Der Beitrag zeigt, wie virtuelle Realität und simulierte Arbeitswelten Schulungen zur Risikobeurteilung von Maschinen bereichern und das sichere Gestalten von Mensch-Maschine-Schnittstellen unterstützen.

Key Facts

  • Techniken der virtuellen Realität unterstützen die Risikobeurteilung in der Qualifizierung durch erlebbare Mensch-Maschine-Interaktionen.
  • Das Human-Factors-Konzept leitet die Entwicklung virtueller Umgebungen.
  • VR-Module integriert in den methodischen und didaktischen Prozess der Qualifizierung unterstützen das Lernen.

Nach der Maschinenverordnung[1] [2] [3]  müssen Hersteller von Maschinen und technischen Anlagen für ihren Einsatz in der Europäischen Union eine Risikobeurteilungen vorlegen. Diese Beurteilungen sind auch für Betreiber verpflichtend, wenn sie Maschinen oder Anlagen für den Einsatz im Betrieb wesentlich verändern oder für den Produktionsprozess gegebenenfalls verketten.[4]  Mithilfe von Risikobeurteilungen und einer möglicherweise notwendigen Risikominderung wird das erforderliche Schutzniveau zur Unfallverhütung für Maschinen im Betrieb sichergestellt. Damit Maschinen und Anlagen sicher gestaltet, umgebaut und betrieben werden können, unterstützt die Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) die bei ihr gesetzlich versicherten Unternehmen bei der Risikobeurteilung unter anderem durch Beratung und Schulung.

In Seminaren zu Maschinen- und Anlagensicherheit und Risikobeurteilung der BGN wird neben Fachwissen der Maschinensicherheit auch vermittelt, wann und wie Risikobeurteilungen durchzuführen und zu dokumentieren sind. Dabei sollen praxisnahe Arbeitssituationen den Erwerb von Fertigkeiten, Regeln und erklärendem und ablauforientiertem Wissen der Seminarteilnehmenden fördern.[5]  Das Schulungskonzept der BGN zielt darauf ab, die Teilnehmenden für die erforderliche Risikobeurteilung zu sensibilisieren und ihnen gleichzeitig eine Handlungsorientierung zur Analyse der betrieblichen Situation sowie zur Durchführung einer Risikobeurteilung zu geben.

Das Human-Factors-Konzept wurde unter anderem in ­ der­ betrieblichen Praxis bereits­ erprobt und bietet einen systematischen­ Ansatz zur­ Entwicklung und Integration von­ virtuellen Arbeitsumwelten.

In einem von der BGN initiierten Forschungsprojekt entwickelte und integrierte das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) verschiedene Techniken der virtuellen Realität (VR) und virtuelle Arbeitsumwelten (VE) in bestehende Qualifizierungsmodule der BGN-Seminare zur Risikobeurteilung von Maschinen. Die Entwicklung von virtuellen Umwelten mit dem Ziel der anschließenden Integration in ein bestehendes Schulungskonzept orientierte sich am Human-Factors-Konzept, das eine strukturierte Entwicklung virtueller Umwelten unterstützt.[6]  Diese Arbeiten erfolgten in engem gegenseitigem Austausch zwischen BGN und IFA zu den Themen Risikobeurteilung, Schulungskonzept und Einsatz von VR-Techniken für realitätsnah simulierte Arbeitsprozesse an Maschinen und technischen Anlagen.

VR-Techniken in Qualifizierungsmodulen

Seminare zur Maschinen- und Anlagensicherheit sind ein traditioneller Bestandteil des Qualifizierungsprogramms der BGN. Die Seminare werden inhaltlich und didaktisch laufend weiterentwickelt, um neuen Erkenntnissen der Maschinen- und Anlagensicherheit gerecht zu werden und um betriebspraktische Nähe zu verbessern sowie praxisgerechte Anregungen zur Umsetzung von Maßnahmen der Risikobeurteilung zu erweitern. In der Vergangenheit wurden Seminarinhalte anhand von Fotos und Schemazeichnungen aus der betrieblichen Praxis illustriert oder Maschinenmodelle aufwändig für den Seminarbetrieb aufbereitet und aktuell gehalten.

Speziell im vorliegenden Forschungsprojekt lag bereits ein ausgearbeitetes und erfolgreich eingeführtes Seminarkonzept der BGN zur Risikobeurteilung in der Anlagen- und Systemsicherheit anhand einer fiktiven Eisfigurenfertigung vor. Techniken der VR und virtuelle Interaktionsszenarien sollten so integriert werden, dass Seminarinhalte praxisnäher vermittelt und erlernt sowie für aktuelle und zukünftige Anforderungen an die Qualifizierung von Beschäftigten vorbereitet werden. Das machte umfassende Anpassungen der bestehenden Seminarkonzeption erforderlich. Dazu gehörten unter anderem die Qualifizierung der Trainer und Trainerinnen, der Einsatz funktionierender Technik im Seminar, eine neue visuelle Gestaltung der Seminarunterlagen, angepasste Zeitabläufe und neue Formen der Gruppenarbeit, der Aufgabenstellungen, Dokumentationen und Präsentationen von Arbeitsergebnissen im Plenum sowie die Zusammenführung von Seminarergebnissen.

Human Factors ist ein wissenschaftliches Konzept an der Schnittstelle von pädagogisch-psychologischer Forschung, Qualifizierung und menschengerechter Technikgestaltung. Es bietet einen systematischen Ansatz zur Entwicklung und Integration von virtuellen Arbeitsumwelten (engl.: structured development of virtual environments, kurz: SDVE[7]). Dieses Konzept hat sich bereits international bewährt und wurde in verschiedenen Einsatzfeldern in der Forschung und der betrieblichen Praxis erprobt, die sich auf die Entwicklung von neuen Seminaren sowie das Integrieren von VR-Techniken in bestehende Seminare beziehen.[8] [9] SDVE durchläuft einen iterativen Prozess von Arbeitspaketen und stützt sich auf verschiedene Methoden zur Informationsermittlung:

  • Projektdefinition (Ziel, Beschreibung, Beteiligte, Möglichkeiten und Grenzen)
    auf der Basis von Schulungsdokumentationen und Interviews aller Betroffenen
  • Anforderungsanalysen (Analysen von Aufgaben und Benutzerinnen und Benutzern)
    auf der Basis von hierarchischen Aufgabenanalysen und Personas
  • Spezifikationen (Arbeitsszenarien, Storyboards)
    auf der Basis von Schulungsdokumentationen, -beobachtungen und weiteren Interviews
  • Konzeptdesign (Grundlagenwissen, Szenarienwahl, Mensch-System-Interaktion in VE, Schulungsunterlagen, Reflexionen)
    auf der Basis von Schulungsdokumentationen und Diskussionen
  • Auswahl von VR-Techniken und -Programmierung (einschließlich Modellierung, Funktionen, Zusammenhänge)
    auf der Basis von Softwareentwicklungsprozessen und Usability-Studien
  • Umsetzung (Einsatz als VR-Qualifizierungsmodul im Seminar)
    auf der Basis von Gruppenarbeiten, Beobachtungen und Interviews
  • Evaluation (einschließlich Untersuchung von Lerneffekten) auf der Basis von Workshops, Beobachtungen und Interviews

Aus den Schulungsanforderungen des bestehenden Seminarkonzepts der BGN zur Risikobeurteilung leitet sich ab, dass eine Risikobeurteilung schrittweise für die Maschine als Ganzes und nicht für einzelne Risiken durchgeführt wird. In der Schulung werden für jeden Schritt der Risikobeurteilung zunächst Wissen und Regeln durch Vorträge und Beispielanwendungen vermittelt, bevor das von den Seminarteilnehmenden erworbene Wissen in virtuellen Szenarien angewandt und das Beurteilen von Risiken erprobt werden soll, um Regeln und Fertigkeiten zu verstetigen.

Die Risikobeurteilung ist ein iterativer Prozess für alle Nutzungsszenarien einer Maschine oder technischen Anlage im Lebenszyklus. Der Beurteilungsprozess beginnt mit dem Bestimmen von Funktionen und Grenzen der Maschine und geht in das Identifizieren und Bewerten von Gefährdungen über. Nicht hinnehmbare hohe Risiken sind entsprechend des STOP-Prinzips[10]  zu verringern und im Rahmen des iterativen Prozesses erneut zu bewerten, um sicherzustellen, dass alle Risiken auf ein angemessenes Maß gemindert wurden.[11]

Für die Qualifizierungsmodule des BGN-Seminarkonzepts wurde eine fiktive und nun virtuelle Eisfigurenfertigung entwickelt (Abbildung 1) und in die Seminare zur Risikobeurteilung von Maschinen und technischen Anlagen in folgende Seminarblöcke integriert:

  • Funktionen und Grenzen einer Maschine bestimmen,
  • Gefährdungen (Gefahrstellen, Gefährdungsarten, Ursachen, auslösende Faktoren) identifizieren,
  • Risiken einschätzen (hinsichtlich Aufenthaltsdauer, Aufenthaltshäufigkeit und Eintrittswahrscheinlichkeit) und anschließend zusammenfassend bewerten,
  • Risiken mindern und
  • Risikominderung auf Wirksamkeit überprüfen.
Virtuelle Eisfigurenfertigung als Schulungsmodell zur Risikobeurteilung
Abbildung 1: Virtuelle Eisfigurenfertigung als Schulungsmodell zur Risikobeurteilung (Quelle: IFA)

Risikobeurteilung: Grenzen der Maschine

Im Plenum des Seminars wird die virtuelle Eisfigurenfertigung, die typische Funktionen und Gefährdungssituationen moderner Produktionsanlagen abbildet, von den Trainerinnen und Trainern vorgestellt. Anhand des Fertigungsabschnitts wird der erste Prozessschritt der Risikobeurteilung „Definieren von Grenzen der Maschine und Funktionen analysieren“ illustriert und bearbeitet. Dazu werden die Module „Risikoanalyse“ und „Risikominderung“ der VR-Anwendungssoftware verwendet, die durch Trainerinnen und Trainer gewählt und gegebenenfalls mit vorab gespeicherten Betriebszuständen aufgerufen und präsentiert werden. Im Plenum wird die virtuelle, stillgesetzte Eisfigurenfertigung durch eine Person aus dem Kreis der Seminarteilnehmenden unter Anleitung der Trainerinnen und Trainer begangen. Zusätzlich kann die virtuelle Eisfigurenfertigung im laufenden Betrieb aus sicherer Entfernung beobachtet werden.

Die virtuelle Eisfigurenfertigung ist für Benutzerinnen und Benutzer im Maßstab 1:1 erstellt. Sie können in der virtuellen Umwelt interagieren: Sie nehmen ihre Umgebung wahr, erkennen Zusammenhänge und können aktiv handeln, etwa Objekte verändern oder sich durch den Raum bewegen. Die Eisfigurenfertigung ist jedoch nur visuell und akustisch in einem dreidimensionalen Raum modelliert und simuliert. Für Benutzerinnen und Benutzer werden daher zusätzliche Hilfsmittel zum Bewegen des eigenen Körpers und zum Manipulieren der virtuellen Umwelt bereitgestellt. Zwei Formen der Mensch-System-Interaktion werden unterschieden:

  • direkte Interaktionen durch Bewegungen des eigenen Körpers in der virtuellen Umwelt (zum Beispiel Oberkörperdrehung, Fuß- und Handbewegung) und
  • indirekte Interaktionen über VR-Controller kombiniert mit virtuellen Benutzungsschnittstellenelementen und Stellteilen (zum Beispiel Taster, Zeigeinstrument).

Letztere dienen einerseits dem Teleportieren des eigenen Körpers von einem Ort zum anderen in der virtuellen Umwelt. Andererseits dienen sie dem Betätigen von Tastern für Nothalt oder Quittierungen, dem Messen von Größen und Entfernungen sowie dem Auswählen, Tragen, Montieren und Bewegen von virtuellen Gegenständen wie Schutzeinrichtungen oder Paletten in der Fertigungshalle.

Das „Definieren von Grenzen der Maschine und Funktionen analysieren“ wird im Seminar anhand von Verwendungsgrenzen der Eisfigurenfertigung in Raum und Zeit (zum Beispiel Betriebsarten, Qualifizierungsanforderungen, Mensch-Maschine-Interaktionen, Lebensdauer) illustriert. Zur Vertiefung werden die Seminarteilnehmenden mit weiteren Aufgaben in Einzel- und Gruppenarbeit beauftragt. Ergebnisse der Aufgaben werden im Plenum zusammengetragen und diskutiert, bevor im Seminarablauf zum nächsten Schritt der Risikobeurteilung übergegangen wird.

Risikobeurteilung: Gefährdungen erkennen

In diesem Schritt der Risikobeurteilung müssen Gefährdungen von Personen durch die Maschine, das heißt hier die virtuelle Eisfigurenfertigung, während verschiedener Betriebszustände (zum Beispiel Normalbetrieb, Instandsetzung, Reinigung) identifiziert werden. Im Seminar geschieht das in Kleingruppen, die jeweils eine eigene virtuelle Eisfigurenfertigung in einem Arbeitsraum nutzen. Jeder Kleingruppe stehen dabei eine VR-Brille mit Controllern, ein Computer und ein großer Bildschirm zur Verfügung. Während eine Person direkt mit der VR-Umgebung interagiert, können die übrigen Kleingruppenmitglieder dies über den Bildschirm nachvollziehen. Aus dem Startfenster der VR-Anwendung wird hierbei die „Risikoanalyse“ genutzt, da in diesem Qualifizierungsmodul die virtuelle Eisfigurenfertigung begangen werden kann, es jedoch keine Möglichkeit zur Risikominderung gibt. Die Maschine darf hier aus didaktischen Gründen, anders als an einer realen Anlage im Betrieb, im stillgesetzten Zustand aber auch im laufenden Betrieb im Detail beobachtet und beurteilt werden.

Auch zum vorliegenden Prozessschritt der Risikobeurteilung werden im Plenum und im Austausch der Gruppen untereinander und mit den Trainerinnen und Trainern identifizierte Gefährdungen und sich daraus ergebende Risiken vorgestellt, diskutiert und dokumentiert.

Risikobeurteilung: Risiken mindern

Im nun folgenden Schritt der Risikobeurteilung werden in Kleingruppen erforderliche Maßnahmen zur Risikominderung für die virtuelle Eisfigurenfertigung erarbeitet. Nach begründeter und dokumentierter Auswahl von Maßnahmen nutzt die Kleingruppe das VR-Modul „Risikominderung“ der virtuellen Eisfigurenfertigung für die Maßnahmenumsetzung. Ähnlich wie in der betrieblichen Praxis werden Maßnahmen wie etwa zusätzlich erforderliche Schutzeinrichtungen zunächst begründet abgeleitet, bevor sie bestellt und verbaut werden können.

Die VR-Module „Risikoanalyse“ und „Risikominderung“ unterscheiden sich dadurch, dass nur in der „Risikoanalyse“ die Eisfigurenfertigung über ein virtuelles Steuerpult in Betrieb gesetzt werden kann. Dagegen können im VR-Modul „Risikominderung“ für den Bearbeitungsschritt des Reduzierens von Risiken die Maschinen nicht gestartet werden. Zusätzlich sind in diesem Qualifizierungsmodul verschiedene Schutzmaßnahmen für die Risikominderung über ein Auswahlmenü an der Hallenwand zugänglich (Abbildung 2). Die Einzelmaßnahmen sind in begrenzter Stückzahl verfügbar und können interaktiv virtuell geliefert und verbaut werden (Abbildung 3).

Schutzeinrichtungen und Schutzmaßnahmen für die Risikominderung in der virtuellen Eisfigurenfertigung
Abbildung 2: Schutzeinrichtungen und Schutzmaßnahmen für die Risikominderung in der virtuellen Eisfigurenfertigung (Quelle: IFA)
Transport einer gelieferten, miniaturisierten trennenden Schutzeinrichtung und Platzierung in realer Größe in der virtuellen Eisfigurenfertigung durch Teilnehmenden mit VR-Controller und VR-Brille
Abbildung 3: Transport einer gelieferten, miniaturisierten trennenden Schutzeinrichtung (links) und Platzierung in realer Größe in der virtuellen Eisfigurenfertigung (rechts) durch Teilnehmenden mit VR-Controller und VR-Brille (Quelle: IFA)

Für eine ordnungsgemäße Minderung eines bestimmten Risikos muss in der Regel nur eine Maßnahme aus der Liste des Auswahlmenüs gewählt und in der Fertigung verbaut werden. Für manche Maßnahmen stehen Varianten zur Verfügung, von denen dann wiederum manche nicht oder nur unzureichend zur Risikominderung geeignet sind (zum Beispiel trennende Schutzeinrichtungen als 1,1 m hohes Gitternetz ohne Bodenabstand oder eng-strahlige Lichtgitter ohne Muting). Die Maßnahmenliste wurde so zusammengestellt, dass sie den Teilnehmenden der Seminare verschiedene Möglichkeiten bietet, die virtuelle Eisfigurenfertigung insgesamt forderungsgerecht gegen Risiken abzusichern.

Risikobeurteilung: Maßnahmen evaluieren

Nach dem „Einbauen“ beziehungsweise Umsetzen der ausgewählten Maßnahmen zur Risikominderung im Qualifizierungsmodul „Risikominderung“ werden diese im nächsten Schritt systematisch überprüft und dokumentiert. Diese Evaluation erfolgt zunächst durch Teilnehmende in Kleingruppen und abschließend im Plenum über drei Phasen, die wiederum den späteren Transfer in die Praxis erleichtern sollen.

Speichern der Lösungen: Eine Kleingruppe des Seminars dokumentiert ihre Lösung zur Risikominderung dadurch, dass sie alle ihre geplanten Maßnahmen in der virtuellen Eisfigurenfertigung umsetzt und diesen Zustand anschließend im VR-Modul „Risikominderung“ speichert. Durch das Speichern kann jeder spezifische Zustand der Anlage für spätere Bewertungen und Diskussionen reproduziert und gezeigt werden.

Testen von Schutzfunktionen im Betrieb: Ein gespeicherter Zustand zur Maßnahmenumsetzung kann über den Hauptmenüpunkt „Laden & Starten“ geladen und begangen werden. So kann auch die Wirksamkeit der Maßnahmen im laufenden Betrieb der virtuellen Fertigung im Modul „Risikoanalyse“ überprüft werden. Ein Gruppenmitglied startet den Prozess am virtuellen Steuerpult. Während der Begehung können beispielsweise auch weitere sicherheitsrelevante Szenarien überprüft werden:

  • Muting-Funktionen von Lichtgittern: Funktionieren sie im laufenden Betrieb wie vorgesehen?
  • Splitterreichweite: Dringen Eispartikel während des Fräsens oder Häckselns durch die Schutzvorrichtungen?
  • Stillsetzung in Wartungssituationen: Stoppt die Maschine zuverlässig, wenn zum Beispiel ein Schutztunnel mit Verriegelungseinrichtung im laufenden Betrieb geöffnet wird?

Das Überprüfen eines gespeicherten und geladenen Zustands können alle Gruppenmitglieder beobachten und darüber gemeinsam diskutieren.

Dokumentieren und Präsentieren von Ergebnissen: Nach erfolgreicher Evaluation in der Kleingruppe, präsentiert die Gruppe ihre erarbeitete Lösung im Plenum. Die gespeicherten Zustände können dafür erneut geladen und die Funktionsweise der Maßnahmen erläutert und demonstriert werden. Dies fördert nicht nur den Lerneffekt innerhalb der Kleingruppen, sondern regt auch zur Reflexion und Diskussion mit anderen Seminarteilnehmenden an.

Weitere Möglichkeiten und Grenzen der Module

Neben den Seminarzielen und der didaktischen Struktur stellt der praktische Seminarbetrieb weitere Anforderungen an Technik, Betreuung und Umwelt. Trainerinnen und Trainer können die Zugriffsmöglichkeiten für die Teilnehmenden auf die virtuelle Eisfigurenfertigung steuern. Die Anwendungssoftware erlaubt zusätzlich auch das Abspeichern von Bearbeitungszuständen zur Risikobeurteilung. Beides dient den Trainerinnen und Trainern auch zur Vor- und Nachbereitung der Seminare und kann auch umfangreich zur Illustration von Präsentationen, Seminarunterlagen oder anderen Beiträgen, wie dem hier vorliegenden Text, genutzt werden.

Die VR-unterstützten Qualifizierungsmodule bestehen aus mehreren Komponenten: Dazu zählen die eingesetzten VR-Techniken wie Desktop-PCs, Bildschirmgeräte, VR-Brillen und Controller, die speziell auf die Seminarziele abgestimmte VR-Anwendungssoftware zur virtuellen Eisfigurenfertigung sowie die zugehörigen Benutzungsinformationen. Letztere gibt Auskunft über Funktionalitäten und Hinweise für den sicheren und gesunden Einsatz von Hardware und Software für die Trainerinnen und Trainer und für den Seminarbetrieb mit Teilnehmenden. Die Nutzung der virtuellen Eisfigurenfertigung im Rahmen des VR-gestützten Qualifizierungsmoduls erfordert Räumlichkeiten mit ausreichend Freiraum – sowohl für die benötigte Hardware als auch für den Aktions- und Arbeitsbereich der Teilnehmenden mit VR-Brille und Controllern. Zudem ist ein sorgfältiger Umgang mit allen Systemkomponenten, einschließlich der Anwendungssoftware, notwendig. Erforderlich sind zudem eine Unterweisung, Anleitung und Betreuung der Teilnehmenden zu Mensch-System-Interaktionen in der virtuellen Eisfigurenfertigung sowie zu den dabei verwendeten Techniken der VR. Darüber hinaus sollten Hinweise zum Einsatz und zur Pflege der Techniken der VR einschließlich der Software aus Handbüchern, Anleitungen oder alternativen offiziellen Quellen der Hersteller vollständig berücksichtigt werden. Alle Techniken der VR sollten regelmäßig gereinigt und desinfiziert werden. Allein wegen der Hygiene betrifft das insbesondere Personenkontaktflächen. Bei Änderungen oder Updates des Betriebssystems des Computers oder der Software zum Betreiben von VR-Brillen und -Controllern sollte die Anwendungssoftware zur virtuellen Eisfigurenfertigung erneut auf ihre Funktionsfähigkeit getestet werden, bevor sie im Seminarbetrieb eingesetzt wird.

Fazit

Die Integration der Qualifizierungsmodule in bestehende Seminare der BGN zur Maschinen- und Systemsicherheit konnte erfolgreich umgesetzt werden. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor war die enge Abstimmung der VR-Techniken und der virtuellen Eisfigurenfertigung als Anwendungssoftware mit den Anforderungen der jeweiligen Seminarinhalte und -abläufe. Dies machte eine leichte Anpassung des methodisch-didaktischen Konzepts erforderlich, um die erweiterten Möglichkeiten der neuen Interaktionsmedien sinnvoll einzubinden.

Das Potenzial von VR-­Technologien und entsprechender Anwendungs­oftware zeigt sich auch in der Möglichkeit, bereits in der Planungsphase von Maschinen und Anlagen potenzielle Sicherheitsdefizite frühzeitig zu erkennen.

VR-Techniken und virtuelle Umgebungen erweisen sich dabei als wirkungsvolle Werkzeuge, die – in einem durchdachten Anwendungskontext eingesetzt – eine praxisnahe und ausgereifte Qualifizierung im Bereich der Risikobeurteilung ermöglichen.

Weitere Erfolgsfaktoren lagen in der konzeptionellen Ausrichtung und der partnerschaftlichen Projektarbeit: Die Entwicklung der VR-Anwendung folgte dem wissenschaftlich fundierten Human-Factors-Konzept zur strukturierten Gestaltung virtueller Umgebungen[12]  und zielte von Beginn an auf die Integration in ein bestehendes Schulungskonzept ab. Besonders wertvoll war der enge fachliche Austausch zwischen BGN und IFA zu Themen der Risikobeurteilung, Schulungsdidaktik und der VR-gestützten Simulation realitätsnaher Arbeitsprozesse.

Seit Projektabschluss verfügt die BGN über die nötige Hardware und Software für den Seminarbetrieb, kann diese eigenständig anpassen und auf Basis des Quellcodes weiterentwickeln. Das IFA profitiert seinerseits von den erweiterten Erfahrungen in der Projektentwicklung und kann die Inhalte der VR-Anwendung – in Abstimmung mit der BGN – für künftige Projekte nutzen.

Mithilfe der entwickelten virtuellen Simulationen betrieblicher Fertigungsabschnitte konnten Praxisbeispiele einfacher, flexibler und anschaulicher in den Seminarbetrieb eingebunden werden. Die eingesetzten Szenarien vermittelten durch bewegte Bilder und Ton einen hohen Grad an Realitätsnähe. Die Teilnehmenden wurden stärker als bisher in die einzelnen Schritte der Risikobeurteilung eingebunden und übernahmen aktiv Verantwortung bei der sicheren und gesundheitsgerechten Gestaltung von Arbeitsprozessen.

Dies förderte problemorientiertes und selbstgesteuertes Lernen, ermöglichte eine realitätsnahe, multimodale Rückmeldung zur Aufgabenbearbeitung und steigerte die Motivation zur praktischen Umsetzung der Inhalte im eigenen Betrieb.[13]

Das Potenzial von VR-Technologien und entsprechender Anwendungssoftware zeigt sich darüber hinaus in der Möglichkeit, bereits in der Planungsphase von Maschinen und Anlagen potenzielle Sicherheitsdefizite frühzeitig zu erkennen.[14]  Realitätsnahe Simulationen erlauben es, auch schwer vorstellbare oder komplexe Gefährdungssituationen – etwa bei Instandhaltungs- oder Reinigungsarbeiten – anschaulich zu visualisieren.

Virtuelle Arbeitsschutzbeurteilungen ermöglichen dabei die Analyse zukünftiger Mensch-System-Interaktionen und leisten so einen wichtigen Beitrag zur präventiven Gestaltung von Sicherheit und Gesundheitsschutz an künftigen Arbeitsplätzen.[15]  Angesichts fortschreitender Digitalisierung und technischer Innovationen verändern sich Arbeitssysteme kontinuierlich – und mit ihnen die Risiken für Beschäftigte. Ein frühzeitiger Fokus auf Arbeitsschutzanforderungen gewinnt daher weiter an Bedeutung.

Die im Projekt eingesetzte Methodik – konkret das strukturierte Design virtueller Umgebungen (SDVE) – hat sich im Arbeitsschutzkontext als zielführend und erfolgreich erwiesen. Sie bietet eine tragfähige Grundlage für zukünftige Projekte in Industrie und Dienstleistung, in denen virtuelle Technologien gezielt zur Förderung von Sicherheit, Gesundheit und Lernwirksamkeit eingesetzt werden sollen.

Fußnoten

  1. Maschinenrichtlinie: Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. 5. 2006 über Maschinen und zur Änderung der Richtlinie 95/16/EG. Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L, 157 (2006), S. 24 ff.

  2. Maschinenverordnung - Regulation (EU) 2023/1230 of the European Parliament and of the Council of 14 June 2023 on machinery and repealing Directive 2006/42/EC of the European Parliament and of the Council and Council Directive 73/361/EEC. Official Journal of the European Union L 165, 29.6.2023, pp. 1–102, mit L 169, 4.7.2023, p. 35–36.

  3. DIN EN ISO 12100: Sicherheit von Maschinen - Allgemeine Gestaltungsleitsätze - Risikobeurteilung und Risikominderung. DIN Media, Berlin, 2011.

  4. DGUV Test Information 13: Wesentliche Veränderungen von Produkten. DGUV, Berlin, 2023.

  5. Arnold, R.; Schön, M.: Ermöglichungsdidaktik. Ein Lehrbuch. hep der Bildungsverlag, Bern, 2019.

  6. Eastgate, R. M.; Wilson, J. R.; D'Cruz, M.: Structured Development of Virtual Environments. In: Hale, K. S.; Stanney, K. M. (Hrsg.): Handbook of virtual environments: Design, implementation, and applications. CRC Press, Boca Raton, 2015, S. 353–390.

  7. Eastgate, R. M.; Wilson, J. R.; D'Cruz, M., 2015, S. 353–390.

  8. Lungfiel, A.; Nickel, P.; Zimmermann, J.: Mit dem BGHW-Lagersimulator für Sturzgefahren sensibilisieren. Aus der Arbeit des IFA (AdAIFA) 0448 (2023), S. 1-2.

  9. Bohlscheid, A.; Lungfiel, A.; Nickel, P.; Zimmermann, J.: Training im virtuellen Supermarkt: Ursachen für Stolpern, Rutschen oder Fehltreten erkennen. Aus der Arbeit des IFA 0462 (2025), S. 1-2.

  10. BGN – Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe. (o. D.). TRGS 500 – Rangfolge der Schutzmaßnahmen (STOP-Prinzip). (abgerufen am 15. Juli 2025) | https://vorschriften.bgn-branchenwissen.de/daten/tr/trgs500/5.htm

  11. DIN EN ISO 12100 ,2011.

  12. Eastgate, R. M.; Wilson, J. R.; D'Cruz, M., 2015, S. 353–390.

  13. Arnold, R.; Schön, M.: Ermöglichungsdidaktik. Ein Lehrbuch. hep der Bildungsverlag, Bern, 2019.

  14. Sievers, U.: Echten Gefahren ein Stück voraus. Mit virtueller Realität besser planen. UVB.dialog. Das Magazin der Unfallversicherung Bund und Bahn (Ausgabe 2, Mai 2019).

  15. Nickel, P.; Lungfiel, A.: Evaluation von Sicherheit und Ergonomie einer in Meisterschalter eingebauten Not-Aus-Funktion zur Unfallverhütung bei fahrbaren Hubarbeitsbühnen. Zeitschrift für Arbeitswissenschaft 78(4), 2024, S. 514-530. | https://doi.org/10.1007/s41449-024-00449-y

Weitere Artikel zu diesem Thema

Prävention
Das Bildungsverständnis der Unfallversicherungsträger
Wie lernen Menschen am besten? Die Unfallversicherungsträger haben das gemeinsame Bildungsverständnis aktualisiert. Es beschreibt zentrale Prinzipien für wirksames, kompetenzorientiertes und praxisnahes Lernen – als Grundlage für Qualifizierungsarbeit. Der Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten Aspekte.
Dr. Regina Abeld  •  Miriam Potratz   •  Ausgabe 10/2025
lesen
Change
Chancen der digitalen Transformation: Strategien für zukunftssichere Qualifizierung
Arbeitswelt und Bildungslandschaft befinden sich in einem tiefgreifenden Wandel, der auch die Präventionsleistung Qualifizierung unter Anpassungsdruck setzt. Moderne Lernumgebungen ermöglichen neue Formen der Qualifizierung. Versicherte Unternehmen erwarten Vielfalt und Flexibilität – und auch Teilnehmende haben wachsende Erwartungen an eine digitale und passgenaue Qualifizierung.
Julia Maier-Rigaud  •  Diana Röttig  •  Martin Schröder   •  Ausgabe 10/2025
lesen
Change
KI in der Qualifizierung – Perspektiven für das Lehren und Lernen von morgen
Künstliche Intelligenz (KI) ist gerade für die Qualifizierung ein spannendes Betrachtungsfeld. Doch vor einer möglichen Umsetzung stellen sich Fragen zur Wirkung auf das Lernen, zu adäquaten didaktischen Konzepten sowie zu Chancen und Risiken. Dieser Beitrag soll dazu Aufschluss geben und exemplarisch aufzeigen, wie Qualifizierungsangebote mit KI entwickelt und gestaltet werden können.
Julia Maier-Rigaud  •  Frank Schnitzler   •  Ausgabe 10/2025
lesen

Wie gefällt Ihnen die DGUV forum? Haben Sie Vorschläge für Verbesserungen?

Äußerst unzufrieden
Äußerst zufrieden