Kompetent bleiben: Lebenslange Weiterbildung für Aufsichtspersonen
Damit Aufsichtspersonen auch künftig kompetent beraten und überwachen können, braucht es strukturierte Weiterbildung, gezieltes Wissensmanagement und eine strategische Nachfolgeplanung. Der demografische Wandel, steigende Anforderungen und individuelle Fachkarrieren erfordern frühzeitiges Handeln und eine gelebte Lernkultur.
Key Facts
- Damit Aufsichtspersonen (AP) lebenslang wirksam bleiben, ist eine organisierte Weiterbildung erforderlich, die zu ihrer stetigen Kompetenzentwicklung führt.
- Die Unfallversicherungsträger (UV-Träger) benötigen taugliche Weiterbildungskonzepte, um die erforderlichen Kompetenzen der AP aktuell zu halten.
- Expertenkenntnisse benötigen viele Jahre zu ihrer Entwicklung und gedeihen zielgerichtet in durchdachten Lernkulturen.
Das Arbeitsprofil der Aufsichtsperson (AP) ist gekennzeichnet durch ein Spektrum komplexer Aufgaben, die ein Höchstmaß an Handlungskompetenz erfordern – zum Beispiel in kurzer Zeit kritische Arbeitssituationen im Betrieb zu erkennen, zu hinterfragen, zu analysieren und zu beurteilen. Voraussetzung dafür ist die Kenntnis der Strukturen, Tätigkeiten und Arbeitsbereiche der versicherten Betriebe. Mit den Jahren sammeln sich erhebliche Erfahrungen und Kompetenzen an, die es lebenslang zu erhalten, zu fördern und auszubauen gilt. Die „Position der gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention“[1] hebt die Bedeutung der Qualifizierung des eigenen Personals unter Position 10 hervor: „Durch gezielte Personalauswahl sowie Qualifizierung stellen wir eine hohe Professionalität und Weiterentwicklung unserer eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter den sich verändernden Anforderungen sicher.“
Demografischer Wandel bei den UV-Trägern
Betrachtet man die Altersstruktur innerhalb der Präventionsdienste aller UV-Träger, so stellt sich die Frage, mit welchen Maßnahmen sichergestellt wird, dass die Fachkompetenz zukünftig aufrechterhalten werden kann. Aufsichtspersonen nehmen oftmals ihr in den Jahren angehäuftes, tiefes und breites Fachwissen mit in den Ruhestand, weil keine Zeit mehr bleibt es weiterzugeben. Es ist Aufgabe des UV-Trägers, sich rechtzeitig darum zu kümmern, damit keine Lücken oder Verluste entstehen.
Dies allein wäre schon ein hinreichender Grund, ein Weiterbildungskonzept im eigenen UV-Träger zu etablieren, über das noch längst nicht alle verfügen. Eine unveröffentlichte, nichtrepräsentative Befragung der Ausbildungskoordinatoren der UV-Träger zeigte sowohl Bedarfe an Struktur in der Weiterbildung und im Wissensmanagement als auch Lösungswege auf.
Ein bereits gelebtes Modell der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) sieht so aus: Drei Jahre vor dem Austritt einer Expertin oder eines Experten wird für die Nachfolge gesorgt. Im Vorfeld strukturiert die AP ihre Expertenthemen. In der sogenannten Nachfolgekonferenz wird entschieden, wer mit welchem Zeitanteil zu welchem Thema in die Nachfolge einsteigt. Die Jahre bis zum Renteneintritt werden genutzt für die Einarbeitung, die Übergabe von Gremienarbeit in Selbstregie von abgebender und übernehmender AP und mit einer Zeitressource dafür versehen. Voraussetzung ist eine Stelle, an der die Qualifikationen und Ressourcen aller AP bekannt sind, sodass passgenau Nachfolgende bestimmt werden können. Das Vorgehen kommt bei den abgebenden AP sehr wertschätzend an, weil ihr Wissen als so wichtig angesehen wird, dass darauf Zeit und Personalressource verwendet wird. Zudem können sie ihren oft leidenschaftlich betriebenen Themen einen letzten Schwung geben, in dem sie ihre Nachfolgenden besonders auf Aspekte hinweisen, für die sie Entwicklungspotenzial sehen. Dieser hohe Stellenwert von Fachkompetenz vermittelt sich der ganzen Prävention, so dass AP aktiv nach Vertiefungsthemen suchen und für ein starkes persönliches Engagement bereit sind.
Kompetenzstufenmodell „Kenner – Könner – Experte“
Aufsichtspersonen entwickeln im Laufe ihres Berufslebens ihre Kompetenzen im besten Fall bis hin zum Experten beziehungsweise zur Expertin (siehe Abbildung 1).[2] Oft spezialisieren sie sich in bestimmten Themenbereichen und je nach zu betreuenden Mitgliedsunternehmen in ausgewählten Branchen. Eine zielgerichtete Weiterbildung baut möglichst passgenau auf den verschiedenen Bedarfen an Praxiswissen auf und befriedigt auch die Neugier jener, die tiefer in ein Thema einsteigen wollen. Die Aufsichtsperson sollte aktiv und zielgerichtet ihre eigene Kompetenzentwicklung betreiben. Damit fördert sie ihre Handlungsfähigkeit, um in möglichst allen Fragen der Beratung und Überwachung das „Könner-Niveau“ zu halten. Der Umgang mit Kompetenzen, das heißt dem regelmäßigen Anpassen des Qualifikationsniveaus der Aufsichtspersonen an aktuelle Erfordernisse sowie vorausschauend an künftige Entwicklungen, ist eine wichtige Führungsaufgabe.

Weiterbildung ist unverzichtbar
Die Fachkompetenz ist ein wesentlicher Teil der Kenntnisse einer AP. Nur sie ist so nah an den sich ständig wandelnden Betrieben, um jeden Tag Neuerungen, Veränderungen in den Strukturen und Prozessen, in der Technik und den rechtlichen Regelungen sowohl praktisch zu erleben als auch aus der Theorie für den Betrieb aufzubereiten. Dadurch kommt sie zu spezifischen Kenntnissen über Betriebe, denen sie mit kompetenter Beratung zur Verfügung stehen kann und sammelt dabei selbst so viele Kenntnisse, die sie auch in Weiterbildungen vermitteln kann.
Ein UV-Träger muss die benötigte Weiterbildung für Aufsichtspersonen organisieren, damit die Handlungskompetenz stetig erhalten bleibt. Verluste sind nur sehr langsam wieder aufzubauen. Die Coronapandemie hat gezeigt, wie wichtig die Reaktionsgeschwindigkeit auf Phänomene im Arbeitsleben ist und wie positiv die gesetzliche Unfallversicherung mit dem Angebot an Präventionsmaßnahmen wahrgenommen wurde. Mit solchen und ähnlichen Situationen ist angesichts massiver Veränderungen wie zum Beispiel Klimawandel und politischen Unsicherheiten zu rechnen. Das Motto lautet: Vorsorgen, solange noch Zeit ist und zwischen den Ereignissen immer wieder optimieren, auch wenn wir nicht wissen, was als nächstes kommt.
Akteure der Weiterbildung
Der UV-Träger hat bei der Weiterbildung die zentrale Zuständigkeit. Er verankert sie im Leitbild, entwickelt ein Weiterbildungskonzept oder passt das Weiterbildungskonzept der DGUV auf seine spezifischen Belange an. Die Erfahrungen zeigen, dass es sinnvoll ist, eine Person in der Funktion der Weiterbildungskoordination zu etablieren. Je komplexer der Weiterbildungsbedarf beim UV-Träger ist, umso wichtiger ist diese Position. Damit sind koordinierte Prozesse und eine klare Systematisierung möglich, was auf höhere Geschwindigkeit und größere Zielgenauigkeit einzahlt.
Die Herausforderung besteht darin, einerseits die relevanten Entwicklungen in Betrieben und Organisationen zu erkennen und andererseits die Kompetenzen zu identifizieren, die bei einzelnen, mehreren oder allen Aufsichtspersonen erhalten oder entwickelt werden sollen. Das kann die Weiterbildungskoordination nur in Zusammenarbeit mit weiteren Führungskräften definieren.
Der UV-Träger hat bei der Weiterbildung die zentrale Zuständigkeit. Er verankert sie im Leitbild, entwickelt ein Weiterbildungskonzept oder passt das Konzept der DGUV auf seine spezifischen Belange an.
Organisation der Kompetenzentwicklung
Führungskräfte haben die Aufgabe, mit der AP zu ihrer Kompetenzentwicklung im Austausch zu sein und diese zu fördern. Gemeinsam wird die Passung von Bedarfen für die Dienststelle, gegebenenfalls übergeordnet für den UV-Träger, sowie für die AP definiert. Die Leitfragen könnten sein: Was brauchen wir künftig, was fehlt noch, was kann ich beitragen? Die bereits genannte Befragung der Ausbildungskoordination ergab ausgerechnet bei diesen strategischen Fragen hohe Unsicherheiten. Erforderlich wäre offenbar ein genauerer Kompass für die Führungskräfte, wohin sie ihre AP entwickeln sollen und welche Bedarfe in der Weiterbildungskoordination eingeplant werden müssen.
Lernkultur glaubhaft im Arbeitsalltag etablieren
Die Lernkultur und auch die Lernmotivation der Aufsichtsperson wird maßgebend von der strukturellen und formalen Gestaltung innerhalb der Organisation beeinflusst. Die genannte Befragung ergab folgendes Bild: Die Hemmschwelle, sich weiterzubilden, sinkt mit der günstigen Gestaltung von Bedingungen, die das Lernen im Arbeitsalltag erleichtern. Abgesehen von klaren und kommunizierten Rahmenbedingungen gibt es ausschließlich nichtmonetäre Anreizsysteme, die den Erwerb von Kompetenzen sowie die Lern- und Entwicklungsfähigkeit der Mitarbeitenden honorieren und damit die Bedeutung von Weiterbildungen beim UV-Träger unterstreichen. Die Entscheidung zur Weiterbildung ist häufig durch die AP steuerbar. Allerdings steht diese in Konflikt mit anderen wichtigen Tätigkeiten und wird bei knappen Zeitressourcen eventuell als nachrangig angesehen. Doch wer entscheidet über die Wichtigkeit bei begrenzten Ressourcen? Befürworten UV-Träger die Weiterbildungen auch bei hoher Arbeitslast, erhält diese eine glaubhafte Wichtigkeit, kann leichter angenommen werden und befördert die Lernkultur.
Die Qualität der Weiterbildung ist sowohl organisatorisch als auch fachlich und methodisch von ausschlaggebender Bedeutung: Sie muss leicht zugänglich, praxisorientiert, spezifisch für die eigene Tätigkeit und mit weitem Vorlauf bekannt sein, dazu spannend, interaktiv und motivierend. Dann ist sie attraktiv.
Die Hemmschwelle, sich als AP weiterzubilden, sinkt mit der günstigen Gestaltung von Bedingungen, die das Lernen im Arbeitsalltag erleichtern.
Entwicklung von Expertinnen und Experten
Viele APn haben in ihrer Berufsbiographie fachliche Schwerpunkte. Einige vertiefen sich gern neugierig in ein Thema und genießen es, damit sowohl als Generalist beziehungsweise Generalistin als auch als Experte beziehungsweise Expertin agieren zu können. Diese attraktive Kompetenz-Spanne ist ein Trigger für die AP-Tätigkeit. Neben Führungskarrieren sollte daher auch eine Fachkarriere ermöglicht werden, womit eine Win-win-Situation für Betriebe, die Unfallversicherung und die AP entsteht.
Aufsichtspersonen mit Expertenkenntnissen brauchen sowohl eine gute Selbstreflexion und Selbstorganisation als auch Ressourcen. Expertenkenntnisse sind oft geprägt von unscharfen Grenzen und Überlappungen in andere Themengebiete. Niemand sollte daher verwundert sein, wenn die AP eine Teilnahme an fachlichen Tagungen und Weiterbildungen wünscht, die auf den ersten Blick scheinbar keinen Zusammenhang haben. Umfeld, Grenzen, Bezüge des Expertenwissens erzeugen weitere Puzzlestücke, die in noch nie dagewesenen Fragestellungen plötzlich zum Einsatz kommen – zum Beispiel in einer schnellen Taskforce. Expertinnen und Experten tasten sich selber – und tiefer – in ihr Gebiet vor, solange sie dürfen und es gerne tun. Es kostet die AP viel Energie und braucht eine motivierende Führung, die den Entwicklungsprozess coacht, gute Rahmenbedingungen herstellt und in der Vernetzung innerhalb und außerhalb des UV-Trägers unterstützt. Zu den Rahmenbedingungen gehört zum Beispiel eine für viele Jahre gesicherte zeitliche Ressource für die Expertentätigkeit, da es sich nicht um ein Hobby auf eigene Kosten handelt.
Trägerübergreifendes und trägerspezifisches Wissensmanagement
Es gibt bereits ein etabliertes System von Fachbereichen und Sachgebieten, in dem das Wissensmanagement innerhalb der DGUV strukturell verankert ist. Allerdings erfasst das System nicht das vollständige Fachwissen.
Wer welches Wissen hat – gerade besonderes trägerspezifisches Detailwissen – sollte im UV-Träger bekannt sein. Erheben lässt es sich zum Beispiel in Form einer Selbstauskunft. Die Erfassung der Fachkompetenz der AP in einer Datenbank wird bereits bei einem UV-Träger praktiziert. Unter Einhaltung aller Regeln des Datenschutzes werden Interviews mit den AP geführt, die als Quellen verwendet werden. Nach der Genehmigung durch die betreffende AP werden die erhobenen Fachkompetenzen geclustert und stetig mit Informationen gepflegt, die aus jährlichen Gesprächen mit den Vorgesetzten stammen. Dadurch ist sehr schnell prüfbar, ob und in welcher Tiefe Expertenwissen im eigenen Haus vorhanden ist und abgerufen werden kann. Die technische Entwicklung wird den Aufbau und die Pflege dieser Datenbank künftig hilfreich unterstützen.
Zielgenau Personalauswahl zahlt sich aus
Die Auswahl von APn ist eine wichtige Entscheidung, die sich auch lange auf das Expertenwesen auswirkt. Daher ist ein erhöhter Aufwand gerechtfertigt, um auf einem umkämpften Arbeitsmarkt um kluge Köpfe und Expertinnen und Experten mit einer so interessanten und sinnstiftenden Tätigkeit wie der AP zu werben. Eine enge Zusammenarbeit der Prävention wie die einer AP mit der Personalabteilung ist empfehlenswert.
Häufig ist festzustellen, dass die Konkretisierung der Tätigkeit einer AP zu einem passgenaueren Auswahlverfahren führt. Je zielgenauer das gegenseitige Verstehen ist, umso professioneller können die Ausschreibung und die Auswahl erfolgen. Auch Evaluationsschleifen nach den Ausschreibungen dienen der Verbesserung zum Beispiel von Bausteinen innerhalb eines Assessment Centers. Das Ziel ist, mit moderner, professioneller Unterstützung bestmögliche Entscheidungen zu treffen.
Fußnoten
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Position der Gesetzlichen Unfallversicherung zur Prävention (abgerufen 17.6.2025) | https://publikationen.dguv.de/praevention/allgemeine-informationen/3533/position-der-gesetzlichen-unfallversicherung-zur-praevention
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North, K.; Reinhardt, K.; Sieber-Sutter, B.: Kompetenzmanagement in der Praxis. Wiesbaden: Springer Gabler, 3. Aufl. 2018