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Ausgabe 11/2025

Das SDG 8 an Hochschulen in Afrika – ­Ergebnisse einer explorativen Studie

Studiengänge an afrikanischen Universitäten in den Bereichen Arbeitsmedizin, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie Personalmanagement leisten einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des UN-Nachhaltigkeitsziels 8: „Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum“ auf lokaler, regionaler und globaler Ebene.

Key Facts

  • Afrikanische Hochschulen stärken menschenwürdige Arbeit trotz Fachkräftemangel in Arbeitsmedizin, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sowie Personalmanagement
  • Bildung, Praxis und Nachhaltigkeit sind eng verknüpft – über den Campus hinaus bis in Politik und Gesellschaft
  • Afrika folgt nicht länger nur europäischen Vorbildern, sondern geht eigene, innovative Wege

Hochschulen spielen eine zentrale Rolle in der Ausbildung von Fachkräften, um zentrale Herausforderungen der modernen Arbeitswelt zu meistern – insbesondere in Ländern mit wachsender Bevölkerung und gleichzeitigem Mangel an qualifiziertem Personal und Infrastruktur in Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz.

Laut OECD gehört das Sustainable Development Goal 8 (SDG 8)[1] weltweit zu den fünf Zielen mit den geringsten Fortschritten.[2] Besonders betroffen sind Länder mit hoher Entwicklungsdynamik, aber begrenzten Ressourcen in Bereichen wie Arbeitsmedizin, öffentlicher Gesundheit und Nachhaltigkeitspolitik.[3]

Vor diesem Hintergrund führte eine Arbeitsgruppe der Globalen Arbeitsschutzkoalition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), unter Leitung des Europäischen Netzwerkes Aus- und Weiterbildung in Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (ENETOSH), koordiniert und methodisch betreut durch das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG), eine explorative Studie zur Integration von SDG 8 in afrikanischen Hochschulprogrammen durch.[4]

Anknüpfend an eine Studie zur Integration von SDG 8 an Universitäten in Europa5 wurden zwischen September und Dezember 2024 neun leitfadengestützte Interviews mit akademischen Führungskräften von Master- und Postgraduiertenprogrammen in sieben afrikanischen Ländern (Botswana, DR Kongo, Ghana, Kenia, Nigeria, Südafrika, Simbabwe) durchgeführt. Die Studiengänge deckten die Bereiche Arbeitsmedizin, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit (AM und S&G), Umwelt- und öffentliche Gesundheit sowie Personalmanagement (PM) ab.

Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse ­mithilfe der Software MAXQDA. Zentrale Themen waren:

  • Globalisierung, Klima, Umwelt
  • Digitalisierung
  • Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten
  • Ungleichheit
  • Ganzheitliche Ansätze zur Integration von SDG 8

Für diese Themen wurde ein deduktives Kategoriensystem mit Kategorien und Unterkategorien entwickelt ­(siehe Tabelle 1).

Kodesystem: Kategorien und Unterkategorien
Tabelle 1: Kodesystem: Kategorien und Unterkategorien

Inhalte der Studiengänge

Die Inhalte der Studiengänge, mit Bezug auf die Themen des SDG 8, wurden getrennt für zwei Arten von Studiengängen ­ausgewertet (siehe Tabelle 2): Für fünf Studiengänge mit dem Schwerpunkt AM und S&G sowie für vier Studiengänge im Bereich PM mit einem klaren Fokus auf Umwelt- und Klimaherausforderungen sowie deren Auswirkungen auf Gesundheit und Wirtschaft.

In allen Antworten zu den fünf Programmen in den Bereichen AM sowie S&G wurde das Thema „Globalisierung und Klimawandel“ in Verbindung mit „Gesundheit am Arbeitsplatz, einschließlich Unfälle“ von den Interviewten als vorrangig eingestuft.

Die Programme bieten den Studierenden fundierte Inhalte rund um Arbeit und Gesundheit. Allgemeine Themen wie Globalisierung, Klimawandel und soziale Ungleichheiten werden dabei mit konkreten lokalen Herausforderungen verknüpft – etwa gesundheitsgefährdender Arbeit im Bergbau. Die Wissensvermittlung wird durch praxisnahe Erfahrungen und Trainings ergänzt, die auch Kompetenzen zur Bewertung und Analyse einschließen.

Inhalte der Studiengänge
Tabelle 2: Inhalte der Studiengänge

Von den vier Studiengängen im Bereich PM sind zwei Programme hervorzuheben:

  • Der Master of Science in Climate Change and Sustainable Development in Ghana befasst sich mit der Analyse von Umweltzerstörungsprozessen, deren Ursachen sowie den gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung.
  • Ebenfalls herausragend ist der Masterstudiengang ­Umweltökonomie und -politik in Kenia – eine gemeinsame ­Initiative der Fakultäten für Rechts- und Wirtschaftswissenschaften.

Im Zentrum des Curriculums steht die Analyse der Wechsel­wirkungen zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und ­Klimawandel sowie deren gesundheitlicher Folgen, etwa Hitze­stress oder Überschwemmungen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass alle befragten Studienleitungen und Hauptlehrkräfte über fundierte Kenntnisse sowie ein ausgeprägtes Engagement für die SDG-Initiative verfügten. In den akademischen Netzwerken der sieben afrikanischen Länder, die in diese explorative Studie einbezogen wurden, zeigt sich ein deutliches Bewusstsein für diesen entwicklungspolitischen Ansatz der Vereinten Nationen.

Lehrmethoden der Studiengänge

Die Studiengänge im Bereich AM und S&G nutzen hybride Lehrformen mit Vorlesungen, Gruppenarbeit und praktischen Exkursionen, insbesondere in industriellen und bergbaulichen Kontexten. Die Integration indigenen Wissens variiert – sie reicht von der Einladung lokaler Fachleute und der Einbindung traditioneller Wissenspraktiken bis hin zu Exkursionen an lokale Praxisorte. Fallstudien mit präventiven Lösungsansätzen und projektorientiertes Lernen ergänzen das Curriculum. Auch die Programme mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Gesundheit arbeiten mit vielfältigen Methoden, darunter strukturierte Kurztexte, Projektwochen, Rollenspiele und Laborexperimente.

Kritisches Denken und Interdisziplinarität sind in allen Programmen als Lehrziele erkennbar, wenn auch unterschiedlich deutlich formuliert. Ethik ist in beiden Programmbereichen zentral verankert – sei es in Form spezieller Kurse, Mentoring-Angebote oder als Reflexionsrahmen für umweltbezogene Entscheidungsprozesse. Sozial-emotionale Kompetenzen werden im Bereich AM und S&G gezielt gefördert, etwa durch Einführungsseminare oder Teamarbeit, während sie im Bereich PM eher als Teil der allgemeinen Sozialisationserfahrung verstanden werden.

In drei der vier PM-Programme wird die Bedeutung indigenen Wissens anerkannt. Der Masterstudiengang Umweltökonomie und -politik legt besonderen Wert auf interkulturelle Toleranz und offenes Denken. Insgesamt zeichnen sich die PM-Programme durch methodische Vielfalt, innovative Elemente und die Ausrichtung an internationalen Qualitätsstandards aus. Die aktive Einbindung der Studierenden ist ein zentrales Anliegen und wird teils mit praxisnaher Ausbildung kombiniert.

Praktische Implikationen der Studienprogramme

Die Masterprogramme in Arbeitsmedizin richten sich an Berufsanfänger und -anfängerinnen und Fachkräfte, die ihr Wissen direkt in der Praxis umsetzen. Postgraduale Studierende sind häufig in Ausbildung, Gesetzgebung und Arbeitsschutzinitiativen engagiert, mit besonderem Fokus auf den Kobaltbergbau und gesundheitliche Prävention.

Programme wie das Diplom in Arbeitsmedizin und Familienmedizin ziehen Studierende aus anderen afrikanischen Ländern an, die nach dem Abschluss als qualifizierte Fachkräfte zurückkehren oder international tätig werden. Umwelt- und Personalmanagementprogramme integrieren praktische Elemente, die die Absolventinnen und Absolventen befähigen, in öffentlichen Verwaltungen und Politik zu wirken.

Das zentrale Ziel aller Programme ist die Stärkung der Kompetenzen der Lernenden für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz sowie für nachhaltige Entwicklung. Die Lehrenden sehen ihre Rolle dabei auch als ethische Verpflichtung und fördern die Studierenden als aktive Gestalter gesellschaftlichen Wandels.

Lehrkräfte, die ihre Rolle nicht nur als akade­mische Lehrkräfte, sondern auch als Verfechter der Menschenrechte sehen.

(Interview 6)

Ganzheitlicher Ansatz

Die Interviewten wurden gefragt, ob ihre Universitäten über Studienprogramme hinaus zur Förderung guter Arbeit und nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung beitragen. Diese Frage ist relevant, weil:

  • ein gesundes Lern- und Arbeitsumfeld die Qualität von ­Forschung und Lehre stärkt,
  • Universitäten große Arbeitgebende sind und Verantwortung für menschenwürdige Arbeit tragen,
  • Hochschulen als wichtige Agierende in ihren Gemeinden Einfluss auf den Ressourcenverbrauch und die lokale ­Entwicklung haben.

Die Antworten zeigen vielfältige Aktivitäten, die sich auf vier Ebenen zusammenfassen lassen:

  1. Dienstleistungen für Mitarbeitende: Dazu zählen Gesundheitsversorgung, Arbeitssicherheit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
  2. Unterstützung der Studierenden: Programme zu psychischer Gesundheit, soziale Beratung, Inklusion
  3. Kooperation mit der lokalen Gemeinschaft: Ausweitung universitärer Initiative auf lokale Institutionen
  4. Ökologische Nachhaltigkeit und politischer Transfer: Vorbildfunktion, etwa durch Energiesparmaßnahmen digitale Ressourcenkontrolle, Aufforstungsinitiativen

Kultur ist in Afrika sehr tief verwurzelt. Was auch immer ­man durchmacht, man kann es als Familie bewältigen.

(Interview 4)

Fazit: Die analysierten Universitäten verfolgen in hohem Maße einen ganzheitlichen Ansatz im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele. Sie fördern Sicherheit, Gesundheit und Wohlbefinden auf dem Campus und verankern Nachhaltigkeit strategisch. Damit übernehmen sie aktiv Verantwortung für gesellschaftliche und ökologische Entwicklungen – lokal wie global.

Das SDG 8 an Hochschulen in Afrika und Europa

Das SDG 8 ist in den untersuchten afrikanischen Hochschulprogrammen stark verankert – nicht nur als Lehrinhalt, sondern auch als praktische Herausforderung. Die akademischen Führungskräfte zeigen ein hohes Bewusstsein für wirtschaftliche und ökologische Entwicklungen und verbinden akademische Bildung eng mit gesellschaftlichem Engagement.

Im Vergleich dazu spielt SDG 8 in europäischen Programmen – insbesondere in den Bereichen AM sowie S&G – eine deutlich geringere Rolle. Hier stehen näher liegende Herausforderungen, die durch Problemlösungsfähigkeiten und -wissen angegangen werden können im Vordergrund, während politische oder gesellschaftliche Bezüge kaum berücksichtigt werden.[5]

Afrikanische Universitäten setzen zunehmend auf interdisziplinäre und innovative Programme, etwa durch die Verbindung von Recht, Wirtschaft und Umweltfragen oder durch neue digitale Lehrformate. In Europa dominiert hingegen weiterhin ein disziplinär geprägtes Curriculum mit starker Einflussnahme durch Berufsverbände – was zwar zu mehr Standardisierung und Mobilität führt, aber auch Innovation hemmen kann.[5]

Ein Alleinstellungsmerkmal afrikanischer Programme ist die Integration indigenen Wissens als Beitrag zur Dekolonisierung von Bildung und Wissenschaft.[6]

Praxisbezug ist in beiden Regionen wichtig. Während Europa über klar definierte Karrierewege im Bereich Arbeitsschutz verfügt, sind diese in Afrika weniger entwickelt. Dort jedoch bestehen oft engere Verbindungen zwischen Studiengängen (so für PM) und politischen beziehungsweise wirtschaftlichen Akteuren – besonders im Kontext von Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Fazit

Afrikanische Universitäten setzen den „ganzheitlichen Universitätsansatz“ der UN-Nachhaltigkeitsziele in bemerkenswerter Weise um. Sie entwickeln eigenständige Bildungsmodelle, die nicht länger dem Vorbild Europas folgen, sondern innovative Antworten auf die Herausforderungen einer globalen, sich wandelnden Gesellschaft bieten.

Fußnoten

  1. United Nations (UN): Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development, United Nations 2015. (abgerufen am 15.08.2025) | https://sdgs.un.org/publications/transforming-our-world-2030-agenda-sustainable-development-17981

  2. The Organization for Economic Co-operation and Development (OECD): The OECD Hub on Sustainable Development Goals. Paris: 2025. (abgerufen am 15.08.2025) | https://www.oecd.org/en/data/dashboards/the-oecd-hub-on-sustainable-development-goals/distance-to-achieving-sdgs.html?oecdcontrol-a499c1a199-var1=OECD&oecdcontrol-c592af0864-var6=SDG+8

  3. Siegrist, J.; Moyo, D.; Bollmann, U.: The integration of decent work into a selection of university degree programs and beyond: Reflections on European and African experiences. In: Dellve, L.; Fonn, S.; Köhlin, G.; Skagert, K. (Hrsg.): Achieving UN sustainable development goal 8: Economic growth and decent work for all. London 2025, S. 186-196. (abgerufen am 15.08.2025) | https://doi.org/10.4324/9781032624723

  4. Arbeitsgruppe der Globalen Arbeitsschutzkoalition der ILO: (abgerufen am 15.08.2025) Mitglieder der Arbeitsgruppe waren außer den Autorinnen und dem Autor: Prof. Dr. Dingani Moyo, Nationale Universität für Wissenschaft und Technologie (NUST), Simbabwe (Leitung); Dr. Ehi Iden, Stiftung für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz (OSHAfrica), Nigeria; Prof. Dr. Esther Buregyeya, Makerere-Universität, Fakultät für öffentliche Gesundheit, Uganda; Prof. Dr. Gunnar Köhlin, Universität Göteborg, Schweden; Prof. Dr.-Ing. Rudolf Schumachers, Hochschule Rhein-Waal, Deutschland. Ein großer Dank gebührt Johanna Mai für ihre Unterstützung bei der Konzeptentwicklung, der Durchführung der Interviews, deren Auswertung und der Bewerbung des Projektes. | https://www.ilo.org/publications/global-coalition-safety-and-health-work-task-groups

  5. Siegrist, J.; Bollmann, U.: Promoting good and sustainable work in occupational health education. In: Occupational Medicine, Band 73, Ausgabe 2/2023, S. 61–65. (abgerufen am 15.08.2025) | https://doi.org/10.1093/occmed/kqac018

  6. Meela, M.; Libhaber, E.; Kramer, B.: Transformation of a health sciences post-graduate population (2008–2017) at a Higher Education Institution in South Africa: Has this occurred? In: South African Journal of Higher Education, Band 35, Ausgabe 1/2021, S. 209–230.

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