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Ausgabe 11/2025

Verkehrssicherheit junger Erwachsener: Erkenntnisse aus Forschung und Praxis

Schülerinnen und Schüler berufsbildender Schulen sind von Unfällen ­im Straßenverkehr besonders betroffen. Was macht ihre Mobilität so ­riskant? Und wie kann wirksame Prävention aussehen? Dies sind die ­Fragen, denen das von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) initiierte Forschungsprojekt FP 448 nachging.

Key Facts

  • Junge Erwachsene sind als Fahranfänger und Fahranfängerinnen besonders gefährdet, einen Unfall zu erleiden
  • Qualitätsgesicherte Maßnahmen zur Verkehrserziehung und Mobilitätsbildung sollten auch bei der Gruppe der 17- bis 24-Jährigen verstärkt zum Einsatz kommen
  • Gute und wirksame Angebote bestehen bereits und Schulen können damit zur Reduzierung von Risiken junger Erwachsener beitragen

Junge Erwachsene zwischen 17 und 24 Jahren sind im Straßenverkehr zu häufig in Unfälle verwickelt – insbesondere als Fahranfängerinnen und Fahranfänger im motorisierten Individualverkehr. Trotz intensiver Aufklärungsarbeit und Einführung des begleiteten Fahrens zum Erwerb des Führerscheins bleibt diese Altersgruppe eine Hochrisikogruppe. Schülerinnen und Schüler an berufsbildenden Schulen sind dabei besonders betroffen.

Das Ziel des Forschungsprojektes FP 448 bestand insbesondere darin, aktuelle Risiken zu analysieren und Qualitätsmerkmale wirksamer Präventionsansätze in und für Schulen – einschließlich der Berufsschulen – zu ermitteln.[1] Dieser Beitrag fokussiert sich auf die Risikogruppe der Berufsschülerinnen und -schüler.

Die Analyse zeigt erneut, dass junge Fahranfängerinnen und -anfänger in den ersten Jahren nach dem Führerscheinerwerb einem signifikant erhöhten Unfallrisiko ausgesetzt sind. Dieses Risiko ist besonders an berufsbildenden Schulen ausgeprägt, da dort viele junge Menschen mit kurzer Fahrpraxis anzutreffen sind. Die Fähigkeit, Risiken realistisch einzuschätzen, sowie das Wissen über verkehrssicheres Verhalten sind oft nur unzureichend vorhanden. Es wird deutlich, dass die Fähigkeit zur differenzierten Gefahrenwahrnehmung in jungen Jahren noch im Aufbau ist. Daraus resultiert eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, in kritischen Verkehrssituationen unangemessen oder zu spät zu reagieren. Hinzu kommen entwicklungspsychologische Aspekte: Das Bedürfnis nach Autonomie, gepaart mit der Suche nach sozialer Anerkennung, führt bei jungen Fahrenden nicht selten zu riskantem Verhalten.[2]

Erhebliche Bedeutung kommt laut Forschungsprojekt in diesem Zusammenhang der Risikowahrnehmung zu. So neigen junge Fahrerinnen und Fahrer dazu, ihre eigenen Fähigkeiten im Straßenverkehr deutlich zu überschätzen, während sie ­konkrete Risiken wie überhöhte Geschwindigkeit, Ablenkung durch Smartphones oder das Fahren unter Alkohol- oder Drogeneinfluss unterschätzen. Gerade die Nutzung mobiler Geräte während der Fahrt gilt als häufige Ursache für Ablenkungsunfälle in dieser Altersgruppe. Der Einfluss von Gleichaltrigen verstärkt dies zusätzlich. Unter Gruppendruck neigen junge Menschen zu riskanterem Verhalten, etwa zu Autorennen auf Landstraßen oder zu überhöhtem Tempo, um innerhalb der Peergroup Anerkennung zu erhalten.

Ein weiteres zentrales Ergebnis ist die Feststellung, dass die schulische Verkehrserziehung häufig zu kurz greift. Insbesondere in der Sekundarstufe II und beim Übergang in die Berufsausbildung fehlt es an systematisch verankerten Programmen zur Verkehrssicherheit. Dabei ist gerade dieser biografische Einschnitt – etwa der Wechsel vom Fahrrad oder dem öffentlichen Nahverkehr zum eigenen Auto – ein besonders wichtiger Zeitpunkt in der Mobilitätsbiografie junger Menschen. Der ­Beginn der Berufsausbildung, ein Umzug oder der erstmalige Erwerb eines eigenen Fahrzeugs fallen häufig in diese Lebensphase. In dieser Umbruchzeit treffen neue Freiheiten auf wenig Erfahrung – eine Kombination, die aus pädagogischer Sicht ein idealer Zeitpunkt für eine gezielte Begleitung ist, bislang jedoch zu wenig berücksichtigt wird.

Ein weiteres zentrales Ergebnis: Die schulische Verkehrserziehung greift häufig zu kurz. Insbesondere in der Sekundar­stufe II und beim Übergang in ­die Berufs­ausbildung.

Diese psychosozialen Einflussfaktoren sind besonders an ­berufsbildenden Schulen von Bedeutung, weil dort viele Lernende erstmals selbstständig motorisiert am Straßenverkehr teilnehmen. Dennoch spielt Mobilitätsbildung an diesen ­Bildungseinrichtungen bislang kaum eine Rolle, wie das Forschungsprojekt deutlich aufzeigt. Es fehlt an verpflichtenden Inhalten im Curriculum, an speziell geschultem Personal und an dem Wissen um institutionelle Konzepte, um junge Menschen umfassend auf die Anforderungen als Verkehrsteilnehmende vorzubereiten. Auch der Einsatz vorhandener guter ­Präventionsangebote außerschulischer Akteure kann schon ein wesentlicher und wirksamer Beitrag sein.

Als besonders wirkungsvoll haben sich sogenannte Leuchtturmprojekte erwiesen, die innovative und praxisnahe Ansätze nutzen. Dazu gehören interaktive Formate, Peer-to-Peer-Programme sowie realitätsnahe Simulationen von Verkehrssituationen, die von jungen Menschen sehr gut angenommen werden und ihre Lernmotivation steigern.

Sechs Programme mit nachgewiesener Wirksamkeit

Die Fülle unterschiedlicher Angebote zur Verkehrssicherheitsarbeit mit jungen Menschen ist Herausforderung und Chance zugleich, sie für die Risiken ihrer Altersgruppe zu sensibilisieren und das Unfallgeschehen möglichst zu reduzieren. Hier dennoch einige ausgewählte Beispiele geeigneter Maßnahmen, deren Qualität belegt ist und die von Expertinnen und Experten empfohlen werden:

1. Junge Menschen am Steuer (Unterrichtseinheit für berufsbildende Schulen)

Im Rahmen dieser Unterrichtseinheit reflektieren Schülerinnen und Schüler riskantes Verhalten. Im Rollenspiel können sie emotionale Kontrolle einüben, sodass Lehrkräfte die Entwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler zu kompetenten ­Verkehrsteilnehmenden wirksam unterstützen. Weitere Infos unter dguv-lug.de/berufsbildende-schulen/verkehr/junge-menschen-am-steuer/

2. Multitasking – Ablenkung beim Autofahren

Mit einem Lernmodul der Unfallkasse Hessen, das von Lehrkräften mit wenig Vorbereitung als 90-minütige Unterrichteinheit verwendet werden kann, werden Schüler und Schülerinnen als Fahranfänger und Fahranfängerinnen für die Gefahren von verhaltensbedingten Risiken durch Ablenkung im Straßenverkehr sensibilisiert. Zur Kurzanleitung für Lehrkräfte geht’s hier: ukh.de/fileadmin/Medien/Medien/Kita_Schule/3-016_UKH_Kurzanleitung_Ablenkung_beim_Autofahren.pdf Das Lernmodul selbst finden Sie hier: ukh.studiumdigitale.uni-frankfurt.de/

3. Regio Protect UVT

Das Projekt „Sicher in meiner Region – Regio Protect UVT“ wurde unter Federführung des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR) entwickelt, um das besonders hohe Unfallrisiko von jungen Menschen auf ihren täglichen Arbeitswegen in ­ihrem Wohnumfeld zu senken. Die regionale Nähe des Projekts macht das Angebot besonders authentisch und wirksam. Weitere Infos unter sicher-in-meiner-region.de/

4. JUNG+SICHER+STARTKLAR (JuS)

Das Programm der Deutschen Verkehrswacht beinhaltet themen­spezifische Projektbausteine und ganze Verkehrssicherheitstage für Schulen, die den Schülerinnen und Schülern ­wertvolle Erfahrungen für ihre Sicherheit im Straßenverkehr vermitteln. Zum Angebot der Deutschen Verkehrswacht geht’s hier verkehrswacht.de/jungsicherstartklar/

5. ADAC PKW-Training Young Drivers only

In diesem Sicherheitstraining können sich Fahranfänger und Fahranfängerinnen bis 25 individuell unter Aufsicht erfahrener Trainer und Trainerinnen auf Gefahrensituationen vorbereiten. Die Teilnehmenden können Vollbremsungen, Schleudern und richtiges Gegenlenken in sicherer Umgebung üben. Weitere Infos unter adac.de/services/fahrsicherheitstrainings/pkw-trainings/junge-fahrer/

6. Komm gut an.

Die TikTok-Kampagne „komm gut an.“ ist auf Initiative des Deutschen Verkehrssicherheitsrates (DVR), des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) und ­der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) entstanden und richtet sich an junge Menschen, insbesondere zwischen 16 und 24 Jahren. Primäres Ziel ist es, für die Gefahren tödlicher und schwerer Unfälle im Straßenverkehr zu sensibilisieren und die hohe Zahl der Wegeunfälle bei Azubis zu verringern. Weitere Infos unter kommgutan.de/#socialmedia

Zahlen – Daten – Fakten

Auch Unfallzahlen belegen leider eindrucksvoll die Dringlichkeit, Maßnahmen der vorgeschlagenen Art in Schulen regelmäßig durchzuführen: Laut Destatis verunglückten im Jahr 2020 rund 50.200 junge Menschen im Alter von 18 bis 24 Jahren im Straßenverkehr[3] – in keiner anderen Altersgruppe war das Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken, derart hoch. Hauptunfallursachen sind un­angepasste Geschwindigkeit, Ablenkung, fehlende Fahrpraxis sowie Gruppeneinflüsse. Ähnliche Zahlen und Ursachen finden sich auch in Berichten der Europäischen Kommission, die die junge Altersgruppe weltweit als Risikogruppe identifiziert haben.[4] Laut der Schülerunfallstatistik 2023 der DGUV machen Schulwegunfälle an berufsbildenden Schulen 13,4 Prozent aller Schulwegunfälle aus.[5] Rund ein Drittel aller Schulunfallrenten entfällt auf Unfälle zur oder von der Berufsschule. Besonders bei den Unfällen mit tödlichem Ausgang sind die berufsbildenden Schulen am stärksten betroffen. Dabei spielen vor allem PKW und motorisierte Zweiräder eine bedeutende Rolle. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse muss Prävention für junge Erwachsene neu gedacht, ausgestaltet und konkret umgesetzt werden. Sie sollte frühzeitig, praxisnah und systematisch in die Bildungsbiografien integriert werden.

Die Ergebnisse des DGUV-Forschungsprojekts FP 448 belegen erneut, dass junge Erwachsene eine verkehrspädagogische ­Begleitung benötigen, die über traditionelle Verkehrserziehung hinausgeht. Eine systematische, zielgruppengerechte und praxisorientierte Verkehrssicherheitsbildung, die von der Schule bis in die berufliche Ausbildung reicht, ist unerlässlich. Die ­Förderung von Kooperationen aller relevanten Akteure sowie innovative Lernformate stellen wesentliche Erfolgsfaktoren dar.

Schulen – und hier besonders die berufsbildenden Schulen – können mit dem konkreten Einsatz von Angeboten zur Verkehrserziehung einen wesentlichen Beitrag leisten, die Risiken von Fahranfängern und Fahranfängerinnen deutlich zu reduzieren.

Fußnoten

  1. Funk, W. et al (2020): Überblick über Maßnahmen und strukturelle Bedingungen der aktuell in den Ländern durchgeführten Präventionsmaßnahmen zur Verkehrssicherheit in Bildungseinrichtungen. Schlussbericht DGUV FP 448., (abgerufen am 29.07.2025) | https://www.dguv.de/projektdatenbank/0448/ab_final_fp_448_verkehrssicherheitsmassnahmen_in_bildungseinrichtungen.pdf

  2. Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Unfallforschung kompakt Nr. 109: Unfallrisiko und Präventionsmaßnahmen für junge Pkw-Fahrer:innen, (abgerufen am 29.07.2025) | https://www.udv.de/resource/blob/79280/835b212b20895c06b7e59d44f1b21ae1/109-unfallrisiko-und-praeventionsmassnahmen-fuer-junge-pkw-fahrer-innen-data.pdf

  3. Statistisches Bundesamt (Destatis) 2021, Verkehrsunfälle, Unfälle von 18- bis 24-Jährigen im Straßenverkehr, (abgerufen am 31.07.2025) | https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Verkehrsunfaelle/Publikationen/Downloads-Verkehrsunfaelle/unfaelle-18-bis-24-jaehrigen-5462406207004.pdf?__blob=publicationFile&v=2

  4. European Commission (2023). Road safety thematic report – Young Novice Drivers. European Road Safety Observatory. Brussels, European Commission, Directorate General for Transport.

  5. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (Hrsg.): Statistik Schülerunfallgeschehen 2023, (abgerufen am 31.07.2025) | https://publikationen.dguv.de/statistiken/schuelerunfallgeschehen/4987/statistik-zum-schuelerunfallgeschehen-2023?c=222

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