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Ausgabe 11/2025

Projekt untersucht Studienbedingungen und Gesundheit Studierender

Von Mai 2021 bis Februar 2023 wurden in einer von der DGUV ­initiierten Studie fast 25.000 Studierende mit Hilfe des Bielefelder Fragebogens befragt. Ziel war es, Belastungen und Ressourcen ­­zu ermitteln und Grundlagen für die Gefährdungsbeurteilung zu schaffen.

Key Facts

  • Ein Forschungsprojekt will Hochschulen dabei unterstützen, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung an Studienplätzen durchzuführen
  • Mit dem Bielefelder Fragebogen ist jetzt ein Instrumentarium zur Ist-Analyse einer psychischen Belastung an Studienplätzen verfügbar
  • Maßnahmen zur Stärkung der sozialen Beziehungen (Sozialkapital) haben eine Schlüsselfunktion für psychische Gesundheit

Die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“ stellt zusammen mit dem Arbeitsschutzgesetz die rechtliche Grundlage dar, um Gefährdungen für die Versichertengruppe der Studierenden an Hochschulen zu erfassen sowie präventive Maß­nahmen zu entwickeln und umzusetzen.[1] [2] Damit haben ­Hochschulen die Pflicht zu prüfen, welche verschiedenen Gefährdungsarten Studierende während des Besuchs der Einrichtungen ausgesetzt sind. Eine Art der Gefährdung, die bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden muss, ist die der psychischen Belastung. Doch trotz der verbindlichen Rechtsvorgaben wird auch die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung an Studienplätzen weiterhin kaum umgesetzt, unter anderem weil bei Nichterfüllung die Konsequenzen ausbleiben. Erschwerend kommt hinzu, dass es bislang kein hochschulspezifisches Befragungsinstrument gab, das zu diesem Zwecke eingesetzt werden konnte. Diese Ausgangslage war die Triebfeder für das von der DGUV geförderte Forschungsprojekt FP 460, welches ein Forschungsteam der Universität Bielefeld und der Charité – Universitätsmedizin Berlin im Verbund von März 2021 bis August 2023 umsetzte. Die folgenden Ausführungen basieren größtenteils auf dem veröffentlichten Projekt­abschlussbericht und fassen im Kern die Zielsetzungen, Methoden, Ergebnisse und für die Präventionspraxis abgeleiteten Schlussfolgerungen zusammen.[3]

Ziele und Zielgruppe

Angesichts der defizitären Lage zielte das Forschungsprojekt darauf ab, den zuvor im Gesundheitsmanagement der Universität Bielefeld konzipierten und getesteten Bielefelder Frage­bogen zu Studienbedingungen und (psychischer) Gesundheit an verschiedenen deutschen Hochschulen einzusetzen und innerhalb des Projektzeitraums unter anderem mit Hilfe der gewonnenen Praxiserfahrungen fortzuentwickeln. Hierbei sollten organisationale Ressourcen und Belastungen (sogenannte „Treiber“), die mit der psychischen Gesundheit Studierender sowie anderen Faktoren, wie zum Beispiel dem studentischen Engagement oder der Studienleistung („Outcomes“) zusammenhängen, an den beteiligten Hochschulen identifiziert werden. Ein weiteres Ziel war, eine Hochschuldatenbank zu Studienbedingungen und Gesundheit aufzubauen. Dabei sollten aus den gesammelten Daten hochschulübergreifende Präventionsansätze abgeleitet sowie auch Wirkmodelle, die Bezüge zwischen den ermittelten Ressourcen und Belastungen herstellen, untersucht werden[4]. Insgesamt zielte das Projekt somit auf die (Weiter-)Entwicklung eines verhältnisorientierten Präventionsansatzes an Hochschulen ab.

Übergeordnetes Projektziel war, Hochschulen dabei zu unterstützen, eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung an Studienplätzen mithilfe datenbasierter Maßnahmen anzustoßen. Dazu sind 3 zentrale Forschungsfragen (siehe Kapitel „Zentrale Befragungsergebnisse“) verfolgt worden, die auf dem Bielefelder Unternehmensmodell und Bielefelder Sozialkapitalansatz basieren. Demnach gibt es in jeder Organisation – also auch in Hochschulen – Faktoren, die sich als „Treiber“ auf die psychische Gesundheit und die Leistungsqualität auswirken können. Dazu zählen insbesondere die Sozialressourcen einer Organisation, das sogenannte Sozialkapital, was sich an der Führungs- und Zusammenarbeitsqualität als auch an den gemeinsamen Werten einer Organisation (Organisationskultur) bemisst. Auf der theoretischen Grundlage dieses Ansatzes wurde der Bielefelder Fragebogen zu Arbeitsbedingungen an Hochschulen entwickelt und schließlich der Bielefelder Fragebogen zu Studienbedingungen adaptiert.

Insgesamt zielte das Projekt auf die (Weiter-)Ent­wicklung eines verhältnis­orien­tierten Prä­ven­tions­­ansatzes an Hochschulen ab.

Ziel- beziehungsweise Dialoggruppe des Forschungsprojekts waren die Studierende an Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland. Dabei sind die Forschungsfragen differenziert für die verschiedenen Studienphasen (Eingangsphase, Hauptphase, Abschlussphase) und unter Beachtung geschlechts­spezifischer Unterschiede betrachtet worden. Zudem wurden Analysen anhand verschiedener Faktoren, wie dem Hochschultyp (Universität oder Fachhochschule), der Fächergruppe und dem Erhebungszeitpunkt (wie beispielsweise während oder nach Pandemiemaßnahmen) durchgeführt.

Methodik

Bei dem Bielefelder Fragebogen zu Studienbedingungen handelt es sich um ein lernendes Instrument, das während der Projektlaufzeit mehrmals überarbeitet wurde. Von Mai 2021 bis Februar 2023 sind damit fast 25.000 Studierende an zehn Universitäten und drei Fachhochschulen aus sieben Bundesländern befragt worden, wobei die mittlere Rücklaufquote etwa 11 Prozent betrug. Der Fragebogen enthielt insgesamt 22 Themenblöcke zu Studienbedingungen (zum Beispiel „Kultur in der Hochschule“) und acht Outcomes, darunter vier Outcomes der psychischen Gesundheit (Wohlbefinden, Depression, Stress, Erschöpfung). Die beteiligten Hochschulen sind außerdem zu einem Hochschulnetzwerk zusammengeschlossen worden.

Die Projektumsetzung war inhaltlich in zwei stark ineinandergreifende Arbeitspakete unterteilt worden. Das für Arbeitspaket 1 verantwortliche Team aus dem Gesundheitsmanagement der Universität Bielefeld hatte die Gesamtkoordination des Projekts sowie der Fortentwicklung oder bedarfsweisen Modifikation des Befragungsinstruments, so vor allem hinsichtlich der durch die COVID-19-Pandemie veränderten Studienbedingungen. ­­Die Verantwortung für das Arbeitspaket 2 lag beim Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft (IGPW) der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Dessen Aufgabe umfasste die Forschungsleitung sowie die Befragung an Hochschulen. Außerdem lagen der Aufbau und die Pflege eines hochschulübergreifenden Benchmarks zu Studienbedingungen sowie die statistische Auswertung der Befragungsdaten und Rückmeldung an befragte Hochschulen in diesem Arbeitspaket.

Zentrale Befragungsergebnisse

Forschungsfrage 1: Welche Rahmen- und Studienbedingungen an Hochschulen sind mit der psychischen Gesundheit von Studierenden (differenziert nach verschiedenen Studienphasen und Studiengängen) assoziiert und gibt es Faktoren, die diese Assoziationen wiederum beeinflussen?

Alle 22 Themenblöcke der Rahmen- und Studienbedingungen hängen mit den vier Outcomes der psychischen Gesundheit, meist im Bereich mittelstarker bis hoher Korrelationsmaße, signifikant zusammen. Werden die akademischen und institutionellen Bedingungen schlechter eingeschätzt, berichten die Studierenden auch von Einschränkungen in ihrer psychischen Gesundheit. Dieser Zusammenhang wird beim Outcome „Erschöpfung“ besonders deutlich. Eine Analyse, die die Daten nach Studienphase, Fachrichtung und Geschlecht sortierte, ergab, dass diese Faktoren die Beziehungen zwischen den Rahmenbedingungen, den Studienbedingungen und der psychischen Gesundheit der Studierenden nur geringfügig beeinflussen.

Forschungsfrage 2: Welche konkreten organisationalen Faktoren („Treiber“) haben in der Hochschule den stärksten Einfluss (Ressourcen und Belastungen) auf die psychische Gesundheit Studierender und sind somit Ansatzpunkte für Maßnahmen?

Die organisationalen Faktoren „Zeitliche Anforderungen“ und „Prüfungs- und Studienleistungen“ weisen die stärksten Assoziationen zur psychischen Gesundheit Studierender auf, vor allem bezogen auf das Outcome „Erschöpfung“. Sie liefern somit konkrete Ansatzpunkte für Maßnahmen. Die Faktoren „Belastung durch Wettbewerbs-/Konkurrenzsituationen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen“ und wie leicht es den befragten Studierenden fällt, sozialen Anschluss zu finden, sind als besondere Ressourcen der studentischen Zusammenarbeit zu bezeichnen, die an den Hochschulen weiter gestärkt werden sollten. Die Faktoren „Bewältigung von Mehrfachbelastungen (auch durch private Anforderungen) und Zeitdruck“, „Modulprüfungen“, deren Vorbereitung sowie das hohe Lernpensum hingehen zeigen sich als besondere Belastungen, die es zu minimieren gilt.

Forschungsfrage 2a: Wo bestehen aus Sicht der Studierenden die zentralen Handlungsbedarfe?

Die zentralen Handlungsbedarfe bestehen aus Studierendensicht in den Bereichen „berufliche Perspektiven“, „zeitliche ­Anforderungen“ und „Prüfungs- und Studienleistungen“. Eine differenzierte Betrachtung zeigt außerdem, dass folgende Gruppen im Schnitt mehr Handlungsbedarf äußern als ihre jeweiligen Vergleichsgruppen: Studierende, die sich als gender-divers identifizieren, Studierende in den letzten beiden Semestern ihres Studiums sowie Studierende an Universitäten im Vergleich zu denen an Fachhochschulen.

Die zentralen Handlungsbedarfe bestehen aus Studierendensicht in den Bereichen berufliche Perspektiven, zeitliche ­Anfor­derungen und Prüfungs- und Studien­leistungen.

Forschungsfrage 2b: Synergien für die Verhältnisprävention aus ­einer gemeinsamen Betrachtung von Daten aus Befragungen an Arbeits- und Studienplätzen mit den Bielefelder Fragebögen

Weil im Projektzeitraum nur eine Hochschule eine parallele Befragung durchführte, konnte diese Forschungsfrage nicht abschließend beantwortet werden. Es zeichnete sich aber ab, dass es diverse Parallelen in den jeweiligen Prozessen gibt, sodass bei künftigen Parallelbefragungen von Synergien auszugehen ist. So können zum Beispiel Abstimmungsprozesse mit der Hochschulleitung gebündelt stattfinden und Themen, die beide Zielgruppen gleichermaßen betreffen, einfacher identifiziert und effektiver angegangen werden.

Forschungsfrage 3: Kann das vom Sozialkapitalansatz ausgehende Bielefelder Unternehmensmodell in Bezug auf Studienbedingungen adaptiert werden?

Weil alle Rahmen- und Studienbedingungen statistisch sehr stark mit den betrachteten Wirkungen „Qualität der Studienleistung“, „Wohlbefinden im Studium“ und „Identifikation mit dem Studium und der Hochschule“ zusammenhängen, wurde das Bielefelder Unternehmensmodell auf Studienbedingungen adaptiert.

Implikationen für die Präventionspraxis

Der Bielefelder Fragebogen zu Studienbedingungen und Gesundheit ermöglicht die gleichzeitige Erhebung von organisationalen Ressourcen und Belastungen sowie der psychischen Gesundheit von Studierenden und damit die gesetzlich verankerte Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der psychischen Belastung an Studienplätzen.

Das Befragungsinstrument dient zur Vernetzung mit anderen relevanten Akteuren und zur Synchronisation mit vorhandenen Prozessen an der jeweiligen Hochschule sowie zur Kommunikation mit der Zielgruppe. Ein begleitendes Hochschul­netzwerk gewährleistet ferner den niedrigschwelligen kollegialen Austausch beziehungsweise die Beratung zwischen beteiligten Hochschulen, um Synergien zu sichern und förderliche Erfahrungen als auch Herausforderungen an Hochschulen als praxisnahe „Lessons Learned“ für alle anderen zugänglich zu machen.[5]

Gerade die Abfrage von Handlungsbedarfen als direktes Votum der Studierenden (Frage 2a) erlaubt den Hochschulen auf Studierende zugeschnittene Maßnahmen zu generieren und ein zielführendes Studentisches Gesundheitsmanagement (SGM) zu entwickeln, was sich auch auf ihre Zufriedenheit auswirken kann. Hiernach weist die „Qualität der studentischen Zusammenarbeit“ einen besonders hohen Zusammenhang zur psychischen Gesundheit auf. Eine Stärkung der sozialen Beziehungen zwischen den Studierenden und ebenso zwischen Studierenden und Lehrenden kann durchaus eine Pufferwirkung haben und den Schweregrad anderer Stressoren abfedern. Daher kommt Maßnahmen, die die sozialen Beziehungen an den Hochschulen stärken, eine zentrale Funktion zu.

Für die gesetzliche Unfallversicherung lässt sich aus dem ab­geschlossenen Forschungsprojekt dieser Nutzen ziehen:

  • Mit dem Bielefelder Fragebogen ist ein wissenschaftlich ­fundiertes, erprobtes und geprüftes Instrumentarium ­verfügbar, das auch zur Ist-Analyse einer psychischen ­Belastung an Studienplätzen verwendet werden kann.
  • Das Befragungsinstrument hat sich im bundesweiten ­Hochschulkontext etabliert.
  • Die im Projekt ermittelten Befragungsergebnisse liefern ­einen Überblick über die gesundheitliche Situation von Studierenden.
  • Damit sind zugleich gesundheitsrelevante Studienbedingungen identifiziert worden, auf deren Grundlage sich auch ­allgemeine Empfehlungen und Präventionsansätze für Hochschulen sowie verhältnisorientierte Maßnahmen ableiten lassen.
  • Das Projekt hat für präventive Verbesserungsprozesse an Hochschulen sensibilisiert.

Ausblick

Um den Transfer der gewonnenen Forschungsergebnisse in die Routineanwendung zu unterstützen, wurde im April 2024 das DGUV-Anschlussprojekt FP 490 gestartet. Es verfolgt das Gesamtziel, Handlungs- und Prozessempfehlungen zu erarbeiten, um Hochschulen zu befähigen, verhältnisorientierte Studierendenbefragungen zur gesundheitlichen Verbesserung von ­Studienbedingungen selbstständig und beratungsunabhängig durchzuführen. Weiterhin können die Hochschulen damit strukturverbessernde Maßnahmen datengestützt ableiten und ihrer gesetzlichen Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung an Studienplätzen nachkommen, die die psychische Gesundheit der Studierenden berücksichtigt.

Fußnoten

  1. Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (ArbSchG), 2024.

  2. Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV), DGUV Vorschrift 1, Unfallverhütungsvorschrift „Grundsätze der Prävention“, 2013.

  3. Burian, J. et al. (2023). Abschlussbericht zum Vorhaben „Studienbedingungen und (psychische) Gesundheit Studierender“ (FP-460).

  4. ebd.

  5. Burian, J. et al. (2022). Bielefelder Fragebogen zu Studienbedingungen und Gesundheit als Basis für die Gestaltung von SGM an Hochschulen. In M. Timmann et al. (Hrsg.), Handbuch Studentisches Gesundheitsmanagement - Perspektiven, Impulse und Praxiseinblicke

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