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Wearables und verhaltensorientierte Sicherheit im Rahmen des unterstützenden Sicherheitssystems SSS in Japan

In Japan entwickeln und überprüfen Forscher neuartige Systeme für mehr Arbeitssicherheit auf Basis von Wearables und Clouds. Wie kann Informations- und Kommunikationstechnik den unberechtigten Zutritt zu Arbeitsbereichen verhindern? Lässt sich das Verhalten von Beschäftigten voraussagen und beeinflussen? Kann die innovative Technik Arbeitsunfälle verhindern, ohne den Datenschutz zu vernachlässigen?

1. Anwendung des Konzepts der Maschinensicherheit auf Baumaschinen

Die Intensität von Arbeitsunfällen wird in Japan als die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage infolge eines Arbeitsunfalls je 1.000 geleisteter Arbeitsstunden berechnet. 2019 lag die Intensität der Arbeitsunfälle in Japan branchenübergreifend bei 0,09 und bezogen auf die Fertigungsindustrie bei 0,10. Im Baugewerbe jedoch lag die Intensität bei 0,18 – also dem Doppelten des Durchschnittswertes über alle Branchen hinweg.

In der Fertigungsindustrie waren mit der Norm ISO 12100:2010 Risikominderungsmaßnahmen wie das Drei-Stufen-Modell, die inhärent sichere Konstruktion, technische und ergänzende Schutzmaßnahmen sowie die Benutzerinformation eingeführt worden. Zur Verringerung des Risikos bei Mensch-Maschine-Kontakten hatte man außerdem die Grundsätze des Trennens und Anhaltens festgelegt. Da in der Fertigungsindustrie strengere Sicherheitskonzepte gelten als in der Bauindustrie, kann eine Ausweitung des Konzepts der Maschinensicherheit auf das Baugewerbe eine wirksame Methode sein, um auch dort die Unfallquote zu verringern.

Das Zusammentreffen von Mensch und Maschine kann zu schweren Unfällen führen. Um die Belastung für die Beschäftigten zu reduzieren, sollte daher ein unterstützendes Sicherheitssystem (SSS) eingesetzt werden. Dieses nutzt Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), um die Positionen von Menschen und Maschinen zu ermitteln, einen sicheren Abstand zu gewährleisten, potenzielle Kontakt- beziehungsweise Unfallstellen zu identifizieren und die Qualifikation sowie Berechtigung von Beschäftigten beim Betreten einer Baustelle zu überprüfen. Außerdem sollte eine Methode eingesetzt werden, bei der es darum geht, menschliches Verhalten vorherzusagen und zu beeinflussen.

2. Das unterstützende Sicherheitssystem SSS – Notwendigkeit tragbarer Geräte

Beim Einsatz eines SSS kann eine Person eine Arbeit nur dann durchführen, wenn die in ihrer Kennmarke enthaltenen Informationen – beispielsweise die ID, Lizenz, Qualifikation und der Inhalt der auszuführenden Arbeit – mit denen im SSS-Speicher übereinstimmen. Hält eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer die Kennmarke an das SSS-Lese-/Schreibgerät am Hauptzugang zum Arbeitsbereich, bestimmt die speicherprogrammierbare Steuerung (SPS), ob sie oder er den Arbeitsbereich – die Arbeitszone – betreten darf. Dadurch werden menschliche Fehler, wie beispielsweise ein unbefugtes Betreten des Arbeitsbereichs, verhindert. Der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin führt die vorgesehene Arbeit in der vorgesehenen Arbeitszone aus, während in der restlichen Arbeitszone Routinearbeiten durchgeführt werden.

Beim Einsatz eines unterstützenden Sicherheitssystems (SSS) kann eine Person eine Arbeit nur dann durchführen, wenn die in ihrer Kennmarke enthaltenen Informationen – beispielsweise die ID, Lizenz, Qualifikation und der Inhalt der auszuführenden Arbeit – mit denen im SSS-Speicher übereinstimmen.

Neben dem SSS hat die speicherprogrammierbare Steuerung noch eine Sicherheitsfunktion, mit der Schutzeinrichtungen wie Lichtvorhänge und Laserscanner gesteuert werden. Ein Zähler am Hauptzugang bestimmt zu jedem Zeitpunkt die Anzahl der Personen im Arbeitsbereich. Sobald sich eine nicht autorisierte Person auf der Baustelle aufhält, wird der SSS-Bildschirm automatisch inoperabel und niemand kann zum nächsten Arbeitsschritt übergehen. Hält eine unbefugte Person eine nicht registrierte Kennmarke an das Gerät, wird der Schlüssel nicht aktiviert. Eine Person kann also eine Arbeit, die ihr nicht zugeteilt wurde, auch nicht ausführen. Das wäre nur möglich, wenn das Symbol für diese Aufgabe aktiviert wäre. Versucht eine Person ohne Kennmarke absichtlich, den Arbeitsbereich oder eine nicht zugewiesene Arbeitszone zu betreten, löst der Sicherheitsschlüssel einen Not-Halt aus. Eine Grundvoraussetzung ist jedoch, dass zunächst Maßnahmen der Prävention, wie eine entsprechende Ausbildung, Schulungen, und des Arbeitsschutzmanagements eingesetzt werden. Das SSS ist nicht als Alternative zu diesen zu verstehen.

3. Validitätsprüfung unter Einbeziehung der verhaltensorientierten Sicherheit (BBS)

Die Validität des SSS konnte auch in einem weiteren Szenario bestätigt werden. Die Produktivität wurde vor und nach Einführung des unterstützenden Sicherheitssystems verglichen und quantitativ beurteilt. Im Folgenden wird zunächst die verhaltensorientierte Arbeitssicherheit (BBS) mithilfe von Beispielen erläutert und dann das Experiment beschrieben.

3.1. Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit (BBS)

Die verhaltensorientierte Arbeitssicherheit ist ein Anwendungsgebiet der Verhaltensanalyse. Die meisten Unfälle werden durch menschliches Verhalten verursacht. BBS gilt als die am besten untersuchte und effektivste Methode, um das Arbeitsverhalten von Beschäftigten im Bereich der Arbeitssicherheit zu verändern.

Damit Menschen sicherer arbeiten können, müssen Verhaltensweisen definiert werden[1]: Unfälle entstehen durch das, was Personen tun, nicht durch ihre Einstellungen, das Sicherheitsklima oder andere Faktoren.

In Japan werden heute neuartige produktive Systeme unter Einsatz von Clouds und/oder Wearables im Stil der 'Connected Industries' oder 'Society 5.0' stark vorangetrieben. Sicherheitsmanagementsysteme werden jedoch noch nicht vollständig berücksichtigt.

Um Verhaltensweisen zu verändern, müssen diese genau definiert werden. Verhaltensweisen müssen beobachtet und gemessen werden: Dies ist für den naturwissenschaftlichen Ansatz der Verhaltensanalyse von zentraler Bedeutung.

Feedback: Feedback bestärkt Beschäftigte in einer (definierten und beobachteten) sicheren Verhaltensweise. Wird ein unsicheres Verhalten beobachtet, erhält die Person ein informatives Feedback dazu, wie sie sicher arbeiten kann.

Zielsetzung: Bei BBS sind die Ziele mit konkreten Verhaltensweisen verbunden. Sie können von der Person, die das Feedback erhält, aktiv erreicht werden. Ein typisches Ziel bei BBS wäre beispielsweise "Alle Beschäftigten verwenden beim Treppensteigen den Handlauf". BBS-Systeme sind so unterschiedlich wie die Industriezweige, Branchen, Unternehmen und Arbeitsaufgaben. Sie lassen sich auch an die Bedingungen von Industrie 4.0 und die Koexistenz und Zusammenarbeit von Menschen und autonomen Maschinen anpassen. Roboter können so programmiert werden, dass sie sich in einer bestimmten Weise "verhalten". Menschen können lernen, wie sie am besten mit Maschinen und Robotern interagieren. Die BBS-Prinzipien können Beschäftigten helfen, sich in dieser komplexen Umgebung sicher zu verhalten.

3.2. Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit von Wearables im Rahmen des SSS

Die Forschungsgruppe für mechanische Sicherheit des Nationalen Arbeitsschutzinstituts in Japan (JNIOSH) hat die Wirksamkeit des SSS in Verbindung mit BBS beurteilt. Bei diesem Experiment wurden Bedingungen nach Einführung eines SSS und normale Bedingungen mit Not-Halt-Knopf festgelegt. Zehn Teilnehmende sollten Arbeiten in einer Zone durchführen. Fünf davon wurden der Feedback-Gruppe (FB) zugeteilt und konnten auf dem Bildschirm die Gesamtdauer (Dauer des gesamten Prozesses vom Start bis zur Zielerreichung) und die reine Arbeitszeit (Zeit, in der die Arbeit ausgeführt wurde) sehen. Das heißt, die fünf Personen in der Feedback-Gruppe konnten direkt nach dem Experiment ihre eigenen Ergebnisse sehen. Die fünf Personen in der anderen Gruppe erhielten weder Informationen zur Gesamtzeit noch zur reinen Arbeitszeit. Die Gesamtzeit betrug 72 ± 8,7 Sekunden mit SSS und 52 ± 4.4 Sekunden unter normalen Stopp-Bedingungen. Die Maschinenausfallzeit wurde berechnet unter der Annahme, dass Nicht-Routine-Arbeiten während eines achtstündigen Arbeitstages alle 30 Minuten anfallen. Unter SSS-Bedingungen wurden drei von neun Maschinen angehalten und die Ausfallzeit betrug 3.456 Sekunden (72 s × 3 Maschinen × 16 Stopps). Unter normalen Not-Halt-Bedingungen hingegen wurden alle Maschinen angehalten, sodass die Ausfallzeit 7.488 Sekunden betrug (52 s × 9 Maschinen × 16 Stopps).

Besonders drängend ist die Frage nach dem Datenschutz. Es muss jetzt darüber diskutiert werden, wie mithilfe von Wearables die Produktivität und Sicherheit unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Datenschutzes vorangebracht werden können.

Eine Einführung von SSS ist also sowohl für die Arbeitseffizienz als auch für die Sicherheit erstrebenswert. Die Ergebnisse mit und ohne Feedback zeigten, dass nach Einführung des SSS die benötigte Gesamtzeit für die Aufgabe tendenziell abnahm, je häufiger sie bereits ausgeführt worden war. Wenn es ein Feedback gab, konnte die Arbeit effizienter durchgeführt werden. In der modernen Fertigungsindustrie, bei der die Einführung integrierter Fertigungssysteme (Intelligent Manufacturing Systems – IMS) an der Tagesordnung ist, ist die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine von entscheidender Bedeutung. Das SSS wurde zur Aufrechterhaltung von Sicherheit und Produktivität eingerichtet. Eine quantitative Auswertung mithilfe der Verhaltensanalyse erwies sich als geeignet, um die Wirksamkeit des SSS zur Risikominderung und zur Aufrechterhaltung der Produktivität zu überprüfen.

4. Internationale und japanische Normung zum Thema SSS

Das Thema SSS wird derzeit in der Arbeitsgruppe ISO 199/WG 3 in Form der ISO/TR 22053 "Safety of machinery – safeguarding supportive system" diskutiert. Weiterhin beschäftigt sich die Gruppe damit, die Norm ISO 11161:2007 "Sicherheit von Maschinen – Integrierte Fertigungssysteme – Grundlegende Anforderungen" zu überarbeiten und den Inhalt der ISO/TR 22053 in deren Anhang zu veröffentlichen.

5. Ausblick

In Japan werden heute neuartige produktive Systeme unter Einsatz von Clouds und/oder Wearables im Stil der "Connected Industries" oder "Society 5.0" stark vorangetrieben. Sicherheitsmanagementsysteme werden jedoch noch nicht vollständig berücksichtigt. Besonders drängend ist die Frage nach dem Datenschutz. Es muss jetzt darüber diskutiert werden, wie mithilfe von Wearables die Produktivität und Sicherheit unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Datenschutzes vorangebracht werden können.

 

Literatur:

Christoph F. Bördlein (2015): Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit – Behavior Based Safety (BBS)