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50 Jahre Schüler-Unfallversicherung aus der Perspektive der Prävention

Die Einführung der Schüler-Unfallversicherung (SUV) im Jahr 1971 hat bei den Unfallkassen, Landesunfallkassen und Gemeinde-Unfallversicherungsverbänden zu gravierenden Veränderungen geführt, denn der Kreis der gesetzlich unfallversicherten Personen wurde quasi über Nacht bundesweit um rund zwölf Millionen Menschen erweitert. Dies stellte auch die Präventionsabteilungen vor besondere Herausforderungen.

Ein „schwer berechenbarer“ Versichertenkreis

Die Anfänge der Präventionsarbeit in der Schüler-Unfallversicherung waren durch klassische Maßnahmen der Unfallverhütung und Sicherheitserziehung geprägt. Der Blick war auf den einzelnen Unfall gerichtet und die Maßnahmen zielten schwerpunktmäßig ab auf

  • die sichere Gestaltung der Gebäude und des Umfeldes,
  • das Aufstellen von Regeln, um zu sicherheitsbewusstem Verhalten zu erziehen,
  • Maßnahmen der Ersten Hilfe und
  • Unfallverhütung auf den Wegen.

„Die Unfallverhütung galt als besonders problematisch, da mit den Kindern ein völlig anderer und schwer berechenbarer Versichertenkreis entstand, der die üblichen Normen sprengte. Hier konnte zunächst nur die regelhafte Sicherheitstechnik angewendet werden.“[1] Die Betonung der sicherheitstechnischen Maßnahmen im ungewohnten pädagogischen Umfeld war auch dem Umstand geschuldet, dass das Personal in den Präventionsabteilungen zu Beginn der Schüler-Unfallversicherung in erster Linie technische Expertise hatte, was sich auch in der damaligen Bezeichnung des „Technischen Aufsichtsbeamten“ (heute Aufsichtsperson) widerspiegelt.

Die Herausforderung in der Präventionsarbeit bestand zunächst in der einfachen Tatsache, dass es sich bei einem Großteil der neu hinzugekommenen Versicherten um Kinder handelte. Kinder brauchen ein Umfeld, in dem sie sicher und verletzungsfrei aufwachsen können. Gleichzeit benötigen sie im Sinne einer gesunden und umfassenden Persönlichkeitsentwicklung Freiräume, in denen sie ihre Welt entdecken und sich ausprobieren können. Diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen und im Sinne des Kindes zu gestalten ist nicht nur für Eltern und pädagogische Fachkräfte, sondern auch für Präventionsexpertinnen und -experten eine anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe.

Gleichzeitig bietet sich im Rahmen der Präventionsarbeit die Chance, Kinder in einer Lebensphase zu erreichen, in der sicherheits- und gesundheitsförderliche Verhaltensweisen noch ausgeprägt und gebildet werden. Ziel ist es, die Kinder möglichst frühzeitig mit sicherheits- und gesundheitsförderlichen Kompetenzen auszustatten, die im Laufe der Entwicklung möglichst bis in das Arbeitsleben wirken. Mit zunehmendem Alter der Kinder wird die Einflussnahme allerdings schwieriger, denn Jugendliche und auch junge Erwachsene halten sich in dieser Phase ihres Lebens in der Regel für unantastbar und unverletzlich. Sie sind dementsprechend nur sehr schwer empfänglich für Themen der Sicherheit und Gesundheit.

Prävention bezieht alle Beteiligten in den Bildungseinrichtungen ein

Die traditionellen Ansätze der Unfallverhütung und Sicherheitserziehung wurden im Laufe der Jahre ergänzt und erweitert durch ein wesentlich umfassenderes Verständnis, bei dem Sicherheit als Bestandteil von Gesundheit gesehen wird. Neben der Verhütung von Unfällen und Risiken wurde der Blick zunehmend auch auf die Ressourcen gelegt. Hierzu zählen Eigenschaften und Fähigkeiten, die dazu beitragen, Sicherheit und Gesundheit herzustellen, zu erhalten oder zu verbessern.

Das Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 1997 und damit verbunden die Verpflichtung der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung hat auch die Gesundheit der Beschäftigten in den Bildungseinrichtungen in den Fokus gerückt. Somit bezieht der eben beschriebene Ansatz alle Akteurinnen und Akteure der jeweiligen Einrichtung mit ein, sowohl was die Verantwortung für die eigene Sicherheit und Gesundheit angeht als auch im Hinblick auf die Unterstützung und Entwicklung des jeweiligen Systems.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile

Heute wird Gesundheit als ein wesentlicher Bestandteil für das Leben und Lernen, das Lehren und Arbeiten in den Bildungseinrichtungen gesehen. Sie bildet sowohl die Grundlage als auch das Ergebnis gelingender Erziehungs- und Bildungsprozesse. Auch der wechselseitige Zusammenhang von Gesundheit und Bildung ist inzwischen empirisch belegt.[2] Entscheidend ist es, den Mehrwert von Investitionen in Sicherheit und Gesundheit und damit den Nutzen für das tägliche Handeln für die Menschen in den Bildungseinrichtungen spürbar zu machen. Die zentrale Botschaft lautet: Synergien schaffen statt zusätzliche Beanspruchungen aufbauen. Damit dies gelingen kann, ist es erforderlich, die Themen zum Schutz und zur Förderung von Sicherheit und Gesundheit mit dem Betreuungs-, Erziehungs- und Bildungsauftrag der Einrichtung zu verknüpfen und damit gleichzeitig zu einer Verbesserung der Bildungsqualität beizutragen. Dieser Blick auf das gesamte System mit dem Ziel der Organisationsentwicklung bedeutet in der praktischen Umsetzung der Präventionsarbeit eine Auseinandersetzung mit den zum Teil sehr komplexen Strukturen der Bildungseinrichtungen. Der Ansatz der Organisationsentwicklung ist in den DGUV-Fachkonzepten für Kindertageseinrichtungen und Schulen ebenso hinterlegt wie  in den Branchenregeln der Bildungseinrichtungen.

Es liegt auf der Hand, dass das Ziel der guten, gesunden und sicheren Bildungseinrichtung, in der Sicherheit und Gesundheit jeden Tag selbstverständlich mitgedacht und gelebt werden, nur gemeinsam erreicht werden kann. Grundlegend ist die Zusammenarbeit mit den Fachkräften und Leitungen der Einrichtungen selbst, die mit den jeweiligen Maßnahmen erreicht werden sollen. Auch auf der politischen Ebene ist eine Zusammenarbeit mit externen Partnerinnen und Partnern wie zum Beispiel weiteren Sozialversicherungsträgern, Ministerien, der Kultusministerkonferenz, kommunalen Spitzenverbänden, Gewerkschaften, der Elternvertretung unverzichtbar. Mit vielen dieser Partnerinnen und Partnern bestehen bereits jetzt langjährige und vertrauensvolle Kooperationen. Und nicht zuletzt sind auch die Gemeinschaft und das einheitliche Vorgehen der Unfallversicherungsträger erforderlich, um das Ziel der guten, gesunden und sicheren Bildungseinrichtung zu erreichen.

Literatur

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Prävention und Gesundheitsförderung in der Schule (DGUV Information 202-058), 2017

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Fachkonzept „Mit Gesundheit gute Schulen entwickeln“ (DGUV Information 202-083), 2013

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung: Fachkonzept „Frühe Bildung mit Sicherheit und Gesundheit fördern“ (DGUV Information 202-100), 2018

Bundesverband der Unfallkassen: Sicherheitsförderung – ein Baustein der Gesundheitsförderung (SI 8028), 2001

Brägger, G.;Posse, N.: Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen (IQES), Band 1,  hep Verlag AG, Bern 2007

Wester, I.; Landesunfallkasse Freie und Hansestadt Hamburg: Die Geschichte der Unfallversicherung der Stadt Hamburg, Dölling und Galitz, 1999