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Technologische Herausforderungen für den Arbeitsschutz in Zeiten des Klimawandels

Das Thema Klimawandel beschäftigt die Welt schon seit einiger Zeit, ohne dass entscheidende Fortschritte festzustellen sind. Der Arbeitsschutz muss sich auf die kommenden Herausforderungen einstellen. Dabei kann Technologie sowohl den Arbeitsschutz herausfordern als auch unterstützen. Welche Herausforderungen und Chancen sich für den Arbeitsschutz ergeben, zeigt dieser Artikel.

Der Klimawandel ist Realität

Das Thema Klimawandel beschäftigt uns als Gesellschaft schon seit Jahrzehnten und nicht erst seit einigen Jahren. Bereits die Diskussion um die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) und deren Wirkung auf die Ozonschicht hat in den 1970er und 1980er Jahren große mediale Wirkung erhalten. Trotzdem hat es noch Jahrzehnte gedauert, bis FCKW umweltgerecht entsorgt werden konnten. Damals hieß das Thema aber noch „Umweltschutz“, heute würde man es klar in die Kategorie „Klimaschutz und Klimawandel“ einordnen.

Anders als früher ist es heute so, dass wir die Änderungen des Klimas schon sehr deutlich zu spüren bekommen. Genau genommen könnte man auch sagen, dass wir die Auswirkungen nun schon in unseren Breiten zu spüren bekommen. Früher war dies eher auf die tropischen und subtropischen Zonen beschränkt. Negativ konnotiert könnte man also sagen, dass die hiesige Bevölkerung erst jetzt, wo ihr das Wasser langsam bis an den Hals steigt, eine Notwendigkeit zum Handeln sieht. Positiv konnotiert wäre aber auch der Schluss möglich, dass die zunehmende Globalisierung endlich ein Gemeininteresse am Funktionieren der gesamten Welt hervorruft.

Unbestritten ist, dass der öffentliche und der gesellschaftliche Diskurs zu einer erheblichen Befassung mit dem Thema führt, in dem auch viel Emotionalität vorhanden ist. Nicht umsonst war das Wort des Jahres 2023 der Begriff „Krisenmodus“, da die Gesellschaft von einer Krise in die andere zu stürzen scheint und zudem aber alle Herausforderungen direkt als Krise auffasst.[1] Im Jahr 2019 war das Unwort des Jahres „Klimahysterie“ und im Jahr 2022 der Begriff „Klimaterroristen“.[2] Weite Teile der Klimaaktivistenszene protestierten auf Basis der demokratischen Werteordnung, wurden aber durch Aktionen wie durch die Klimakleber in Misskredit gebracht.

Der Klimawandel umfasst viele naturwissenschaftliche Parameter. Direkt spürbar und daher auch in der Kombination besonders wirksam ist die Darstellung der Temperaturanomalie in Deutschland (siehe Abbildung 1). Der Trend ist klar erkennbar und nicht zu leugnen. Kritische Stimmen halten dem entgegen, dass es schon viel wärmer auf der Erde war, beispielsweise zur Zeit der Dinosaurier oder vor gut 100.000 Jahren während der Eem-Warmzeit. Das ist richtig, aber auch sehr kurzsichtig, denn der derzeitige schnelle Temperaturanstieg macht uns die Anpassung schwer.

Abbildung 1: Veränderung der Temperaturanomalie in Deutschland seit dem Jahr 1881. Der lineare Trend seitdem zeigt eine Erhöhung von 1,7 Grad Celsius. | © Deutscher Wetterdienst (DWD)
Abbildung 1: Veränderung der Temperaturanomalie in Deutschland seit dem Jahr 1881. Der lineare Trend seitdem zeigt eine Erhöhung von 1,7 Grad Celsius. ©Deutscher Wetterdienst (DWD)

Technologie fordert Arbeitsschutz

Der Klimawandel erfordert nicht nur eine Reaktion auf das, was gerade passiert oder passieren wird. Er erfordert nicht weniger als den Umbau unserer Wirtschaft und unseres gesellschaftlichen Lebens hin zu einer nachhaltigen, mit erneuerbaren Energien versorgten Lebensweise – eine Dekarbonisierung. Nach Schätzungen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wird der Stromverbrauch in Deutschland wegen der zunehmenden Elektrifizierung in den Sektoren Verkehr und Wärme von aktuell etwa 560 TWh auf 750 TWh im Jahr 2030 steigen. Gleichzeitig soll der Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent steigen.[3]

Die Dekarbonisierung eröffnet neue Arbeitsfelder und Arbeitsmethoden, die den Arbeitsschutz besonders fordern werden. Viele Berufe werden sich verändern, neue werden entstehen. Ein Beispiel ist die Montage von Photovoltaikanlagen auf Hausdächern. Wenn Beschäftigte damit zu tun haben, dann müssen sie sowohl Kenntnisse eines Dachdeckers und Zimmerers haben, aber auch die eines Elektrikers. Das schließt Detailwissen im Arbeitsschutz mit ein. Schulungen müssen angepasst, Ausbildungen vielleicht neu gedacht werden.

Ein weiterer erheblich aufstrebender Wirtschaftszweig wird die Kreislaufwirtschaft sein. Neue Werkstoffe für erneuerbare Energien müssen wieder in den Herstellungsprozess eingebracht werden. Dies benötigt neues technisches Equipment und sichere Arbeitsverfahren, beispielsweise im Umgang mit Gefahrstoffen oder mit gefährlichen Stoffen im Zusammenhang mit Speichertechnologien. Auch veränderte Lieferketten werden den Arbeitsschutz herausfordern. Die Nutzung nachwachsender Rohstoffe ist auch damit verbunden. Viele Arbeitsplätze müssen hinsichtlich auftretender Risiken neu bewertet werden.

Bei der Etablierung neuer Energiestrukturen in der Wirtschaft werden sich Arbeitsplätze deutlich ändern. Insbesondere die energieintensive Industrie wie beispielsweise die Stahlindustrie muss neue Wege gehen. Dies wird unter anderem im Rahmen des von der Bundesregierung geförderten Programms SALCOS der Salzgitter AG erforscht und umgesetzt.[4] War die Stahlhütte bis heute ein Produzent eigener Energie, wird der zukünftige Strombedarf für die Stahlherstellung nicht allein am Standort zu sichern sein. Energieleitungen, Energieträger und die entsprechenden neuen Maschinen und Anlagen müssen entwickelt, gebaut und sicher betrieben werden.

Die Sektion Forschung der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS) hat sich das Thema Arbeitsschutz und Klimawandel auf die Agenda geschrieben. Zunächst wurde ein internationales Glossar (siehe Infokasten 1) erarbeitet, das zu einer gemeinsamen Sprache beitragen soll. In einem nächsten Schritt sollen Unternehmen weltweit unterstützt werden, indem kurze Handlungsanleitungen zur Prävention klimabedingter Auswirkungen gegeben werden. Kern dabei ist, dass durch diese internationale Arbeit Erfahrungen aus vielen Ländern der Welt aus verschiedenen Klimazonen einfließen können. Die Hoffnung besteht darin, ein weltweites Netzwerk aus Fachleuten und Interessensverbänden aufzubauen.

Das Kompetenzzentrum „Klimawandel und Arbeitsschutz“ des IFA

Das IFA hat es sich zum Ziel gesetzt, die Unfallversicherungsträger und die versicherten Betriebe und Einrichtungen bei einer sicheren und gesunden Gestaltung von Arbeit im Kontext des Klimawandels zu unterstützen. Dafür forscht und berät das Institut zu konkreten naturwissenschaftlich-technischen Fragestellungen.

Das Kompetenzzentrum „Klimawandel und Arbeitsschutz“ (KKA) bündelt die Fachkompetenz im IFA zu Auswirkungen des Klimawandels auf den Arbeitsschutz, baut diese aus und vernetzt sich dazu mit den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung.

Mehr Informationen zum KKA findet man unter: https://www.dguv.de/ifa/fachinfos/klimawandel-und-arbeitsschutz/index.jsp

Technologie fördert Arbeitsschutz

Der Arbeitsschutz musste sich schon immer an die aktuellen Arbeitsbedingungen anpassen, technologische Entwicklungen begleiten und ebenso auslösen. Dies ist im Klimawandel nicht anders und gelingt dann am besten, wenn man eng am Puls der Zeit ist und Aspekte der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes in die Entwicklung von Prozessen und Produkten direkt mit einfließen lässt. Gerade bei der rasanten Entwicklung im hochtechnologischen Bereich, beispielsweise beim Einsatz künstlicher Intelligenz (KI), erscheint dies dringend geboten. Der Gedanke „Technik prüft Technik“ wird dabei sicher an Bedeutung zunehmen. Hierin besteht eine große technologische Herausforderung: Es müssen Algorithmen entwickelt werden, die in der Lage sind, komplexe Technik samt Steuerungen zu prüfen und gleichzeitig eine hohe Sicherheit zu gewährleisten. Dabei wird dem menschlichen Prüfer oder der Prüferin – genau wie der bedienenden Person – nicht zu jedem Zeitpunkt jedes Detail offensichtlich sein. Dies ist kein direkter Effekt des Klimawandels, wird bei der technologischen Herangehensweise an Maßnahmen aber eine Rolle spielen.

Viele Menschen versprechen sich von KI eine Art „Heilwirkung“ im Arbeitsschutz. Die Erwartung, dass KI durch die Anwendung von Algorithmen unsere Probleme lösen wird, ist in der Welt des Arbeitsschutzes weitverbreitet. Das wird nicht der Fall sein, denn sie kann nur lernen, welchen Einsatz sie haben soll. KI kann uns unterstützen. KI kann dazu dienen, ökologischen Herausforderungen zu begegnen, indem sie ableitet, wie ein Forst bewirtschaftet werden muss, um sich an den Klimawandel anzupassen. In der Kreislaufwirtschaft kann KI die Abfallsortierung optimieren und damit Recyclingquoten erhöhen – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Bei all diesen Anwendungen ist der Mensch eine der Variablen, sodass die funktionale Sicherheit der KI von großer Bedeutung sein wird. Im Risikomanagement – sprich bei der Vorhersage von markanten Ereignissen –, auch in der gesetzlichen Unfallversicherung, ergäben sich durch die gemeinsame Nutzung von Daten eine Identifikation und Reduktion von Unfällen.

Nach dem (S)TOP-Prinzip ist es sinnvoll, zunächst technische Lösungen für den Arbeitsschutz zu suchen. Es gibt bereits einen großen Werkzeugkasten technischer Schutzmaßnahmen für den Arbeitsschutz (Beispiel Abbildung 2). Wenn aber von Technologie für den Arbeitsschutz gesprochen wird, dann reduziert sich dies nicht nur auf technische Schutzmaßnahmen, sondern betrifft auch die anderen Ebenen. Wie kann Technologie bei organisatorischen Schutzmaßnahmen helfen? Wie kann Technologie bei persönlichen Schutzmaßnahmen helfen?

Abbildung 2: Die Landwirtschaft wird sich wie kaum ein anderer Sektor an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen müssen. Für die Beschäftigten nehmen Gefährdungen durch Hitze, UV-Strahlung, Zunahme an Allergenen, Zunahme an Staub und einiges weitere zu. Klimatisierte Fahrerkabinen sind ein wichtiger Bestandteil in der Prävention, müssen aber durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. | © IFA
Abbildung 2: Die Landwirtschaft wird sich wie kaum ein anderer Sektor an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen müssen. Für die Beschäftigten nehmen Gefährdungen durch Hitze, UV-Strahlung, Zunahme an Allergenen, Zunahme an Staub und einiges weitere zu. Klimatisierte Fahrerkabinen sind ein wichtiger Bestandteil in der Prävention, müssen aber durch weitere Maßnahmen ergänzt werden. ©IFA

Der Einsatz von Technologie bei persönlichen Schutzmaßnahmen ergibt unabhängig vom Klimawandel dann Sinn, wenn es einen Mehrwert für die Schutzwirkung gibt. Sensoren, die biomedizinische Parameter erfassen, können eingesetzt werden, um Beschäftigte zu informieren, bevor Gesundheitsschäden eintreten – oder im Gefahrenfall Rettungskräfte zu alarmieren. Smarte persönliche Schutzausrüstung (PSA) eröffnet die Möglichkeit, einer altbekannten PSA zusätzliche Schutzfunktionen hinzuzufügen, wie man am Beispiel einer Schutzweste sehen kann. Um dem Problem zunehmender Hitze entgegenwirken zu können, werden verschiedene Westen mit Kühlelementen angeboten. Diese können aus einfachen Kühlpads bestehen, die immer wieder im Kühlschrank abgekühlt werden müssen, bis hin zu Westen mit Peltier-Elementen, die sich in der Kühlwirkung steuern lassen. Inwiefern sich solche Westen für den täglichen Einsatz lohnen, muss noch erforscht werden. Technologie kommt aber nicht nur in PSA zum Einsatz, sondern auch bei deren Erforschung und Prüfung für den Einsatz. Das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) baut derzeit beispielsweise ein Prüfverfahren für UV-Schutzmittel auf, um deren Einsatz für die Praxis zu prüfen und gegebenenfalls zu zertifizieren.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Arbeitsschutz durch den Klimawandel vielleicht stärker, aber nicht unbedingt anders als bisher herausgefordert wird. Die Fragestellungen werden andere Schwerpunkte haben und der notwendige Trend geht immer deutlicher in holistische Ansätze in der Prävention, die ein ganzheitliches Denken erfordern. Dies betrifft die Verhältnisprävention, mit Blick auf den Klimawandel aber auch besonders die Verhaltensprävention. Beides kann durch Technologie unterstützt werden, sie ersetzt aber nicht die Verpflichtung jeder und jedes Einzelnen, sich anzupassen.

Die IVSS Sektion Forschung

Die Sektion Forschung der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit (IVSS), deren Präsidentschaft durch das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) ausgeübt wird, fördert den internationalen Austausch von Forschungsgruppen aus dem Feld des Arbeitsschutzes. Kern des aktuellen Arbeitsprogramms ist der Arbeitsschutz in Zeiten des Klimawandels.

In einem ersten Schritt hat die Sektion, die im Jahr 2023 mit neuen Mitgliedern wieder mit der Arbeit begonnen hat, Begriffe zusammengeführt, die mit dem Klimawandel in Verbindung stehen. Das „Glossary Climate Change“ zählt im Moment 139 Einträge und wird kurzfristig von IVSS und IFA veröffentlicht. Ziel ist es, dass Unternehmen, Aufsichtsbehörden sowie andere Stakeholder und Stakeholderinnen ein gleiches Vokabular verwenden – in der Beratung, Umsetzung und Kommunikation miteinander.

Im nächsten Schritt werden Informationsmaterialien erstellt, die die Betriebe über den Klimawandel informieren und Auswirkungen auf die Arbeit aufzeigen sollen.

Weitere Information über die IVSS Sektion Forschung findet man unter: www.issa.int/prevention-research

Fazit

Die Menschheit taucht in die Tiefsee, fliegt in den Weltraum, erforscht Vulkane und das ewige Eis. Es gibt Siedlungen in allen Klimazonen der Erde. Damit ist doch offensichtlich, dass das notwendige technische Wissen vorhanden ist, um solchen klimatischen Einwirkungen zu trotzen. Wichtig erscheint insbesondere, Akzeptanz für Veränderungen zu schaffen und diese in einen Willen zu verändern, „das unentdeckte Land“ – die Zukunft – zu gestalten. Die Zukunft darf nicht nur darin bestehen, gegen die Unbill des Klimawandels und anderer Katastrophen anzukämpfen, sondern auch darin, zukünftigen Generationen die Chance zu geben, sich weiterzuentwickeln. An den technologischen Voraussetzungen wird es dabei nicht scheitern.