Impfschäden als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung
Bei der Bewältigung der COVID-19-Pandemie spielte die breite Immunisierung der Bevölkerung durch Impfungen eine wesentliche Rolle. Zahlen zeigen, dass die verwendeten Impfstoffe als sicher eingestuft werden können. Die gesetzliche Unfallversicherung prüft sorgfältig jeden Fall möglicher Komplikationen einer Impfung, der im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen könnte.
Die Öffentlichkeit verfolgt Spontanmeldungen von Fällen, bei denen teils schwerwiegende Komplikationen in Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung gebracht werden, mit Aufmerksamkeit und Verunsicherung. Denn zahlreiche Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen haben ausdrücklich zur Inanspruchnahme der Impfungen aufgerufen und hierfür teils Arbeitszeitvorteile eingeräumt. Mitunter wurden Impfungen auch von Betriebsärztinnen und Betriebsärzten unmittelbar durchgeführt. Im Gesundheitswesen gab es sogar eine einrichtungsbezogene Impfpflicht.[1] Zudem wurden die hierfür verwendeten Impfstoffe in sehr kurzer Zeit entwickelt und zugelassen.
Ob Impfschäden von der gesetzlichen Unfallversicherung geschützt sind, lässt sich nur anhand einer Einzelfallprüfung feststellen. Die Zusammenhangsfragen, die für jeden Einzelfall geklärt werden müssen, sind komplex.
Die Inanspruchnahme von Impfungen und ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen gehört zur persönlichen Gesundheitsvorsorge. Diese liegt grundsätzlich im privaten Interesse der Betroffenen. Sie steht damit normalerweise nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Allerdings können Gesundheitsschäden aus einer Schutzimpfung vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung umfasst sein, wenn die Impfung betriebsbezogen war, also in einem inneren Zusammenhang zur versicherten Tätigkeit – zum Beispiel Beruf oder ehrenamtliche Tätigkeit – der Geschädigten stand (haftungsbegründende Kausalität). Impfschäden sind somit in der gesetzlichen Unfallversicherung immer dann versichert, wenn auch die Impfung selbst unfallversichert ist.
Haftungsbegründende Kausalität
So stehen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausnahmsweise Impfungen unter Versicherungsschutz, die erforderlich sind, um gegenüber der Allgemeinheit erheblich gesteigerte Infektionsrisiken infolge der versicherten Tätigkeit zu verhindern.[2]
Damit die Impfung und mit ihr verbundene Folgeschäden unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, muss somit insgesamt erwiesen sein, dass die betroffene Person zum Zeitpunkt der Impfung
- im Rahmen ihrer versicherten Tätigkeit mindestens einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt gewesen war,
- im Rahmen der versicherten Tätigkeit bestimmungsgemäß persönlichen Kontakt zu anderen Personen mit Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf gehabt hat oder
- eine versicherte Tätigkeit ausübte, die zwar mit einem geringen oder moderaten Infektionsrisiko verbunden, aber erforderlich war, um die Infrastruktur eines Krankenhauses beziehungsweise des öffentlichen Gesundheitsdienstes aufrechtzuerhalten.
Hinweise für das wesentlich gesteigerte Infektionsrisiko und die daraus resultierende Erforderlichkeit der Impfung können sich zum Beispiel aus der betrieblichen Gefährdungsbeurteilung des konkreten Arbeitsplatzes[3], aus Arbeits- und Tarifverträgen oder aus der Einstufung bestimmter Berufsgruppen in der Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV)[4] ergeben.
Deutlich komplexer gestaltet sich die Ermittlung des Bezugs zur betrieblichen Tätigkeit jedoch, wenn Impfschäden aufgetreten sind, nachdem Betroffene einem Impfaufruf ihres Arbeitgebers oder ihrer Arbeitgeberin gefolgt waren. Hier wird mitunter argumentiert, die Impfung habe ja auch dem betrieblichen Interesse der Arbeitgebenden an einer Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit der Belegschaft gedient oder dass ein entsprechender moralischer Druck bestanden habe.
Der Aufruf eines Arbeitgebers oder einer Arbeitgeberin zur Impfung allein kann jedoch die Annahme einer Betriebsbezogenheit der Handlung und damit den Unfallversicherungsschutz nicht begründen.[5] Die Rechtsprechung lässt hier kaum Spielräume für abweichende Beurteilungen: Unterbreiten Arbeitgebende ein Impfangebot, zu dessen Annahme Beschäftigte in letzter Konsequenz nicht verpflichtet sind, besteht für gesundheitliche Folgen aus der Impfung kein Anspruch gegen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen auf Entschädigungsleistungen.[6] Vielmehr muss eine konkrete, verbindliche Weisung der Arbeitgebenden im Rahmen des Direktionsrechts hinzukommen oder deren Aufforderung zur Impfung gerade damit begründet sein, dass die Ansteckungsgefahr durch die versicherte Tätigkeit nach den eben dargestellten objektiven Gesichtspunkten erheblich über das allgemeine Maß hinausgeht. Zudem muss der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin organisatorische Maßnahmen in Bezug auf die Durchführung der Impfung getroffen haben, zum Beispiel Kostenübernahme, Impfung während der Arbeitszeit, Impfung in eigenen Räumlichkeiten.
Haftungsausfüllende Kausalität
Der unfallversicherungsrechtliche Begriff des Gesundheitsschadens umfasst jeden regelwidrigen, also (negativ) von Normal abweichenden körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand.[7] Somit muss neben der haftungsbegründenden Kausalität auch erwiesen sein, dass die Gesundheitsschäden – sei es als Erst- oder Folgeschaden – gerade durch die betrieblich veranlasste Impfung entstanden sind (haftungsausfüllende Kausalität). Der medizinische Zusammenhang zwischen Impfung und Impfschaden muss bewiesen sein. Diese Systematik gilt bei Impfschäden in Zusammenhang mit einer COVID-19-Impfung genauso wie bei anderen Versicherungsfällen der gesetzlichen Unfallversicherung.
Öffentliches Interesse prägt die Zahl der Verdachtsmeldungen
Die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen Impfung und dem eingetretenen Schaden erfolgt maßgeblich anhand komplexer fachärztlicher Gutachten nach aufwendigen Untersuchungen der Betroffenen. In medizinischer Hinsicht wird die Beurteilung dabei zunächst durch die Vielfalt möglicher Reaktionen erschwert. Die Praxis zeigt zudem, dass bei Weitem nicht jeder Gesundheitsschaden, der sich in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang nach der Impfung eingestellt hat, auch ursächlich auf die Impfung zurückgeht. Sofern eine feststellbare körperliche Reaktion nicht unmittelbar auf die Impfung folgt, ist es eher schwierig, einen wissenschaftlich gesicherten medizinischen Zusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden herzustellen.
Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen, das die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten untersucht, hat bis zum 31. März 2023 insgesamt 340.282 Meldungen zu Verdachtsfällen von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach erfolgter COVID-19-Schutzimpfung erhalten. Die gemeldeten Erscheinungen reichten dabei von leichteren lokalen Impfreaktionen um die Einstichstelle und Thrombosen bis hin zu lang andauernden Long-/Post-COVID-ähnlichen Beschwerden, Lähmungserscheinungen und potenziell lebensbedrohlichen Atemwegs-, Atmungs- oder Kreislaufproblemen (anaphylaktische Reaktionen). In 0,98 Prozent der berichteten Verdachtsfallmeldungen sei ein tödlicher Verlauf mitgeteilt worden. Dies sorgt in der Bevölkerung für Verunsicherung, ob die verwendeten Impfstoffe tatsächlich sicher sind. Das Institut weist allerdings darauf hin, dass Verdachtsfallmeldungen meist nicht geeignet sind, die medizinische Kausalität zwischen berichteten Körperschäden und der Impfung herzustellen. Insbesondere wird festgestellt, dass das hohe öffentliche Interesse die Zahl der Verdachtsfallmeldungen wesentlich beeinflusst. So sei bis zum 31. März 2023 bei 127 Fällen in medizinischer Hinsicht ein ursächlicher Zusammenhang mit der jeweiligen COVID-19-Impfung bestätigt worden. Gleichzeitig seien in Deutschland aber 192.208.062 COVID-19-Impfungen verabreicht worden.[8]
Komplikationen geringer als der Nutzen
Wie die Statistiken des Paul-Ehrlich-Instituts verdeutlichen, ist die Zahl medizinisch gesicherter Impfkomplikationen nach einer COVID-19-Immunisierung sehr gering im Verhältnis zur Zahl der verabreichten Impfdosen. Global betrachtet lässt sich daraus ein positives Ergebnis ableiten: Die Zahlen zeigen, dass die verwendeten Impfstoffe als sicher eingestuft werden können und die diesbezügliche Verunsicherung vieler Menschen unbegründet sein dürfte.
Sofern kein Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit, Impfung und Gesundheitsschaden belegt ist, kommt die Krankenkasse für die Heilbehandlung auf. Zudem können Betroffene einen Antrag auf Versorgung nach dem Impfschadensausgleich gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) stellen.