Bei Hilfeleistung versichert – Ersthelferkarte informiert
Ersthelfende sind bei ihrer Hilfeleistung versichert. Dieser Schutz ist in der Bevölkerung immer noch zu wenig bekannt. Die Ersthelferkarte trägt dazu bei, Menschen unmittelbar nach der Hilfeleistung über ihren gesetzlichen Unfallversicherungsschutz zu informieren.
Bei dem Anschlag am Breitscheidplatz 2016 zeigte sich, dass viele Ersthelferinnen und Ersthelfer nichts über ihren gesetzlichen Unfallversicherungsschutz wussten. Denn im Gegensatz zu beispielsweise Beschäftigten, Studierenden oder ehrenamtlich Tätigen sind Ersthelfende nicht in Strukturen eingebunden. Das bedeutet, sie können im Vorfeld nicht gezielt über diesen Schutz aufgeklärt werden. Sie rutschen sozusagen in der Sekunde des ersten Helfens in den Versicherungsschutz und sind sich dessen fast nie bewusst.
Dieses Informationsdefizit auszuräumen ist äußerst schwer. Die Unfallkasse Berlin hat sich dieser Aufgabe angenommen und sie mithilfe eines Multiplikatorenkonzepts gelöst. Die Ausgangsfrage war: Wie können neue Wege etabliert werden, um Informationen zum Unfallversicherungsschutz zu übermitteln?
Als Multiplikatoren hat die Unfallkasse Berlin Einsatzkräfte der Feuerwehr, der Polizei und der Notfallseelsorge identifiziert. Denn sie treffen Hilfeleistende in der Unfallsituation als Erste an und können diese einschätzen. Sie erkennen bei der hilfeleistenden Person einen Bedarf (Therapie, Ersatz von Sachschaden, Verletztengeld bei Verdienstausfall), nehmen sich der Person an und unterstützen sie dabei, sich im Chaos der Situation vor Ort zu orientieren. Die relevanten Informationen der Unfallkasse Berlin können sie mit Übergabe einer Karte schnell und unkompliziert übermitteln. Die Karte enthält zudem einen Dank an die helfende Person. Denn auch wenn es die gesetzliche Pflicht zur Hilfeleistung gibt, ist es eine Geste der Wertschätzung, sich für den Einsatz zu bedanken.
Im Sozialgesetzbuch (SGB) VII ist der Versicherungsschutz für sogenannte Hilfeleistende geregelt. Die Gespräche mit Feuerwehr und Polizei zeigten aber, dass in diesen Kreisen von Ersthelferinnen und Ersthelfern gesprochen wird. Um keine Verständnishürden aufzubauen und die Akzeptanz zu erhöhen, wurde die Karte Ersthelferkarte genannt.
Jeder Rettungswagen in Berlin ist seit 2019 mit Ersthelferkarten ausgestattet. Angehörige der Feuerwehr oder Sanitäterinnen und Sanitäter geben die Karte direkt am Einsatzort aus. Die Karte ist so groß wie eine Scheckkarte und bietet wenig Platz. Daher wird auf die Internetseite der Unfallkasse Berlin für Ersthelfende hingewiesen, wo Hilfeleistende wichtige Informationen finden: etwa über Unterstützungsmöglichkeiten oder Ansprüche. Wer das persönliche Gespräch sucht, findet auf der Karte die Telefonnummern der Ansprechpersonen in der Unfallkasse.
Dieser zielgenaue Informationsfluss durch die Ersthelferkarte bietet nicht nur Vorteile für Hilfeleistende, er spart auch Kosten. Denn anders als eine breit angelegte Informationskampagne für die über 3,7 Millionen Menschen in der Hauptstadt informiert die Unfallkasse Berlin mithilfe von Multiplikatoren die hilfeleistende Person gezielt in ihrer unmittelbaren Situation der versicherten Tätigkeit. Sie erhält die Information über ihren gesetzlichen Unfallversicherungsschutz also passgenau zu dem Zeitpunkt und Anlass, zu dem sie ihn benötigt – und das zu einem Bruchteil der Kosten einer breit angelegten Informationskampagne.
Wichtigster Partner: die Feuerwehren
In Berlin organisiert die Feuerwehr die Rettungstransporte. Sie wurde gemeinsam mit Polizei und Notfallseelsorge als zentraler Distributionspartner gewonnen. Das Multiplikatorenkonzept fand sofort ihre Zustimmung, denn auch für sie ist der Einsatz der Ersthelferkarte von Vorteil. Das Aushändigen der Ersthelferkarte behindert die Arbeit am Einsatzort nicht, sondern trägt vielmehr dazu bei, sie zu erleichtern: Medizinische Rettungskräfte berichten immer wieder, dass es für sie beim Abtransport einer verletzten Person nicht angenehm sei, einen Menschen, der sich als Erster am Unfallort um die Rettung dieser Person gekümmert habe, einfach so stehen zu lassen. Einsatzkräfte der Feuerwehr betonen, dass sie mit der Übergabe der Karte nicht nur eine erkennbare Wertschätzung ausdrücken könnten, sondern sich Ersthelfende dadurch auch schneller von Gefahrenstellen wegleiten ließen.
Die Ersthelferkarte unterstützt Mitglieder der Feuerwehren während des Einsatzes, denn diese haben am Einsatzort oftmals keine Zeit für die Ersthelfenden. Die Überreichung der Karte bietet die Möglichkeit, der Ersthelferin oder dem Ersthelfer wertschätzend Dank für ihre Hilfeleistung auszusprechen.
Der Innensenator von Berlin, Andreas Geisel, war von der Idee der Ersthelferkarte angetan und unterstützt daher auch die Verteilung der Ersthelferkarte durch die Berliner Polizei.
Ein am Einsatzort ebenfalls wichtiger Multiplikator im System „Polizei“ sind neben den Einsatzkräften die Opferschutzbeauftragten. Die Unfallkasse Berlin hat die Polizeidirektionen besucht und die Opferschutzbeauftragten über den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung informiert. In Berliner Polizeiwachen werden nun auch die Informationsbroschüren der Unfallkasse an Ersthelfende ausgegeben.
Der Weiße Ring – ein wichtiger Akteur im Opferschutz – erhielt die Informationsbroschüren ebenfalls. Im Rahmen einer Jahrestagung stellte Steffen Glaubitz, Leiter der Abteilung Rehabilitation und Leistungen bei der Unfallkasse Berlin, die Ersthelferkarte vor.
Erfolg der Karte zeigt sich besonders in der besseren Netzwerkarbeit
Die Ersthelferkarte hat in der Unfallkasse Berlin nicht zu einer Steigerung der gemeldeten Versicherungsfälle geführt. Denn zum Glück erleiden die wenigsten Ersthelfenden einen Schaden. Deutlich schneller erlangt aber die Unfallkasse Kenntnis von Leistungsfällen. Kamen Unfallmeldungen von Hilfeleistenden früher überwiegend über den (Um-)Weg Krankenkasse an, erreichen seit Einführung der Ersthelferkarte immer mehr Meldungen die Unfallkasse Berlin direkt, etwa über das Internetformular, auf das die Karte hinweist.
Was ebenfalls über den Einsatz der Ersthelferkarte gelingt, ist eine deutlich bessere Vernetzung der Unfallversicherung mit Polizei, Feuerwehr und anderen Akteuren. Die Unfallkasse Berlin wird mehr in den Prozessen „mitgedacht“.
Um den Multiplikatoren das komplexe Angebot von Unfallversicherung und Opferentschädigung aufzuzeigen, hat die Unfallkasse gemeinsam mit dem Berliner Versorgungsamt (Landesamt für Gesundheit und Soziales, LAGeSo) eine Übersichtsgrafik entwickelt, aus der hervorgeht, welche Personengruppen welche Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung und nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) geltend machen können. Diese Grafik ist beispielsweise im Intranet der Polizei verfügbar und wurde auch diversen Beratungsorganisationen übergeben.
Entsprechend wird das Wissen über das Leistungsspektrum größer und es gelingt häufiger, dass Polizei und Feuerwehr vor Ort gleich Fragen klären wie „Wer bezahlt mir mein durchnässtes Handy?“ oder „Wer erstattet mir die zur Brandlöschung eingesetzte Decke?“. Mithilfe der Karte können Ersthelfende „schnell und unbürokratisch“ innerhalb weniger Tage entschädigt und der Fall abgeschlossen werden. Je mehr sich die Karte etabliert, desto häufiger werden Polizei und Feuerwehr die Hilfeleistung einerseits und die (möglichen späteren) Bedarfe andererseits erkennen und darauf auch proaktiv mit dem Einsatz der Karte reagieren.
Mit Unterstützung des VdF NRW haben wir eine optimale Vernetzung in die Feuerwehren aller NRW-Kommunen erzielen können.
Ein Konzept macht Schule
„Die Vergangenheit hat gezeigt, dass wir uns auf Großschadenslagen vorbereiten müssen, indem wir vorab schon Strukturen schaffen, die für schnelle Informationsflüsse sorgen.
Es freut mich, dass andere Unfallkassen das Konzept und die Materialien übernommen haben beziehungsweise übernehmen werden“, sagt Wolfgang Atzler, Geschäftsführer der Unfallkasse Berlin. „Gerne stellen wir auch anderen Trägern die Produkte zur Verfügung.“
Das Multiplikatorenkonzept der Unfallkasse Berlin ist auch für andere Bundesländer leicht adaptierbar. In Brandenburg ist die Ersthelferkarte ebenfalls im Einsatz, weitere Unfallkassen wie Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland und Hessen planen die Einführung.
Auch die Unfallkasse NRW bietet die Ersthelferkarte seit 2020 an und musste auf der Suche nach geeigneten Distributionswegen und Vertriebspartnerschaften nur wenige Anpassungen vornehmen. Anders als in Berlin gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht nur eine, sondern fast 400 Feuerwehren. Daher musste ein alternativer Weg gefunden werden, um diese Feuerwehren für eine flächendeckende Partnerschaft auf kommunaler Ebene zu gewinnen. Mit dem Verband der Feuerwehren in NRW (VdF NRW) stand die erste Kooperationspartnerschaft fest. Bernd Schneider, stellvertretender Vorsitzender des VdF NRW, erkannte schnell die Vorteile für die Einsatzkräfte: „Die Ersthelferkarte unterstützt Mitglieder der Feuerwehren während des Einsatzes, denn diese haben am Einsatzort oftmals keine Zeit für die Ersthelfenden. Die Überreichung der Karte bietet die Möglichkeit, der Ersthelferin oder dem Ersthelfer wertschätzend Dank für ihre Hilfeleistung auszusprechen.“
Nachdem der VdF NRW seine Mitglieder über interne Verbandsstrukturen informiert hatte, stattete die Unfallkasse NRW alle Feuerwehren in Nordrhein-Westfalen mit einem Starterset von nahezu 100.000 Karten nebst Informationsmaterialien und Handreichungen für Einsatzkräfte aus.
„Mit Unterstützung des VdF NRW haben wir eine optimale Vernetzung in die Feuerwehren aller NRW-Kommunen erzielen können“, betont Johannes Plönes, stellvertretender Geschäftsführer der Unfallkasse NRW, und erklärt weiter: „Nach unseren Erfahrungen hat sich die Kooperation mit den Feuerwehren als zielführend und gut herausgestellt. Es wäre daher wünschenswert, wenn dieses Beispiel im Sinne der Ersthelferinnen und Ersthelfer auch an anderen Stellen, bei anderen Organisationen Nachahmer finden würde. Denn je früher wir kontaktiert werden, desto schneller profitieren Geschädigte von den umfassenden Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung.“
§ 323c Strafgesetzbuch (StGB)
Unterlassene Hilfeleistung
„(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“
Im Gegenzug stehen Hilfeleistende unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Und es gibt noch eine andere Besonderheit: Bei der Hilfeleistung entstandene Sachschäden sind mitversichert.