Die Geschichte der Infektionen als Berufskrankheit

Die Geschichte der Infektionskrankheiten, die als Berufskrankheit bei Beschäftigten im Gesundheitswesen anerkannt werden können, spiegelt auch die Fortschritte in medizinischer Diagnostik und Behandlung. Die jüngste Herausforderung, COVID-19, wird das Gesundheitssystem und die Unfallversicherung noch lange beschäftigen.

Im Jahr 1925 wurde die Zuständigkeit der Unfallversicherung ausgeweitet, um künftig auch Berufskrankheiten abzudecken. Dabei ging es nicht um alle arbeitsbedingten Erkrankungen, sondern um definierte Erkrankungen mit spezifizierten Expositionsbedingungen, die in einer Liste erfasst werden. Dieses Grundprinzip hat sich in den vergangenen 100 Jahren nicht geändert trotz vielfacher Reformen und Ausdehnungen der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV). Es dauerte sogar bis zum Jahr 1996, bis das Aufgabengebiet der Unfallversicherung auf die Prävention von arbeitsbedingten Erkrankungen ausgedehnt wurde. Wegen der multikausalen Verursachung dieser Erkrankungen waren die Kompensationen dafür aber nicht von dieser Ausdehnung betroffen.

Die erste Liste der Berufskrankheiten enthielt keine Infektionen. Das mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich war die letzte große Choleraepidemie in Deutschland, die die Hamburger Kaufleute zu verantworten hatten[1], erst 30 Jahre alt. Die Spanische Grippe, mit noch mehr Toten als die COVID-19-Pandemie ab dem Jahr 2020, lag sogar erst fünf Jahre zurück. Wie bei jeder Epidemie oder Pandemie kann für beides, Cholera und Spanische Grippe, ein erhöhtes Infektionsrisiko für diejenigen unterstellt werden, die die Infizierten und Sterbenden betreut haben, zumal Hygiene und Prävention noch unterentwickelt waren. Immerhin wurde mit der Entdeckung des Mykobakteriums tuberculosis durch Robert Koch am 10. April 1882 der Pathomechanismus von Infektionen zunehmend besser verstanden. Effektive Möglichkeiten der Behandlung standen jedoch noch nicht zur Verfügung. Es gab aber schon zwei Möglichkeiten zur Impfung: gegen Pocken dank der Experimente von Edward Jenner und gegen Tollwut nach einem Hundebiss dank der (wage-)mutigen Experimente von Louis Pasteur.

Wegen der begrenzten diagnostischen Möglichkeiten war es zu diesem Zeitpunkt auch schwierig, beruflich bedingte Infektionen zu erkennen. So wurde lange vermutet, dass eine Beschäftigung im Gesundheitswesen gegen Tuberkulose schütze. Eine völlige Fehleinschätzung, wie wir heute wissen. Aber all das waren nicht die Gründe, warum die erste Liste der Berufskrankheiten keine Infektionen enthielt. Vielmehr war es so, dass die Tätigkeit in Krankenhäusern, Sanatorien und Pflegeheimen noch nicht von der Unfallversicherung abgedeckt wurde. Das änderte sich allerdings schon bald. Aufgrund der Ausdehnung der Unfallversicherung auch auf diese Wirtschaftsbereiche enthielt die zweite Liste der Berufskrankheiten im Jahr 1929 auch die Infektionen. Das war die Geburtsstunde der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW). Dem Branchenprinzip folgend wurde sie wegen der Ausdehnung der Zuständigkeit in Berlin gegründet. Dies war zugleich auch Ausdruck der Professionalisierung in diesem Bereich, der zuvor den Prinzipien der Nächstenliebe und der religiös motivierten Opferbereitschaft folgte. Ein Spannungsfeld, das uns auch heute noch beschäftigt, wenn man an das Verhältnis von privater Pflege zur professionellen Pflege denkt.

Während der Weimarer Republik stand die Tuberkulose als Infektion ganz im Vordergrund. Die Bewegung „Mehr Licht und Luft“, die langsame Verbesserung der Wohnverhältnisse und die verbesserte Ernährung hatten zwar zu einem deutlichen Rückgang der Häufigkeit geführt, dennoch war die Tuberkulose eine der gefürchtetsten Infektionen, weil sie oft nach einem langen Leiden zum Tod führte. Die Behandlung bestand in Liegekuren, die unter dem Aspekt der sozialen Teilhabe desaströs waren, wie Thomas Mann im Zauberberg beschreibt. Die Tuberkulose war in den Jahren vor dem Naziterror daher die häufigste als Berufskrankheit anerkannte Infektion.[2]

160.000 Tuberkulosefälle pro Jahr in den 1950er-Jahren

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es wegen der Mangelernährung, der schlechten Wohnverhältnisse und der allgemeinen Ausmergelung der Bevölkerung zu häufigen Tuberkuloseerkrankungen, die auch das Infektionsrisiko für die Beschäftigten in den Gesundheits- und Wohlfahrtsberufen erhöhten. Noch Anfang der 1950er-Jahre wurden rund 160.000 Tuberkulosefälle in der Bevölkerung pro Jahr registriert. Mit dem Wirtschaftswunder und der langsamen Verbesserung der Lebenssituation im Allgemeinen verringerte sich auch die Häufigkeit der Tuberkulose in der Bevölkerung. Ferner stand mit Streptomycin zum ersten Mal eine Behandlungsmethode zur Verfügung. Mit weniger Patientinnen und Patienten, die versorgt werden oder in Sanatorien betreut werden mussten, gab es auch weniger beruflich bedingte Infektionen.

Im Jahr 2004 gehörte Deutschland zum ersten Mal zum Kreis der Länder mit niedriger Tuberkuloseinzidenz (unter zehn Fälle pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen; 9.044 Fälle). Mittlerweile liegt die Inzidenz sogar bei lediglich fünf bis sechs Fällen pro 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen. Diese positive Entwicklung führte in den 1990er-Jahren dazu, dass ein beruflich bedingtes Tuberkuloserisiko in Deutschland fast vollständig negiert wurde. Die Anzahl der als Berufskrankheit anerkannten Tuberkulosen war daher gering. Mittels Fingerprintuntersuchungen, die das Genom der Mykobakterien bestimmen, konnten allerdings Infektionspfade ab den 1990er-Jahren besser untersucht werden. Diese Studien belegten ein erhöhtes Infektions- und Erkrankungsrisiko bei denjenigen, die an Tuberkulose Erkrankte oder Risikogruppen versorgten. Im Jahr 2003 wurden neue Kriterien zur Anerkennung der Tuberkulose als Berufskrankheit formuliert, die auf den oben genannten Studienergebnissen beruhten. Es wurden Tätigkeiten mit erhöhten Infektionsgefährdungen definiert. Die Suche nach einer konkreten Infektionsquelle, die oftmals langwierig war, konnte dadurch entfallen. Die Verfahren wurden beschleunigt und die Anerkennung eines Verdachts auf Vorliegen einer Berufskrankheit wurde erleichtert. Da steigende Anerkennungsraten auch erhöhte Meldezahlen nach sich ziehen, stieg die Zahl der Verdachtsanzeigen auf eine Tuberkulose als Berufskrankheit nach dem Jahr 2003 an, obwohl die Tuberkulose in der Bevölkerung weiter abnahm (Abbildung 1).

Abbildung 1: Die häufigsten gemeldeten Berufskrankheiten wegen einer Infektion bei der BGW, ohne COVID-19 | © Nienhaus, BGW / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: Die häufigsten gemeldeten Berufskrankheiten wegen einer Infektion bei der BGW, ohne COVID-19 ©Nienhaus, BGW / Grafik: kleonstudio.com

Mit der Verbesserung der Diagnostik durch die Einführung eines neuen Testverfahrens, dem Interferon-Gamma-Release Assay (IGRA), wurde es ab den 2000er-Jahren auch möglich, im Rahmen der betriebsärztlichen Vorsorge eine latente Tuberkuloseinfektion (LTBI) zuverlässiger zu detektieren und eine präventive Chemotherapie einzuleiten, um die Progression zu einer aktiven Tuberkulose zu verhindern. Auch das führte zu einem Anstieg der gemeldeten Tuberkulosefälle als Berufskrankeitenverdacht. Dadurch ergibt sich die etwas paradoxe Situation, dass auch in den Jahren nach der COVID-19-Pandemie die Tuberkulose die häufigste gemeldete Berufskrankheit wegen einer Infektion ist. Bei den jetzigen Meldungen geht es allerdings häufiger um die Prävention einer Erkrankung als um die Behandlung und Kompensation einer aktiven Tuberkulose.

Impfkampagne der BGW gegen Hepatitis B

In den 1970er-Jahren wurde die Tuberkulose von der Hepatitis B als häufigste Berufskrankheit durch Infektionen abgelöst. Die Hepatitis B wird durch Blut übertragen. Als Nebeneffekt des medizinischen Fortschritts hatten Blutübertragungen zu einem Anstieg der Hepatitis B in der Bevölkerung geführt. Nach der systematischen Untersuchung von Blut- und Serumspenden auf Hepatitis B und vor allem nach der Einführung von Hepatitis-B-Impfungen für Risikogruppen ab dem Jahr 1982 sank die Inzidenz in der Bevölkerung langsam wieder und somit auch das berufliche Infektionsrisiko. Allerdings waren die Impfquoten bei den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die als Risikogruppe galten, noch lange Zeit unbefriedigend. Die BGW führte daher Anfang der 2000er-Jahre eine Impfkampagne durch, in der insbesondere in Praxen ein Anreiz zur Impfung der Mitarbeitenden geschaffen werden sollte. Im Anschluss entwickelten sich die Impfquoten bei Beschäftigten im Gesundheitsdienst positiv. Die Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI), Kinder und Jugendliche gegen Hepatitis B zu impfen, war dabei sicher sehr hilfreich. Beschäftigte im Gesundheitswesen sind mittlerweile mit wenigen Ausnahmen gegen Hepatitis B geimpft, und die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle auf eine BK 3101 ist aktuell sehr gering.

Infolge dieser positiven Entwicklung hat im Jahr 2000 die Hepatitis C bezüglich der Anzahl der Verdachtsfälle die Hepatitis B überholt (Abbildung 1). Die Hepatitis C ist auch heute noch nicht impfpräventabel und wird ähnlich wie die Hepatitis B übertragen. Trotzdem gibt es auch bei der Hepatitis C eine positive Entwicklung. Das Virus wurde erstmals im Jahr 1989 identifiziert. Davor wurde die entsprechende Erkrankung in Abgrenzung zur Hepatitis A und zur Hepatitis B Non-A/Non-B-Hepatitis genannt.

Etwas überraschend, aber nicht allzu gewagt ist es zu behaupten, dass HIV zur Reduktion der beruflich bedingten Hepatitis-C-Fälle beigetragen hat. Als HIV im Jahr 1983 durch Luc Montagnier und Robert Charles Gallo entdeckt wurde, war die Angst vor einer Infektion so groß, dass die Präventionsmaßnahmen, die auch schon vorher angebracht gewesen wären, plötzlich vermehrt umgesetzt wurden. Das betrifft vor allem das Tragen von Handschuhen bei Tätigkeiten, bei denen Blutkontakt möglich ist. Um den vermehrten Bedarf an Einmalhandschuhen zu decken, wurden gepuderte Latexhandschuhe kostengünstig produziert. Diese Maßnahme war effektiv bei der Prävention von blutübertragbaren Virusinfektionen, führte aber zum steilen Anstieg berufsbedingter Allergien. Das Verbot von gepuderten Latexhandschuhen und der Einsatz latexfreier Einmalhandschuhe lösten dann in Deutschland dieses Problem schnell und nachhaltiger als in manchen anderen Ländern ohne vergleichbare Unfallversicherung.

Ein weiterer Meilenstein bei der Prävention der beruflich bedingten Hepatitis C war der Needlestick Safety and Prevention Act, den im Jahr 2000 der scheidende Präsident Bill Clinton in den USA als Referenz an die Pflegekräfte, die ihn im Wahlkampf unterstützt hatten, unterschrieb. Dadurch wurde der Einsatz sicherer Instrumente bei Blutentnahmen und anderen Eingriffen mit Blutkontakt verpflichtend in den USA. Das hat einen starken Anreiz für die Entwicklung dieser sicheren Instrumente geschaffen. Die Regelungen zum Arbeitsschutz wurden in der Folge auch in Deutschland angepasst und verschärft. Diese Präventionsmaßnahmen haben zu einem deutlichen Rückgang der Hepatitis C als Berufskrankheit geführt.

Auch die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten wirkte sich positiv auf die epidemiologische Entwicklung der Hepatitis C aus. Trotz der hohen Kosten von am Anfang mehr als 100.000 Euro wurde es mehreren Hundert Versicherten der BGW mit einer zum Teil schon seit Jahrzehnten bestehenden chronischen Hepatitis C als Berufskrankheit ab dem Jahr 2007 ermöglicht, diese Therapie mit den Direkt-Agierenden-Agenzien (DAA) durchzuführen. Bei mehr als 95 Prozent der behandelten Versicherten konnte das Virus eliminiert werden, wie entsprechende Evaluationsstudien zeigten. Die Progression der Leberzirrhose und die Entwicklung des Leberzellkrebses konnten dadurch verhindert werden.

Post-COVID bleibt eine Herausforderung

Der Segen der Antibiotika hat leider auch das Problem der resistenten Keime mit sich gebracht. Da Patientinnen und Patienten im Krankenhaus ein erhöhtes Risiko haben, mit resistenten Keimen infiziert zu werden, haben auch die Beschäftigten ein erhöhtes Infektionsrisiko. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der methicillinresistente Staphylococcus Aureus (MRSA), der überwiegend durch die Luft übertragen wird. Beschäftigte können sowohl Opfer als auch Vektor einer MRSA-Übertragung sein. Daher ist es sinnvoll, in Ausbruchssituationen, zum Beispiel im Krankenhaus oder in Pflegeeinrichtungen, auch die Beschäftigten auf MRSA zu screenen und gegebenenfalls eine Behandlung durchzuführen. Als Berufskrankheit gemeldete MRSA-Fälle gibt es allerdings nur wenige, da eine Besiedlung nicht zu Krankheitssymptomen führt und damit keinen meldepflichtigen regelwidrigen Körperzustand im Sinne des Berufskrankheitenrechts darstellt.

Auch wenn es in den vergangenen Jahren Verschiebungen bei der Art der als Berufskrankheit anerkannten Infektionen gab, war die Zahl der Versicherungsfälle mit 800 bis 1.000 Betroffenen relativ stabil. Dieses Bild änderte sich schlagartig mit der COVID-19-Pandemie, die im Februar 2020 auch Deutschland erreichte. Allein bei der BGW wurden bisher fast 280.000 COVID-19-Fälle als Berufskrankheit und 196 als Arbeitsunfall anerkannt. Rund 4.600 Versicherte erkrankten so schwer an Long oder Post-COVID, dass sie ins Reha-Management aufgenommen wurden. Einige leiden noch heute unter beeinträchtigenden Symptomen. Die medizinische Versorgung und Kompensation dieser Versicherten wird das Gesundheitssystem und die Unfallversicherung noch auf unabsehbare Zeit beschäftigen. Dennoch kann festgehalten werden, dass die branchenspezifischen Arbeitsschutzstandards der Berufsgenossenschaften dabei geholfen haben, noch schlimmere Auswirkungen der Pandemie zu verhindern.