Der Tennisplatz als Ort der Begegnung

Der Mensch im Mittelpunkt und eine langfristige Strukturanpassung als Ziel – „Tennis für Alle“ will den Sport für mehr Teilhabe von Spielerinnen und Spielern mit Behinderung öffnen. Seit über zehn Jahren werden Trainings und Turniere ausgerichtet, Vereine, Verbände sowie Trainerinnen und Trainer geschult und so die deutsche Tennislandschaft inklusiver gemacht.

Tennis ist eine der beliebtesten Sportarten Deutschlands. Mit fast 1,5 Millionen Mitgliedern ist der Deutsche Tennis Bund (DTB) der drittgrößte Sportverband des Landes[1]. Bundesweit existieren mehr als 45.000 Tennisplätze, verteilt auf fast 9.000 Tennisvereine, von ländlichen Regionen bis in die Großstädte. Allein im vergangenen Jahr wuchs die Zahl der Tennisspielerinnen und -spieler hierzulande um 4,5 Prozent.[2] Dieses Potenzial möchte das „Tennis für Alle“-Projekt der in Frechen bei Köln sitzenden Gold-Kraemer-Stiftung nutzen. Seit 2012 arbeitet es daran, den deutschen Tennissport für mehr Teilhabe und Inklusion zu öffnen.

Es begann mit der Idee, regional Trainingscamps für Menschen mit Behinderung zu organisieren, geschultes Personal und notwendiges Material zur Verfügung zu stellen, um einen barrierefreien Raum anzubieten, in dem Betroffene Tennis als Sportart für sich ausprobieren und gemeinsam trainieren können. Seit 2018 rollt die Stiftung das Programm zusammen mit dem DTB deutschlandweit aus. Die Initiative bietet niedrigschwellige Schnuppermöglichkeiten an, bildet aber auch regelmäßig Tennistrainerinnen und -trainer zu Multiplikatorinnen und Multiplikatoren des Inklusionsgedankens in ihren Heimatvereinen aus und organisiert Turnierserien und Wettkämpfe, bei denen entweder in behinderungsspezifischen oder inklusiven Tennisdisziplinen gegeneinander angetreten wird. So hat sich durch einen engagierten Prozess des ständigen Reflektierens und Weiterentwickelns diverser Aktionsbausteine im Zusammenspiel mit der Expertise des Stiftungsprojekts und dem Willen des Sportfachverbandes DTB, seine Strukturen zu öffnen, eine vielfältige, inklusive Tennislandschaft herausbilden können. Vom Breitensport- über das Nachwuchstraining bis hin zum Weltranglistenturnier bildet sie alle Aspekte des Sports ab.

Die folgenden offiziellen Disziplinen existieren im Tennis von Menschen mit Behinderung. Alle werden mit üblichen Schlägern gespielt und können auf allen gängigen Plätzen und Bodenbelägen durchgeführt werden. Manche Disziplinen benötigen zusätzliches Material oder haben einige Regelanpassungen.

Rollstuhltennis: Für Menschen mit körperlicher Behinderung, zum Beispiel Amputation der unteren Extremitäten, verkürztes Bein, komplette und inkomplette Querschnittlähmung unterschiedlicher Höhen oder auch Gelenkschäden an Füßen, Knien, Hüften. Eine dynamische und sichere Ausübung des Sports ermöglicht ein besonders an die Voraussetzungen der Teilnehmenden angepasster Sportrollstuhl. Es gibt zwei offizielle Startklassen, eine für Menschen mit Beeinträchtigung des Unterkörpers und eine für diejenigen mit zusätzlicher Einschränkung an den oberen Extremitäten. Der Tennisball darf zweimal aufspringen.

Blindentennis: Für Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen der Sehfähigkeit. Gespielt wird mit einem rasselnden Ball und fühlbaren Feldbegrenzungen zur Orientierung. Die Teilnehmenden werden je nach Sehrest in vier unterschiedliche Startklassen eingeteilt. Je weniger gesehen wird (bis zur Vollblindheit), desto kleiner sind Spielfeld und Tennisschläger und desto häufiger darf der Ball aufspringen (bis zu dreimal).

Gehörlosentennis: Für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit. Gespielt wird mit den üblichen Bällen und Schlägern, auf den üblichen Plätzen, ohne besondere Regelanpassungen. Nur im Wettkampf dürfen Hörhilfen nicht getragen werden.

Tennis von Menschen mit geistiger Behinderung: Für Teilnehmende mit Lern- beziehungsweise geistiger Behinderung gelten keine besonderen Regeln oder Materialien. Aus methodischen Gründen kann etwa auf druckreduzierte Bälle, kleinere Felder oder eine vereinfachte Zählweise zurückgegriffen werden.

Das „Tennis für Alle“-Projekt arbeitet mit hohem Prozesscharakter in mehreren, sich gegenseitig beeinflussenden Bereichen: Durch gezielte Bewusstseinsbildung sollen zum einen die Akteurinnen und Akteure der Tenniswelt und zum anderen die Community von Menschen mit Behinderung darüber aufgeklärt werden, wie Inklusion im Tennis umgesetzt werden kann. Es soll klar werden: Inklusion im Tennis hat positive Effekte für alle Seiten und Tennis eignet sich hervorragend für eine Vielzahl von Behinderungen sowie zum gemeinsamen Spiel von Menschen mit und ohne Behinderung. Broschüren und Internetseiten informieren über das Thema, Demonstrationen werden auf Reha-Messen oder auf großen Tennisturnieren vor viel Publikum gespielt, Video-Tutorials und Online-Learnings klären über das Training in den Paratennisdisziplinen auf, gemeinsam mit dem DTB wurde ein inklusives Tennis-Sportabzeichen entwickelt.

Gemeinsamer Aufschlag von Menschen mit und ohne Behinderung  | © Frank Kreidler
Gemeinsamer Aufschlag von Menschen mit und ohne Behinderung ©Frank Kreidler

 

Tennisvereine, Fachverbände, das Personal in Reha-Einrichtungen oder Sportlehrkräfte in inklusiven und Förderschulen werden mit regelmäßigen deutschlandweiten Aus- und Fortbildungsangeboten qualifiziert. Hierbei sammeln sie neben theoretischen Hintergründen auch Selbsterfahrungen im Sportrollstuhl oder mit Sehbehinderungssimulationsbrillen, sodass sie als regionale Ansprechpersonen für erste Anfragen vor Ort tätig werden können. Zusätzlich werden runde Tische initiiert, bei denen ein moderierter Austausch von Sportlerinnen und Sportlern mit Behinderung, als Vertretung ihrer Disziplin und Bedarfe, mit Tennis- und Behindertensportverbänden oder anderen wichtigen Organen stattfinden kann, um Inklusion im organisierten Tennissport voranzubringen.

Schließlich bekommen Menschen mit Behinderung bei Aktions- und Schnuppertagen die niedrigschwellige Möglichkeit, in einem barrierefreien Umfeld, mit erfahrenem Personal und bereitgestelltem Material Tennis auszuprobieren. In diesem Zuge werden Vereine mit Förderschulen oder Einrichtungen der Behindertenhilfe, Selbsthilfe oder Rehabilitation in Kontakt gebracht, um langfristige Kooperationen einzugehen und lokale Netzwerke aufzubauen. Rollstuhl- und Blindentennis-Workshops bieten kombinierte Trainings- und Fortbildungsmöglichkeiten für Sportlerinnen und Sportler sowie für Trainerinnen und Trainer. Bei inklusiven Doppelturnieren starten gemeinsam Menschen mit und ohne Behinderung. Menschen mit Behinderung erhalten aber auch die Möglichkeit, disziplin- beziehungsweise behinderungsspezifisch an Wettkämpfen teilzunehmen, etwa in einer Rollstuhltennis-Turnierserie, die gemeinsam mit dem DTB aktuell zehn Termine über das Jahr und das Bundesgebiet verteilt anbietet und zum Jahresabschluss ihre Siegerinnen und Sieger kürt.

Neben den übergeordneten gesamtstrukturellen Aktionen und Zielen pflegt das „Tennis für Alle“-Projekt nach wie vor seine Wurzeln: So finden an mehreren Standorten in der Region Köln wöchentliche Trainingseinheiten inklusiv oder in den einzelnen Paratennis-Disziplinen sowie regionale Wettkampfangebote statt. Ein Einstieg kann zum Beispiel auch über die „Bunten Helden“ erfolgen – eine Ball- und Bewegungsschule, die sich speziell auf die motorische und soziale Schulung von Kindern mit ganz unterschiedlichen Behinderungen im Alter von fünf bis zehn Jahren konzentriert.

Die Initiative der Gold-Kraemer-Stiftung zeigt, wie Inklusion im Sport systematisch und nachhaltig implementiert werden kann – von regionalen sportpraktischen Angeboten bis zur sportpolitischen Einwirkung auf den Dachverband mit gemeinsamen bundesweiten Strategien und Maßnahmen.