„Deutlich höherer Handlungsspielraum für Betriebe“
Unter anderem die Fachkräfte für Arbeitssicherheit unterstützen die Betriebe bei der Organisation von Sicherheit und Gesundheit. Um die Anforderungen verständlicher zu gestalten und die Effektivität der bestellten Fachleute zu verbessern, wurde die DGUV Vorschrift 2 überarbeitet.
Herr Fischer, Kleinst- und Kleinbetriebe stehen vor besonderen Herausforderungen, wenn es um die betriebsärztliche und sicherheitstechnische Betreuung geht. Von welchen Änderungen der DGUV Vorschrift 2 erhoffen Sie sich die größten Auswirkungen auf die sicherheitstechnische Betreuung?
Fischer: Gerade für Kleinst- und Kleinbetriebe war die alte Fassung der DGUV Vorschrift 2 vor allem mit Blick auf die Problemstellungen Verständlichkeit, Erfüllbarkeit und betriebsärztlicher und gegebenenfalls auch sicherheitstechnischer Fachkräftemangel eine Herausforderung. Die „neue“ DGUV Vorschrift 2 bringt hier aus meiner Sicht deutliche Verbesserungen.
Die Ausweitung der Kleinstbetriebsbetreuungsmodelle von zehn auf 20 Beschäftigte nach Anlage 1 und die verbindliche Festlegung von 20 Prozent Mindestanteil der Professionen nach Anlage 2 bei gleichzeitiger Streichung des Satzes „nicht weniger als 0,2 Std. pro Beschäftigtem/r“ geben den Betrieben einen deutlich höheren Handlungsspielraum.[1]
Die Zulassung von weiteren Professionen aus den Bereichen Physik, Chemie, Biologie, Humanmedizin, Ergonomie, Arbeits- und Organisationspsychologie, Arbeitshygiene und Arbeitswissenschaft zur Ausbildung als Fachkraft für Arbeitssicherheit stellt darüber hinaus den Betrieben ein breiteres Fachwissen zur Verfügung.
Sie haben die positiven Aspekte geschildert. Aber welche Herausforderungen sehen Sie weiterhin?
Fischer: Für die Zukunft wird eine der wesentlichen Herausforderungen die Sicherstellung und Umsetzung der Betreuung, auch vor dem Hintergrund des verbesserten Handlungsspielraums, darstellen. Das kann meines Erachtens nur mit einer effizienten Überwachung durch die zuständigen Behörden in der Fläche gelingen.

Neu ist, dass in der DGUV Vorschrift 2 zwischen verpflichtendem Vorschriftenteil und praktischen Erläuterungen unterschieden wird. Welchen Stellenwert haben diese Transparenz und Klarheit in der betrieblichen Praxis – insbesondere in Kleinst- und Kleinbetrieben?
Fischer: Ein wesentlicher Kritikpunkt an der „alten Vorschrift“ war die Verständlichkeit. Die „neue“ Vorschrift ist durch die Trennung von Vorschriftenteil und den Erläuterungen in der dazugehörigen DGUV Regel 100-002 deutlich kürzer, verständlicher und wesentlich klarer geworden, was erhebliche Vorteile für die Anwendung im Betrieb mit sich bringt. So können die Protagonistinnen und Protagonisten der DGUV Vorschrift 2, also Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, wesentlich einfacher die Betriebe zur neuen Vorschrift beraten. Aber auch für all diejenigen, welche sich nicht täglich mit derartigen Regelwerken beschäftigen, ist die Anwendbarkeit einfacher geworden.
Worauf sollte aus Sicht des VDSI bei der praktischen Umsetzung der neuen DGUV Vorschrift 2 im Betrieb besonders geachtet werden, um eine hohe Qualität und Wirksamkeit der Maßnahmen sicherzustellen?
Fischer: Generell sollten fachliche Inhalte der Arbeit von Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin im Mittelpunkt der Diskussion bei der Umsetzung der DGUV Vorschrift 2 stehen. Es gilt die Frage zu beantworten, was der Betrieb braucht. Es müssen alle betrieblichen Akteurinnen und Akteure eingebunden werden, um die notwendigen Maßnahmen gemeinsam auf den Weg zu bringen.
Weiterbildung und Berichtspflicht gewinnen in der „neuen“ Vorschrift an Bedeutung, was die Leistung zum einen transparenter machen wird, aber auch in Richtung Qualität der Beratung eine Steigerung mit sich bringen dürfte. Hier verweise ich insbesondere auf die Möglichkeit der VDSI-Fortbildungspunkte.[2] Letztendlich wird die Frage der Qualität und der Wirksamkeit von Maßnahmen von zwei Faktoren abhängen: zum einen davon, wie gewissenhaft die DGUV Vorschrift 2 im Betrieb umgesetzt und gelebt wird, und zum anderen, wie effizient und durchschlagskräftig die behördliche Überwachung hierzu ist, um vor allem „Pseudobetreuungsmodelle“ zu verhindern.
Was genau ist darunter zu verstehen?
Fischer: „Pseudobetreuungsmodelle“ bezeichnen in diesem Zusammenhang Modelle, bei denen die gesetzlich vorgeschriebene Betreuung von Betrieben zwar formal erfüllt, aber in der Praxis kaum wirksam umgesetzt wird. Dies bedeutet, dass vorgeschriebene Beratungen oder Präventionsmaßnahmen nur auf dem Papier existieren, aber nicht aktiv in den betrieblichen Alltag integriert werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Matthias Groß.