Die Soziale Selbstverwaltung attraktiver machen

Selbstverwaltung ist Ausdruck der Tatsache, dass die Sozialversicherungen den Versicherten und ihren Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern gehören. In der gesetzlichen Unfallversicherung sind Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ebenfalls Versicherte, weil die Unfallversicherung deren Haftungsablösung übernimmt. Selbstverwaltung ist ein Modell demokratischer, bürgerschaftlicher Partizipation.

Herr Weiß, was waren und sind Ihre Aufgaben als Bundeswahlbeauftragter für die Sozialwahl 2023?

Weiß: Neben der Verkündung und zum Teil auch der Kontrolle von formalen Regeln für einen korrekten Ablauf der Sozialwahlen habe ich über meine gesamte Amtszeit hinweg für die Soziale Selbstverwaltung geworben und werde dies auch weiterhin machen. Dafür möchte ich auch neue Ideen entwickeln. Die Erfolge der Arbeit der Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter müssen noch bekannter werden.

Inwieweit die beschlossenen Neuerungen der Sozialwahl den gewünschten Erfolg gebracht haben, wird nun nach und nach durch verschiedene Gutachten ausgewertet, um dann auf der Grundlage der Ergebnisse entsprechende Reformvorschläge ausarbeiten zu können.

Die Sozialwahl 2023 war die erste Wahl in Deutschland, in der eine digitale Wahl möglich war. Sie war damit auch ein Modell für weitere Wahlen. Wo lagen die Herausforderungen und welche Erkenntnisse haben Sie gewonnen?

Weiß:
Die Herausforderungen lagen insbesondere in der Beachtung und Umsetzung der technischen Richtlinie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, kurz: BSI. Das konnte durch die hervorragende Arbeit der ARGE, der Arbeitsgemeinschaft der Online-Wahlen, und den externen Dienstleister gemeistert werden. Nachdem nun das Modellprojekt Online-Wahlen bei den fünf Ersatzkassen erfolgreich durchgeführt wurde, sollten die Online-Wahlen zum Regelangebot werden. Die gesetzlichen Krankenkassen, die gesetzlichen Renten- und Unfallversicherungsträger sollten eigenständig entscheiden können, ob sie die klassische Briefwahl um das Element der Online-Wahl ergänzen wollen. Dazu ist eine für alle Sozialversicherungsträger geltende gesetzliche Grundlage zu schaffen.

Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen | © Claudia Thoma
Peter Weiß, Bundeswahlbeauftragter für die Sozialversicherungswahlen ©Claudia Thoma

Von der Möglichkeit der Online-Wahl haben sich viele eine Steigerung der Wahlbeteiligung an der Sozialwahl 2023 erhofft. Dennoch war die Wahlbeteiligung niedriger als die Wahlbeteiligung im Jahr 2017. Dies korreliert mit einer allgemeinen Wahlmüdigkeit, die man auf Landes- und Kommunalebene beobachten kann. Wo liegen nach Ihrer Auffassung die Gründe hierfür?

Weiß: Das Modellprojekt Online-Wahlen war wirklich ein historisches Projekt. Wir haben damit das Tor zur Einführung einer neuen zeitgemäßen Abstimmungsmöglichkeit aufgestoßen. Denn erstmals konnten sich in einem derartigen Umfang Wählerinnen und Wähler für diese Form der Abstimmung entscheiden. Vergleicht man die Teilnahme an der Online-Wahl mit der ersten Online-Abstimmung in Estland, die bei unter zwei Prozent lag, sind wir mit der Online-Wahlbeteiligung sehr zufrieden. Bei der Techniker Krankenkasse lag der Anteil der online abgegebenen Stimmen sogar bei etwa zehn Prozent. Eine erste interne Analyse weist als Grund für die niedrigere Wahlbeteiligung auf das gesellschaftliche Umfeld hin.

Wie kann eine höhere Wahlbeteiligung an den Sozialwahlen erreicht sowie die Soziale Selbstverwaltung in Deutschland gestärkt werden?

Weiß:
Die Höhe der Wahlbeteiligung ist nur eine von mehreren Indikatoren, mit deren Hilfe sich Aussagen über die Akzeptanz der Sozialen Selbstverwaltung formulieren lassen. Bei der Sozialwahl 2023 waren einige Neuregelungen zu beachten – insbesondere die Erfüllung einer Geschlechterquote bei den Vorschlagslisten sowie neue Muster für Vorschlagslisten und Zustimmungserklärungen.

Es besteht dringend weiterer Handlungsbedarf, um die Soziale Selbstverwaltung zu stärken und sie für die ehrenamtlich tätigen Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter attraktiver zu machen. Damit mehr Frauen und Männer für die ehrenamtliche Arbeit in der Sozialen Selbstverwaltung gewonnen werden können, ist eine attraktive und zeitgemäße Gestaltung der Selbstverwaltungsarbeit, die auch Rücksicht auf die Vereinbarkeit von Familie, Berufstätigkeit und Ehrenamt nimmt, unbedingt erforderlich. Klar ist für mich, dass eine bessere Beteiligung an der Sozialwahl nur durch eine grundlegende Reform erreicht werden kann. 

Das Interview führte Dr. Anna Kavvadias.