Der Later Life Workplace Index (LLWI): Alternden Belegschaften erfolgreich begegnen

Mit dem demografischen Wandel altert die Arbeitswelt. Daher wird es zunehmend wichtiger, ältere Beschäftigte gesund, motiviert und leistungsfähig zu halten. Dies erfordert eine besondere Betrachtung relevanter betrieblicher Faktoren. Dieser Beitrag stellt den Later Life Workplace Index (LLWI) vor und zeigt auf, wie Unternehmen ihn effektiv nutzen können.

Die zunehmende Alterung der deutschen Erwerbsbevölkerung stellt Betriebe und Organisationen gleichermaßen vor eine Reihe potenzieller Risiken. Hierzu zählen beispielsweise der Wissensverlust bei fehlender Nachfolge(planung), der Anstieg krankheitsbedingter Ausfallzeiten und -kosten bei ausbleibender Gesundheitsförderung oder die mögliche Entkopplung jüngerer und älterer Kolleginnen und Kollegen. Gleichzeitig besitzen ältere Beschäftigte wertvolles Wissen und können in Zeiten des Fachkräftemangels eine wertvolle Ressource sein. Studien haben zudem gezeigt, dass Altersdiversität in Teams die Teamleistung steigern kann.[1][2]

Um den Herausforderungen erfolgreich zu begegnen, können Betriebe und Organisationen Maßnahmen und Praktiken implementieren, die darauf abzielen, die Motivation, Gesundheit und Produktivität älterer Beschäftigter zu erhalten und zu fördern. Der wissenschaftlich validierte Later Life Workplace Index fasst die dafür relevanten betrieblichen Faktoren in einem Modell mit einem zugehörigen Fragebogen zusammen.

Der Later Life Workplace Index

Der LLWI differenziert organisationale Maßnahmen für ältere Beschäftigte in neun thematische Dimensionen, die in Abbildung 1 dargestellt sind. Zu diesen neun Dimensionen zählen: Organisationsklima, Führung, Arbeitsgestaltung, Gesundheitsmanagement, persönliche Entwicklung, Wissensmanagement, Übergang in den Ruhestand, Weiterbeschäftigung im Renteneintritt sowie Versicherungen und Vorsorge.[3]

Abbildung 1: Dimensionalität des Later Life Workplace Index | © Deller, Wöhrmann, Wilckens, & Finsel, Leuphana Universität Lüneburg, 2019
Abbildung 1: Dimensionalität des Later Life Workplace Index ©Deller, Wöhrmann, Wilckens, & Finsel, Leuphana Universität Lüneburg, 2019

Das Modell basiert auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen aus mehreren Studien, in denen qualitative und quantitative Daten aus Deutschland und den USA erhoben und ausgewertet wurden.[4][5][6] Die Durchführung der Studien erfolgte dabei in enger Zusammenarbeit mit Praktikerinnen und Praktikern, unter anderem aus dem Goinger Kreis.

Basierend auf dem theoretischen Modell wurde ein Fragebogen in deutscher und englischer Sprache zur Anwendung in deutschen und amerikanischen Organisationen entwickelt und wissenschaftlich validiert.[7][8] Der Fragebogen erfasst die neun Dimensionen auf gesamtbetrieblicher Ebene mit 80 Fragen.

Eine internationale Forschungsgruppe mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus mehr als 20 Ländern arbeitet derzeit an der Validierung weiterer Sprachversionen, beispielsweise für Brasilien, Dänemark, Italien, Japan und Polen.[9] Darüber hinaus hat die Forschungsgruppe eine Kurzform des Fragebogens (LLWI-SF) mit nur 29 Fragen entwickelt. Diese ermöglicht eine schnellere Einschätzung der betrieblichen Situation. Allerdings wird sie aufgrund des geringeren Detailgrades vorrangig zur initialen Standortbestimmung von Organisationen empfohlen.

Die Ausprägung der Dimensionen in der Praxis

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie haben zwischen 2018 und 2021 mehr als 100 Organisationen in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz den LLWI angewendet. Die Ergebnisse dieser Studie sind in Abbildung 2 dargestellt. Befragt wurden Organisationen aus allen Branchen ab einer Organisationsgröße von 30 Beschäftigten.

Abbildung 2: Ergebnisse der „Later Life Workplace Index“-Studie. Vergleichsmaßstab aus 102 Organisationen mit 1.494 Befragten. Standorte wurden einzeln befragt (N = 128). | © Finsel, Wöhrmann, & Deller, Leuphana Universität Lüneburg, 2024
Abbildung 2: Ergebnisse der „Later Life Workplace Index“-Studie. Vergleichsmaßstab aus 102 Organisationen mit 1.494 Befragten. Standorte wurden einzeln befragt (N = 128). ©Finsel, Wöhrmann, & Deller, Leuphana Universität Lüneburg, 2024

Die Ergebnisse zeigen, dass das Organisationsklima und die Führungskultur in vielen Organisationen bereits als recht alter(n)sfreundlich wahrgenommen werden. Die „klassischen“ Personalthemen Arbeitsgestaltung, Gesundheitsmanagement, persönliche Entwicklung und Wissensmanagement schneiden durchschnittlich ab. Auch die (Weiter-)Beschäftigungsmöglichkeiten im Rentenalter sind durchschnittlich gut bewertet. Nachholbedarf zeigt sich insbesondere im Themenbereich Übergang in den Ruhestand. Diese Dimension umfasst die notwendigen Planungen, Vereinbarungen und Vorbereitungen für alle Beschäftigten, die kurz vor dem Ruhestand stehen oder in diesen eintreten. Hierzu gehören eine frühzeitige Übergangsplanung, individuelle Übergangslösungen in Bezug auf die Arbeitszeit, die Beratung zur Vorbereitung auf das Leben im Ruhestand sowie die kontinuierliche Kontaktpflege zu ehemalig beschäftigten Ruheständlerinnen und Ruheständlern. Im Themenbereich Versicherungen und Vorsorge zeigen sich deutliche Branchenunterschiede. Diese Dimension umfasst zum einen Maßnahmen, die darauf abzielen, ältere Beschäftigte bei der individuellen Planung ihrer Altersvorsorge und ihres Versicherungsschutzes zu beraten. Zum anderen zählen hierzu auch direkte finanzielle Zuwendungen in diesen Bereichen. Organisationen aus der Privatwirtschaft schneiden in Bezug auf solche Maßnahmen besser ab als Organisationen aus der öffentlichen Verwaltung, da sie weniger Restriktionen und somit mehr Umsetzungsmöglichkeiten haben.

Den LLWI in der Praxis nutzen

Organisationen können den LLWI nutzen, um ihre Stärken und Schwächen im Umgang mit alternden Belegschaften zu identifizieren. Der Fragebogen kann von älteren Beschäftigten, Führungskräften oder Personalverantwortlichen ausgefüllt werden. Die deutsche Forschergruppe empfiehlt, in kleineren Organisationen (bis 500 Beschäftigte) mindestens zwei und in größeren Organisationen (ab 500 Beschäftigten) mindestens fünf ältere Beschäftigte und deren zugehörige Führungskräfte sowie eine Person aus dem Personalbereich zu befragen.

Um Organisationen bei der Anwendung des Fragebogens zu unterstützen, hat die Forschergruppe ein Praxishandbuch entwickelt. Dieses enthält detaillierte Durchführungs- und Auswertungshinweise. Darüber hinaus stellt das Handbuch auch konkrete Handlungsempfehlungen entlang der neun LLWI-Dimensionen vor. Es soll Organisationen bei der Evaluation potenziell geeigneter Maßnahmen unterstützen. Das Praxishandbuch wird demnächst kostenlos auf der Website der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erhältlich sein.

Fallbeispiel: Gewünschtes Ruhestandsalter in Seniorenresidenzen

Eine der mehr als 100 Organisationen, mit denen der LLWI entwickelt und validiert wurde, ist ein gemeinnütziges Sozialunternehmen mit Sitz in Süddeutschland. Es betreibt eine zweistellige Anzahl von Seniorenresidenzen, schwerpunktmäßig im Süden Deutschlands. Für die Organisation arbeiten mehr als 2.500 Personen, die gut 3.000 Bewohnerinnen und Bewohner betreuen.

Im Rahmen der Zusammenarbeit der Organisation mit dem Forschungsteam interessierte beide Seiten insbesondere das Themenfeld um den Ruhestandseintritt. Sowohl im Jahr 2023 als auch 2024 beteiligten sich jeweils rund 550 Personen an einer Mitarbeiterbefragung. Beide Befragungen ergaben als Ergebnis ein erwartetes voraussichtliches Ruhestandsalter von 66 Jahren. Im Jahr 2023 wurde im Rahmen der LLWI-Validierung zusätzlich nach dem gewünschten Ruhestandsalter gefragt, allerdings unabhängig von den in einer solchen Situation meist typischen Rentenabschlägen. Dieses gewünschte Renteneintrittsalter belief sich auf gut 61,5 Jahre. Die Differenz beträgt demnach rund 4,5 Jahre. Der Wunschruhestand sollte also im Idealfall aus Sicht der Beschäftigten einige Jahre früher stattfinden. Diese Fragestellung wurde anschließend nach Altersgruppen der Beschäftigten ausgewertet. Hier zeigte sich, dass sich die Differenz zwischen beiden Werten (geplantes und bevorzugtes Renteneintrittsalter) mit zunehmendem Alter verringert. So planen Personen unter 30 Jahren (N = 52) ihren Renteneintritt mit 67 Jahren, während sie sich wünschen, mit 58 Jahren (N = 53) in die Rente eintreten zu können. 60 bis 64 Jahre alte Personen nennen hingegen 65,4 Jahre (N = 73) als geplantes Renteneintrittsalter und 63,6 Jahre (N = 70) als gewünschtes Renteneintrittsalter ohne Abschläge. Das geplante Renteneintrittsalter bleibt über die Altersgruppen ähnlich, das gewünschte steigt jedoch über die Altersgruppen hinweg von 58 auf 63 Jahre stetig an. Die kleine (N = 9) älteste beschäftigte Altersgruppe von 65 Jahren und älter nennt als geplantes Renteneintrittsalter 68,3 Jahre, als gewünschtes 67,6 Jahre. Je näher der Ruhestand rückt, desto mehr wünschen sich die Beschäftigten, länger in den Arbeitsprozess eingebunden zu sein.

Die Organisation und das Forschungsteam interessierten sich ebenfalls für das Interesse an einer Tätigkeit im Rentenalter. Auch bei den 536 Antworten auf diese Frage lässt sich eine Tendenz ablesen: Nennen von den Jüngeren unter 30 Jahren (N = 60) 38 Prozent Interesse, sind dies bei den 60- bis 64-Jährigen drei von vier Beschäftigte (76,5 Prozent, N = 72), bei den 65 Jahre und älteren gar 90 Prozent (N = 20). Auch hier gilt die gleiche Regel: Je älter die Beschäftigten sind, desto höher ist das Interesse an einer Weiterbeschäftigung im Ruhestandsalter.

Gilt dies nun für alle Tätigkeiten in der Organisation? Auch dieser Frage sind Forschungsteam und Organisation nachgegangen. Geantwortet haben 494 Personen auf die Frage nach dem persönlichen Interesse an einer Tätigkeit für den Arbeitgeber im Rentenalter. Erstes interessantes Ergebnis: Ob Küche, Hauswirtschaft, Pflege, medizinisches Personal oder Verwaltung – mindestens jede zweite Person hat Interesse an einer Fortsetzung der Beschäftigung im Rentenalter. Spitzenreiter ist die Haustechnik mit 85 Prozent (N = 20), gefolgt von der Verwaltung mit 68 Prozent (N = 131) und der ambulanten Pflege mit 66 Prozent (N = 100). Auch im Bereich der stationären Pflege liegt das Interesse an einer Tätigkeit im Rentenalter bei gut 52 Prozent (N = 78).

Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser Befragung zunächst eine realistische Sicht der Belegschaft auf das voraussichtliche Renteneintrittsalter. Bemerkenswert ist zudem ein substanzielles Interesse an der Fortsetzung der Einbindung in den Arbeitsprozess auch im Rentenalter. Arbeit in der Rente kann sich in dem Sozialunternehmen grundsätzlich mehr als die Hälfte aller befragten Personen in allen Tätigkeitsgruppen vorstellen. Dies gilt insbesondere für Verwaltungs-, aber auch für Pflegekräfte. Arbeit hat eine besondere Bedeutung für Beschäftigte: Kontakte mit Bewohnerinnen und Bewohnern sowie Kolleginnen und Kollegen, die erlebte Sinnhaftigkeit der Arbeit oder auch ein geregelter Tagesablauf spielen hierbei eine Rolle. Wie eine solche Weiterbeschäftigung gestaltet werden kann, beschreibt der LLWI detailliert. Gefordert sind personalpolitische Instrumente, eine frühzeitig angestoßene Planung des Übergangs in den Ruhestand und die Kenntnis der Gestaltungsoptionen von Arbeit im Ruhestand sowie insbesondere das aktive Handeln von Führungskräften. Diese können im persönlichen Gespräch die Wichtigkeit und auch individuelle Bedeutung eines verlängerten Einsatzes verdeutlichen.