Blended Learning im Praxistest

Mit dem berufsbegleitenden Studiengang "Master of Public Management" wurde erstmals ein Blended-Learning-Format in enger Verzahnung mit den Unfallversicherungsträgern entwickelt – seit einem Jahr wird er im "Praxistest" erprobt. Um den Aufbau dieses Blended-Learning-Formats, die damit einhergehenden Anforderungen und erste Umsetzungserfahrungen wird es in diesem Beitrag gehen.

Blended-Learning-Konzept

Ziel des Masterstudiums Master of Public Management Sozialversicherung ist es, Absolventinnen und Absolventen für die Übernahme von Fach- und Führungsaufgaben in höheren Funktionen der Sozialversicherungsträger zu qualifizieren. Im Format eines nicht konsekutiven, weiterbildenden Studiengangs stehen dabei insbesondere übergeordnete Fach- und Führungsaufgaben im Zentrum der Qualifikation. Die Konzeption des Studiengangs zeichnet sich dadurch aus, neben Fach- und Methodenkompetenzen soziale Kompetenzen sowie Selbstkompetenzen in den Mittelpunkt zu stellen. Die Studierenden sollen am Ende ihres Studiums in der Lage sein, komplexe Verwaltungsaufgaben selbstständig wahrzunehmen, zu steuern und zu bewältigen sowie innovative Entscheidungs- und Problemlösungswege herbeizuführen. Durch die berufsbegleitende Konzeption des Masterstudiengangs können die Studierenden die neu erworbenen Kompetenzen unmittelbar in der eigenen beruflichen Praxis anwenden. Die Modulbeschreibungen folgen mit kompetenzorientierten Lernergebnisbeschreibungen ("Learning Outcomes") einer zeitgemäßen curricularen Strukturierung. Dafür werden neben den Lerninhalten Kompetenzen definiert, die erworben werden sollen, wobei "Kompetenz […] als Befähigung zu definieren ist, in Anforderungsbereichen, die durch hohe Komplexität, Neuartigkeit bzw. Unbestimmtheit und hohe Ansprüche an die Lösungsqualität gekennzeichnet sind, angemessen, verantwortlich und erfolgreich zu handeln."[1]

Blended Learning [2]

  • Kennzeichen ist, dass ein wesentlicher Teil von Präsenzveranstaltungen durch Online-Elemente ersetzt wird, die integraler Bestandteil der Gesamtkonzeption sind.
  • Als integrales Konzept umfasst Blended Learning Veranstaltungsformen, in denen Präsenz- und Distanzanteile spezifische, aufeinander abgestimmte Aufgaben übernehmen.
  • Durch die Verknüpfung und Verzahnung verschiedener Lehr- und Lernformen, Medien und Methoden in einem umfassenden Lehr- und Lernsetting soll ein optimales Lernergebnis erreicht werden.

Das Masterstudium ist als berufsbegleitender Studiengang im Blended-Learning-Format mit begleiteten Selbststudienzeiten, Webinaren und Online-Vorlesungen sowie Präsenzzeiten konzipiert. Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung eines solchen Studiengangs ist ein Lehr-Lernkonzept, das auf die besonderen Bedürfnisse sowohl derjenigen, die berufsbegleitend studieren, als auch der Praxis bei den Sozialversicherungsträgern (und damit verbundenen Abwesenheitszeiten) zugeschnitten ist. Der Masterstudiengang Master of Public Management Sozialversicherung greift diese Herausforderung durch die Kombination von begleiteten Selbstlernphasen, Online-Veranstaltungen und kurzen Präsenzzeiten auf. Jedes der insgesamt 38 Modulteile folgt einem einheitlichen Ablaufschema und damit einer entsprechenden Verzahnung von synchronen Präsenz- und Webinarzeiten mit asynchronen begleiteten Selbstlernphasen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 1: Innermodularer Ablauf der Studienphasen im Blended-Learning-Format | © eigene Darstellung
Abbildung 1: Innermodularer Ablauf der Studienphasen im Blended-Learning-Format ©eigene Darstellung

In den Selbstlernphasen lernen die Studierenden unabhängig von Zeit und Ort. Sie werden durch ein Online-Angebot und durch die Betreuung von Modulkoordinierenden und Modullehrenden begleitet. Den Studierenden wird dadurch auch ermöglicht, große Teile ihres Studiums möglichst flexibel zu gestalten sowie berufliche und familiäre Vereinbarkeit zu gewährleisten.

Als Lehr- und Lernformen sind im Masterstudiengang unterschiedliche hochschultypische Lehr- und Lernformate (Vorlesung, Übung und Seminar) vorgesehen. Im Rahmen dieser Formate finden unterschiedliche Lehr- und Lernformen statt, die sich beispielsweise durch verschiedene wissenschaftliche Disziplinen in den Modulen unterscheiden. Die folgende Tabelle gibt einen Einblick in die verschiedenen im Studiengang eingesetzten Lehr- und Lernformen sowie die Zeitanteile der entsprechenden Studienphasen.

Tabelle 1: Überblick über die Studienphasen, deren Zeitanteile sowie Lehr- und Lernformen  | © Quelle: eigene Darstellung
Tabelle 1: Überblick über die Studienphasen, deren Zeitanteile sowie Lehr- und Lernformen ©Quelle: eigene Darstellung

Für die Bereitstellung aller Informationen und Materialien, aber auch für die Kommunikation und Kollaboration im Studiengang stellt die Lernplattform ILIAS die wesentliche Säule des Lehr-Lern-Konzeptes dar. Sie ermöglicht den Lernenden, jederzeit und von überall auf alle relevanten Informationen und Inhalte des Studiums zuzugreifen und Kontakt mit Modulverantwortlichen, Hochschullehrenden und anderen Studierenden zu halten. Über die Lernplattform haben die Studierenden auch die Möglichkeit, Prüfungsleistungen einzureichen.

Erfolgsfaktoren aus Sicht der Lernenden

Im Rahmen der Erprobung des Studiengangs erfolgt eine regelmäßige Evaluation von einzelnen Modulteilen, Modulen und Semesterabschnitten. Nach der ersten Semesterevaluation im Januar 2022 fand darüber hinaus ein Online-Workshop zur Diskussion von Handlungserfordernissen aus Studierenden- und Trägersicht statt. Neben 40 Studierenden des Jahrgangs 2021 nahmen neun Vertreterinnen und Vertreter aus den Personalentwicklungen der Unfallversicherungsträger teil. Sowohl an den Evaluationsergebnissen als auch aus den Workshopdiskussionen lassen sich wichtige Erfolgsfaktoren für die weitere Verstetigung des berufsbegleitenden Blended-Learning-Formats ableiten.

1. Planbarkeit und Planungssicherheit

Wie für viele berufsbegleitende Bildungsgänge stellt sich insbesondere der Aspekt der Planbarkeit und Planungssicherheit jedweder Aufgaben als Erfolgsfaktor für die Lernenden heraus. Das wird beispielsweise erreicht, wenn 

  • Studien- und Stundenpläne frühzeitig kommuniziert werden,
  • Aufgaben für alle Selbstlernphasen zum Modulbeginn zur Verfügung stehen (um damit mehr Flexibilität zu schaffen, wann was durchgearbeitet wird),
  • ein Zeitplan mit allen To-dos des Modulteils als Standard in jedem Modulteil etabliert wird,
  • Pflicht- und Wahlaufgaben für die Selbstlernphasen kenntlich gemacht werden,
  • Prüfungsleistungen und Anforderungen frühzeitig klar definiert sind.

2. Verteilung der Arbeitsbelastung und Abstimmungsprozesse in der Hochschule

Jeder und jede Lehrende erarbeitet im „Normalfall“ bestimmte Wissenselemente mit den Studierenden und stellt in den Lehrveranstaltungen bestimmte Aufgaben. Blended Learning und das berufsbegleitende Studienformat erfordern hier wesentlich größere Abstimmungsbemühungen zwischen den Lehrenden hinsichtlich:

  • Koordination von Aufgaben und damit verbundenen Abgabeterminen zwischen den Lehrenden, sodass sich Arbeitsbelastungen ausgewogen verteilen
  • Einplanen von Zeiten für die Organisation von Gruppenaufgaben im Workload
  • konsequente Einhaltung von Workloads und Transparenz von Workloads für die Studierenden

3. Gestaltung von Präsenzzeiten

Anders als in traditionellen Präsenzstudiengängen stellt der Präsenzanteil in einem Blended-Learning-Format, wie eingangs aufgezeigt, ein rares Gut im Verhältnis zur Gesamtzeit des Studiums dar. Hier gilt es, insbesondere aus Sicht der Studierenden, die Präsenzphasen gut nutzbar zu machen für:

  • die stärkere Integration von Diskussions- und Austauschformaten
  • gegebenenfalls Reduktion von Wissensvermittlung in der Präsenz zugunsten von Tiefe in einzelnen Themenfeldern oder Diskussionszeiten in der Gruppe
  • eine verträgliche Pausen- sowie begrenzte Anfangs- und Endzeitgestaltung

4. Kompetenzentwicklung ganzheitlich denken

In diesem Kontext wird gerade als Erfolgsfaktor für die Motivation der Studierenden angesehen, dass sie die Möglichkeit erhalten, ausgehend von dem eigenen Kompetenzniveau ihr eigenes Kompetenzerleben und den -fortschritt auch entsprechend analysieren und reflektieren zu können. Wildt umschreibt das als die Aufgabe, "Lehre durch Lernen, 'neu zu durchdenken' und unter dem Prinzip der Lernförderlichkeit zu gestalten" [3]. Seitens der Studierenden werden dafür konkrete Vorschläge genannt:

  • Kompetenztests den Modulen vor- oder zwischenschalten (Was muss ich von den Selbstlernaufgaben in welcher Intensität machen oder was weiß ich schon?)
  • Flexibilisierung des Lernens durch mehr Wahloptionen ermöglichen
  • Einplanen von schnelleren Rückmeldungen auf Portfolio- und Selbstlernaufgaben seitens der Lehrenden
  • Stärkere Integration von Aufgaben zur Selbstkontrolle und individuelle Feedbacks

Veränderte Anforderungen an Lehrende und Hochschule

Hochschullehrende stehen nicht zuletzt in diesen aufgezeigten Formaten aktueller denn je vor der Aufgabe, zeitgemäße und zukunftsfähige kompetenzorientierte Bildungsprozesse zu gestalten.[4]  

Blicken wir auf die Lernenden, so ist in weiterbildenden Studiengängen wie beispielsweise im Master of Public Management die Heterogenität der Lernerfahrungen aufgrund unterschiedlicher beruflicher und akademischer Vorerfahrungen besonders stark ausgeprägt. Demzufolge ergeben sich besondere Ansprüche an Lehr-Lern-Settings. Je heterogener die Zielgruppe ist, desto mehr sind Lehrende gefordert, auf die unterschiedlichen Lernbedürfnisse einzugehen, um möglichst allen Studierenden gleichermaßen erfolgreiche Lernerfahrungen zu ermöglichen. Das illustrieren die vorstehend aus Sicht der Studierenden genannten Erfolgsfaktoren und Handlungsempfehlungen ganz praktisch. Die Frage nach den Studierenden – die Perspektive der Lernenden – gewinnt vor dem Hintergrund hochschulpolitischer und gesellschaftlicher Entwicklungen zusätzlich an Bedeutung.[5]

Neben der Heterogenität erfordert die Erprobung eines Blended-Learning-Formats die Wahrnehmung vieler komplexer neuer Aufgabenbündel von den Lehrenden, wie sie beispielsweise an der DGUV Hochschule (HGU) im Rahmen einer Qualifizierungsmaßnahme wie folgt diskutiert (Abbildung 2 oben) und erarbeitet wurden (Abbildung 2 unten).

Abbildung 2: Aufgabenfelder in Blended-Learning-Szenarien (Qualifizierung „Digitale Lernprozessbegleitung und Blended-Learning-Konzeption“, Fotoprotokoll vom 21.02.2020, S. 29 f.) | © Auszug internes Fotoprotokoll aus der Qualifizierung „Digitale Lernprozessbegleitung und Blended-Learning-Konzeption“ vom 21.02.2020, S. 29 f.
Abbildung 2: Aufgabenfelder in Blended-Learning-Szenarien (Qualifizierung „Digitale Lernprozessbegleitung und Blended-Learning-Konzeption“, Fotoprotokoll vom 21.02.2020, S. 29 f.) ©Auszug internes Fotoprotokoll aus der Qualifizierung „Digitale Lernprozessbegleitung und Blended-Learning-Konzeption“ vom 21.02.2020, S. 29 f.

Blended-Learning-Formate bringen ein verändertes Grundverständnis des Lehrens und Lernens in die Hochschule und wälzen in der Folge die Herangehensweise an Lehren und Lernen grundlegend um. Lehrende benötigen neue umfassende Kompetenzen medienvermittelten Lehrens und Lernens sowie Kenntnisse aktivierender didaktischer Designs digitaler Bildung.

Aus Sicht eines Professionalisierungsprozesses und einer Professionalitätsentwicklung der Lehrenden und der beteiligten Bereiche ist es lehrenden- und hochschulseitig gelungen, ein neues Bildungskonzept zu etablieren. Hier arbeitet die HGU gemeinsam mit allen Lehrenden im Masterstudiengang daran, zum einen die eigenen Formate weiterzuentwickeln, zum anderen über die Umsetzung in den einzelnen Modulteilen zu reflektieren. Als eine Art studienbegleitendes "Lehrenden-Austausch-Format" entwickelte sich auf Wunsch der Lehrenden ein regelmäßig monatlich oder zweimonatlich stattfindender Erfahrungsaustausch. In enger Zusammenarbeit mit den Bereichen Wissensmanagement und E-Learning, Prüfungsamt und Qualitätsbeauftragten werden aktuelle Themenfelder der digitalen und digital unterstützten Lehr- und Lernformate aus dem Master of Public Management eruiert.

Grundlegende didaktische Neukonzeptionen von ganzheitlichen Lehr- und Lernformaten erfordern aber gleichsam eine ganzheitliche Einbindung und Weiterentwicklung aller beteiligten Hochschulstrukturen. Die Einführung und Umsetzung eines Blended-Learning-Formats ist kein Selbstläufer, sondern braucht die Gestaltung vielseitiger Weichenstellungen, beispielsweise:

  • veränderte Planungsprozesse
  • veränderte didaktische Sequenzierungsprozesse
  • neue Schwerpunkte in Medienentwicklung und -gestaltung
  • Ausbau der technischen Infrastrukturen und entsprechende Begleitkonzepte zu Implementationen für alle Beteiligten
  • dauerhafte Supportstrukturen und -prozesse für ebendies

Hier steht die HGU nach dem ersten Jahr Pilotierung des Masters eher am Anfang, denn es ist deutlicher denn je, dass neben Lehr- und Lernformaten im Rahmen einer strategischen Hochschulentwicklung die Ausstattungen und Supportstrukturen für Lehrende, Studierende und Hochschulverwaltung ausgebaut werden müssen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Blended-Learning-Formate viel Entwicklungspotenzial in der HGU haben. Gleichwohl zeigt die Erfahrung aus der Pilotphase, dass sich nicht jeder Inhalt und jede Kompetenzfacette uneingeschränkt in Online-Vorlesungen/Webinaren oder in Selbstlernarchitekturen abbilden lässt. Es braucht eine sehr gut ausgerichtete kompetenz- und lernzielorientierte Didaktik, mit der jeweils Ziel und Inhalt gut auf die jeweilige Studienphase abgestimmt werden. Wichtig ist darüber hinaus, dass der Einsatz digitaler Medien und Online-Formate einen Mehrwert entfalten muss, der für Lehrende und Lernende transparent ist, zum Lernen (und Lehren) einlädt und dauerhaft zum Lernen in Settings mit hoher Eigenverantwortung motiviert. Zusätzlich braucht es DGUV-seitig bereichsübergreifende Ansätze, um gute Rahmenbedingungen, Anreize und ausgefeilte Infrastrukturen zu schaffen. Wichtig sind Unterstützungsprozesse auf allen Seiten, um Motivation und Kompetenz für die Entwicklung entsprechender didaktischer Konzepte weiter zu stärken, weiterzuentwickeln und diese professionell umzusetzen.