Bei der Chemikalienstrategie steckt der Teufel im Detail

Die Europäische Kommission hat sich in Zeiten des Klimawandels ein ehrgeiziges, aber durchaus begrüßenswertes Ziel gesteckt. Im Zuge des „Green Deal“ soll die EU bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Neben weiteren Initiativen zum Umweltschutz hat die Europäische Kommission eine Chemikalienstrategie entwickelt. Mit dieser sollen sichere, nachhaltige Chemikalien gefördert und Menschen sowie Umwelt vor gefährlichen Chemikalien geschützt werden. Um dies zu erreichen, hat die Europäische Kommission bereits einzelne Rechtsetzungsinitiativen veröffentlicht. Weitere Regelungen, wie zum Beispiel die Überarbeitung der REACH-Verordnung, sind in Arbeit und werden in den kommenden Wochen veröffentlicht.

Hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz sind die Überlegungen der Europäischen Kommission auf den ersten Blick durchaus ein Gewinn, denn auch der Arbeitsschutz für Personen, die mit Chemikalien in Berührung kommen, soll gestärkt werden. Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail. Schaut man sich die Vorhaben der Europäischen Kommission genauer an, wird klar, wie weitreichend die Folgen wären. Beispielhaft steht hierfür der Wunsch der Europäischen Kommission, den sogenannten risikobasierten Ansatz bei der Arbeit mit Chemikalien für gewerblich Beschäftigte zu streichen. Werden die in der Chemikalienstrategie angekündigten Maßnahmen so umgesetzt wie geplant, wären zahlreiche Tätigkeiten für gewerblich Beschäftigte nicht mehr möglich.

Schauen wir uns hierzu den Status quo an: Aktuell gilt für Verbraucherinnen und Verbraucher zu Recht ein äußerst strenger Schutz vor gefährlichen Substanzen. Für gewerblich und industriell Beschäftigte, die zum Beispiel mit chemischen Stoffen arbeiten, gelten andere Regeln. Dort besteht ein etablierter risikobasierter Ansatz. Dabei wird die Gefahr eines Stoffes im Zuge einer Risikobewertung mit der möglichen Exposition und den daraus entstehenden Folgen betrachtet. Auf der Grundlage des Bewertungsergebnisses werden Risikomanagementmaßnahmen ergriffen und Personen am Arbeitsplatz dementsprechend geschützt. So ist das sichere Arbeiten mit Chemikalien am Arbeitsplatz möglich.

Die Chemikalienstrategie sieht nun vor, dass künftig für gewerblich Beschäftigte die gleichen strengen Vorschriften für den Schutz vor Chemikalien gelten wie für Verbraucherinnen und Verbraucher. Demgegenüber soll das Schutzniveau für industriell Beschäftigte aber beibehalten werden. Dies würde zu einem Nebeneinander an Regelungen für industriell und gewerblich Beschäftigte führen. Zudem dürften gewerblich Beschäftigte nicht mehr mit potenziell krebserzeugenden oder anderen Stoffen vergleichbaren Risikos arbeiten.

Dies hätte weitreichende Auswirkungen: Im Gesundheitsbereich ist es beispielsweise üblich, Flächendesinfektionen mit formaldehydhaltigen Reinigungsmitteln durchzuführen und medizinische Instrumente sowie Infusionsschläuche mit Ethylenoxid zu sterilisieren. Beide Stoffe sind als krebserzeugend eingestuft. Bei der Arbeit mit formaldehydhaltigen Reinigungsmitteln gibt es aber einen Arbeitsplatzgrenzwert (AGW), der ein sicheres Arbeiten möglich macht. Bei der Sterilisation von medizinischen Instrumenten wird Ethylenoxid ausschließlich in geschlossenen Systemen angewendet. Nach der Chemikalienstrategie dürften diese beiden Stoffe künftig nicht mehr von gewerblich Beschäftigten bei ihrer Tätigkeit angewendet werden. Dies hätte gerade für kleine und mittelständische Unternehmen fatale Folgen.

Die Deutsche Sozialversicherung Europavertretung hat sich im Oktober 2022 hierzu in einer Stellungnahme geäußert und den politischen Akteurinnen und Akteuren Empfehlungen aufgezeigt. Siehe auch den Artikel „Die Chemikalienstrategie der EU“ in dieser Ausgabe.