Was lange währt … Brüssel schlägt Maßnahmen zur Plattformarbeit vor

Nachrichten aus Brüssel | © Adobe Stock/somartin
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Schon zu Beginn ihrer Amtszeit hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen versprochen zu „prüfen, wie die Arbeitsbedingungen von Beschäftigten auf Online-Plattformen verbessert werden können“. Kurz vor Jahresende war es dann so weit: Mit der Veröffentlichung eines Maßnahmenpakets zur Plattformbeschäftigung ist Brüssel dieser Zusage nachgekommen. Im Mittelpunkt der Initiative stehen der Schutz und die Rechte von Erwerbstätigen auf Plattformen. Dies ist vor allem mit Blick auf die rasante Entwicklung dieser insbesondere durch den digitalen Wandel und die COVID-19-Pandemie beförderten Arbeitsform ein Schritt in die richtige Richtung. Denn der sozialrechtliche Status der auf Plattformen beschäftigten Menschen war und ist oftmals nicht eindeutig und tendiert zum Prekären.

Ein für die Sozialversicherung wesentlicher Bestandteil des Maßnahmenpakets ist ein „Gesetzesentwurf“ zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit.[1] Er greift unter anderem die in der Praxis oft diskutierte Problematik des Beschäftigungsstatus von Plattformbeschäftigten auf. Basierend auf Entscheidungen sowohl nationaler Gerichte als auch des Europäischen Gerichtshofs soll dieser Status künftig anhand einer Kriterienliste festgestellt werden. Dass diese Kriterien tatsächlich vorliegen, muss jedoch nicht der oder die Plattformbeschäftigte beweisen. Vielmehr soll künftig vermutet werden, dass bei Vorliegen von nur zwei Kriterien aus der Liste die Plattform als Arbeitgeber agiert und Plattformbeschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind. Dadurch können sie schneller und einfacher von den für Beschäftigte geltenden sozialrechtlichen Regeln profitieren. Das sind zum Beispiel die Regelungen zur Arbeitszeit, zur Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, das Recht auf bezahlten Urlaub oder verbesserten Zugang zum Schutz vor Arbeitsunfällen sowie Ansprüche auf Arbeitslosen- und Krankengeld. Diese Regelung dürften auch die Europaabgeordneten begrüßen, denn auch sie hatten in ihrer Entschließung von September 2021 eine entsprechende Beweislastumkehr gefordert.

Regulieren möchte die Europäische Kommission auch die Nutzung von Algorithmen durch digitale Arbeitsplattformen. Dazu gehören zum Beispiel Algorithmen zur elektronischen Kontrolle, Überwachung oder Bewertung der Arbeitsleistung der Plattformbeschäftigten. Auch automatisierte Entscheidungssysteme, die genutzt werden, um Entscheidungen zu treffen oder zu unterstützen, sind hier betroffen. Dadurch sollen eine erhöhte Transparenz bei deren Anwendung und das Recht der Beschäftigten, automatisierte Entscheidungen anzufechten, sichergestellt werden. Dies soll unabhängig vom Beschäftigtenstatus für alle Plattformbeschäftigten gelten.

Auch werden die bestehenden Verpflichtungen zur Meldung von Beschäftigung bei den nationalen Behörden präzisiert, sicherlich auch ein Instrument, das der Sozialversicherung zugutekommen könnte.

Es bleibt abzuwarten, ob die von der Europäischen Kommission vertretenen – doch recht mutigen – Maßnahmen auch in die Praxis umgesetzt werden. Die Vorschläge müssen zunächst vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten (Rat) erörtert werden. Mit einer starken Unterstützung des Parlaments und einiger Mitgliedstaaten im Rat ist zweifelsfrei zu rechnen, jedoch wird die vorgeschlagene Richtlinie von Plattformunternehmen wie erwartet abgelehnt. Wie sich gezeigt hat, entwickelt sich das Geschäftsmodell der Plattformökonomie rasant und in oft unerwartete Richtungen. Bis zum Inkrafttreten des Richtlinienvorschlags haben die Plattformen daher noch viel Zeit, um innovative Wege zur Umgehung des Gesetzes zu finden.

Die deutsche Sozialversicherung wird sich an der Debatte auf europäischer Ebene beteiligen und sich dafür einsetzen, dass Plattformbeschäftigte über das gleiche Maß an sozialem Schutz verfügen wie nicht auf Plattformen beschäftigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit vergleichbaren Tätigkeitsfeldern.