Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser,
vielleicht haben Sie es auch schon bemerkt. Hier und da hat sich etwas verändert auf den Balkonen und in den Gärten. Man entdeckt üppig grünende Cannabispflanzen, leicht erkennbar an den markant gefächerten Blättern. Nach dem neuen Cannabisgesetz ist das kein Problem, drei Pflanzen für den Eigenbedarf dürfen alle, die möchten, privat anbauen.
Hört sich unkompliziert an, ist es aber leider nicht. Das Gesetz lässt Fragen offen. Wie gehen wir beispielsweise künftig mit Personen um, die Cannabis konsumiert haben und danach am Straßenverkehr teilnehmen oder zur Arbeit gehen und eine Maschine führen? Lässt sich klar bestimmen, ab wann der Konsum zu kognitiven Beeinträchtigungen führt?
Die gesetzliche Unfallversicherung hat dazu eine klare Position, die ihrem Präventionsauftrag entspricht: „NULL Alkohol und NULL Cannabis bei Arbeit und Bildung“.
Grundlage dafür ist die DGUV Vorschrift 1. Sie besagt, dass Versicherte sich und andere bei der Arbeit nicht durch den Konsum von berauschenden Mitteln gefährden dürfen. Gleichzeitig dürfen Führungskräfte Beschäftigte, die erkennbar berauscht sind, nicht weiterarbeiten lassen. Gefahrenabwehr ist also das oberste Gebot.
Ungeachtet dessen wird die Praxis Fragen aufwerfen. Wir plädieren deshalb dafür, die Entkriminalisierung von Cannabis mit Forschungsprojekten zu verbinden, um die Frage beantworten zu können: Unter welchen Bedingungen führt der Konsum von Cannabis zu einer Beeinträchtigung des Reaktionsvermögens und damit zu einer potenziellen Gefährdung? Für den Bereich des Straßenverkehrs wurde jüngst ein THC-Grenzwert von 3,5 Nanogramm pro Milliliter Blutserum festgelegt. Das ist zumindest ein Anhaltspunkt.
Die hübschen Pflanzen auf dem Balkon sollten aus meiner Sicht nicht dazu führen, das Wirkungsspektrum von Cannabis zu verharmlosen. Die Aufklärung über mögliche Risiken für Sicherheit und Gesundheit ist weiterhin notwendig.
Ihr
Dr. Stefan Hussy
Hauptgeschäftsführer der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung