Unternehmen reagieren auf die Risiken des Klimawandels

Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz aus. Wie schätzen Fachleute aktuell die Situation in den Betrieben ein? Sind die Folgen des Klimawandels bereits spürbar und wo sehen sie die größten Herausforderungen? Eine Befragung von Fachkräften für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und -ärzten liefert Antworten.

Die Klimakrise hat sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Arbeitswelt. Welche Risikofaktoren mit welchen gesundheitlichen Auswirkungen einhergehen, hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) 2022 in ihrem Bericht „Klima und Arbeitsschutz“ übersichtlich zusammengefasst.[1] Betrachtet wurden dabei die Faktoren Hitze, solare UV-Strahlung, Infektionskrankheiten sowie pflanzliche und tierische Allergene und Toxine. Auch Extremwetterereignisse sind exemplarisch dargestellt. Weiterhin ist die Verknüpfung von bestimmten Faktoren, wie Hitze kombiniert mit Luftverschmutzung, eine Herausforderung und kann zu Allergien, Atemwegserkrankungen und Krebs führen. Nachgewiesen ist auch, dass sich der Klimawandel und damit einhergehende Veränderungen über verschiedene Mechanismen auf die Psyche der Menschen auswirken.[2] Sie verursachen Stress, Depressionen und Angstzustände, belasten soziale und gesellschaftliche Beziehungen und stehen in Zusammenhang mit einem Anstieg von Aggression, Gewalt und Kriminalität.

Und nicht nur die Gesundheit und das Wohlbefinden werden beeinflusst, sondern auch die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Allein durch Hitze hatte Deutschland im Jahr 2022 einen Verlust von 34 Millionen Arbeitsstunden zu verzeichnen.[3][4] Laut DAK-Gesundheitsreport[5]erleben zwei Drittel der Erwerbstätigen ihre Leistungsfähigkeit bei Hitze als eingeschränkt. Für Unternehmen kann dies mit Produktivitätsverlusten, aber auch mit Fehlern und Unfällen einhergehen. Eine Erhebung, die auf Daten aus der Schweiz fußt, kommt zu dem Ergebnis, dass an Hitzetagen mit über 30 Grad Celsius die Zahl der Arbeitsunfälle um 7,4 Prozent steigt.[6] Der Klimawandel ist damit auch ein Thema für den Arbeitsschutz sowie für Expertinnen und Experten, die Betriebe und Einrichtungen zu den Themen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit beraten. Die gesetzliche Unfallversicherung hat daher Betriebsärztinnen, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit gefragt: Sind die Auswirkungen des Klimawandels in den Unternehmen bereits spürbar? Wird in den Betrieben über Folgen des Klimawandels gesprochen und wird nach möglichen Lösungen für die damit verbundenen Herausforderungen gesucht?

Zu diesen Themen hat die DGUV über 400 Betriebsärztinnen und -ärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit befragt.

Angaben zur Befragung und zur Stichprobe

Die Befragung fand im Zeitraum vom 12. März 2024 bis 30. April 2024 statt und wurde mithilfe eines standardisierten Online-Fragebogens realisiert. Der Zugang zur Stichprobe wurde über die Berufsverbände, den Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) sowie über den Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit (VDSI), ermöglicht. Das Institut für Arbeit und Gesundheit der DGUV (IAG) hat die Umfrage durchgeführt und ausgewertet.

An der Befragung beteiligten sich insgesamt 418 Personen, davon waren 211 Fachkräfte für Arbeitssicherheit und 187 Betriebsärztinnen oder -ärzte (siehe Abbildung 1). Knapp die Hälfte betreut die Betriebe extern (50,1 Prozent extern versus 48,1 Prozent intern), wobei die befragten Betriebsärztinnen und -ärzte überwiegend extern betreuen (66 Prozent) und Fachkräfte für Arbeitssicherheit überwiegend intern (60 Prozent). An der Befragung beteiligten sich Fachleute, die überwiegend Betriebe mit 250 oder mehr Beschäftigten betreuen, knapp ein Viertel berät mittelgroße Betriebe (50 bis 249 Beschäftigte) und 14 Prozent eher Klein- und Kleinstbetriebe (1 bis 49 Beschäftigte). Weitere zehn Prozent betreuen sehr unterschiedlich große Betriebe. Mit rund 70 Prozent gibt die Mehrheit der Befragten an, dass in den von ihnen betreuten Betrieben die Beschäftigten überwiegend in Innenräumen tätig sind.

Bei den durch die Befragten betreuten Betriebe sind alle Branchen vertreten. Die Branche Elektro- und Metallerzeugnisse macht mit knapp 20 Prozent den größten Anteil aus, die öffentliche Verwaltung (13 Prozent) und das Gesundheits- und Sozialwesen (zwölf Prozent) sind ebenfalls stark vertreten.

Abbildung 1: Beschreibung der Stichprobe | © IAG / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: Beschreibung der Stichprobe ©IAG / Grafik: kleonstudio.com

Auswirkungen und Bewusstsein im Betrieb

Die Auswirkungen des Klimawandels sind nach Einschätzung der Fachleute für viele Betriebe relevant. Rund 38 Prozent stimmen der Aussage „überwiegend oder voll und ganz“ zu, dass sich der Klimawandel in den vergangenen Jahren auf die Arbeitsplätze und -tätigkeiten ausgewirkt hat, weitere 34 Prozent stimmen „eher zu“ (sechsstufige Antwortskala von „trifft voll und ganz zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“). Damit ergibt sich eine Zustimmung von insgesamt mehr als 70 Prozent zu dieser Aussage.

Etwas weniger Zustimmung gibt es bei der Fragestellung, ob sich die Betriebe mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Sicherheit und Gesundheit für die Beschäftigten auseinandersetzen. Hier stimmen insgesamt rund 60 Prozent der Befragten in unterschiedlichen Abstufungen zu. Fachleute, die mehrere Betriebe betreuen, sollten für diese Einschätzung einen Betrieb auswählen, der für den Durchschnitt der von ihnen betreuten Betriebe repräsentativ erscheint.

Ein differenzierteres Bild ergibt sich, wenn man die Antworten der befragten Fachleute in Abhängigkeit der Größe der von ihnen betreuten Betriebe auswertet. So schätzen Fachkräfte, die überwiegend große bis sehr große Betriebe betreuen, die Auseinandersetzung mit dem Thema in den Betrieben insgesamt intensiver ein als Fachkräfte, die überwiegend mittelgroße oder Kleinst- und Kleinbetriebe betreuen.

Abbildung 2: Einschätzung der Fachkräfte zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Arbeitsplätze und -tätigkeiten sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema in den Betrieben | © IAG / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 2: Einschätzung der Fachkräfte zu den Auswirkungen des Klimawandels auf die Arbeitsplätze und -tätigkeiten sowie die Auseinandersetzung mit dem Thema in den Betrieben ©IAG / Grafik: kleonstudio.com

Hitze und psychische Stressreaktionen als Hauptrisiken

Die Klimakrise wirkt sich sehr unterschiedlich auf die Arbeitswelt aus. Im Rahmen der Befragung wurden die Fachleute daher gebeten, die Relevanz der verschiedenen Risikofaktoren mit Blick auf die von ihnen betreuten Betriebe zu bewerten. Die meisten Befragten stufen gesundheitliche Probleme durch Hitze, wie Herz-Kreislauf-Beschwerden oder Hitzekrämpfe, sowie psychische Stressreaktionen, die sich in Reizbarkeit, Aggressionen und Angst äußern können, als größte Risiken bei der Arbeit ein (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Wahrgenommene Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel | © IAG / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 3: Wahrgenommene Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel ©IAG / Grafik: kleonstudio.com

Darüber hinaus werden psychische Erkrankungen (zum Beispiel Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörungen), erhöhte Unfallrisiken durch hitzebedingte Erschöpfung und Schlafmangel, Krankheiten, die durch Tiere übertragen werden (zum Beispiel Borrelien, FSME-Viren, Eichenprozessionsspinner), Unfallrisiken durch Unwetter und Flut sowie Folgeschäden, Haut- und Augenschäden durch UV-Strahlung (zum Beispiel Sonnenbrand, Hautkrebs und Augenentzündungen) sowie Allergiebelastung durch neue Allergene (zum Beispiel durch die Wirkung invasiver Pflanzenarten) als besonders bedeutsam eingestuft.

Als weniger relevant werden von den Fachleuten Probleme durch bodennahes Ozon (zum Beispiel Reizungen der Augen, Kopfschmerzen und Atemwegserkrankungen), Unfallrisiken durch Brand- und Explosionsgefährdungen sowie durch mangelnde Zuverlässigkeit von Maschinen bei extremen Bedingungen, potenzielle Gefährdungen durch Technologiesprünge sowie Gefahrstoffexpositionen durch thermische Reaktionen von Betriebsmitteln eingestuft.

Ergebnis: Fachleute sehen Mehrbedarf in der Beratung

Auswirkungen des Klimawandels auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten sind auch ein Thema in der Beratung der Betriebe: So berichtet insgesamt ein Drittel der Befragten, dazu häufig Anfragen aus den Betrieben zu erhalten, und rund die Hälfte der Fachleute gibt an, Gefährdungen durch den Klimawandel häufig proaktiv im Rahmen der betrieblichen Beratung zu thematisieren („trifft voll und ganz zu“ bis „trifft eher zu“).

Auch hier steht vielfach das Thema Hitze und Sonneneinstrahlung im Vordergrund. So geben die Befragten mehrheitlich an, überwiegend zu den Themen Hitzebelastung und -schutz, Belüftung, UV-Strahlung und UV-Schutz sowie zur Arbeitszeit- und Pausengestaltung zu beraten. Aber auch Extremwetter und das veränderte Infektionsgeschehen sind Themen im Beratungskontext.

Viele Fachleute haben bei der Beratung der Betriebe auch die Auswirkungen auf die Umwelt im Blick: So stimmen 63 Prozent der Befragten in unterschiedlichen Abstufungen zu, den Klimaschutz beispielsweise durch die Empfehlung von ökologisch nachhaltigen beziehungsweise klimasensiblen Maßnahmen zu berücksichtigen.

Unternehmen werden aktiv

Die Fachleute wurden nicht nur zu den Risiken durch den Klimawandel sowie zu ihrer eigenen Beratungstätigkeit befragt, sondern auch zu bereits umgesetzten oder geplanten Maßnahmen in den Betrieben. Bei den Fragen zur Umsetzung sollten sie einen Betrieb auswählen, der für den Durchschnitt der von ihnen betreuten Betriebe repräsentativ ist (externe Fachleute). Ihrer Einschätzung nach sind bereits viele Betriebe aktiv: 46 Prozent der Befragten geben an, dass bereits Maßnahmen umgesetzt wurden, um die Beschäftigten vor klimabedingten Risiken zu schützen. Weitere 23 Prozent berichten, dass Aktivitäten im Betrieb geplant sind. Dabei werden sowohl technische (T), organisatorische (O) als auch personelle (P) Maßnahmen umgesetzt. Über die TOP-Maßnahmen hinaus berichten die Befragten auch von überbetrieblichen Maßnahmen, die sich auf die Gestaltung des Betriebsumfeldes beziehen. So berichten beispielsweise 19 Prozent, dass Betriebe eine ökologische Gestaltung des öffentlichen Raumes initiiert haben, und 16 Prozent der Befragten geben an, dass sich Betriebe für sichere Verkehrswege eingesetzt haben.

Abbildung 4: Umgesetzte oder geplante Maßnahmen in den Betrieben | © IAG / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 4: Umgesetzte oder geplante Maßnahmen in den Betrieben ©IAG / Grafik: kleonstudio.com

Knapp 21 Prozent der Befragten berichten, dass in den durch sie betreuten Betrieben bisher noch keine Maßnahmen ergriffen wurden oder geplant sind. Einen Hauptgrund für die fehlende Umsetzung von Maßnahmen sehen die befragten Expertinnen und Experten in einem fehlenden Problembewusstsein seitens der Betriebe, aber auch fehlendes Budget sowie fehlende zeitliche Kapazitäten werden als Ursachen genannt.

Unterschiede in den Einschätzungen der befragten Fachleute zeigen sich in Abhängigkeit der Größe der von ihnen betreuten Betriebe. So geben nur 15 Prozent der befragten Fachkräfte, die überwiegend große bis sehr große Betriebe betreuen, an, dass bisher keinerlei Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten vor den Auswirkungen des Klimawandels ergriffen wurden – mit 37 Prozent liegt der Anteil bei denjenigen, die Kleinst- und Kleinbetriebe betreuen, mehr als doppelt so hoch.

Fazit

Die Befragungsergebnisse machen deutlich, dass durch den Klimawandel über alle Branchen und Betriebsgrößen hinweg insbesondere zwei Themen in den Fokus rücken: Hitze und psychische Stressreaktionen. Aus Sicht der befragten Expertinnen und Experten stellen diese aktuell die größten Risiken dar für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Diese Themen haben viele Fachkräfte bereits in ihre Beratung aufgenommen. Auch die Mehrheit der Betriebe sieht Handlungsbedarf und hat Maßnahmen ergriffen oder geplant, um klimabedingte Gefahren für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu reduzieren.

Betriebsärztinnen und -ärzte sowie Fachkräfte für Arbeitssicherheit übernehmen durch ihre Funktionen in den Betrieben eine zentrale Rolle, wenn es um den zukünftigen Umgang mit klimabedingten Herausforderungen bei der Arbeit geht. Die Daten der Befragung zeigen, dass dieses Thema bereits Eingang in die Beratungen gefunden hat. Gleichzeitig verdeutlichen sie, dass noch nicht alle Betriebe Maßnahmen ergreifen. Zum Schutz der Beschäftigten und ihrer Arbeitsfähigkeit wird eine Weiterentwicklung der Präventionsmaßnahmen und -angebote im Austausch mit den Betrieben sowie den Expertinnen und Experten angestrebt. Besonders Klein- und Kleinstbetriebe könnten davon profitieren.