Klimawandel und Gesundheit
Die multiplen planetaren Krisen, einschließlich der Klimakrise, des Biodiversitätsverlusts und der Umweltverschmutzung, sind die globale Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Dabei gefährdet der Klimawandel nicht nur Natur und Umwelt, sondern wird zunehmend auch zum Gesundheitsrisiko für Menschen, indem er sich auf viele Krankheitsbilder negativ auswirkt.
Die Folgen von Klima- und Umweltkrisen zeigen sich bereits jetzt in erhöhter Krankheitslast in allen Fachgebieten der Medizin.[1] Beispielsweise haben verschlechterte Luft- und Wasserqualität, Folgen von Extremwetterereignissen, wie Überflutungen und Hitzewellen, sowie veränderte Muster in der Ausbreitung von Infektionskrankheiten und Allergien direkte und indirekte Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit; psychische Gesundheit ist davon nicht ausgeschlossen. Dies sind gut untersuchte Gesundheitsfolgen der Klimakrise.[2] Wie sich die planetaren Krisen auf die gesundheitliche Versorgung, auf besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen und in einzelnen Settings wie Kita, Schule und Arbeitsplätzen auswirken und welche Schutzkonzepte benötigt werden, ist hingegen bisher weniger gut untersucht.
Erwartbare Mehrbelastungen durch eine alternde Gesellschaft, Personalengpässe, sich im Zuge der Klimakrise verknappende Ressourcen, aber vor allem mögliche zukünftige Systemschocks, wie beispielsweise Folgen von Extremwetterereignissen, weiteren Pandemien oder großen Migrationsbewegungen, erfordern ein krisenresilientes, klimaneutrales, qualitativ hochwertiges Gesundheitswesen für alle und für zukünftige Generationen. Aufgrund der zunehmend komplexer werdenden Herausforderungen wird die krisenfeste Aufstellung zentraler gesellschaftlicher Institutionen immer dringlicher. Es braucht daher eine Blickwende. Weg vom auslösenden Ereignis, hin zum betroffenen System.
Die medizinische Fachzeitschrift „The Lancet“ hat die Klimakrise als größte Bedrohung und ihre Bewältigung als große Chance für menschliche Gesundheit und Wohlergehen im 21. Jahrhundert identifiziert.[3] Der letzte Sachstandsbericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Chance – IPCC) macht deutlich, dass das Zeitfenster, in dem durch Maßnahmen zum Klimaschutz und Klimaanpassungen noch eine lebenswerte Zukunft für alle zu erreichen ist, sich rasch zu schließen droht.[4] Gleiches gilt für die ökologischen Belastungsgrenzen. Politische, soziale und ökonomische Prozesse und Strukturen müssen daher zukünftig national wie international so gestaltet und gesteuert werden, dass auf der einen Seite Gesundheit und Wohlergehen für heutige und zukünftige Generationen sichergestellt und andererseits die Bewohnbarkeit der Erde erhalten wird.[5]
Systemische Herausforderungen
Grundsätzlich stehen wir vor vier gesellschaftlichen Herausforderungen: Die größte Herausforderung besteht nicht mehr darin, Wissenslücken zu schließen (Knowledge Challenge), sondern darin, dieses Wissen in konkrete Transformation zur sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit umzusetzen (Implementation Challenge).[6]
Dazu ist es notwendig, aus den vorhandenen Forschungsergebnissen Politikoptionen und konkrete Maßnahmen zu synthetisieren und zu entwickeln. Diese sollen gemeinsam mit Politik, Wissenschaft, Vertreterinnen und Vertretern aus der Praxis sowie Multiplikatorinnen und Multiplikatoren diskutiert werden, um gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die die schnelle und tiefe Transformation hin zu einem klimaneutralen, gerechten, zugänglichen und nachhaltigen Gesundheitswesen und gesundheitsfördernden Umwelten auch entgegen vorherrschender Trends möglich machen. Dabei ist es entscheidend, Zukunftsvisionen zu entwickeln, auf den Weg zu bringen und Methoden zu erarbeiten, die diesen Transformationsfortschritt messbar machen (Imagination Challenge/Zukunftsbilder). Gleichzeitig muss es gelingen, dass Klimaschutz und -anpassung gesellschaftlich breit akzeptiert werden (Acceptance Challenge), was durch interdisziplinäre Wissenschaftskommunikationsstrategien unterstützt werden kann.
Insbesondere mit Blick auf die Finanzierung im Strukturwandel und die fortschreitende Klimakrise sind Fragen der Generationengerechtigkeit zusätzlich relevant. Im Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wird die Schutzpflicht des Staates betont, Leben und Gesundheit des Menschen vor den Gefahren der Klimakrise zu schützen.[7] Bisherige Präventionsstrategien in Deutschland nehmen die Überschreitung planetarer Grenzen und Gesundheitsfolgen der Klimakrise bisher noch gar nicht oder nur ungenügend in den Blick. Das relative Gewicht des verfassungsgerichtlichen Handlungsgebots nimmt mit fortschreitender Klimakrise immer weiter zu.[8] Daher ist zu erwarten, dass sich mittelfristig der politische Regelungsrahmen verändert.
Hitze als zentrale Herausforderungen für die Arbeitswelt
Je nach Branche, Jahreszeit, Standort und der Fähigkeit der Branche, sich an die Veränderungen durch den Klimawandel anzupassen, sind die Auswirkungen der Klimakrise auf die Gesundheit der Beschäftigten unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Betroffenheit wird auch entscheidend beeinflusst von der Unternehmensgröße, internationaler Ausrichtung und Abhängigkeit und der Innovationsfähigkeit.[9] Kleinere und mittelständische Unternehmen können durch weniger komplexe Organisationsstrukturen agiler und flexibler auf Veränderungen oder Krisen reagieren. Auf der anderen Seite fehlen in kleineren Unternehmen oft etablierte Strukturen, zum Beispiel in Form eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) sowie finanzieller Ressourcen für tiefgreifende Anpassungen.[10]
Schon jetzt stellen vor allem Hitzewellen die größte Gesundheitsgefahr dar. Hitzebelastungen können zu direkten gesundheitlichen Auswirkungen wie Dehydrierung, allgemeiner Ermüdung und Konzentrationsstörungen, kardiovaskulären Erkrankungen, Nierenfunktionsstörungen bis hin zum Hitzeschlag und in extremen Fällen sogar zum Tod führen.[11] Besonders gefährdet sind Mitarbeitende, die körperlich anstrengende Arbeit und/oder Arbeit im Freien verrichten. Risikofaktoren für Morbidität und Mortalität durch Hitzebelastung am Arbeitsplatz sind unter anderem eine geringe physische Fitness, ein höheres Alter, ein hoher Body-Mass-Index (BMI), zugrunde liegende chronische Erkrankungen und die Einnahme bestimmter Medikamente. [12][13][14] Durch den Klimawandel ist mit einer Zunahme an Tagen verminderter geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit bei den Beschäftigten zu rechnen.[15] Für Deutschland ist im Jahr 2021 ein Verlust von 21 Millionen Arbeitsstunden durch Hitze zu verzeichnen.[16] Besonders betroffen sind Beschäftigte in den unteren Einkommensgruppen, die Schwerstarbeit und Tätigkeiten in der Landwirtschaft oder dem verarbeitenden Gewerbe verrichten.[17]
Neben gesundheitlichen Auswirkungen führen der Klimawandel und die Überschreitung weiterer planetarer Belastungsgrenzen zur Zunahme arbeitsplatzbezogener Belastungen und Fehlzeiten und gefährden damit die Produktivität und unmittelbar Arbeitsplätze, denn diese hängen direkt oder indirekt von funktionierenden Ökosystemen ab.[18][19] Deutschland als Exportnation ist abhängig von der internationalen Wertschöpfungskette, der Verfügbarkeit und dem Bezug von Rohstoffen und funktionierenden Strukturen in Bereichen des Warentransports, der Produktion und des Absatzmarktes.[20] Sichere, gesunde und menschenwürdige Arbeitsbedingungen können nur in stabilen und intakten Ökosystemen gewährleistet werden. Eine verringerte Arbeitsproduktivität kann durch eine Veränderung der Einkommensentwicklung und Arbeitsplatzverluste wiederum indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit von Beschäftigten haben.
Neben den bereits bekannten Risikogruppen wie Schwangeren, Menschen mit Vorerkrankungen oder Behinderungen, älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gelten vor allem Beschäftigte, die im Freien arbeiten, als besonders gefährdet.[21] Im Arbeitskontext scheinen männlich gelesene Personen mittleren Alters, die körperlich anstrengende Tätigkeiten vornehmlich im Freien verrichten, eine besondere Risikogruppe darzustellen. Bei Tätigkeiten im Außenbereich, zum Beispiel im Bauwesen, kann die Unfallgefahr durch Extremwetterereignisse steigen. Außerdem sind im Freien arbeitende Beschäftigte einer höheren UV- sowie Pollenbelastung und Überträgern von Infektionskrankheiten ausgesetzt.[22][23]
Branchen wie die Notfall- und Rettungsversorgung, das Gesundheitswesen und die öffentlichen Dienste sind erheblich gefordert, um mit den Folgen von zum Beispiel Extremwetterereignissen umzugehen. Beschäftigte im Gesundheitswesen sind dabei doppelt betroffen: Zum einen haben sie ein hohes Risiko, selbst zu erkranken, und zum anderen führen die Krisen zu einem verstärkten Patientenaufkommen.[24] [25] Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels im deutschen Gesundheitssystem ergibt sich sowohl für die Gesundheit der Beschäftigten als auch für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung starker Handlungsbedarf.
Klimaschutz und -anpassung im Bereich Arbeitsschutz und Betriebliches Gesundheitsmanagement
Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) können Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes ein sehr wirksamer Hebel für sicheres und gesundes Arbeiten im Kontext des Klimawandels sein. In der Praxis zeigt sich aber, dass existierende Handlungs- und Anwendungshilfen bislang unzureichend sind und die Risiken durch den Klimawandel nicht hinreichende Berücksichtigung im aktuellen normativen Regelwerk finden.[26]
Zukünftig müssen daher klimawandelassoziierte Gesundheitsgefahren bei der Gefährdungsbeurteilung stärker berücksichtigt und in bestehende Prozesse zur Beurteilung und Planung der Maßnahmen integriert werden. Teilweise fehlt es an Sensibilisierung und Wissen zum Beispiel zu den Gefahren durch Hitzebelastungen und protektiven Verhaltensmaßnahmen in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen. Klimabedingte Gefahren am Arbeitsplatz werden teils als gegeben hingenommen und unterschätzt. Hitzeschutzmaßnahmen können zum Beispiel in Form von Hitzeaktionsplänen übergreifend in das Betriebliche Gesundheitsmanagement eingebunden werden.
Fachkräfte für Arbeitssicherheit, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte sowie Ansprechpersonen der Unfallversicherungsträger und Krankenkassen müssen durch entsprechende Fort- und Weiterbildungsangebote ausgebildet und geschult werden, um Betriebe bei der Umsetzung eines klimasensiblen Arbeitsschutzes beraten und unterstützen zu können.
Potenziale für Gesundheitsförderung und Prävention
Maßnahmen zum Klimaschutz können mit gesundheitlichen Vorteilen einhergehen, sogenannten Co-Benefits. Krankenkassen können in Unternehmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) zur gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung und zum Arbeits- und Lebensstil beraten und dabei auch über die Co-Benefits von Klimaschutz informieren. Durch die Förderung einer aktiven Mobilität können sowohl CO2-Emissionen reduziert als auch eine bessere Luftqualität erreicht werden. Die Förderung körperlicher Aktivität im alltäglichen Mobilitätsverhalten durch den Umstieg vom Auto auf das Fahrrad oder Laufen kann kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Demenz und einigen Krebserkrankungen vorbeugen.[27] Ebenso ergeben sich Vorteile für die psychische Gesundheit.[28] Betriebliche Rahmenbedingungen (zum Beispiel durch Jobrad, Abstellmöglichkeiten für Fahrräder) können die aktive Mobilität der Beschäftigten fördern.
Im Bereich Ernährung reduziert eine pflanzenbasierte Ernährungsweise zum Beispiel in der Gemeinschaftsverpflegung am Arbeitsplatz nicht nur Treibhausgasemissionen, die Landnutzung und den Wasserverbrauch, sondern auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kolorektale Karzinome und andere Krebserkrankungen.[29]
Gesundheit innerhalb planetarer Grenzen als Weg nach vorn
Der Klimawandel und andere planetare Krisen stellen die Sozialversicherungsträger vor die Notwendigkeit der eigenen Anpassung und vor die Frage, welche strategischen Maßnahmen jetzt eingeleitet werden müssen, um auf strukturelle Veränderungen vorbereitet zu sein. Das Rahmenwerk „Klimagerechte Gesundheitseinrichtung“ und die Erkenntnisse aus dem Projekt zu Planetary Health im Betrieblichen Gesundheitsmanagement der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit können Gesundheitseinrichtungen auf ihrem Weg hin zur Klimaneutralität und zu einem klimasensibleren Betrieblichen Gesundheitsmanagement unterstützen.[30]
Um die Gesundheitsfolgen der Klimakrise jetzt und für zukünftige Generationen bewältigen zu können, bedarf es einer grundlegenden Neuaufstellung. Um dort hinzugelangen, könnten sich Sozialversicherungsträger folgende Fragen stellen:
Fragen für Sozial- und Rentenversicherungsträger zu einem nachhaltigen und resilienten Gesundheitswesen
- Welche konkreten Maßnahmen und Initiativen gibt es bereits, die auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit abzielen? Welche internationalen Beispiele und Kooperationen können genutzt werden?
- Vor welchen Aufgaben stehen die Träger, um vor dem Hintergrund multipler Krisen gesellschaftliches Wohlergehen und Gesundheit für Menschen und insbesondere für Beschäftigte zu sichern?
- Welche Rolle können die Träger zukünftig bei der krisenfesten Aufstellung des Gesundheits- und Sozialsystems spielen? Welche Partnerschaften und Kooperationen sollten sie anstreben, um die größten Synergieeffekte für Klima- und Gesundheitsschutz zu erreichen?
- Was sind Barrieren für eine nachhaltige und resiliente Versorgung und wie können die Barrieren reduziert werden? Was sind förderliche Faktoren?
- Welche gesetzlichen Rahmenbedingungen und Anreize braucht es, um Unternehmen bei der Transformation zu Klimaneutralität und bei der Umsetzung eines klimasensiblen Gesundheitsmanagements zu unterstützen?
- Wie kann ein transdisziplinärer Austausch gefördert werden und die Zusammenarbeit zum Beispiel in Form einer konsentierten Handlungsstrategie gelingen?
Die Beantwortung dieser und weiterer drängender Fragen können die notwendige Transformation im Gesundheitswesen voranbringen. Damit sie gelingt, müssen sich alle Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen ambitioniert dem Klimaschutz und der Anpassung an den Klimawandel zuwenden, um ein resilientes, qualitativ hochwertiges, zugängliches und finanzierbares Gesundheitssystem für alle und für zukünftige Generationen in einem gemeinwohlorientierten, gesundheitsfördernden und präventiven Rahmen sicherzustellen.