"Es wird unsicherer und unbequemer in Deutschland werden"

Bis Mitte des Jahrhunderts wird sich die Durchschnittstemperatur in Deutschland gegenüber dem vorindustriellen Wert um voraussichtlich zwei Grad erhöhen. Für viele Lebensbereiche wird das tiefgreifende Folgen haben, schreibt der Journalist Toralf Staud in seinem Buch "Deutschland 2050". Im Interview erklärt er, wie häufiger auftretende Wetterextreme die Arbeitswelt beeinflussen.

Herr Staud, Klimagipfel in Ägypten, Klimaproteste – die Erderwärmung hat Ende 2022 die Medien und Menschen stark beschäftigt. Dabei stand vor allem der Klimaschutz im Vordergrund. Ihr Buch behandelt die Folgen des Klimawandels für Deutschland. Sprechen wir schon genug darüber, was der Klimawandel für unser Land bedeutet?

Staud: Der Klimawandel wird auch bei uns tiefgreifende Veränderungen bringen – das ist tatsächlich zu wenig präsent. Wir reden zu viel über Eisbären, über untergehende Südseeinseln oder das Jahr 2100. Das erzeugt psychologische Distanz. Damit Menschen etwas verändern, ist aber psychologische Nähe nötig. Dafür muss man sich anschauen: Was bedeutet der Klimawandel für Deutschland innerhalb unserer Lebensspanne?

Sprechen wir also darüber. Wie sähe unser Land aus, wenn sich die Erdatmosphäre weiter erwärmen würde?

Das ist keine Wenn-Frage mehr – das ist leider schon sicher. Die meisten Treibhausgase, die Mitte des Jahrhunderts unser Klima bestimmen werden, haben wir längst ausgestoßen. Große Mengen des ausgestoßenen CO₂ sind jahrhundertelang in der Atmosphäre. Es ist also sicher, dass es in Deutschland Mitte des Jahrhunderts heißer sein wird. Wir werden mehr, längere und intensivere Hitzewellen haben. Es wird in Deutschland insgesamt wahrscheinlich nicht weniger Niederschläge geben, die Niederschläge werden sich aber anders verteilen: Wir werden mehr Tage mit Starkregen erleben. Es wird daher mehr Sturzfluten wie im Ahrtal geben. Dazwischen bleibt es länger trocken – den typischen Landregen wird es seltener geben. Und das hat krasse Folgen für das Wassermanagement. Starkregen, der auf ausgedörrten Boden trifft, sickert viel weniger ein. Unsere Grundwasserressourcen werden daher anders aussehen. Wir werden mehr Wetterextreme haben, mehr von unserem Wohlstand in Schutz und Wiederaufbau investieren müssen. Das allgemeine Wohlstandsniveau – das ist keine steile These – wird sinken. Es wird unsicherer und unbequemer in Deutschland werden.

Heißt das, Klimaschutz ist zwecklos?

Auf keinen Fall! Um die Veränderungen noch in beherrschbarem Rahmen zu halten, müssen die Emissionen dringend und drastisch reduziert werden. Ohne Emissionsminderungen werden die Veränderungen so stark, dass sie auch ein reiches Land wie unseres überfordern werden.

Wir wollen uns in diesem Gespräch anschauen, was das für die Arbeitswelt bedeutet. Bevor wir das tun, noch eine Frage zu den Grundlagen: Manche Menschen zweifeln an den Erkenntnissen der Klimaforschung und sagen: Wenn schon die Wettervorhersage unzuverlässig ist – wie wollen wir dann wissen, wie das Klima in 30 Jahren aussieht? Was entgegnen Sie?

Dass diese Gleichsetzung von Wetter mit Klima eine rhetorische Finte ist. Der "Durchschnitt" des Wetters, also das Klima, ist ziemlich gut berechenbar. Ich vergleiche das gern mit einem Pool im Garten. Wenn Sie einen Stein in diesen Pool werfen, ist schwer vorherzusagen, wie hoch die Welle wird und wo sie über die Ufer tritt. Die Welle ist das Wetter. Das Klima ist der Pegelstand im Pool. Und da ist sonnenklar: Wenn Sie mehr Wasser in den Pool lassen, also mehr Treibhausgase in die Atmosphäre entlassen, ist der Wasserstand im Pool höher. Wenn Sie dann einen Stein in den Pool werfen, können Sie immer noch nicht vorhersagen, wo das Wasser über die Ufer tritt – aber es ist sicher, dass das Wasser mit höherer Wahrscheinlichkeit über den Rand schwappt als vorher. Das kann man mit sehr, sehr hoher Gewissheit sagen – und so hoch ist auch die Gewissheit, mit der man über die Veränderungen im Klima in Zukunft sprechen kann. Die Wissenschaft bemüht sich seit Jahrzehnten, Klimamodelle zu präzisieren. Man kann längst die Vorhersagen, die vor 30 Jahren gemacht wurden, mit der heutigen Realität vergleichen. Diese Vorhersagen stimmen verblüffend gut mit dem überein, was wir heute sehen. Die Klimamodelle werden zudem getestet, indem man rückwärtsrechnet und dann schaut: Kommt das Modell bei den Werten heraus, die wir in der Vergangenheit gemessen haben? Auch das passt verblüffend oft. Wer die Verlässlichkeit der Klimamodelle anzweifelt, will einfach nicht anerkennen, was ist.

Toralf Staud, Journalist und Buchautor | © Joachim Gern
Toralf Staud ist Journalist und Buchautor, einer seiner Themenschwerpunkte ist die menschengemachte globale Erwärmung. ©Joachim Gern

Eine der zentralen Aussagen in Ihrem Buch scheint mir die folgende: Der Klimawandel entwertet Erfahrungswissen sehr stark. Wie kommen Sie zu dieser Schlussfolgerung?

Das war für mich eine der Wow-Erkenntnisse bei der Recherche zum Buch. Als Einzelne, aber auch als Gesellschaft leiten wir unsere Handlungen, Regeln und Normen sehr oft aus Erfahrungen der Vergangenheit ab. Das basiert auf der unausgesprochenen Erwartung, dass die Zukunft genauso ist wie die Vergangenheit. Das funktionierte in den vergangenen Jahrhunderten, weil das Klima stabil war. Die tiefgreifende Veränderung ist, dass wir uns gerade aus dieser stabilen Phase herausschießen.

Welche Folgen hat das?

Tiefgreifende. Alles, was wir für gegeben halten, müssen wir auf den Prüfstand stellen. Eine Studie für das Eisenbahn-Bundesamt kam beispielsweise zu dem Schluss, dass Hunderte Normen für den Zugverkehr überarbeitet werden müssen, wenn die Sommer in Zukunft heißer werden. Es wird auch teurer, weil immer öfter etwas schiefgeht. Man muss die Fehlermargen erhöhen und dann tatsächlich anders handeln. Nicht zuletzt: Menschliches Lernen funktionierte in der Vergangenheit nach dem Prinzip von "Versuch und Irrtum". Dieses Prinzip funktioniert aber nur, wenn die Rahmenbedingungen gleich bleiben. In einem instabilen Klima ist das allerdings nicht der Fall.

Nun könnte man entgegen, dass in anderen Ländern heute schon Bedingungen herrschen, die denen unserer Zukunft ähnlich sind. Würden Sie sagen, dass es ein Trugschluss ist, die Verhältnisse in anderen Ländern auf unsere Zukunft zu übertragen?

Es ist ein Riesentrugschluss zu denken: Ach, anderswo ist es auch so warm. Anderswo hat man sich über Jahrhunderte darauf eingestellt und beispielsweise Gebäude anders errichtet – mit dickeren Mauern und kleineren Fenstern. Wir können nicht in 20, 30 Jahren unseren kompletten Gebäudebestand, unsere komplette Infrastruktur für das Klima umbauen, das wir in Deutschland haben werden. Unsere Städte an ein neues Klima anzupassen, wird teuer und ist an vielen Stellen gar nicht möglich.

Auch bei den Autobahnen wird das schwierig, sagen Sie.

Genau. Während Hitzewellen brechen Betonfahrbahnen auf und Asphalt wird weich. Man könnte zwar künftig Baustoffe verwenden wie etwa in Italien und Spanien, die mehr Hitze aushalten. Oft vertragen die aber Frost nicht so gut. Wir werden allerdings auch in Zukunft immer mal wieder Frosteinbrüche erleben – die Klimamodelle sagen sogar, dass diese noch heftiger ausfallen könnten als in der Vergangenheit. Es einfach wie südliche Länder zu machen, hilft also nicht immer und nicht überall.

Was bedeutet der Klimawandel für die Arbeitswelt? Zum Beispiel für Beschäftigte, die im Freien arbeiten?

Diese Branchen werden sicherlich am stärksten getroffen. Landwirtschaft, Tiefbau und viele Infrastrukturbetriebe bekommen die Hitze hautnah zu spüren. Bei Hitze sinkt die Arbeitsproduktivität. Die körperliche Leistungsfähigkeit leidet an heißen Tagen, die Konzentrationsfähigkeit sinkt. Das erhöht das Risiko von Unfällen. UV-Strahlung wird zu einem Riesenthema – darauf weist die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft in ihren Broschüren schon heute hin.

Hitze betrifft aber nicht nur diejenigen, die im Freien arbeiten.

Stimmt. Ein Risikoberater, mit dem ich für das Buch gesprochen habe, sagt: Das meistunterschätzte Risiko für die deutsche Wirtschaft ist das Überhitzen der Leichtbauhallen, die für viele Gewerbegebiete typisch sind. In einem gemäßigten Klima funktionierten die – im Sommer reichte es aus, die Tore offen stehen und den Wind durchstreifen zu lassen. Das wird im Klima der Zukunft nicht mehr so einfach gehen. Die Hallen werden sich aufheizen, sodass man über Wochen nur noch schlecht oder gar nicht mehr darin arbeiten kann. Klimatisieren wird sehr teuer, aber aus Arbeitsschutzgründen kaum zu vermeiden sein.

Viele Menschen arbeiten im Transport- und Logistikgewerbe. Welche Risiken bringt die Erderwärmung für die Verkehrssicherheit?

Die Risiken liegen auf der Hand. Wenn es heiß ist im Auto, ist man viel stressanfälliger, aggressiver, die Aufmerksamkeit sinkt. Die Wahrscheinlichkeit von Unfällen steigt. Israel hat beispielsweise vor vielen Jahren die Einfuhrzölle auf Klimaanlagen in Autos gesenkt, weil die Fahrer bei niedrigeren Temperaturen im Fahrzeuginneren gelassener und aufmerksamer sind. Klimatisierung wird in Autos, aber auch in Gebäuden in Deutschland in Zukunft eine wesentlich größere Rolle spielen müssen als früher.

Würden Sie aufgrund Ihrer Recherchen sagen, dass das schon genug in den Köpfen angekommen ist?

Nein. In unserer Vorstellung ist der Sommer immer noch eine Jahreszeit, auf die wir uns freuen. Das wird er auch in Zukunft sein – aber nur in Teilen. Künftig wird Sommer auch eine Zeit quälender Hitze sein. Wir werden also Lösungen finden müssen, um Arbeitsräume auf angenehme Temperaturen zu bringen, damit die Produktivität nicht leidet. Wir werden vulnerable Gruppen schützen müssen, beispielsweise in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Kitas und Schulen. Das hinzubekommen – ohne die Umgebung durch Wärmeemissionen konventioneller Klimaanlagen zu belasten –, wird eine Riesenherausforderung, gerade im Bestand.

Wenn man sich die Glasfassaden mancher Neubauten anschaut, scheinen diese Gedanken bislang nicht einmal im Neubau eine Rolle zu spielen.

Die Baubranche scheint mir tatsächlich Schwierigkeiten zu haben, diese Erkenntnisse zu integrieren. Das denke ich nicht nur bei Bürogebäuden mit Glasfassaden – da wird man nachrüsten müssen –, sondern auch bei Gewerbegebieten mit riesigen zubetonierten Parkplätzen und ohne begrünte Dächer. Man sieht längst in Hitzekarten, dass Gewerbegebiete teils sogar noch heißer werden als Innenstädte. Da jetzt schon umzusteuern, könnte in Zukunft erhebliche Kosten sparen.

Haben Sie Beispiele für Kommunen, die das bereits versuchen?

Erfurt, Offenbach oder auch Mannheim gelten zum Beispiel als Städte mit vorbildlichen Hitzeaktionsplänen. In Berlin müssen neue Bauprojekte so geplant sein, dass das Wasser auf dem Grundstück versickern kann, um die Kanalisation bei Starkregen zu entlasten und die Überflutung des öffentlichen Raums zu verringern. Auch in anderen Gemeinden passiert schon etwas, aber die Beharrungskräfte sind oft groß.

Die gesetzliche Unfallversicherung kümmert sich auch um Sicherheit und Gesundheit in Bildungseinrichtungen. Was sind aus Ihrer Sicht für Schulen und Kitas notwendige Änderungen?

Wenn man an Kitas und Schulen denkt, ist vor allem ein Punkt relevant: Wir brauchen im Sommer mehr Schatten. Wir müssen Spielplätze und Schulhöfe mit Sonnensegeln ausrüsten, brauchen viel mehr Bäume. Wir müssen die Hitze aber auch aus den Gebäuden draußen halten – und das gelingt am besten mit Außenjalousien. Das muss alles nachgerüstet werden. Das wird ein Riesenthema mit Rieseninvestitionen.

Die absehbare Veränderung des Klimas stellt die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaft auf unterschiedlichen Ebenen auf die Probe. Eine Ebene ist der Katastrophen- und Bevölkerungsschutz. Viele Versicherte der gesetzlichen Unfallversicherung engagieren sich hierfür. Wird es in Zukunft schwieriger, bei diesen Tätigkeiten gesund und sicher zu bleiben?

Schwieriger ist es zum Teil schon jetzt. Wenn man mit Feuerwehrleuten spricht, sagen die heute bereits: Die wetterbedingten Einsatzlagen werden mehr. Überflutungen, Waldbrände werden häufiger. Die übliche Ausrüstung für Wohnungsbrände passt da nicht mehr. Auch die Einsatzdauer nimmt zu und die Mannschaftsstärke reicht oft nicht mehr aus. Das Prinzip der freiwilligen Feuerwehr funktioniert nicht mehr so richtig, denn man kann schlecht für zwei Wochen bei der Arbeit fehlen, um Waldbrände zu löschen. Wir werden unsere Einsatzkräfte anders strukturieren müssen, um die Gefahrenlagen der Zukunft zu bewältigen.

Betrifft das nur die Feuerwehr?

Nein, das betrifft alle Hilfsorganisationen. Wir bekommen ja nicht nur mehr Hochwasser, sondern auch mehr Hitzewellen und Dürreperioden. Mehr Menschen, gerade ältere, werden Hilfe brauchen. Wir werden also nicht umhinkommen, diese Dienste auszubauen.

Persönliche Schutzausrüstungen spielen im Arbeitsschutz eine wichtige Rolle. Ein Thema, das während der Coronapandemie stark diskutiert wurde, war die Verfügbarkeit von Atemschutzmasken. In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Lieferketten in Zukunft erheblich häufiger gestört sein werden. Ist das auch als Plädoyer für mehr Vorratshaltung zu verstehen?

Was wir in der Pandemie erlebt haben, war ein Vorgeschmack auf das, was uns bevorsteht. In Zukunft werden Logistikketten wegen häufigerer Extremwetter fragiler sein. Irgendwo wird immer etwas gestört sein. Wir werden uns also darauf einstellen müssen, dass wir mehr Lagerhaltung brauchen, Produktionen nach Europa verlagern und Lieferketten mit Redundanzen versehen müssen.

Werfen wir zum Abschluss noch einen Blick darauf, welche Folgen der Klimawandel für die Sozialversicherung hat. Die gesetzliche Unfallversicherung gehört dazu. Ihre Einschätzung: Was macht der Klimawandel mit den sozialen Sicherungssystemen?

Das lässt sich schwer vorhersagen. Die Politik kann diese Systeme ja verändern. Ich halte es aber für wahrscheinlich, dass wir mehr Ausgaben haben – zum Beispiel durch hitzebedingte Krankheiten oder neue Erreger, die von Tierarten verbreitet werden, die hier bislang nicht heimisch sind. Zugleich könnten wir weniger Einnahmen haben, weil Hitze die Produktivität sinken lässt oder deutsche Unternehmen weniger in andere Weltgegenden exportieren können, die vom Klimawandel hart getroffen werden und weniger Geld haben, um deutsche Produkte zu kaufen. Das sind allerdings indirekte Folgen, die sich nur schwer berechnen lassen. Aber: Wenn der Klimawandel unser ganzes Leben auf den Kopf stellt, dann wäre es Pfeifen im Walde zu sagen, unsere sozialen Sicherungssysteme wird der Klimawandel nicht betreffen. Das wäre eine völlig naive Vorstellung.

Das Interview führte Stefan Boltz, DGUV.

Literatur

Staud, T.; Reimer, N.: Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.