Was kommt mit dem Klimawandel auf die Sozialversicherungsträger zu?
Der Klimawandel ist für alle Akteurinnen und Akteure in der sozialen Sicherung eine Herausforderung. Drei Spitzenverbände zeigen auf, welche Ziele sie sich vor diesem Hintergrund gesetzt haben und wie sie diese erreichen wollen. Ein Überblick über Maßnahmen, Forschungsprojekte und Kooperationen.
Dr. Timm Genett, Geschäftsführer Politik im PKV-Verband
Der Klimawandel gilt als größte gesundheitliche Bedrohung des 21. Jahrhunderts, denn die daraus resultierenden Umweltfolgen belasten die Gesundheit aller Menschen. Extreme Hitze oder Kälte, hohe UV-Strahlung und Feinstaubbelastung, Naturkatastrophen und Pandemien können etwa zu Herz-Kreislauf-Beschwerden, Allergien oder Verletzungen führen, aber auch psychische Erkrankungen hervorrufen. Daher ist der Gesundheitsschutz vor den Auswirkungen des Klimawandels – ebenso wie der Klimaschutz an sich – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Die Gesundheitswissenschaften sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Health in All Policies“-Ansatz: Es braucht Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sowie in all den Lebenswelten, in denen Menschen arbeiten, spielen, lernen und wohnen. Den Akteurinnen und Akteuren in Lebenswelten wie Kitas, Schulen, Tagesstätten, Pflegeeinrichtungen und Stadtteilzentren kommt eine besondere Rolle zu: Sie tragen häufig Verantwortung für besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen wie Kinder, ältere oder vorerkrankte, sozial benachteiligte oder wohnungslose Menschen. Oft fehlt es den Verantwortlichen jedoch an konkretem Wissen und Strategien im Bereich der Klimagesundheit.
Auch die Private Krankenversicherung (PKV) stellt sich ihrer Aufgabe nach dem „Health in All Policies“-Prinzip: Im Rahmen unseres vielfältigen Präventionsengagements fördern wir das Projekt „Ansätze für eine klimagesunde Settingprävention“ (kurz: KliGeS) in Kooperation mit der Berlin School of Public Health (BSPH), dem Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialwissenschaften (BIGSo) und dem Europa-Institut für Sozial- und Gesundheitsforschung an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Hier untersuchen Expertinnen und Experten, wie wir klimabezogenen Gesundheitsgefahren im Kontext der Gesundheitsförderung und Prävention in Lebenswelten vorbeugen können. Das Team um Prof. Dr. Raimund Geene erforscht gesundheitsförderliche Ansätze und recherchiert Best Practices, wie klimabezogene Aktivitäten die Gesundheit stärken können. Im Dialog mit Wissenschaft und Praxis wird untersucht, wie solche Ansätze und Beispiele systematisiert und verbreitet werden können. Einige dieser Ansätze und Beispiele wurden im Vorfeld der 15. Public-Health-Konferenz in Berlin im November 2022 vorgestellt.
Klimagesundheit ist eines der zentralen Themen unserer Zeit – das erkennen nicht nur Krankenversicherer, sondern auch die zuständigen Vertreterinnen und Vertreter der Politik. Die Nationale Präventionskonferenz (NPK), deren Träger unter anderem die DGUV ist und in der der PKV-Verband seit 2017 stimmberechtigtes Mitglied ist, diskutierte etwa auf dem Präventionsforum 2022, wie die NPK selbst dazu beitragen kann, den mit dem Klimawandel einhergehenden gesundheitlichen Risiken frühzeitig im Rahmen lebensweltbezogener Aktivitäten zur Prävention, Gesundheits-, Sicherheits- und Teilhabeförderung zu begegnen.
Wir als PKV-Verband tragen mit zahlreichen Programmen der settingbezogenen Prävention dazu bei, die von der NPK entwickelte und fortzuschreibende Nationale Präventionsstrategie umzusetzen. Auch in dieser soll das Thema Klimagesundheit künftig explizite Berücksichtigung finden.
Grundsätzlich unterstützen Settingprogramme den Auf- und Ausbau gesundheitsförderlicher Strukturen in Lebenswelten. Ferner stärken sie die Gesundheitskompetenz der Menschen, die sich in diesen Lebenswelten aufhalten und zu Hause sind. Wir fördern bereits Programme, die auf Ernährungsgesundheit, Bewegungsförderung, Gewaltprävention und psychosoziale Gesundheit abzielen. Künftig wollen wir in all diesen Aktivitäten auch die Klimagesundheit mitdenken und als Querschnittsthema adressieren.
Mit KliGeS gehen wir im PKV-Verband also einen ersten Schritt, um auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse den nächsten zu tun: Ansätze zur klimagesunden und -kompetenten Ausgestaltung von Lebenswelten in unsere bestehenden und künftigen Präventionsprogramme zunächst modellhaft und bei erfolgreicher Erprobung regelhaft zu integrieren. Wir denken da zum Beispiel an Unterstützung bei der klimasensiblen Weiterentwicklung von Organisationsleitbildern in Kitas und Pflegeeinrichtungen, an Schulungen und klimabildende Maßnahmen für verschiedene Akteure und Akteurinnen in Settings (zum Beispiel pädagogische Fachkräfte und Kinder, Pflegekräfte und pflegebedürftige Menschen) sowie an Beratungen zu klimafreundlicher Verpflegung und Bewegungsförderung. KliGeS wird Genaueres zeigen.
Brigitte Gross, Direktorin der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin
Ausgetrocknete Seen, große Waldbrände und Flutkatastrophen – der Klimawandel schreitet voran. Das erleben wir inzwischen nicht mehr nur über Bilder aus fernen Ländern, sondern ganz unmittelbar in unseren Heimatregionen, direkt vor der eigenen Haustür. Das ist für uns alle eine sehr belastende Entwicklung. Resignation ist aber nicht die Lösung. Vielmehr müssen sämtliche Akteurinnen und Akteure nun mit schnellen und zielgerichteten Maßnahmen reagieren. Dann gilt, was einst Friedrich Hölderlin formulierte: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Die Folgen der Erderwärmung fordern auch die Sozialversicherungsträger heraus. Auch sie wollen einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten. Gelingen kann dies nur, wenn Nachhaltigkeit zu einem Leitbild für ihr gesamtes Verwaltungshandeln wird.
Die Voraussetzungen dafür sind gut. Schließlich gehört Nachhaltigkeit ohnehin zum Wesen der gesetzlichen Rentenversicherung als Grundpfeiler der sozialen Sicherung. Denn ihr zugrunde liegt der Gedanke des Generationenvertrags. Mit Leben erfüllt wird er durch die Absicherung der gesellschaftlichen Teilhabe im Alter und im Falle einer Erwerbsminderung.
Umsetzung durch die Deutsche Rentenversicherung Bund
Für eine lebenswerte Zukunft wollen wir als Deutsche Rentenversicherung Bund künftig soziale, ökonomische und ökologische Aspekte noch stärker miteinander in Einklang bringen. Damit werden wir unserer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht und leisten einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen des jetzt dringend anstehenden Strukturwandels.
Unsere drei übergeordneten ökologischen Nachhaltigkeitsbestrebungen lauten:
- Wir werden bis 2030 treibhausgasneutral sein.
- Wir reduzieren unseren Ressourcenverbrauch.
- Wir richten unsere Beschaffung nachhaltig aus.
In der weiteren Konkretisierung der ökologischen Nachhaltigkeitsbestrebungen haben wir thematische Schwerpunkte identifiziert und daraus Handlungsfelder abgeleitet.
Sparsamer Umgang mit Ressourcen
Strom und Wärme erweisen sich als größte CO2-Emissionsquellen und damit als die zentralen Handlungsfelder. Darauf Einfluss nehmen können wir beim Energiebezug und beim Bauen, konkret durch die Ausschöpfung von Energieeffizienzpotenzialen und durch den sparsamen Umgang mit Ressourcen. Vor allem hier will die Deutsche Rentenversicherung Bund ansetzen.
Mobilität und Beschaffung als wichtige Handlungsfelder
Weitere wichtige Handlungsfelder zur Erreichung unserer Nachhaltigkeitsbestrebungen sind Mobilität (dienstliche Fahrten) sowie das Beschaffungswesen. Die für die öffentliche Hand verpflichtenden Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen müssen an die Anforderungen des Klimaschutzes angepasst werden. Der Betrachtungszeitraum muss sich außerdem über den gesamten Lebenszyklus der zu beschaffenden Güter erstrecken, um sämtliche Kosten der zu vergleichenden Varianten, einschließlich der Aufwendungen für Entsorgung oder Recycling, berücksichtigen zu können. Nur so gehen wir mit den öffentlichen Geldern verantwortungsvoll um.
Festsetzung und Erhebung von Nachhaltigkeitsindikatoren
Ob die eingeleiteten Schritte erfolgreich sind, wird ständig überprüft. Um künftig die ökologischen und sozialen Auswirkungen messen, steuern und diese auch transparent kommunizieren zu können, setzen wir Nachhaltigkeitsindikatoren fest, die wir regelmäßig überprüfen. Für eine erste Bestandsaufnahme der Nachhaltigkeitsaspekte und zur CO2-Bilanzierung eignet sich die Berichterstattung mittels etablierter Rahmenwerke wie etwa der Deutsche Nachhaltigkeitskodex. Diese Daten werden zum Beispiel auch bei der Einführung eines Umweltmanagements, beispielsweise EMAS – Eco Management and Audit Scheme, und der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei baulichen Maßnahmen, wie zum Beispiel BNB – Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen, benötigt.
Nachhaltigkeit im Verwaltungshandeln umsetzen
Die Deutsche Rentenversicherung Bund wird ihre Nachhaltigkeitsstrategie konsequent weiterentwickeln und damit den bereits laufenden tiefgreifenden Wandel zu einer nachhaltigen Verwaltung ausweiten und beschleunigen. Denn nur wenn wir unseren bewährten sozialen Generationenvertrag um eine ökologische Dimension erweitern, bleibt er zukunftstauglich.
Johannes Eisenbarth, Stabsbereich Politik im GKV-Spitzenverband
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist der Klimawandel die größte Gesundheitsbedrohung für die Menschheit. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen des Klimawandels spürbar: Starkwetterereignisse wie Stürme, Fluten und Hitzewellen, höhere UV-Belastung, zunehmende Prävalenz von Allergien und die Ausbreitung von zum Teil neuen Infektionskrankheiten stellen Herausforderungen für Prävention, Behandlung und Pflege dar. Gleichzeitig trägt das Gesundheitswesen selbst zum Klimawandel bei. Etwa fünf Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland gehen auf diesen Sektor zurück.
Prävention an Klima- und Umweltveränderungen anpassen
Die Krankenkassen sehen sich in der Verantwortung, an der Verhütung der mit dem Klimawandel verbundenen Gesundheitsgefahren mitzuwirken, gesundheitsfördernde Strukturen in Pflegeeinrichtungen, Kindergärten, Schulen, Betrieben und Kommunen zu stärken und einen Beitrag zur gesundheitsorientierten Bewältigung des Klimawandels zu leisten. Der Leitfaden Prävention des GKV-Spitzenverbandes, der als Grundlage für die Präventionsangebote der Krankenkassen dient, berücksichtigt das Thema Klimaschutz und Klimaanpassung bereits. Leistungen der Primärprävention und Gesundheitsförderung sollen nicht nur die individuelle Gesundheit verbessern, sondern auch zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen. Außerdem soll die Prävention klimawandelbedingter Gesundheitsrisiken in Kommunen zum Beispiel durch Information der Menschen und Fortbildung von Fachkräften zum Hitzeschutz unterstützt werden. Die Nationale Präventionskonferenz möchte ebenfalls dazu beitragen, den mit dem Klimawandel einhergehenden gesundheitlichen Risiken frühzeitig durch lebensweltbezogene Aktivitäten zur Prävention und Gesundheitsförderung zu begegnen.
Nicht alle klimabedingten Gesundheitsrisiken lassen sich abwenden. Die Zahl der Allergieerkrankungen, die Verbreitung von vektorübertragenen Infektionskrankheiten, die UV-Strahlungsbelastung sowie die Häufigkeit und Dauer von Hitzewellen etwa nehmen zu und müssen daher in der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung stärker berücksichtigt werden.
Mit dem Klimawandel häufen sich Starkwetterereignisse. Das Gesundheits- und Pflegesystem muss auf Katastrophensituationen vorbereitet sein, damit auch in Krisenzeiten die Versorgung bestmöglich sichergestellt wird. Grundlage hierfür ist, dass alle Beteiligten in Gesundheitswesen, Politik und Gesellschaft die Herausforderungen und Handlungsbedarfe etwa im Rahmen der Resilienzstrategie der Bundesregierung gemeinsam bewerten.
Gesundheit und Pflege klimaneutral und nachhaltig gestalten
Vor dem Hintergrund des Übereinkommens von Paris hat sich Deutschland international verpflichtet, sein Gesundheitssystem klimaneutral und nachhaltig weiterzuentwickeln. Die Ziele des deutschen Klimaschutzgesetzes, die CO2-Emissionen bis 2030 um mindestens 65 Prozent zu senken und bis 2045 klimaneutral zu werden, sind auch für das Gesundheitswesen und die Sozialversicherung bindend.
Die klimagerechte Gestaltung der Versorgung reicht vom sorgsamen Verschreiben von Arzneimitteln über die Wahl klimafreundlicher Behandlungs- und Produktoptionen etwa bei Inhalatoren und Narkosegasen, die Nutzung von Mehrwegmaterial und Wiederaufbereitung geeigneter Medizinprodukte bis hin zur Nutzung digitaler Angebote, um mobilitätsbedingte Emissionen zu vermindern. Krankenhäuser und stationäre Pflegeeinrichtungen müssen klimafreundlich saniert werden. Entsprechende Investitionen liegen als gesamtgesellschaftliche Aufgabe primär in der Verantwortung der öffentlichen Hand.
Auch gesetzliche Krankenkassen handeln zunehmend klimabewusst, orientieren sich an der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, bilanzieren ihren ökologischen Fußabdruck und leiten daraus Maßnahmen für Beschaffung und Verbrauch ab.
Herausforderungen gemeinsam bewältigen
Damit sich unsere Versicherten auch angesichts des Klimawandels auf die bestmögliche Versorgung verlassen können, steht im Fokus, die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung ökologisch nachhaltig und klimaneutral weiterzuentwickeln. Der Schulterschluss der Akteurinnen und Akteure des Gesundheitswesens ist ein wichtiger und notwendiger Schritt auf diesem Weg. Daher hat sich der GKV-Spitzenverband maßgeblich für die gemeinsame Erklärung „Klimapakt Gesundheit“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG), der Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen sowie der Länder und Kommunen eingesetzt.
Die Beispiele Prävention, Nachhaltigkeit im Verwaltungshandeln und die Klimaziele zeigen: Alle Träger der Sozialversicherung sind gefordert. Angesichts der gesellschaftlichen Dimension können die Herausforderungen am besten gemeinsam bewältigt werden.