Verbreitung von Infektionskrankheiten und Allergien durch den Klimawandel
Neue Infektionskrankheiten können sich durch den Klimawandel auch in Europa ausbreiten. Veränderte Vegetationsperioden lassen Pollen früher und verstärkt auftreten und allergische Beschwerden aufkommen. Die Auswirkungen betreffen alle Versicherten in der gesetzlichen Unfallversicherung. Frühzeitig Gefahren erkennen hilft, präventive Maßnahmen an Arbeitsplätzen zu ergreifen.
Es wird immer deutlicher, dass der Klimawandel erhebliche Auswirkungen auf die Ökosysteme und die in ihnen lebenden Organismen hat. Damit besteht ein direkter und indirekter Einfluss auf die menschliche Gesundheit, insbesondere durch die Häufigkeit von extremen Wetterereignissen wie Starkregen und den daraus resultierenden Flutkatastrophen. Auch durch andere Extreme, wie zum Beispiel längere Hitzeperioden und verheerende Brände, wird klar, dass diese Klimaveränderungen unsere Breiten betreffen und schon jetzt vielfältige Auswirkungen haben.
Die klimatischen Veränderungen werden zu einer Ausweitung der Verbreitungsgebiete vieler Arten in bisher kältere Regionen führen. Folglich ist damit zu rechnen, dass infektiöse und allergische Erkrankungen, die durch „neue“ Erreger oder Allergene ausgelöst werden, auch in Gebieten auftreten, in denen sie bisher nicht oder nur selten beobachtet wurden.
Infektionskrankheiten auf dem Vormarsch
Weltweit gehören Infektionskrankheiten zu den zweithäufigsten Todesursachen. Sowohl Umweltfaktoren als auch menschliches Verhalten, wie der weltweite Reise- und Warenverkehr, beeinflussen offensichtlich die Verbreitung von Infektionskrankheiten: Aktuell hat dies die Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus gezeigt. Veränderte Umwelteinflüsse, ausgelöst durch den Klimawandel, können dazu beitragen, dass sich Erreger und Überträger von Krankheiten – sogenannte Vektoren – in Regionen ausbreiten, in denen sie zuvor nicht heimisch waren. Neue Infektionskrankheiten tauchen auf, wenn Erreger ihre übliche ökologische Nische, ihr Reservoir wie das (Wild-)Tier verlassen, sich dadurch ihr geografisches Verbreitungsgebiet verändert und sie zusätzlich eine genetische Veränderung durchlaufen. Das kann dazu führen, dass diese Erreger die Fähigkeiten erwerben, Menschen zu infizieren und auch von Mensch zu Mensch übertragen werden zu können. Dadurch steigt das globale Risiko für Infektionen wie Malaria, Borreliose, Gelbfieber, West-Nil-Fieber, Chikungunya, um nur einige zu nennen. Für viele dieser übertragbaren Krankheiten stehen weder Impfstoffe noch passende Medikamente zur Verfügung.
Um geeignete Schutzmaßnahmen gegen Infektionskrankheiten ergreifen zu können, muss man wissen, wie der Erreger auf den Menschen übertragen wird. Bei den durch Vektoren auf den Menschen übertragenen Infektionskrankheiten sind dies vielfach Insekten und hier insbesondere Mücken sowie Spinnen, zu denen auch Zecken gehören. Temperatur und Niederschlag sind die beiden wichtigsten Klimafaktoren, die vektorübertragene Krankheiten wesentlich beeinflussen können. Vor allem in Nordeuropa nehmen die Infektionserkrankungen infolge von Zeckenstichen am stärksten durch den Klimawandel zu. Mildere Winter und wärmere Sommer führen schon im Frühjahr zur Zeckenvermehrung. Die Zeckenart, die ubiquitär in Europa verbreitet ist, ist der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus). Sie ist nicht nur bedeutsam als Überträger von Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), sondern kann auch Allergien verursachen. So zeigte sich in einer bevölkerungsbasierten Studie in Südwestdeutschland[1], dass Forstangestellte, Jägerinnen und Jäger eine hohe Prävalenz an dem durch Zeckenstiche verursachten Alpha-Gal-Syndrom haben. Hierbei kann es zu einer Säugetierfleisch-induzierten verzögerten Anaphylaxie[2] kommen.
Klimawandel beeinflusst Allergenexposition
Steigende Temperaturen begünstigen verlängerte Vegetationsperioden, sodass es zu einem verstärkten und frühzeitig einsetzenden Pollenflug kommen kann. Zusätzlich beeinflussen Umweltschadstoffe wie Kohlendioxid die Produktion von Biomasse, was zu einer Vermehrung der Pollen führt. Weiterhin konnte gezeigt werden, dass die Pollen mehr Allergene und auch andere entzündlich wirkende Botenstoffe produzieren.[3] Pollen werden somit „allergener“ und können allergische Symptome verstärken. Die klimatischen Veränderungen wirken sich auch auf den Ferntransport der Pollen aus, das heißt, Pollen überwinden größere Strecken, und auch bislang „allergenarme“ Bergregionen können betroffen sein. All diese Faktoren und Bedingungen wiederum begünstigen das Auftreten, erhöhen die Häufigkeit sowie die Schwere von allergischen Beschwerden. Betroffen von allergischen Erkrankungen ist bereits heute fast die Hälfte der europäischen Bevölkerung. Die klimawandelbedingte Veränderung von Vegetationszonen führt außerdem zur Ansiedelung von neuen, ehemals in Deutschland nicht heimischen Pflanzen, die ursprünglich nur im Mittelmeerraum vorkommen, dazu gehören der Olivenbaum oder das Glaskraut und invasive Pflanzenarten wie die Ambrosia oder der Götterbaum (Ailanthus altissima), die ebenfalls sensibilisierend wirken können.
Viele dieser Faktoren wirken sich in unterschiedlicher Weise auf die Bedingungen an den Arbeitsplätzen aus. Profiteure der Erderwärmung wie etwa der Eichenprozessionsspinner oder der Pilz Cryptostroma corticale verursachen nicht nur forstwirtschaftliche Schäden, sondern stellen auch eine gesundheitliche Gefährdung unter anderem für Beschäftigte in der Forstwirtschaft dar. Als indirekte Auswirkungen des Klimawandels ändern sich Herstellungsprozesse und Expositionen an den Arbeitsplätzen, die auch neue Sensibilisierungsquellen darstellen können.
Betroffen sind alle Versicherten
Besonders belastet von den Auswirkungen klimatischer Veränderungen sind Beschäftigte, die im Freien arbeiten. Aber nicht nur für diese Gruppe gilt: Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz unter den veränderten klimatischen Bedingungen muss stärker beachtet werden. Die mit dem Klimawandel verbundenen Gefährdungen am Arbeitsplatz stellen eine besondere Herausforderung auch für den globalen Arbeitsschutz dar.
Dies wurde auch auf einer Veranstaltung im Rahmen der G-7-Präsidentschaft Deutschlands, die im Herbst 2022 in Dresden stattfand, betont.[4] Hervorgehoben wurde dabei die Notwendigkeit, Betriebe bei diesem Wandel zu unterstützen. Die Bereitstellung von angepassten Bewertungsmaßstäben und Schutzmaßnahmen muss gewährleistet werden. Geltende Technische Regeln und Handlungsempfehlungen bei neu auftretenden Erregern und Allergenen sollten rasch angepasst werden. Dabei müssen Allergien und Infektionskrankheiten vor dem Hintergrund der anderen durch die Erderwärmung ausgelösten Belastungen wie Hitze und zunehmende UV-Strahlung beachtet und beurteilt werden. Wichtig ist aber auch, die betroffenen Berufsgruppen für mögliche Auswirkungen des Klimawandels zu sensibilisieren. Die Forschung ist gefordert, Wissen hinsichtlich Art und Verbreitung der Erreger und Allergene zu generieren, das als Grundlage für präventive Maßnahmen dienen kann.