Corona — Verkaufsflächenregelung entspricht nicht dem Gleichheitssatz

Corona-Maßnahmen der Gesetz- und Verordnungsgeber nur unter Wahrung der Grundrechte aller GrundrechtsträgerBayerischer Verwaltungsgerichtshof

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 27.04.2020, Az. 20 NE 20.793

Die Corona-Pandemie veranlasste die Landesregierungen der Bundesländer, diverse Verordnungen über Infektionsschutzmaßnahmen zu erlassen. Die dagegen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellten Anträge sind von den Verwaltungsgerichten zurückgewiesen worden (unter anderem BayVGH, 20 NE 20.63, juris). Dabei wurde in Eilverfahren gerichtlich entschieden, dass die angegriffenen Bestimmungen formell wirksam seien und in § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG eine wirksame Rechtsgrundlage finden würden.

Durch die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16.04.2020 gab es diverse Änderungen. Am 27. April 2020 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichheitsgrundsatz) festgestellt. Dieser gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Das hieraus folgende Gebot, wesentlich Gleiches gleich/wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber zwar nicht jede Differenzierung, Differenzierungen bedürfen jedoch stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.

Der BayVGH stellte fest, dass die Freistellung von Buchhandlungen/großflächigen Fahrradhandelsbetrieben aus infektionsschutzrechtlicher Sicht sachlich nicht gerechtfertigt ist. Wenn der Verordnungsgeber (hier: Bayern) diesen eine Ladenöffnung erlaubt, den sonstigen großflächigen Einzelhandelsbetrieben aber nicht, stelle dies eine sachwidrige Ungleichbehandlung dar. Die Beschränkung auf 800 m² akzeptiert der BayVGH zwar, beanstandet aber wegen der Schwere des Eingriffs in die Berufsfreiheit die Missachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch den Verordnungsgeber dadurch, dass Einzelhandelsbetrieben mit einer Fläche über 800 m² nicht erlaubt werden dürfe, ihre Fläche auf 800 m² zu begrenzen und damit den Laden zu öffnen. Im Übrigen beanstandet das Gericht im Hinblick auf den Gleichheitssatz auch, dass ausschließlich bestimmte Einzelhandelsbetriebe –  also nicht alle – verpflichtet werden sollen, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass maximal ein Kunde oder eine Kundin je 20 m² Verkaufsfläche anwesend ist.

Der BayVGH hat angekündigt, dass er die bislang auf die §§ 32, 28 IfSG gestützten Maßnahmen möglicherweise zukünftig nicht mehr als mit dem Vorbehalt des Gesetzes vereinbar betrachten wird. Denn sollte sich zeigen, dass die grundrechtsbeeinträchtigenden Pandemiemaßnahmen nicht mehr nur kurzfristiger Natur sind, sondern längere Zeit fortdauern, erscheint dem BayVGH zweifelhaft, ob der Vorbehalt des Gesetzes als wesentlicher Grundsatz einer parlamentarischen Staatsform ohne den Erlass eines Maßnahmegesetzes als Rechtsgrundlage für mittelfristig/langfristig wirkende Maßnahmen gewahrt werden kann.

Fazit: Der Bundesgesetzgeber sollte für zukünftige Infektionsschutzmaßnahmen ein Bundesgesetz erlassen, um darauf gestützte Rechtsverordnungen der Bundesländer rechtssicher auszugestalten. Zugleich sollten die Gesetz- und Verordnungsgeber strikt darauf achten, die Grundrechte aller beteiligten Personen zu wahren. Denn nur bei zeitlich eng befristeten Eingriffen setzt sich bei einer Folgeabwägung mit dem Grundrecht behandlungsbedürftiger, teilweise lebensbedrohlich erkrankter Personen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit durch (im Ergebnis BVerfG, Beschluss vom 10.04.2020, 1 BvQ 28/20).

Der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard verlangt von allen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen ein betriebliches Maßnahmenkonzept für zeitlich zusätzliche Maßnahmen zum Arbeitsschutz. Es wäre fatal, wenn die Gesetz- und Verordnungsgeber den rechtlichen „Wink mit dem Zaunpfah" ignorieren würden. Alle Grundrechtsträger haben einen verfassungs- und verwaltungsrechtlich abgesicherten Anspruch auf Wahrung ihrer Rechte. Nur wenn alle von der Pandemie Betroffenen an einem Strang ziehen, wird es uns gelingen, so viele Leben wie möglich zu retten, ohne andere Grundrechte – wie beispielsweise die Berufsausübungsfreiheit – ad absurdum zu führen.