Der neue Arbeitsplatzgrenzwert für Bitumen – Schritte zur Umsetzung

Der neue Arbeitsplatzgrenzwert für Bitumen wird beim Verarbeiten von Walz- und Gussasphalt in der Regel überschritten. Welche Maßnahmen können ergriffen werden, um die Belastung der Beschäftigten bis zum Auslaufen einer Übergangsfrist Ende 2024 zu reduzieren?

Einleitung

Wissenschaftlich begründete und verbindliche Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) sind ein wichtiges Präventionsinstrument, um gesundheitliche Beeinträchtigungen von Beschäftigten zu verhindern. Bei neuen AGW stellt sich zunächst die Frage, wie hoch Beschäftigte exponiert sind. Hierzu liegen umfangreiche Daten vor: Seit mehr als 20 Jahren sind Messungen von Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen bei der Heißverarbeitung durchgeführt worden. Die Ergebnisse führen jedoch zu dem ernüchternden Schluss, dass praktisch an allen Arbeitsplätzen im Bereich der Asphaltverarbeitung die Exposition über dem im März 2020 veröffentlichten AGW liegt (siehe Abbildung 1).

Anwendung von Bitumen

Bitumen ist der Destillationsrückstand bei der Raffination von Erdöl. Es besteht aus hochmolekularen Kohlenwasserstoffen mit schwankenden Anteilen an Schwefel-, Sauerstoff- und Stickstoffverbindungen. Das bei hohen Temperaturen aufgeschmolzene Destillations- oder Straight-Run-Bitumen kann durch das Einblasen von Luft unter kontrollierten Bedingungen modifiziert werden. Hierbei entstehen stärker vernetzte Moleküle und damit härtere und beständigere Bitumensorten. Je nach Intensität dieses Prozesses resultiert schwach „angeblasenes“ (air-rectified) Bitumen oder aber das „vollgeblasene“ (fully-blown) Oxidationsbitumen.

Verwendet werden Destillations- und Air-Rectified-Bitumen überwiegend im Straßenbau. Asphalt – die Mischung aus Bitumen und Mineralstoffen (Sand und Gesteinskörnungen) – wird bei hohen Temperaturen verarbeitet: Walzasphalt bei 160 +/– 20 Grad Celsius und Gussasphalt bei bis zu 230 Grad Celsius. Oxidationsbitumen finden sich zum Beispiel in Klebe- oder Vergussmassen, die teilweise auch zur Abdichtung von Verkehrsflächen eingesetzt werden (Fugenverguss), sowie in manchen Bitumendach- und -dichtungsbahnen. Weitere Einsatzgebiete für Bitumen sind Estriche, Isolieranstriche oder auch Dämpfungsfolien für Kraftfahrzeugkarosserien.

Toxikologie – MAK, AGW

Die Ständige Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (MAK-Kommission) hat sich 2018 erneut mit Bitumen beschäftigt (Nies 2020), nachdem die letzte Evaluation im Jahr 2001 erfolgt war. Einerseits sollten neuere Erkenntnisse einbezogen werden, insbesondere aus einem Langzeit-Tierversuch an Ratten und der umfangreichen Humanstudie Bitumen, die federführend vom Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV, Institut der Ruhr-Universität Bochum (IPA) durchgeführt wurde. Andererseits wollte man prüfen, ob auf Basis aktueller Daten verschiedene Bitumensorten arbeitsmedizinisch-toxikologisch unterschiedlich zu bewerten sind.

Gesundheitliche Effekte, die bei der Exposition gegenüber den Emissionen aus Bitumen bei der Heißverarbeitung diskutiert werden, sind Reizungen an den Atemwegen und ein erhöhtes Risiko für Lungenkrebs.

Das Ergebnis der Neubewertung fand bereits Eingang in die MAK- und BAT-Werte-Liste 2018. Im Jahr 2019 wurde auch das mehr als 100-seitige Begründungspapier publiziert, an dem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IPA und des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) maßgeblich beteiligt waren (Welge et al. 2019).

Der von der MAK-Kommission veröffentlichte gesundheitsbasierte Grenzwert von 1,5 mg/m³ (bezogen auf Bitumenkondensat-Standard[1]) für Dampf und Aerosol bei der Heißverarbeitung von Destillations- und Air-Rectified-Bitumen (maximale Arbeitsplatzkonzentration – MAK) wurde vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im November 2019 aufgegriffen und in einen verbindlichen AGW überführt. Am 13. März 2020 wurde der AGW in der TRGS 900 im Gemeinsamen Ministerialblatt bekannt gemacht.

Den Mitgliedern des AGS war bei der Beratung bewusst, dass der neue AGW für Bitumen in einigen Bereichen der Bauwirtschaft derzeit nicht eingehalten werden kann. Deshalb wurde für die betroffenen Branchen eine Übergangsregelung beschlossen, um expositionsreduzierende Maßnahmen in die Praxis umzusetzen. Für Walz- und Gussasphalt sowie für den Bereich der Bitumen- und Polymerbitumenbahnen (beispielsweise im Dachdeckerhandwerk) gilt für den AGW eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2024.

Hinsichtlich der krebserzeugenden und keimzellmutagenen Wirkungen für Dampf und Aerosol aus Oxidationsbitumen folgte die Einstufung der MAK-Kommission im Wesentlichen dem Vorschlag der internationalen Krebsforschungsagentur IARC. Insbesondere die Ergebnisse von Hautpinselungsstudien an Mäusen mit Kondensaten aus Oxidationsbitumen, die zu lokalen Tumoren geführt hatten, führten zu einem Verbleib von Oxidationsbitumen in der Kategorie 2 krebserzeugender Stoffe nach den Einstufungskriterien der DFG-Kommission („hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen“). Diese Einstufung – wie auch die zur Keimzellmutagenität – hat der AGS mit der Aufnahme von Dampf und Aerosol aus Oxidationsbitumen als krebserzeugend Kategorie 1B und keimzellmutagen Kategorie 2 in der TRGS 905 adaptiert. Dagegen wurde Dampf und Aerosol aus Destillations- und Air-Rectified-Bitumen nicht als Krebsverdachtsstoff in die TRGS 905 aufgenommen.

Branchenlösung für Walz- und Gussasphalt

Die Übergangsfrist für die Anwendung des AGW hat der AGS an Rahmenbedingungen geknüpft (siehe Abbildung 2). Die Branchen „Walz- und Gussasphalt“ haben bereits im Mai 2020 den geforderten Plan zur Konkretisierung von Maßnahmen zur Expositionsreduzierung im AGS eingereicht. Im Mai 2022 muss ein Zwischenbericht zur Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen erfolgen. Die Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) erhielt das Mandat, in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern eine Branchenlösung zu erarbeiten.

Nach dem derzeitigen Stand der Erkenntnisse sind zwei Maßnahmenpakete anvisiert:

  1. Die Zugabe von viskositätsverändernden Bestandteilen ermöglicht eine Verarbeitung von Asphalt bei erniedrigten Einbautemperaturen, etwa 20 bis 30 Grad Celsius unter den herkömmlichen Einbautemperaturen. Die Einführung dieser temperaturabgesenkten Bauweise (TA; englisch: „warm-mix“ im Gegensatz zu „hot-mix“) hatte vor einigen Jahren in Deutschland bereits zu einer sehr deutlichen Reduktion der Exposition im Bereich der Gussasphaltarbeiten geführt. Hier und beim Walzasphalteinbau im Tunnel ist diese Bauweise bereits Stand der Technik – allerdings noch nicht für den Straßen- und Wegebau im Allgemeinen. TA-Asphalt ist noch nicht als Regelbauweise in das Regelwerk für den Straßenbau eingegangen.
    Die Anpassung des technischen Regelwerks der Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen (FGSV), in dem die technischen Vertragsbedingungen für Straßenbauverfahren festgeschrieben sind, erfordert zumeist lange Zeiträume. Es gibt aber schon seit vielen Jahren auch in Deutschland gute Erfahrungen mit dieser Bauweise, die überwiegend im Ausland erfolgreich eingesetzt wird. Bei uns werden weiterhin Bedenken geäußert, die vorwiegend die Dauerhaftigkeit der in TA-Bauweise gefertigten Straßenbeläge betreffen. Um die ausführenden Firmen vor haftungsrechtlichen Problemen zu bewahren, ist eine rasche Änderung des FGSV-Regelwerkes notwendig. Deshalb wird das BMAS mit dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) Gespräche zu dieser Thematik führen.
  2. Im Ausland werden bereits seit Längerem Straßenfertiger eingesetzt, die mit einer Absaugung für die Dämpfe und Aerosole ausgestattet sind (siehe Abbildung 3). Große Hersteller bieten in der Regel zwei Varianten für die unterschiedlichen Märkte an: mit oder ohne Absaugung.
    Diese expositionsmindernde Maßnahme wurde jedoch bislang in Deutschland kaum nachgefragt. Nach den positiven Erfahrungen speziell aus Frankreich erscheint es sinnvoll, nun die Absaugung am Asphaltstraßenfertiger auch in Deutschland flächendeckend einzuführen. Bei der Beschaffung neuer Maschinen sollte dies eine selbstverständliche Anforderungsspezifikation in der Ausschreibung sein. Neuere Maschinen aus dem Bestand lassen sich auch nachrüsten. Die typische Gebrauchsdauer für diese Fertiger beträgt etwa sechs Jahre – somit könnte bei Ablauf der Übergangsfrist Ende 2024 der gesamte Maschinenbestand mit einer Absaugung ausgestattet sein. Damit die Branche gegenüber dem AGS ihre Anstrengungen angemessen belegen kann, wird die BG BAU ein Internetportal für das Monitoring der Anzahl abgesaugter Asphaltstraßenfertiger bereitstellen.
Abbildung 2 | © BG BAU
Abbildung 2: Forderungen aus dem AGS zu flankierenden Maßnahmen der Ausnahmeregelung ©BG BAU

Gute Erfahrungen aus Frankreich

In den kommenden Jahren soll insbesondere der Vergleich der alten und neuen Technologien das Ausmaß der erreichbaren Expositionsminderung aufzeigen. Vielversprechend sind die in Frankreich gewonnenen Erkenntnisse. Dort haben Kolleginnen und Kollegen vom Institut national de recherche et de sécurité (INRS) exzellente Vorarbeit geleistet (Patrascu 2014; Patrascu et al. 2017). Sie berichten, dass die Exposition durch die TA-Bauweise um etwa 25 Prozent und durch die Absaugung am Fertiger um etwa 35 Prozent reduziert werden kann. In Frankreich gab es eine Kampagne für die Straßenbaubetriebe, in der nicht nur die Exposition gegenüber Dämpfen und Aerosolen aus Bitumen behandelt wurde, sondern auch weitere Themen des Arbeitsschutzes wie UV-Strahlung beim Arbeiten im Freien, Lärmentwicklung an den Maschinen, Handhygiene und manches mehr.

Abbildung 3 | © BOMAG GmbH – FAYAT GROUP
Abbildung 3: Im Ausland werden bereits seit längerem Straßenfertiger eingesetzt, die mit einer Absaugung für die Dämpfe und Aerosole ausgestattet sind ©BOMAG GmbH – FAYAT GROUP

Was spricht dagegen, diese Arbeiten aus Frankreich als Blaupause für das Vorgehen in Deutschland zu wählen? Auch wenn sich mit den dort ermittelten Reduktionsfaktoren noch keine dauerhaft sichere Einhaltung des AGW errechnen lässt, wird es mit Sicherheit in die richtige Richtung gehen. Bleibt zu hoffen, dass durch gemeinsame Anstrengungen aller Beteiligten der Branchenlösung in den kommenden fünf Jahren eine ausreichende Reduzierung der Belastung der Arbeitskräfte im Asphaltstraßenbau erreicht werden kann. Die vorübergehende Aussetzung des AGW und der damit verbundene Verzicht auf das Tragen von Atemschutz werden auch vonseiten des Arbeitsschutzes mitgetragen, weil bei regelmäßigen arbeitsmedizinischen Untersuchungen der Beschäftigten keine markanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, zum Beispiel der Lungenfunktion, sichtbar geworden sind.

Literatur

Nies, E: Dämpfe und Aerosole aus Bitumen bei der Heißverarbeitung, ASU 02/2020
www.asu-arbeitsmedizin.com/praxis/auf-gewundenen-strassen-zum-verbindlichen-arbeitsplatzgrenzwert-daempfe-und-aerosole-aus (abgerufen 25.03.2020)

Welge, P.; Käfferlein, H. U.; Pallapies, D.; Brüning, T.: Aktuelle Bewertung von Bitumen in regulatorischen Gremien, IPA-Journal 03/2019, S. 23–27
www.ipa-dguv.de/ipa/publik/ipa-journale/ipa-journal2019/ipa-journal1903 (abgerufen am 25.03.2020)

Patrascu, C.; Bertrand, N.; Sutter B. et al.: Travaux de revêtement routier: de multiples risques à prendre en compte – Road surfacing works: many risks to take into account, 2017, 10.13140/RG.2.2.23685.04323
www.researchgate.net/publication/324013501_Travaux_de_revetement_routier_de_multiples_risques_a_prendre_en_compte_-_Road_surfacing_works_many_risks_to_take_into_account (abgerufen am 25.03.2020)

Patrascu, C.: Captage de fumées de bitume: Vers une évolution des finisseurs, Hygiène et sécurité du travail, No 236, 2014, S. 42–43
www.inrs.fr/media.html?refINRS=NT%2015 (abgerufen am 25.03.2020)