Kombinationswirkungen bei Mehrfachexpositionen – einfache Addition oder Einzelstoffbewertung?

Krebserzeugende Gefahrstoffe an Arbeitsplätzen treten häufig in Kombination auf. Man erwartet dadurch eine Verstärkung des Krebsrisikos. Aufgrund mangelnder wissenschaftlicher Erkenntnisse über berufliche Kombinationswirkungen hat man sich zunehmend auf eine einfache Addition der Einzelrisiken fokussiert. Der Ansatz erscheint zunächst pragmatisch, stößt aber an verschiedene Grenzen.

Bislang keine einheitliche Regelung zur Bewertung von Kombinationswirkungen

Für das Problem der Bewertung des gesundheitlichen Gesamtrisikos nach Mehrfachexpositionen gegenüber krebserzeugenden Stoffen liegt bislang keine generelle Regelung aus der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) oder der entsprechenden Technischen Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 910 vor.

Auch im Berufskrankheitenrecht gibt es bislang keine Generalklausel für die Beurteilung gleichzeitig einwirkender Kanzerogene.[1]

Toxikologische Untersuchungen

Die Etablierung eines generellen Konzepts für das Zusammenwirken mehrerer krebserzeugender Substanzen würde eine grundsätzliche Neuausrichtung darstellen. Aus pragmatischer Sicht wird deshalb seit mehreren Jahren eine einfache Addition der Einzelrisiken diskutiert, die vor allem auf Erfahrungen zu Kombinationswirkungen aus experimentellen toxikologischen Untersuchungen beruht. Es muss berücksichtigt werden, dass die Ergebnisse aus experimentellen Studien auf den Menschen sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht schwierig zu übertragen sind, da diese andere Einflussfaktoren nicht oder nur unzureichend berücksichtigen. Letztere werden in epidemiologischen Studien erfasst, denen somit eine große Bedeutung bei der Untersuchung von Kombinationswirkungen zukommt.

Einfache Addition stößt an praktische Grenzen

Der Vorteil eines einfachen Additionsmodells liegt sicherlich darin, dass eine Summation als Konvention zu einer schnellen Beurteilung führt. Wenn sich die einwirkenden Substanzen nicht gegenseitig verstärken, stellt die Summe der Einzeleffekte jedoch ein maximales Gesamtrisiko dar. Hieraus folgt, dass eine einfache Addition der Einzelrisiken das tatsächliche Gesamtrisiko tendenziell überschätzen kann.[2]

Darüber hinaus würde eine Addition zweier Einzelrisiken bedeuten, dass bei Expositionshöhen, die mit dem maximal akzeptablen Risiko assoziiert sind, die entsprechenden Konzentrationen beider Einzelstoffe halbiert werden müssten. Mit zunehmender Anzahl der untersuchten Einzelstoffe ließe sich diese Reduktion immer weiter fortschreiben (Drittelung, Viertelung und so weiter).

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass es beim Einwirken von zwei Noxen in der Regel ausreicht, nur einen Gefahrstoff zu kontrollieren.[3] Dies gilt insbesondere bei den klassischen Mischexpositionen, bei denen die Einzelkomponenten hoch miteinander korreliert sind. So kann es zum Beispiel beim Schweißrauch ausreichend sein, nur eine der Leitkomponenten, also entweder Chrom (VI) oder Nickel, zu kontrollieren.

Vereinfachende Annahmen erschweren realistische Beurteilung

Die bisherigen Überlegungen gehen zudem von einer Reihe weiterer vereinfachender Annahmen aus, die in der Praxis nicht immer alle oder auch nur einzeln vorliegen müssen. Hierzu zählen:

  1. Es müssen gut begründete Einzelbewertungen der betrachteten Stoffe vorliegen, um einen möglichen additiven Kombinationseffekt abzuschätzen.
  2. Die vorliegenden Daten der Einzeleffekte müssen sich auf dasselbe Zielorgan beziehen.
  3. Es kann von einer streng linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung in Abwesenheit einer Wirkschwelle ausgegangen werden.

Erschwerend kommt hinzu, dass viele wichtige Fragen, wie die Abgrenzung echter Mischexpositionen von zeitlich unabhängigen Expositionsszenarien, die Gleichsetzung von Gefahrstoffen, die in unterschiedlichen Konzentrationseinheiten gemessen werden, und die hier unterstellte gleiche Toxizität zweier Karzinogene in epidemiologischen Studien bisher kaum untersucht wurden.

Retrospektive Abschätzungen von beruflichen Expositionen sind schwierig

Grundsätzlich wäre es also hilfreich, auf empirische epidemiologische Daten für die Einschätzung von Kombinationseffekten zurückgreifen zu können. Dies stellt jedoch in epidemiologischen Studien häufig eine besondere Herausforderung dar.

So konnten in dem großen internationalen DGUV-geförderten Verbundprojekt SYNERGY selbst durch eine große Zahl von Messwerten aus sekundären Messdatenbanken weder die verschiedenen Berufe noch deren zeitliche Verteilung abgebildet werden. Damit wies die Abschätzung der Expositionshöhe auf Basis von Berufsbezeichnungen eine hohe Varianz auf, und eine verlässliche Abschätzung des Risikos von Mischexpositionen in dieser Studie war deutlich erschwert.

Die Erkenntnisse aus SYNERGY sind zwar einfachen Bewertungsschemata überlegen, fokussieren sich jedoch auf Erkenntnisse im Niedrigdosisbereich, die vor allem für präventive berufliche Aspekte genutzt werden sollten.

Fazit

Auch wenn ein einfaches Modell zur Abschätzung von Kombinationseffekten bei Gefahrstoffen für die arbeitsmedizinische Prävention wünschenswert wäre, sind für die Bewertung aus praktischen und inhaltlichen Überlegungen heraus empirische Studienergebnisse erforderlich. Liegt keine entsprechende Evidenz vor, sollten deshalb nur die Einzelstoffe entsprechend den bestehenden Grenzwerten kontrolliert werden.

Im Berufskrankheitenrecht wäre dagegen zu prüfen, ob es möglich ist, eine Berufskrankheit über eine qualitative Bewertung der Synkanzerogenese juristisch festzustellen. Eine derartige Öffnung würde es der Gutachterin oder dem Gutachter ermöglichen, in Abhängigkeit von bestehender Evidenz und den objektiv festgestellten Expositionsumständen eine Berufserkrankung auch bei nicht ausreichenden Einzelexpositionen auf Basis dieser qualitativen Kriterien anzuerkennen. Die konkreten Rahmenbedingungen für die Anforderungen an diese Evidenz sind im Dialog zwischen Medizinerinnen und Medizinern, Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern sowie Juristinnen und Juristen aus wissenschaftlicher und berufskrankheitenrechtlicher Sicht noch zu erstellen.