Roll ohne Risiko? Aktuelle Erkenntnisse und Debatten zu E-Scootern

Im betrieblichen Unfallgeschehen treten E-Scooter bisher nicht auffällig in Erscheinung. Durch die wachsende Anzahl an E-Scootern wird das Thema jedoch voraussichtlich auch im betrieblichen Kontext an Bedeutung gewinnen. Im Folgenden werden einige Aspekte der Benutzung von E-Scootern angesprochen, bei denen auch in Betrieben bereits jetzt Präventionsarbeit geleistet werden kann.

Seit dem 15. Juni 2019 sind – basierend auf der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) – sogenannte E-Scooter (elektrische Tretroller) auf Deutschlands Straßen zugelassen.[1] Sie müssen eine Lenkstange haben und mit Beleuchtung und Klingel ausgerüstet sein. Die Elektrotretroller sind Kraftfahrzeuge und eine entsprechende Kfz-Haftpflichtversicherung muss mit einer Versicherungsplakette am Fahrzeug nachgewiesen werden.

Eigene Unfallkategorie seit Januar 2020

Seit Anfang 2020 werden Unfälle mit Beteiligung von E-Scootern von der Polizei in einer eigenen Kategorie erfasst. Im gesamten Jahr 2020 wurden 2.155 solcher Unfälle mit Personenschaden – U(P) – registriert. Dabei wurden fünf Personen getötet, 386 schwer und 1.907 leicht verletzt. Knapp 82 Prozent dieser Verunglückten waren E-Scooter Fahrerinnen oder Fahrer. Bei 18 Prozent der Verunfallten handelte es sich um andere, nicht weiter aufgeschlüsselte Verkehrsteilnehmende.[2]

Im gesamten Jahr 2020 wurden 2.155 solcher Unfälle mit Personenschaden registriert. Dabei wurden fünf Personen getötet, 386 schwer und 1.907 leicht verletzt.

Die Einordnung dieser Unfallzahlen fällt angesichts der mangelnden Vergleichsmöglichkeiten schwer. Der mitunter aufgestellte Vergleich mit absoluten Zahlen der Fahrradunfälle erscheint weniger hilfreich, gibt es doch um ein Vielfaches mehr Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland, die zudem längere Strecken zurücklegen. Anbieten würde sich ein Vergleich der Unfallzahlen pro Personenkilometer, diese Kennzahl wird jedoch nicht zentral erfasst.

Inwieweit vom Unfallgeschehen auch Arbeitswege betroffen sind, kann momentan nicht eingeschätzt werden. Dies wäre aber eine hochinteressante Fragestellung für die gesetzlichen Unfallversicherungsträger. Um den Einblick in das Unfallgeschehen deutlich zu erweitern, wurde ein Konsortium um die Verkehrsunfallforschung an der Technischen Universität Dresden GmbH von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) damit beauftragt, die Verkehrsteilnahme mit Elektrokleinstfahrzeugen zu untersuchen. Auch die Unfallforschung der Versicherer führt eine Studie zu E-Scootern durch.

Kampagne "Roll ohne Risiko!" klärt über Regeln auf

Da es sich bei E-Scootern in Deutschland um ein neues Verkehrsmittel handelt, dessen Einführung durch Verkehrssicherheitsarbeit begleitet werden muss, hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) mit Unterstützung der DGUV den Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) gebeten, eine wirksame Aufklärungskampagne zu konzipieren. Im Jahr 2020 wurde die Kampagne "Roll ohne Risiko!" gestartet, die auch 2021 fortgeführt wird. Der Schwerpunkt liegt auf der Aufklärung über die geltenden Regeln.

Kampagne "Roll ohne Risiko!" | © Paula Boks/DVR
Abbildung 1: E-Scooter des Anbieters Voi mit Lenkerschild der Kampagne "Roll ohne Risiko!" ©Paula Boks/DVR

Umfrage unter aktiven Nutzerinnen und Nutzern

Um die Kampagneninhalte gezielt auf die Bedarfe und die Unfallrisiken auszurichten, führte das Meinungsforschungsinstitut Forsa (über das Online-Panel forsa.omninet) im August 2020 im Auftrag des DVR eine repräsentative Umfrage unter 1.003 Personen ab 14 Jahren durch, die bereits mindestens einmal E-Scooter gefahren waren. Sie wurden über ihr Verhalten und ihre Erfahrungen bei der Nutzung befragt.

Die Kampagne "Roll ohne Risiko!" richtet sich hauptsächlich an Personen, die Leihangebote nutzen, da dies auf die Mehrheit der befragten E-Scooter-Fahrerinnen und -Fahrer (69 Prozent) zutraf. Durch die starke Präsenz der E-Scooter als Sharingangebot in Städten liegt es auch nahe, dass im Fahren Ungeübte diese nutzen und aufgrund mangelnder Erfahrung ein erhöhtes Unfallrisiko haben. Inwieweit diese Sharingangebote – unter anderem bedingt durch die SARS-CoV-2-Pandemie – auch für dienstliche Wege oder Wege zur oder von der Arbeit wahrgenommen werden, kann momentan nicht abgeschätzt werden. Da aber die Anbieter in größeren Städten den Geschäftsradius Ende 2020/Anfang 2021 ausdehnten, kann angenommen werden, dass nunmehr E-Scooter verstärkt für tägliche Wege genutzt werden – und damit auch für Wege, die vonseiten der gesetzlichen Unfallversicherungsträger versichert sind.

Kampagne "Roll ohne Risiko!" | © Paula Boks/DVR
Abbildung 2: E-Scooter des Anbieters Bird mit Stickern der Kampagne "Roll ohne Risiko!" ©Paula Boks/DVR

Verbreitete Unkenntnis der geltenden Promillegrenzen

Ein zentrales Ergebnis der Umfrage war, dass ein – je nach Regel erheblicher – Teil der Befragten die geltenden Regeln laut eKFV und Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) für die Nutzung von E-Scootern nicht kannte. Insbesondere folgende Wissenslücken fielen dabei auf: Mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) war sich nicht bewusst, dass beim Fahren von E-Scootern dieselben Promillegrenzen gelten wie bei der Nutzung anderer Kraftfahrzeuge. Ein Fünftel dieser Personen war der Ansicht, dass die Promillegrenzen bei der Nutzung von E-Scootern und Fahrrädern identisch sind.

Mehr als die Hälfte der Befragten (51 Prozent) war sich nicht bewusst, dass beim Fahren von E-Scootern dieselben Promillegrenzen gelten wie bei der Nutzung anderer Kraftfahrzeuge.

Auch die Einordnung des E-Scooters als Kraftfahrzeug – im Gegensatz zum Fahrrad – scheint vielen nicht bekannt zu sein. Befragt nach den Regeln, auf welchen Wegen E-Scooter fahren dürfen, gab zwar eine deutliche Mehrheit (72 Prozent) richtigerweise an, dass das Befahren von Gehwegen so gut wie nie erlaubt ist. Bei immerhin mehr als einem Viertel war dies jedoch nicht der Fall: 18 Prozent hielten das Befahren von Gehwegen generell für erlaubt oder wussten es nicht (10 Prozent).

Häufigster Regelverstoß: das Befahren von Gehwegen

Außerdem wurden die Teilnehmenden nach begangenen Regelverstößen gefragt (siehe Schaubild 1). Dabei fiel besonders ins Auge, dass über die Hälfte der Befragten (57 Prozent) angab, bereits einmal oder mehrmals Gehwege oder Fußgängerzonen befahren zu haben. Da das Verbot hier einer deutlichen Mehrheit der Befragten bekannt war, kann nur spekuliert werden, warum dieser Regelverstoß derart häufig begangen wird. Möglicherweise hängt dies auch mit dem geringen Sicherheitsgefühl beim Fahren von E-Scootern im Straßenverkehr zusammen.

Regelverstöße E-Scooter | © DVR
Schaubild 1: Infografik zu Regelverstößen bei der Nutzung von E-Scootern ©DVR

Mehrheit fühlt sich im Straßenverkehr nicht sicher

Die große Mehrheit der Befragten gab an, sich beim Fahren mit dem E-Scooter bezogen auf die Bedienung des E-Scooters eher sicher (53 Prozent) oder sogar sehr sicher (30 Prozent) zu fühlen. Im Vergleich hierzu war das Sicherheitsgefühl bezüglich der Teilnahme am Straßenverkehr bei den Befragten deutlich niedriger ausgeprägt: Weit über die Hälfte der Befragten (61 Prozent) gab an, sich weniger oder überhaupt nicht sicher im Straßenverkehr zu fühlen. 71 Prozent der Befragten hielten es für sehr oder eher wahrscheinlich mit anderen motorisierten Fahrzeugen – wie einem Pkw – in einen Unfall zu geraten. Fast ebenso viele (68 Prozent) sagten dies über die Gruppe der Fußgängerinnen und Fußgänger. Auch einen Unfall mit dem Radverkehr hielten noch 62 Prozent für sehr oder eher wahrscheinlich.

Weitere Inhalte der Kampagne "Roll ohne Risiko!"

Auf Basis der Umfrageerkenntnisse klärt die Kampagne nun über die geltenden Regeln auf und weist auf die Gefahren und Konsequenzen von Regelverstößen hin. Der Gedanke dahinter: Wer die Regeln für die Nutzung von E-Scootern kennt, schützt sich selbst und andere. So wurden Lenkerschilder und Sticker direkt an den Fahrzeugen der vier größten Sharinganbieter angebracht; verschiedenen Materialien weisen online und offline auf die Regeln hin. Weitere Details zur Kampagne und zu den Umfrageergebnissen finden sich auf der Webseite der Kampagne "Roll ohne Risiko!".

Übersicht der Regeln für die Nutzung von E-Scootern | © DVR
Schaubild 2: Übersicht der Regeln für die Nutzung von E-Scootern ©DVR

Zukunft der eKFV und Änderungsvorschläge

Gemäß § 15 Abs. 4 der eKFV muss das BMVI wissenschaftlich überprüfen, welche Auswirkungen diese Verordnung auf die Verkehrssicherheit hat und ob sie ihre Ziele erreicht. Das Konsortium um die Verkehrsunfallforschung an der Technischen Universität Dresden GmbH wurde damit beauftragt, die Verkehrsteilnahme mit E-Scootern zu untersuchen. In diesem Rahmen wird neben Unfallanalysen und Verkehrsbeobachtungen auch der deutsche E-Scooter-Markt charakterisiert sowie Merkmale der Personen erfasst, die diese Fahrzeuge nutzen. Der Abschlussbericht wird für Anfang 2023 erwartet. Auf Basis dieser Evaluation soll das BMVI laut eKFV gegebenenfalls bis zum 1. September 2023 einen Änderungsvorschlag vorlegen.

Laut der eKFV müssen E-Scooter nicht mit Blinkern ausgestattet sein. Diese würden jedoch zu mehr Sicherheit beim Abbiegevorgang beitragen, da sie ein Handzeichen ersetzen und beide Hände am Lenker bleiben könnten.

Doch bereits jetzt stehen einige Änderungsvorschläge an der eKFV im Raum. Diese betreffen die Fragen, wie einerseits die Verkehrsteilnahme für die Nutzenden von E-Scootern sicherer gemacht und wie andererseits die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmender – laut bisherigen Erkenntnissen immerhin 18 Prozent der Unfallbeteiligten mit E-Scootern – minimiert werden kann. Die folgenden Aspekte stellen nur eine kleine Auswahl mit Blick auf die Rechtslage und den Handlungsspielraum der Kommunen dar. Daneben werden auch Grundsatzfragen wie die Aufteilung des Verkehrsraums sowie die Gestaltung sicherer Infrastruktur berührt.

Vorschläge: Blinkerpflicht und Prüfbescheinigung

Laut der eKFV müssen E-Scooter nicht mit Blinkern ausgestattet sein. Diese würden jedoch zu mehr Sicherheit beim Abbiegevorgang beitragen, da sie ein Handzeichen ersetzen und beide Hände am Lenker bleiben könnten. Mindestens ein Anbieter von Sharing-E-Scootern verfügt bereits über ein Fahrzeugmodell mit Blinkern. Des Weiteren würde die Einführung einer Prüfbescheinigung, ähnlich der Mofaprüfbescheinigung, sicherstellen, dass auch Personen ohne Führerschein sich vor der Nutzung von Elektrokleinstfahrzeugen mit den Verkehrsregeln befassen müssen. Schließlich dürfen E-Scooter bereits ab einem Alter von 14 Jahren gefahren werden, was im Rahmen der Schüler-Unfallversicherung sehr kritisch gesehen werden muss. Gerade hinsichtlich des Mindestalters ist es sinnvoll, zum Beispiel auch im Rahmen des Schulunterrichts über die Regeln und auch die möglichen Schwierigkeiten bei der Nutzung von E-Scootern hinzuweisen. Die oben genannten Empfehlungen wurden in einem Arbeitskreis des 58. Deutschen Verkehrsgerichtstags im Januar 2020 verabschiedet.

Um ein Stolpern über umgefallene E-Scooter zu verhindern, sind von den Kommunen einzurichtende Abstellflächen mit Bügeln zum Anlehnen für Fahrräder und E-Scooter jenseits des Gehwegs eine Möglichkeit.

Was das rechtswidrige Befahren von Gehwegen angeht: Eine Anhebung des Bußgelds auf das Niveau des Bußgeldkatalogs Fahrrad könnte eine abschreckende Wirkung entfalten, wenn die Verkehrsüberwachung entsprechend verstärkt wird. Sogar ein höheres Niveau ist denkbar, da E-Scooter leise Kraftfahrzeuge sind. Um ein Stolpern über umgefallene E-Scooter zu verhindern, sind von den Kommunen einzurichtende Abstellflächen mit Bügeln zum Anlehnen für Fahrräder und E-Scooter abseits des Gehwegs eine Möglichkeit.

Ausblick

Mit Spannung werden nun verschiedene Forschungsergebnisse mit genaueren Erkenntnissen zu den Ursachen für Unfälle mit E-Scootern erwartet. Dabei wäre interessant, wenn auch auf Studien der innerbetrieblichen Nutzung sowie der Nutzung auf Dienst- und Arbeitswegen zurückgegriffen werden könnte. Auch die Auswirkungen der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Fahrzeuge durch die Hersteller und Anbieter könnten zum Beispiel bei Verkehrsbeobachtungen bereits berücksichtigt werden. Aus den Ergebnissen ließe sich ableiten, welche Maßnahmen den größten Beitrag dazu leisten können, die Nutzung von und die Begegnung mit E-Scootern für alle Verkehrsteilnehmenden sicherer zu machen.