Expositionsstudien unterstützen bei der Grenzwertfindung

Um Grenzwerte gesundheitsbasiert ableiten zu können, sind Daten auf der Basis von Erkenntnissen am Menschen zunehmend gefragt, die unter anderem durch Studien im Expositionslabor des IPA generiert werden. Die Erfassung von akuten Effekten der inhalativen Exposition trägt zur Festlegung von optimierten Schutzmaßnahmen und verlässlichen Arbeitsplatzgrenzwerten bei.

Hintergrund

Grenzwerte für Gefahrstoffe sind ein wichtiges Präventionselement für Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Europäische Union (EU) hat sich bereits vor Jahren das Ziel gesetzt, Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) gesundheitsbasiert abzuleiten. Dadurch hat der Bedarf an qualitätsgesicherten wissenschaftlichen Daten auf der Basis von Erkenntnissen am Menschen stark an Bedeutung gewonnen. Die meisten der derzeit gültigen Grenzwerte wurden im Wesentlichen noch auf Basis von tierexperimentellen Daten generiert. Zur Übertragung der Einwirkung auf den Menschen während eines Arbeitslebens werden sogenannte Extrapolationsfaktoren angewandt, die aber im Einzelfall mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. Humanbasierte Daten auf der Basis von Dosis-Wirkungs-Beziehungen erlauben in der Regel eine deutlich realistischere Einschätzung der Gefährdungen und Risiken am Arbeitsplatz. Zur Generierung wissenschaftlicher Daten aus Humanstudien für die Grenzwertableitung steht am Institut für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) das Expositionslabor – kurz: ExpoLab – zur Verfügung.

Kontrollierte Expositionen

Im ExpoLab des IPA können unter kontrollierten Bedingungen Expositionsatmosphären sehr exakt generiert, überwacht und deren Effekte auf den Menschen untersucht werden. An Arbeitsplätzen kommt es meistens zu Mischexpositionen verschiedener Gefahrstoffe, sodass man hier nur schwer das Gefährdungspotenzial einzelner Gefahrstoffe feststellen kann. Das ExpoLab hat den Vorteil, dass genaue Untersuchungen entweder von einzelnen Gefahrstoffen oder von definierten bestimmten Gefahrstoffkombinationen vorgenommen werden können, um das genaue jeweilige Wirkprofil festzustellen. Gleichzeitig kann eine Vielzahl von Effekten auf den Menschen infolge der Exposition genauestens untersucht werden. Dazu gehören unter anderem die Vitalparameter wie Lidschlussfrequenz, EKG, Atemtiefe und -frequenz sowie bei Bedarf weitere Lungenfunktionsparameter. Subklinische biologische Effekte können lokal durch Messung von Entzündungsmarkern der Atemwege mittels nicht invasiver Methoden (NIM) und systemisch durch Biomonitoring von Blut- und Urinparametern erfasst werden. Mit neuropsychologischen Methoden können zudem Veränderungen von Aufmerksamkeit, Konzentration, Ablenkbarkeit und Reaktionszeit untersucht werden. Mittels Fragebögen geben die Probandinnen und Probanden etwaige subjektive Beschwerden, Symptome, Empfindungsintensitäten oder Geruchsbelästigungen an.

Praxis der humanen Expositionsstudien im ExpoLab

Die Untersuchungen an freiwilligen Probandinnen und Probanden werden nach Prüfung und Genehmigung durch die Ethik-Kommission der Ruhr-Universität Bochum (RUB) durchgeführt. Die Höhe der Exposition orientiert sich immer an den geltenden Grenzwerten am Arbeitsplatz, der Fragestellung und den bislang verfügbaren Literaturdaten. Untersuchungen von Stoffen mit bekannter krebserzeugender oder erbgutschädigender Wirkung werden aus ethischen Gründen selbstverständlich nicht durchgeführt. Die Expositionen erfolgen kurzzeitig – in der Regel über maximal eine Arbeitsschicht – und unter ständiger ärztlicher Kontrolle.

Im Fokus der wissenschaftlichen Untersuchungen, die zur Entwicklung von optimierten Präventionsmaßnahmen und verlässlichen Arbeitsplatzgrenzwerten beitragen, steht die Erfassung von akuten Effekten der inhalativen Exposition durch chemisch-irritative (Reizstoffe) oder partikuläre Substanzen (Stäube). Untersucht werden im ExpoLab ausschließlich Substanzen und Substanzgruppen mit hoher Bedeutung für die Arbeit der Unfallversicherungsträger. Die Bedeutung der Untersuchungen im ExpoLab kann beispielhaft für partikuläre Stäube an der Modellsubstanz Zinkoxid und für Reizstoffe am Beispiel Ethylacrylat deutlich gemacht werden.

Partikelforschung im ExpoLab: Zinkoxid

Staubexpositionen stellen nach wie vor eine der häufigsten Gesundheitsrisiken an Arbeitsplätzen dar. Akute Effekte betreffen vor allem lokale Entzündungsreaktionen der Atemwege. Gemeinsam mit der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM), der BG Holz und Metall (BGHM) sowie der BG Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) wurden im ExpoLab zwei Studien zum Zinkoxid an Schweiß- und Galvanikarbeitsplätzen durchgeführt.

Zinkoxid entsteht beim Schweißen von Zink-veredelten Blechen. Gelangt Zinkoxid in die Luft, kann es von Beschäftigten eingeatmet werden und in höheren Konzentrationen zu grippeähnlichen Beschwerden führen, auch Zink-Fieber genannt. Bei den Untersuchungen im ExpoLab wurden die teilnehmenden Personen gegenüber drei verschiedenen Konzentrationen des Zinkoxids exponiert. Während sich bei der niedrigsten Konzentration keinerlei Effekte feststellen ließen, waren bei der mittleren Konzentration einzelne Entzündungsparameter erhöht. Bei einer noch höheren Exposition machten sich teilweise grippeähnliche Symptome bemerkbar. Die so erzielten Ergebnisse sind ein wichtiger Beitrag zur Ableitung eines Grenzwertes für Zinkoxid. Solche Erkenntnisse zur Wirkung von Partikeln beim Menschen helfen, um Beschäftigte besser vor dieser Belastung zu schützen.

Reizstoffforschung

Mehr als 50 Prozent der Gefahrstoffe haben eine Reizwirkung. Als Folge einer entsprechenden Exposition treten bei Beschäftigten Irritationen im Bereich der Augen oder Atemwege auf. Das IPA hat gemeinsam mit dem Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) und der Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe (MAK-Kommission) der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) aus den Ergebnissen von experimentellen Humanstudien einen Verfahrensvorschlag zur Grenzwertableitung für Reizstoffe erarbeitet. Modellsubstanzen wie Formaldehyd, Ethylacetat, Ethylacrylat und Methylmethacrylat und Ozon mit guter humaner und tierexperimenteller Datenlage bildeten hierfür eine wichtige Grundlage. Ergebnisse von DGUV-geförderten Projekten, insbesondere auch Studien im ExpoLab des IPA, haben die grundlegenden Erkenntnisse geliefert, wie lokale Effekte von Reizstoffen beim Menschen gesundheitlich zu beurteilen sind. Hier hatte ein Forschungsbegleitkreis, der unter anderem aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Unfallversicherungsträger bestand, die zu untersuchenden Stoffe im Hinblick auf ihre betriebliche Relevanz ausgewählt. Mittlerweile werden nach diesem Verfahren circa 50 Prozent aller Grenzwerte für Gefahrstoffe am Arbeitsplatz abgeleitet. Die so wissenschaftlich abgeleiteten Grenzwerte führen zur Vermeidung nicht begründbarer Extrapolationsfaktoren beziehungsweise unberechtigt niedriger Grenzwerte.

Ethylacrylat

Stoffe, die unangenehm riechen oder reizend wirken, gewinnen vor dem Hintergrund der steigenden psychischen Anforderungen und Belastungen im Beruf eine immer größere Bedeutung. Um die Auswirkungen auf den Menschen weiter zu untersuchen, wurde Ethylacrylat als Modellsubstanz für eine Studie im ExpoLab des IPA ausgewählt. Untersucht wurden gesunde Personen mit und ohne Atopie. Unter Atopie versteht man die Neigung zu allergischen Reaktionen auf ansonsten harmlose Substanzen. Mittlerweile geht man davon aus, dass circa 50 Prozent der Bevölkerung und damit auch die Hälfte der Beschäftigten davon betroffen sind. Mit unserer Studie konnte erstmals gezeigt werden, dass Personen mit einer Atopie wahrscheinlich stärker auf Reizstoffe reagieren. In weiteren Reizstoffstudien sollen diese Ergebnisse bestätigt werden.

Weitere Einsatzmöglichkeiten des ExpoLab

Das ExpoLab kommt auch bei weiteren toxikologischen Fragestellungen wie der Hautpenetration von Gefahrstoffen wie dem Anilin oder der Wahrnehmung flüchtiger oder gelöster chemischer Stoffe aus der Umwelt, auch Chemosensorik genannt, zum Einsatz. Darüber hinaus kann es für arbeitsplatzbezogene Inhalationstests in Berufskrankheitenverfahren genutzt werden.

Modellsubstanzen
Wann immer möglich, sollten ausgewählte Modellsubstanzen aus einer Stoffgruppe im Detail beim Menschen untersucht werden. Das ermöglicht die Übertragung von Ergebnissen auf andere Vertreter dieser Stoffgruppen.