Hitze und Gewalt im Arbeitskontext
„Hitzige Debatten“, „Hitzkopf“, „Es ging heiß her“ – umgangssprachlich sind Hitze und Aggressivität sowie Impulsivität eng miteinander verknüpft. Inwiefern sich dieser Zusammenhang auch in wissenschaftlichen Studien zeigt und welche Konsequenzen hieraus für die Arbeitsgestaltung entstehen, soll in diesem Artikel beleuchtet werden.
Es ist ein heißer Julitag. Herr M. wartet im Empfangsbereich der Behörde auf seinen Termin. Einen Sitzplatz hat er leider nicht mehr ergattert, der Wartebereich ist überfüllt, eine Klimaanlage gibt es nicht. Das Hemd klebt inzwischen auf seinem Körper, Schweißperlen laufen ihm über die Haut und Durst hat er auch, denn der Wasserspender ist bereits seit einer Weile leer. Hinzu kommen unangenehme Gerüche von den schwitzenden Menschen um ihn herum. In einer ähnlichen Situation waren sicherlich die meisten Menschen schon einmal und haben am eigenen Leib erfahren, wie sich die Hitze auf den eigenen Gemütszustand auswirkt. Die Zündschnur wird immer kürzer und die Wahrscheinlichkeit, dass Herr M. in seinem Termin aggressiv reagieren wird, weil er zum Beispiel weitere Formulare ausfüllen muss und noch einen neuen Termin benötigt, steigt.
Der Zusammenhang von Hitze und Aggression
Hitze wirkt sich unmittelbar auf die Psyche des Menschen aus. Unter anderem hängt eine höhere Temperatur mit einer höheren Aggression und impulsiver Gewalt zusammen. Dies ist bereits seit Langem Gegenstand wissenschaftlicher Studien und inzwischen gut untersucht. So gibt es Feldstudien, in denen beispielsweise das Hupen von Autos in Innenstädten bei verschiedenen Außentemperaturen beobachtet wurde und tatsächlich haben Fahrer und Fahrerinnen von nicht klimatisierten Autos an heißen Tagen mehr gehupt.[1] Auch bei sportlichen Auseinandersetzungen kann aggressives Verhalten in Zusammenhang mit der Temperatur gebracht werden.[2] Studien haben ergeben, dass im Sommer mehr Morde stattfinden als zu anderen Jahreszeiten und heißere Jahre mit mehr Gewalttaten einhergehen als insgesamt kühlere Jahre.[3] Betrachtet man die Studienlage, deutet diese darauf hin, dass Hitze Aggression und Gewaltgeschehen erhöht.[4] Unklar ist jedoch bisher, welche konkreten Mechanismen für diesen direkten Zusammenhang verantwortlich sind. So gibt es physiologische Erklärungsansätze, dass bei hohen Temperaturen beispielsweise vermehrt Adrenalin und andere Stresshormone ausgeschüttet werden.[5] Ebenso gibt es psychologische Erklärungsansätze, wonach durch Hitze Menschen Unwohlsein empfinden und dadurch die Reizbarkeit gesteigert wird und die Handlungen anderer Menschen als feindseliger wahrgenommen werden.[6] Der Zusammenhang von Gewaltverbrechen und höherer Temperatur kann auch durch soziale und situative Faktoren erklärt werden, nämlich, dass sich bei höheren Temperaturen Menschen vermehrt im Freien aufhalten und es somit wahrscheinlicher ist, dass ein Mensch Opfer von Kriminalität wird.[7] Unabhängig von diesen und weiteren Theorien zu den Zusammenhängen bleibt aber das eigentliche Phänomen bestehen, nämlich, dass sich ein Zusammenhang zwischen Hitze und Aggression und folglich Gewalt zeigt.
Hitze und die kognitive Leistungsfähigkeit
Hitze steht nicht nur mit Aggression von Menschen in Zusammenhang, sondern darüber hinaus gibt es belastbare Hinweise, dass die kognitive Leistungsfähigkeit während Hitzewellen reduziert ist.[8] Damit können in der Folge eine Erhöhung der Fehlerrate und vermehrte Unfälle einhergehen. Bei der Arbeit und im Hinblick auf Gewalt kann so eine besonders ungünstige Situation entstehen. Es ist nicht nur damit zu rechnen, dass an heißen Tagen Menschen eher aggressiv reagieren, sondern auch, dass aufgrund der reduzierten kognitiven Leistungsfähigkeit eher Fehlurteile gefällt werden. Dies kann sowohl Kundinnen und Kunden oder andere Personen im Arbeitskontext betreffen als auch die Beschäftigten selbst. Heiße Temperaturen können sich somit auf verschiedenen Wegen auf das Gewaltgeschehen auswirken. Herr M. könnte sich beispielsweise durch die weiteren Formulare, die er ausfüllen muss, gegängelt fühlen oder deren Zweck nicht verstehen und daher entsprechend aggressiv reagieren. Der zuständige Sachbearbeiter kann seinerseits möglicherweise aufgrund der reduzierten kognitiven Leistungsfähigkeit weniger gut die Zusammenhänge erklären und schließlich mit der aggressiven Reaktion von Herrn M. schlechter umgehen. Möglicherweise reagiert der zuständige Sachbearbeiter seinerseits ebenfalls aggressiver, als er es unter anderen Umständen tun würde, und die Situation eskaliert daher weiter. Die Zusammenhänge von Hitze und Gewalt sind also komplex.
Der Klimawandel beeinflusst die Arbeitswelt
Mit Blick auf den menschengemachten Klimawandel entsteht ein beunruhigendes Bild, denn die Durchschnittstemperatur steigt. Es ist mit mehr Wetterextremen wie Hitzewellen zu rechnen.[9] Vor dem Hintergrund der bisherigen Studienlage kann daher ein Anstieg von Aggression und Gewalt grundsätzlich aber auch im Arbeitskontext vermutet werden.[10] Die Folgen von Gewalt sind ebenso vielfältig wie die Formen von Gewalt. Zunächst wirkt sich die Gewalterfahrung auf die Betroffenen selbst aus. Neben körperlichen Verletzungen können auch psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen die Folge sein. Kurzfristig können Betroffene beispielsweise unter Schock stehen, langfristig kann sich eine Traumafolgestörung wie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln. Darüber hinaus leiden mache Betroffene unter dem Verlust des Vertrauens in die soziale Umwelt. Gewalt wirkt sich ebenfalls durch krankheitsbedingte Fehlzeiten oder Kündigungen auf den Betrieb aus und kann einen betriebswirtschaftlichen Schaden zur Konsequenz haben. Darüber hinaus ist mit volkswirtschaftlichen Einbußen zu rechnen. Die Prävention von Gewalt bei der Arbeit ist daher von hoher Bedeutung.
Prävention von Gewalt bei der Arbeit
Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt im Sinne des ILO-Übereinkommens Nummer 190 wird definiert „als eine Bandbreite von inakzeptablen Verhaltensweisen und Praktiken oder deren Androhung (…), die darauf abzielen, zur Folge haben oder wahrscheinlich zur Folge haben, physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden zu verursachen und umfasst auch geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung“.[11] Die Erkenntnis, dass Gewalt und Hitze miteinander in Beziehung stehen, ist nicht nur bedrohlich, sondern eröffnet auch Perspektiven und Möglichkeiten zur Prävention von Gewalt im Arbeitskontext. Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung müssen Gefährdungen ermittelt und Maßnahmen abgeleitet werden, um diesen zu begegnen. Hierbei ist die Maßnahmenhierarchie im Arbeitsschutz einzuhalten, das heißt, technische sollten vor organisatorischen und diese wiederum vor personenbezogenen Maßnahmen umgesetzt werden.
So könnten in der Behörde, in der Herr M. einen Termin hatte, die Fenster beschattet, Ventilatoren angebracht oder der Wartebereich klimatisiert werden. Zusätzlich könnte der Wartebereich vergrößert und mehr Sitzmöglichkeiten geschaffen werden, wodurch Menschen weniger gedrängt beieinanderstehen. Außerdem sollte nicht nur der Wartebereich, sondern das gesamte Gebäude im Hinblick auf Hitze betrachtet werden, denn im Arbeitskontext kann es nicht nur zu externer Gewalt durch beispielsweise Kundinnen und Kunden kommen, sondern ebenfalls zu interner Gewalt durch Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzte. Im konkreten Beispiel könnte als organisatorische Maßnahme das Wartezeitenmanagement verbessert werden, sodass es möglichst zu keinen langen Wartezeiten kommt und der Wasserspender häufiger auf den Füllstand überprüft wird. Darüber hinaus könnten die Beschäftigten im Zuge von personenbezogenen Maßnahmen hinsichtlich deeskalierenden Verhaltens geschult und über den Zusammenhang von Hitze und Aggression aufgeklärt werden.
Nicht nur Behörden sind von Gewalt bei der Arbeit betroffen. An allen Arbeitsplätzen, an denen Kontakt mit anderen Menschen wie Kundinnen und Kunden, Patientinnen und Patienten besteht, kann es potenziell zu Gewalt kommen und heiße Temperaturen können das Risiko weiter erhöhen. Die Regulation der Temperatur sowie entsprechende organisatorische und personenbezogene Maßnahmen sind somit sinnvolle Bausteine in einem Konzept zur Gewaltprävention.