COVID-19 als Berufskrankheit ‒ Update 2022
Die Daten zum Berufskrankheitengeschehen 2022 liegen vor. Die Zahl der Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit sowie der anerkannten Berufskrankheiten hat sich aufgrund der COVID-19-Erkrankungen gegenüber dem Vorjahr nochmals deutlich erhöht.
COVID-19-Erkrankungen als Berufskrankheit
Personen, die infolge ihrer Tätigkeit im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium mit SARS-CoV-2 infiziert werden und deshalb an COVID-19 erkranken, werden unter der Berufskrankheiten-Nummer (BK-Nr.) 3101 erfasst. Gleiches gilt für Personengruppen, die bei ihrer versicherten Tätigkeit der Infektionsgefahr in einem ähnlichen Maße besonders ausgesetzt sind. Eine Anerkennung als Berufskrankheit setzt zudem voraus, dass nach dieser Infektion mindestens geringfügige klinische Symptome auftreten.[1]
Im Jahr 2022 gingen 370.141 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit bei den gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand ein (vgl. Abbildung 1). Vier Fünftel dieser Anzeigen wurden in Zusammenhang mit COVID-19 gestellt.
Im Jahr 2022 wurden insgesamt 199.542 Berufskrankheiten anerkannt; bei mehr als 90 Prozent handelte es sich um COVID-19-Erkrankungen. Gegenüber 2020 hat sich die Zahl der als Berufskrankheit anerkannten COVID-19-Erkrankungen damit fast verzehnfacht. Im Vergleich mit dem Vorjahr liegt der Anstieg bei über 75 Prozent. Bis Ende 2022 wurden insgesamt 164 neue BK-Renten bei COVID-19-Erkrankungen gewährt: zwölf im Jahr 2020 und jeweils 76 in den Jahren 2021 und 2022. Im gleichen Zeitraum wurde in 123 Fällen festgestellt, dass die versicherte Person an den Folgen einer als Berufskrankheit anerkannten COVID-19-Erkrankung verstorben ist (2020: 14, 2021: 72, 2022: 37).
Im ersten Halbjahr 2023 lagen den Unfallversicherungsträgern nach vorläufigen Angaben mehr als 56.000 Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit in Zusammenhang mit COVID-19 vor – das bedeutet einen Rückgang um knapp 70 Prozent gegenüber dem Vorjahreshalbjahr.[2] Die vorläufige Zahl der als BK-Nr. 3101 anerkannten COVID-19-Erkrankungen im ersten Halbjahr 2023 betrug gut 37.000. Dies entspricht einem Rückgang um ungefähr 50 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2022.[3]Unter Berücksichtigung dieser vorläufigen Angaben kommen zu den knapp 340.000 seit Pandemiebeginn bis einschließlich 30. Juni 2023 als Berufskrankheit anerkannten COVID-19-Erkrankungen gut 26.000 Versicherungsfälle aus dem Bereich der Arbeitsunfälle und rund 14.000 aus dem Bereich der Schulunfälle hinzu.[4]
Post- beziehungsweise Long-COVID
Insgesamt wurde in knapp 6.000 der in den Jahren 2020 bis 2022 als BK-Nr. 3101 anerkannten COVID-19-Erkrankungen die Diagnose „Long- beziehungsweise Post-COVID-19-Zustand“ dokumentiert.[5]Dies entspricht einem Anteil von zwei Prozent. Die Diagnose „Long- beziehungsweise Post-COVID-19-Zustand“ wird in der Regel nicht in der laufenden Bearbeitung der Fälle statistisch erfasst, sondern retrospektiv anhand geeigneter Kriterien ermittelt. Diese retrospektive Ermittlung ist jedoch mit Unsicherheiten behaftet. Zur Identifikation der Long- oder Post-COVID-Fälle wird beispielsweise die Höhe der Kosten für die medizinische Rehabilitation herangezogen. Dabei ist unter anderem der Zeitverzug bei der Rechnungsstellung zu berücksichtigen. Zudem ist das Kriterium der Kostenhöhe eher geeignet, Post- als Long-COVID-Fälle zu identifizieren. Es ist daher davon auszugehen, dass Long-COVID-Fälle untererfasst sind.
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung
Bis Ende 2022 haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften und die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand insgesamt 257,1 Millionen Euro in knapp 41.000 Fällen für Leistungen der Rehabilitation und für Rentenleistungen in Zusammenhang mit COVID-19 als Berufskrankheit erbracht. Das entspricht im Durchschnitt knapp 6.300 Euro pro Fall. Der weit überwiegende Anteil (98 Prozent) der Ausgaben entfiel auf Leistungen der medizinischen Behandlung und Rehabilitation. Dazu zählen neben der ambulanten und stationären Heilbehandlung auch das Verletztengeld sowie die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge (vgl. Tabelle 1).
Die durchschnittlichen Kosten pro Fall und Jahr seit Pandemiebeginn bis Ende 2022 liegen für eine stationäre Behandlung bei rund 9.300 Euro, die durchschnittlichen Kosten für Verletztengeld (ohne Sozialversicherungsbeiträge) bei 9.800 Euro. Werden nur die Fälle berücksichtigt, in denen die Diagnose Long- beziehungsweise Post-COVID dokumentiert wurde, steigen die durchschnittlichen Kosten pro Fall und Jahr auf 11.640 Euro für eine stationäre Behandlung und für Verletztengeld (inklusive Sozialversicherungsbeiträgen) auf über 14.500 Euro. Auch die durchschnittlichen Kosten für eine ambulante Heilbehandlung sind in diesen Fällen deutlich höher.
An 37 Personen mit einer als Berufskrankheit anerkannten COVID-19-Erkrankung wurden bis Ende 2022 Rentenleistungen in Höhe von gut 0,5 Mio. Euro und in 118 Fällen Leistungen an Hinterbliebene in Höhe von insgesamt rund 3,2 Millionen Euro ausgezahlt.
Anerkennungen: Wer hat sich wo infiziert?
Im Jahr 2020 entfielen rund zwei Drittel der Anerkennungen von COVID-19-Erkrankungen als Berufskrankheit auf die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und rund ein Drittel auf die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand.[6]Im Jahr 2021 lag das Verhältnis bei 73 zu 26 Prozent und im Jahr 2022 bei 81 zu 19 Prozent. Aufgrund des im Tatbestand der BK-Nr. 3101[7] definierten Personenkreises erfolgten darüber hinaus in den drei Jahren zusammen 1.598 Anerkennungen bei den anderen gewerblichen Berufsgenossenschaften.
Am häufigsten wurden die Verdachtsanzeigen, die zu einer Anerkennung von COVID-19 als Berufskrankheit geführt haben, von Unternehmen sowie von Ärztinnen und Ärzten erstattet (vgl. Abbildung 2). Der Anteil der Anzeigen von Unternehmen ist von 56 Prozent im Jahr 2020 auf 81 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Gleichzeitig ist der Anteil der ärztlichen Meldungen von 42 auf 15 Prozent gesunken. Der Anteil der Meldungen durch die Krankenkassen liegt bei gut zwei Prozent.
Rund 80 Prozent der versicherten Personen mit einer Anerkennung sind weiblich. Dies korrespondiert mit der in dem hauptsächlich betroffenen Wirtschaftsabschnitt „Gesundheits- und Sozialwesen“ bestehenden Geschlechterverteilung unter den Beschäftigten.[8]
Die Verteilung auf die Altersgruppen zum Zeitpunkt der Anerkennung ist in Abbildung 3 dargestellt. Die Struktur der Altersverteilung ist in den Jahren 2020 bis 2022 ähnlich. Da eine Anerkennung als BK-Nr. 3101 eine versicherte Tätigkeit voraussetzt, sind deutlich häufiger Personen im erwerbsfähigen Alter im Vergleich zur Gesamtbevölkerung, wie sie das Robert Koch-Institut (RKI)[9] für 2020 bis 2022 dokumentiert, betroffen. Der Anteil der versicherten Personen, die zum Zeitpunkt der Anerkennung mindestens 65 Jahre alt sind, liegt bei zwei Prozent. In der Gesamtbevölkerung haben die COVID-19-Fälle in dieser Altersgruppe einen Anteil von zwölf Prozent. Der Anteil der versicherten Personen, die zum Zeitpunkt der Anerkennung unter 20 Jahre alt sind, liegt bei einem Prozent. In der Gesamtbevölkerung haben die COVID-19-Fälle in dieser Altersgruppe einen Anteil von 20 Prozent.
Knapp 55 Prozent der Unternehmen, in denen die Infektion stattgefunden hat, haben 500 und mehr abhängig beschäftigte Vollarbeiter[10] (vgl. Abbildung 4).
Tabelle 2 enthält die Differenzierung nach dem Bundesland des Sitzes des Unternehmens.[11] Die vier demnach am stärksten betroffenen Bundesländer entsprechen den vier Bundesländern, in denen nach Angaben des RKI [12]bis 21. April 2023 die kumulierten Fallzahlen am höchsten waren.
Die Infektionen haben überwiegend in Unternehmen der Wirtschaftszweige „Gesundheitsdienst“, „Heime (ohne Erholungs- und Ferienheime)“ und „Erziehung und Unterricht“ stattgefunden. Dies spiegelt sich auch in den am häufigsten zum Zeitpunkt der Infektion ausgeübten Tätigkeiten wider:
- Assistenzberufe im Gesundheitswesen – wie die nicht akademische Krankenpflege (46 Prozent)
- Betreuungsberufe – wie Pflegehelferinnen und Pflegehelfer sowie Kinderbetreuung (29 Prozent)
- akademische und verwandte Gesundheitsberufe – wie Ärztinnen und Ärzte sowie akademische Krankenpflege (neun Prozent)
Zu den übrigen Tätigkeiten zählen zum Beispiel Erzieherinnen und Erzieher oder Lehrkräfte im Vorschulbereich sowie andere personenbezogene Dienstleistungen.