Spanische Ratspräsidentschaft – EU-Politik im Schatten der Regierungsbildung
Spanien hat im Juli 2023 den Vorsitz im Rat der EU übernommen. Damit hat das Land die Möglichkeit, bestimmte Themen auf die politische Agenda zu setzen – und somit Einfluss zu nehmen auf die Prioritätensetzung der europäischen Politik. Ebenfalls im Juli stand die spanische Parlamentswahl an. Die Regierungsbildung im südlichen EU-Mitgliedstaat dürfte aufgrund fehlender Mehrheiten schwierig werden. In Brüssel ist deshalb die Befürchtung groß, dass dies die Handlungsfähigkeit der spanischen Ratspräsidentschaft schwächen könnte.
Aber zunächst einmal: Was heißt Ratspräsidentschaft genau? Der Ratsvorsitz wird nicht gewählt, jeder EU-Mitgliedstaat kommt nach dem Rotationsprinzip an die Reihe. Der Vorsitz erstreckt sich dann jeweils über sechs Monate. Dem Rat der EU gehören die jeweiligen Fachministerinnen und Fachminister aus den Mitgliedstaaten an. Das Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, legt die politische Agenda fest, leitet die Sitzungen und versucht, Kompromisse zwischen den einzelnen EU-Staaten auszuhandeln. Die Schwerpunkte der spanischen Ratspräsidentschaft betreffen auch die Sozialpolitik, genauer gesagt das Thema Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz. Hier lohnt sich ein genauerer Blick in die Agenda.
Spanien hat für seine Ratspräsidentschaft vier Themenschwerpunkte festgelegt – Reindustrialisierung der EU und Gewährleistung der strategischen Autonomie, Stärkung der europäischen Einheit, grüner Wandel und Stärkung sozialer sowie wirtschaftlicher Gerechtigkeit. Und was ist konkret geplant?
Spanien möchte etwa eine Vereinbarung mit den europäischen Sozialpartnern über Telearbeit und das „Right to Disconnect“ erzielen – also das Recht, außerhalb der Arbeitszeit keine Arbeitsstunden leisten zu müssen. In diesem Zusammenhang spielt auch das Thema mentale Gesundheit eine wichtige Rolle. Aktuell gibt es hierzu verschiedene europäische Vorstöße: Im Juni 2023 hat die Europäische Kommission zum Thema mentale Gesundheit eine Strategie vorgestellt. Die spanische Ratspräsidentschaft greift diese nun auf. Sie hat eine Sondierungsstellungnahme durch den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) zu Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit erarbeiten lassen. In dem Entwurf geht es auch um psychische Aspekte bei der Arbeitszeitgestaltung.
Zudem sollen die Dossiers zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern vor gefährlichen Stoffen am Arbeitsplatz vorangetrieben werden. Dabei geht es um Grenzwerte für Asbest und für Blei sowie Diisocyanate. Diese Stoffe können etwa bei Gebäuderenovierungen vorkommen und die Gesundheit von Beschäftigten beeinträchtigen. Die Deutsche Sozialversicherung begleitet diese Themen seit Monaten und hat sich mit Stellungnahmen und in vielen persönlichen Gesprächen in den politischen Prozess eingebracht.
Neben diesen Schwerpunkten möchte die spanische Ratspräsidentschaft viele weitere Themen vorantreiben, unter anderem den Europäischen Behindertenausweis und die Ausweitung des Sozialschutzes für Selbstständige. Ob sich diese ambitionierte Agenda jedoch mit Blick auf die Regierungsbildung in Spanien auch tatsächlich umsetzen lässt, bleibt abzuwarten. Um Themen, für die bis Ende dieses Jahres noch kein politischer Konsens im Rat der EU gefunden werden konnte, wird sich dann Belgien kümmern müssen. Das Land wird im Januar 2024 den Ratsvorsitz übernehmen und hat schon jetzt angekündigt, einen Schwerpunkt bei der Sozialpolitik setzen zu wollen. Es bleibt also spannend in Brüssel!