Neue Entscheidungen aus der Welt der Teilungsabkommen
Teilungsabkommen – ist das nicht ein „alter Hut“? Kann es hier noch Überraschungen und damit interessante zu besprechende Entscheidungen geben? Drei aktuelle zweitinstanzliche Entscheidungen zeigen, dass die erste Frage zu verneinen, die zweite Frage aber zu bejahen ist.
OLG Nürnberg, Urteil vom 14.06.2023, Az. 4 U 3561/22; OLG Hamburg, Hinweisbeschluss vom 01.06.2023, Az. 9 U 24/23; OLG Bamberg, Urteil vom 21.03.2023, Az. 5 U 54/22 V
Teilungsabkommen (TA) sind Verträge zwischen Sozialversicherungsträgern und Haftpflichtversicherern, mit denen seit mittlerweile 85 Jahren eine vereinfachte Schadensfallabwicklung bezweckt wird. Die von den Leistungsträgern an und zugunsten von Versicherten erbrachten Aufwendungen sollen pauschaliert von den hinter potenziellen Schädigern stehenden Haftpflichtversicherern nach einer bestimmten Quote ausgeglichen werden. Die Quote beträgt regelmäßig 50 Prozent als Mittelwert zwischen null und 100 Prozent.
Wellenartig gibt es in gewissen Zeitabständen von mehreren Jahren immer wieder Bestrebungen von privaten Haftpflichtversicherern, bestimmte Fallkonstellationen aus dem Anwendungsbereich von Teilungsabkommen herausnehmen zu wollen. Zudem wird versucht, dem im Teilungsabkommen als vertragliche Regelung enthaltenen Wortlaut mit TA-spezifischen Formulierungen einen anderen Sinn zu geben, als es die Vertragsparteien bei Vertragsabschluss aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung beabsichtigten. Denn schließlich werden die Teilungsabkommenstexte in gewissen zeitlichen Abständen angepasst; zuletzt viele Verträge aufgrund des Inkrafttretens des Sozialgesetzbuches (SGB) VII zum 1. Januar 1997 beziehungsweise aufgrund der Euro-Einführung im Jahr 2002. Wenn es dann in den Jahrzehnten vor Abschluss der „neuen“ Verträge höchstrichterliche Rechtsprechung zur Auslegung von Teilungsabkommenstexten gab, dann ist zunächst einmal davon auszugehen, dass diese Rechtsprechung erstens den späteren Vertragsparteien bei Vertragsabschluss bekannt war und zweitens, dass bei Verwendung derselben Klauseln in den neuen Texten, wie sie identisch sind mit den Klauseln, über die bereits gerichtlich entschieden wurde, gerade diese Auslegung als Wille beider Parteien gilt und gelten soll. Alles andere anzunehmen wäre lebensfremd.
Für die privaten Haftpflichtversicherer ist die Situation als TA-Partner relativ komfortabel – sie verweigern die Zahlung und warten ab, ob der Sozialversicherungsträger Klage auf Zahlung der vertraglich versprochenen Leistung erhebt. Da Teilungsabkommen vielen Zivilrichtern und Zivilrichterinnen in erster Instanz nicht bekannt sind, ebenso wenig wie die diesbezügliche Rechtsprechung, ist es leider auch keine Seltenheit, dass erst die zweite Instanz, mithin regelmäßig die Oberlandesgerichte, zugunsten der Sozialversicherungsträger die vertraglich versprochene Leistung zusprechen.
Demzufolge sollen hier drei oberlandesgerichtliche Entscheidungen vorgestellt und bewertet werden:
Der Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Nürnberg lag ein Fall zugrunde, bei dem ein Lkw-Fahrer auf einem fremden Betriebsgelände von einem dortigen Gabelstaplerfahrer an- und überfahren wurde. Solche Situationen sind Klassiker rund um die Frage, ob Schädiger und Geschädigter auf einer gemeinsamen Betriebsstätte tätig waren und sich der Schädiger dem Geschädigten gegenüber auf das Haftungsprivileg nach § 106 Abs. 3 Var. 3 SGB VII berufen kann. Die den Unfall entschädigende Berufsgenossenschaft (BG) hatte sich erstinstanzlich gegen den Schädigereinwand, es gäbe ein solches Haftungsprivileg, nicht erfolgreich durchsetzen können – schließlich kommt es immer auf die Einzelheiten, die in einer Beweisaufnahme zutage treten, an und insofern war die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte im konkreten Einzelfall zumindest vertretbar. Zugleich hatte die BG aber auch die Arbeitgeberin des Schädigers, die sich unzweifelhaft auf kein Haftungsprivileg berufen kann, verklagt – und ebenso den Haftpflichtversicherer aus dem Teilungsabkommen bis zum dort vereinbarten Zahlungslimit. Das Landgericht (LG) Ansbach hatte die Klage komplett abgewiesen. Da der Arbeitgeberin nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld wegen der Haftungsprivilegierung des schädigenden Gabelstaplerfahrers keine Verschuldenshaftung nach § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nachgewiesen werden konnte, beschränkte sich das Berufungsverfahren der weiter klagenden BG auf das Verhältnis zur Haftpflichtversicherung als TA-Partner. Das OLG Nürnberg hat durch Urteil vom 14. Juni 2023 der klagenden BG den Anspruch aus dem Teilungsabkommen zugesprochen, das voll klageabweisende Urteil der ersten Instanz mithin teilweise aufgehoben. Begründet wurde dies überzeugend damit, dass die Haftung der Arbeitgeberin des Gabelstaplerfahrers nach § 831 BGB ausreicht, Ansprüche nach dem Teilungsabkommen zu begründen. Selbst wenn sich der Gabelstaplerfahrer als Verrichtungsgehilfe der Arbeitgeberin auf ein Haftungsprivileg nach § 106 Abs. 3 Var. 3 SGB VII berufen kann und deswegen ein sogenanntes gestörtes Gesamtschuldverhältnis vorliegt, darf die BG als TA-Partnerin Ansprüche geltend machen. Gibt es – wie meist – für solche Fälle eine spezielle Regelung im TA in Form einer reduzierten Beteiligungsquote, führt selbst der Umstand, dass ohne das TA die Arbeitgeberin entsprechend § 840 Abs. 2 BGB nicht in Anspruch genommen werden dürfte, nicht dazu, dass hier die Ansprüche aus dem TA entfallen.
Das LG Hamburg und nachfolgend das OLG Hamburg hatten sich mit einer ähnlichen Konstellation zu beschäftigen. Anlass war der schwere Unfall eines Fußballspielers aufgrund eines groben Fouls eines Spielers der gegnerischen Mannschaft. Der Haftpflichtversicherer des Vereins des Täters wurde von der den Unfall entschädigenden BG auf Basis einer Haftung der Arbeitgeberin nach § 831 BGB und eines bestehenden Teilungsabkommens in Anspruch genommen. Hier ging der Haftpflichtversicherer über die Verweigerung einer Zahlung hinaus und erhob Klage auf Feststellung gegen die BG, dass diese Fallkonstellation nicht zu einer Schadensfallabwicklung nach dem TA führen dürfe. Die BG beantragte Klageabweisung mit der Begründung, dass dieser Fall eindeutig nach TA abzuwickeln ist und erhob konsequenterweise Widerklage auf Zahlung der TA-Leistung. Das LG Hamburg hat die Klage des Haftpflichtversicherers als zulässig, aber unbegründet erachtet und der Widerklage der BG voll stattgegeben. Dagegen wandte sich die Berufung des Haftpflichtversicherers. Das OLG Hamburg hat daraufhin der Beklagten dringend empfohlen, die Berufung zurückzunehmen. Denn über die zutreffende rechtliche Auffassung des Landgerichts hinaus sei die Feststellungsklage des Haftpflichtversicherers, da sie fallübergreifend formuliert wurde, wohl bereits unzulässig und nicht nur unbegründet, während die Widerklage der BG auf TA-Leistung voll berechtigt sei. Daraufhin nahm der Versicherer derselben Gruppe, die bereits vor dem OLG Nürnberg eine Niederlage erlitten hatte, zwecks Vermeidung eines zweiten für ihn negativen OLG-Urteils in kurzer Zeit die Berufung zurück.
Zuletzt soll nur auf die in r+s 2023, Seite 426 veröffentlichte Entscheidung des OLG Bamberg vom 21. März 2023 hingewiesen werden, bei der es um die Frage des Nachweises einer Unfallkausalität ging, wenn ein Teilungsabkommen besteht. Hier hat das OLG ein zu Unrecht klageabweisendes Urteil der ersten Instanz, das zu großen Diskussionen führte, aufgehoben und klargestellt, dass die vertraglich in Teilungsabkommen vereinbarten Klauseln eigenen Regeln folgen.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass drei OLG-Entscheidungen in wenigen Monaten zu Teilungsabkommen den Haftpflichtversicherern verdeutlichen sollten, dass die Sozialversicherungsträger, die Ansprüche auf Leistung aus dem TA geltend machen, nicht mehr als die ihnen vertraglich zustehende Leistung begehren. Wer sich seit Jahrzehnten vertraglich gebunden hat, wird mit dem Versuch, vertraglich eingegangene Verpflichtungen zu negieren oder abzuwehren, scheitern.
Die Inhalte dieser Rechtskolumne stellen allein die Einschätzungen des Autors/der Autorin dar.