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Erste Begutachtungsempfehlung zu Post Covid liegt vor

Die neue DGUV-Begutachtungsempfehlung zu Post Covid hilft dabei, eine einheitliche und gerechte Begutachtung der Erkrankung sicherzustellen. Die Begutachtung erfolgt erstmals multidisziplinär und orientiert sich an den spezifischen Symptomen der jeweiligen Patientinnen und Patienten.

Bereits seit mehreren Jahrzehnten sind Begutachtungsempfehlungen in der gesetzlichen Unfallversicherung als wichtiges Instrument für die Feststellung von Leistungsansprüchen nach einer Berufskrankheit (BK) insbesondere von der Rechtsprechung und der Anwaltschaft akzeptiert. Die Königsteiner Empfehlung bei der Lärmschwerhörigkeit, die Bamberger Empfehlung für arbeitsbedingte Hauterkrankungen sowie die Reichenhaller Empfehlung zu den arbeitsbedingten obstruktiven Atemwegserkrankungen bildeten die ersten Bemühungen um Standards in der Begutachtung von Berufskrankheiten ab. Zwischenzeitlich kamen die Falkensteiner Empfehlung zu asbestbedingten Erkrankungen, die Bochumer Empfehlungen für die Silikose und die Begutachtungsempfehlung zur Gonarthrose als BK-Nr. 2112 der Berufskrankheitenliste dazu. Eine Übersicht über die vorliegenden Begutachtungsempfehlungen der DGUV bei Berufskrankheiten ist auf der DGUV-Website zu finden.[1]

Während aktuell die Arbeiten an einer Begutachtungsempfehlung zu Schleimhautveränderung, Krebs oder anderen Neubildungen der Harnwege im Sinne der BK-Nr. 1301 und 1321 der Berufskrankheitenliste laufen, konnten zu Beginn dieses Jahres die Arbeiten an einer neuen Begutachtungsempfehlung zu Post Covid abgeschlossen werden.[2]

Diese Empfehlungen sind das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit von medizinischen und juristischen Sachverständigen sowie Verwaltungsexpertinnen und -experten verschiedener Fachgesellschaften und Institutionen, um eine einheitliche und gerechte Begutachtung sicherzustellen. Sie setzen Qualitätsstandards auf der Basis des aktuellen und akzeptierten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands zu den verschiedenen Krankheitsbildern. Dazu ist es unter anderem auch erforderlich, dass diese Begutachtungsempfehlungen regelmäßig auf Aktualität überprüft und gegebenenfalls entsprechend neuen gesicherten Erkenntnissen angepasst werden. Die DGUV, die regelhaft Begutachtungsempfehlungen initiiert, hat sich deswegen selbst verpflichtet, im Regelfall nach Ablauf von fünf Jahren die Aktualität bestehender Begutachtungsempfehlungen durch eine interdisziplinär besetzte Arbeitsgruppe überprüfen und gegebenenfalls erforderliche Anpassungen vornehmen zu lassen.

Die Empfehlungen stellen damit auch sicher, dass ein an einer aktuellen Begutachtungsempfehlung orientiertes medizinisches Gutachten auf einem hohen Qualitätsniveau erstellt wird. Dies ist wichtig, um auf der Grundlage dieser medizinischen Gutachten fundierte rechtliche Entscheidungen über Leistungsansprüche von in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen treffen zu können und dabei dem grundgesetzlich (Artikel 3) verankerten Gebot der gleichen Beurteilung vergleichbarer Sachverhalte Rechnung zu tragen.

Spezielle Kriterien zur Begutachtung

Gleichzeitig unterstützt eine Begutachtungsempfehlung auch die Sachbearbeitung der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen sowie der Gerichtsbarkeit bei der Auswertung von Gutachten und der Entscheidungsfindung in Bezug auf Leistungsansprüche und fördert eine einheitliche Rechtsprechung durch die Sozialgerichtsbarkeit.

Für die Begutachtung bestimmter Berufskrankheiten gibt es spezielle Kriterien, die auf den Empfehlungen der Unfallversicherungsträger basieren. Diese Kriterien helfen dabei, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen präzise festzustellen und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Leistungsansprüche der versicherten Personen zu bewerten.

Die gerade fertiggestellte Begutachtungsempfehlung Post Covid beinhaltet darüber hinaus auch bereits fachliche, organisatorische und logistische Voraussetzungen, die medizinische Sachverständige erfüllen müssen, um als Gutachterin oder Gutachter tätig werden zu können. Während dies für andere Berufskrankheiten jeweils gesondert in Abstimmung mit den jeweiligen wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften erfolgt, wurden diese Anforderungen nun erstmals innerhalb der Begutachtungsempfehlung entwickelt und beschrieben.

Infolge der Pandemie und der sich daraus ergebenden Auswirkungen haben die als Long Covid beziehungsweise Post Covid bezeichneten Krankheitsbilder eine enorme gesellschaftliche Wahrnehmung erfahren und eine große soziale und ökonomische Relevanz erlangt.[3]

Ergebnis interdisziplinärer Zusammenarbeit

Für die gesetzliche Unfallversicherung haben insbesondere die Verläufe einer Covid-Erkrankung eine große Relevanz, die in der AWMF-Leitlinie[4] als Post Covid bezeichnet werden. Während die als Long Covid bezeichneten Verläufe durch maximal zwölf Wochen anhaltende Beschwerden gekennzeichnet sind, gelten Verläufe mit anhaltenden Beschwerden über einen längeren Zeitraum als zwölf Wochen als Post Covid. Gerade bei diesen Verläufen ergeben sich häufig Rehabilitationsbedarfe, medizinisch wie auch hinsichtlich der Teilhabe am Berufsleben. Zusätzlich stellen sich in diesen Fällen oftmals Fragen der Entschädigung durch Renten, wenn trotz erfolgter Rehabilitation dauerhafte Beeinträchtigungen mit Auswirkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verbleiben.

Die Begutachtungsempfehlung Post Covid ist das Ergebnis einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Fachgesellschaften und Institutionen, darunter unter anderem die Deutsche Gesellschaft für Neurowissenschaftliche Begutachtung (DGNB), die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) und die BG Kliniken. Eine vollständige Aufzählung der beteiligten Fachgesellschaften und Institutionen ist in der Begutachtungsempfehlung nachlesbar. Grund für die außergewöhnlich große Zahl beteiligter Einrichtungen ist die Vielzahl und Komplexität der unter dem Begriff Post Covid zusammengefassten körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen und Folgezustände. Hier ist bereits aus der Behandlung und Therapie entsprechender Patientinnen und Patienten bekannt, dass häufig gerade multidisziplinäre Ansätze, also die Beteiligung einer größeren Zahl medizinisch-wissenschaftlicher Expertisen, den Bedürfnissen erkrankter Personen am ehesten gerecht werden können.

Multidisziplinäre Begutachtung

Vor diesem Hintergrund ergab sich bei der Erarbeitung der Begutachtungsempfehlung unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Martin Tegenthoff, ehemaliger Direktor der Neurologischen Universitätsklinik und Poliklinik der BG Klinik Bergmannsheil in Bochum, auch die Notwendigkeit, die verschiedenen in Betracht kommenden Diagnosen, diagnostischen Verfahren und Funktionsstörungen sowie deren Feststellung und Bemessung für jedes einzelne medizinische Fachgebiet gesondert zu dokumentieren. Dies ermöglicht zum einen, in Abhängigkeit von den im jeweiligen Einzelfall führenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen das medizinische Fachgebiet zu identifizieren, auf dem die Hauptbegutachtung angestrebt wird. Zum anderen werden damit die Einbindung weiterer medizinischer Fachgebiete in den Begutachtungsprozess sowie die Feststellung, Dokumentation und Bewertung bestehender gesundheitlicher Beeinträchtigungen auf verschiedenen Fachgebieten ermöglicht.

Die Begutachtung von Post-Covid-Fällen erfolgt in der Regel multidisziplinär und orientiert sich an den spezifischen Symptomen der jeweiligen Patientinnen und Patienten. Dabei sind die wesentlichen Schritte:

  1. Anamnese: Eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte einschließlich der akuten Covid-19-Erkrankung und der anhaltenden Symptome.
  2. Klinische Untersuchung: Eine umfassende körperliche Untersuchung, um die aktuellen Beschwerden und Funktionsstörungen zu bewerten.
  3. Spezifische Tests: Je nach Symptomatik können verschiedene diagnostische Tests erforderlich sein, wie zum Beispiel Lungenfunktionstests, neurologische Untersuchungen oder kognitive Tests, um die Beschwerdesymptomatik zu objektivieren und das Ausmaß der sich daraus ergebenden Funktionsbeeinträchtigungen quantifizieren zu können.
  4. Multidisziplinäre Zusammenarbeit: Die Begutachtung kann Fachärztinnen und Fachärzte aus verschiedenen Disziplinen einbeziehen, zum Beispiel Neurologie, Kardiologie, Pulmologie und Psychiatrie, um ein umfassendes Bild der gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erhalten.
  5. Bewertung und Dokumentation: Die Ergebnisse der Untersuchungen werden dokumentiert und bewertet. Dabei werden bereits bei anderen Berufskrankheiten bestehende und durch Erfahrungswerte sowie gerichtliche Akzeptanz etablierte Tabellen zur Beurteilung von Funktionsstörungen herangezogen.
  6. Nachbegutachtung: Bei relevanten Funktionsstörungen kann eine Nachbegutachtung im Verlauf sinnvoll sein, um den Fortschritt oder die Persistenz der Symptome zu überwachen.

Diese strukturierte Vorgehensweise stellt sicher, dass die Begutachtung der im jeweiligen Einzelfall bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen umfassend, fachkundig und jeweils auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft erfolgt.

Aktuell wird zum Thema Post Covid weltweit viel geforscht. Nahezu täglich werden neue Forschungsergebnisse veröffentlicht, die zum Teil bislang bestehende Erkenntnisse und Erfahrungen bestätigen, zum Teil neue Erkenntnisse liefern. Diese wiederum erfordern eine wissenschaftliche Diskussion im Kontext der übrigen wissenschaftlichen Erkenntnisse und nachfolgender Evaluation, um von einem dann aktuellen und wissenschaftlich anerkannten Stand der Erkenntnisse ausgehen zu können. Aufgrund der Vielzahl kurzfristig zu erwartender neuer Erkenntnisse hat sich die mit der Erarbeitung der Begutachtungsempfehlung Post Covid betraute Arbeitsgruppe darauf geeinigt, nicht wie ansonsten üblich erst nach Ablauf von fünf Jahren eine Überprüfung auf Aktualität vorzunehmen. Vielmehr ist vorgesehen, bereits nach Ablauf von zwei Jahren nach Publikation dieser Begutachtungsempfehlung die vorhandenen Inhalte an dem dann vorliegenden wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnisstand orientiert zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen.