Die Klimakrise ist auch eine psychische Krise – Implikationen für den Arbeitsschutz

Der Klimawandel wirkt sich direkt und indirekt auf die Gesundheit der Menschen aus. Neben bekannten Gefährdungen durch psychische Belastung kommen auch neue hinzu. Bestimmte Berufs- und Personengruppen sind hier besonders großen Risiken ausgesetzt. Der Artikel beleuchtet konkrete Effekte, vulnerable Gruppen und Ansatzpunkte für die Prävention.

Der Klimawandel wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als die größte Bedrohung für die Gesundheit der Menschheit im 21. Jahrhundert angesehen. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland und weltweit erneut ausgedehnte Hitzewellen und Dürreperioden mit darauffolgenden großflächigen Wald- und Ackerbränden, aber auch Starkregenereignisse und Überschwemmungen.

Im Rahmen der Deutschen G-7-Präsidentschaft haben sich die Arbeitsministerien der beteiligten Länder darauf verständigt, „guten Arbeitsschutz im Klimawandel durch bessere Vorausschau, Prävention und Regulierung zu fördern“ (BMAS, 2022, S. 9). Im Zuge dessen fand im Oktober 2022 in Dresden ein Netzwerktreffen mit dem Titel „Networking event of the G7 OSH institutions – Climate Change meets Occupational Safety and Health“ statt. Hier wurden unter anderem auch psychische Auswirkungen des Klimawandels diskutiert. Im Rahmen der Veranstaltung zog Dr. Stefan Hussy, Geschäftsführer der DGUV, folgendes Fazit: „It´s a time of disorders“ („Es ist eine Zeit der Störungen“) – Störungen der Lebens- und Arbeitswelt aufgrund des Klimawandels und infolgedessen auch das Risiko für gesundheitliche Störungen und Erkrankungen.

Um Sicherheit und Gesundheit auch weiterhin mit allen geeigneten Mitteln sicherzustellen, ist es daher unabdingbar, sich mit den bereits eingetretenen und den zukünftig zu erwartenden Folgen des Klimawandels für die physische und psychische Gesundheit der Menschen zu befassen.

Effekte des Klimawandels auf Psyche und Gesundheit

Der Klimawandel und damit einhergehende Veränderungen wirken sich über verschiedene Wege auf die Psyche der Menschen aus. In der Forschung werden direkte und indirekte Mechanismen, sowie verschiedene psychologische Phänomene beschrieben, die mit dem bloßen Bewusstsein der Klimakrise zusammenhängen.[1]

Der Klimawandel geht mit einer Zunahme der Häufigkeit und Schwere extremer Wettereignisse einher. Überschwemmungen, Erdrutsche und Feuer können die Folge sein. Folglich werden Menschen zunehmend Extremereignissen ausgesetzt sein: Sie erleben Gefahr für Leib und Leben und müssen möglicherweise mit ansehen, wie wichtige Bezugspersonen verletzt oder gar getötet werden. Mit einer entsprechenden Zunahme von behandlungsbedürftigen Traumafolgestörungen, insbesondere posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS), ist daher zu rechnen.[2] Für Einsatzkräfte wie Feuerwehr, Polizei und andere Hilfswerke ist davon auszugehen, dass diese im Zuge von Extremwetterereignissen häufiger zum Einsatz gerufen werden. Gleichzeitig ist im Nachgang dieser Ereignisse eine erhöhte Nachfrage nach psychologischer Hilfe absehbar.

Eine besondere Rolle spielen Hitzewellen, die aufgrund global steigender Temperaturen intensiver und häufiger auftreten sowie länger andauern. Arbeitnehmende, die im Freien tätig sind, sind dann einer besonders großen Belastung ausgesetzt, da sie dem Stressor Hitze kaum entkommen können. Hohe Temperaturen stehen in Verbindung mit einem gehäuften Auftreten von aggressivem Verhalten.[3] Das gilt auch für den Arbeitskontext. Während Hitzewellen sind erhöhte Selbstmord-, Hospitalisierungs- sowie Sterberaten zu verzeichnen, auch und vor allem im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen.[4] Darüber hinaus gibt es belastbare Hinweise, dass die kognitive Leistungsfähigkeit während Hitzewellen reduziert ist.[5] Dies kann wiederum zu einer erhöhten Unfallgefahr am Arbeitsplatz oder auf dem Arbeitsweg führen.

Unter indirekten Effekten werden in der Forschung Phänomene beschrieben, die mittelbar und meist langfristig auftreten. In Folge des Klimawandels ist mit folgenden indirekten Effekten zu rechnen: Veränderte Wetterverhältnisse erhöhen das Risiko für Ernteausfälle, führen zu Wasserknappheit und Veränderungen der Ökosysteme. Die dadurch verursachten Versorgungsengpässe, finanziellen Verluste und der Verlust von Flächen führen bei Betroffenen zu Existenzbedrohung und hohem Stress, der wiederum in engem Zusammenhang mit Depressionen und Selbstmordgedanken steht.[6]

Steigende Meeresspiegel werden auch in Deutschland weitreichende Folgen haben: Bereits ab 2050 könnten Ostfriesland, Hamburg und Bremen von jährlichen Überflutungen bedroht sein.[7] Für dort lebende Menschen und angesiedelte Betriebe bedeutet dies eine ständige Gefahr und unter Umständen sogar einen Zwang zur Migration, die nicht nur die direkt Betroffenen einer enormen psychischen Belastung aussetzt, sondern auch für die Gesamtgesellschaft eine fortdauernde Neustrukturierung bedeutet. Diese Prozesse stehen in engem Zusammenhang mit dem Auftreten von Traumata, Depression, Angststörungen und Substanzmissbrauch.[8]

Auch Personen, die noch keine direkten Auswirkungen des Klimawandels persönlich erlebt haben, können dennoch eine große Betroffenheit verspüren. Diese psychologischen Phänomene werden in der Forschung mit neuen Fachbegriffen beschrieben. „Solastalgie“ beschreibt eine große emotionale Belastung infolge der Umweltveränderungen im eigenen Umfeld.[9] „Öko-Trauer“ bezieht sich auf eine spezifische Trauerreaktion auf den Verlust der natürlichen Umwelt und von Ökosystemen.[10]

Bei diesen Effekten handelt es sich um natürliche Reaktionen auf die umfassenden Umwälzungen. Sie erreichen selten einen Schweregrad, der therapeutische Maßnahmen erfordert, sorgen aber dennoch für ein konstantes Stresserleben und gehen mit Gefühlen der Hilflosigkeit und Frustration einher.[11]

Vulnerable Gruppen

Einige Bevölkerungs- und Berufsgruppen sind im Zuge der Klimakrise besonders hohen Risiken ausgesetzt. Wichtige Einflussfaktoren auf die individuelle Vulnerabilität sind beispielsweise die geografische Lage, in der die Betroffenen leben, Vorerkrankungen, sozioökonomischer Status, Bildungsniveau, Einkommen und ihr Alter.[12]

Der Klimawandel gefährdet insbesondere Menschen, deren Lebenswelten direkt mit den natürlichen Ressourcen ihrer Umwelt verwoben sind, beispielsweise durch Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus. Veränderte Wetterverhältnisse wirken sich direkt auf Arbeit, Einkommen und Wohnort aus. Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status, beispielsweise Basisarbeiterinnen und Basisarbeiter[13], haben ein erhöhtes Risiko, die negativen Auswirkungen der Klimakrise zu erleben und nur unzureichend auf diese reagieren zu können. Damit steigt für diese Gruppen das Risiko für negative psychische Beanspruchungsfolgen, beispielsweise Stresserleben, Depressivität und Ängstlichkeit.

Eine vulnerable Gruppe, die besondere Aufmerksamkeit verdient, sind Kinder und Jugendliche. Sie sind besonders anfällig für die Entwicklung einer PTBS nach einschneidenden Erlebnissen wie Extremwetter, Flucht und Verlust. Klima-Angst und Öko-Trauer werden insbesondere unter den Jüngsten der Gesellschaft beobachtet.[14] Gleichzeitig sind sie diejenigen, die die Folgen der Klimakrise auch langfristig erleben werden. Diese Themen stellen neue Herausforderungen für Schulen und Kitas dar.

Darüber hinaus bestehen auch für Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen besondere Gefährdungen, ebenso wie für alte Menschen und Schwangere. Diese Personengruppen verfügen oft über weniger Ressourcen, um auf Krisen oder veränderte Bedingungen zu reagieren, da sie beispielsweise nur eingeschränkt mobil und von regelmäßiger medizinischer Versorgung abhängig sind. Gerade ältere Beschäftigte werden in Zukunft einen Großteil der Belegschaft ausmachen. Bereits im Jahr 2030 werden mehr Menschen über 65 Jahren erwerbstätig sein als unter 20-Jährige.[15]

Prävention und Resilienz

Um auch in Zeiten von Krisen und Umbruch gesund zu bleiben, bedarf es psychischer Widerstandsfähigkeit – in der Fachwelt Resilienz genannt.[16]

Auf der individuellen Ebene verfügen diejenigen Personen über hohe Resilienz, welche an ihre eigene Selbstwirksamkeit glauben, optimistisch sind, über erfolgreiche Bewältigungsstrategien und ein stabiles soziales Netzwerk verfügen. Für Einzelpersonen kann es hilfreich sein, persönliche Vorbereitungen für Notfälle wie Stromausfälle, Starkregen und Wasserknappheit zu treffen.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist eine belastbare Infrastruktur für die psychologische Unterstützung und Beratung von Betroffenen ausschlaggebend, die auch im Krisenfall funktioniert. Entsprechendes Personal muss langfristig geschult und vorbereitet werden. Transparente Kommunikation und Information werden ebenso angeführt wie die Reduktion sozialer Ungleichheit. Auf politischer Ebene stärkt ein funktionierendes Krisenmanagement die Resilienz von Gemeinschaften. Warnsysteme, schnell umsetzbare Hilfsaktionen und geplante Abläufe in der Nachbereitung von Krisen sind hilfreich.

Auf betrieblicher Seite ist aufgrund der Gefährdungen und der gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels zukünftig mit einer weniger widerstandsfähigen, weniger gesunden Belegschaft zu rechnen.[17] Hinzu kommt der durch den demografischen Wandel bedingte Arbeits- und Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund wird die Relevanz einer wirksamen Prävention deutlich. Mittel der Wahl und notwendiger erster Schritt ist auch beim Thema Klimawandel die Gefährdungsbeurteilung. Folgen des Klimawandels können sich in verschiedenen Bereichen abzeichnen und eine Gefährdung darstellen, zum Beispiel als biologische Einwirkung durch neue Allergene oder Krankheitserreger oder als psychische Belastung durch eine erhöhte emotionale Inanspruchnahme von Einsatzkräften aufgrund von Extremwetterereignissen.

Der Klimawandel ist ein Treiber für Störungen und Krisen wie zum Beispiel Pandemien, Ressourcenknappheit oder internationale Konflikte mit Auswirkungen auf Lieferketten und Logistik. Sinnvoll ist daher, sich auch als Betrieb auf Krisen und Notfälle vorzubereiten, beispielsweise durch die Erstellung eines Notfallplans, der Informations- und Meldewege sowie kurzfristige Maßnahmen festlegt. Auch sollte die psychosoziale Notfallversorgung im Unternehmen durch eine betriebliche psychologische Erstbetreuung sichergestellt sein.

Neben diesen Strategien zur Bewältigung der neuen Herausforderungen ist es ebenso hilfreich, das eigene Handeln im privaten und beruflichen Kontext zu überdenken. Im Betrieb können Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und im Sinne der Nachhaltigkeit ergriffen werden. Durch niederschwellige Kommunikationsangebote sollten die Beschäftigten einbezogen werden. Das eigene Verhalten in den Bereichen Ressourcenverbrauch und Lebensweise
nachhaltiger zu gestalten, hilft nicht nur das Klima zu schützen, sondern ermöglicht es auch, selbst aktiv zu werden und sich als wirksam zu erleben.

Prävention bedeutet auch, bewusst nachhaltige Entscheidungen für Mensch und Umwelt zu treffen. Denn dies fördert eine möglichst stabile Umwelt und Gesellschaft, in der Menschen gesund und sicher leben und arbeiten können.

Literatur

Albrecht, G. (2007): Solastalgia: the distress caused by environmental change. In Australasian Psychiatry. 15, S. 95–98.

An der Heiden; M., Muthers, S.; Niemann, H.; Buchholz, U.; Grabenhenrich, L; & Matzarakis; A. (2020): Hitzebedingte Mortalität: Eine Analyse der Auswirkungen von Hitzewellen in Deutschland zwischen 1992 und 2017. In: Deutsches Ärzteblatt International, 117, S. 603-609.

Anderson, C. A.; Anderson, K.B.; Dorr, N.; DeNeve, K.M.; & Flanagan, M. (2000): Temperature and aggression. In: Advances in Experimental Social Psychology, 32, S. 63-133.

Berry, H.L.; Bowen, K. & Kjellstrom, T. (2010): Climate change and mental health: a causal pathways framework. Int J Public Health 55, S. 123–132. 

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2022): Just transition: Make it work. Sicherung menschenwürdiger und hochwertiger Arbeit in ökologischen Wirtschaftssystemen: G7 Treffen der Ministerinnen und Minister für Arbeit und Beschäftigung. Erklärung, Wolfsburg, 24.05.2022. (abgerufen am 18.11.2022)

Cedeño Laurent, J.G.; Williams, A.; Oulhote, Y.; Zanobetti, A.; Allen, J.G.; Spengler, J.D. (2018): Reduced cognitive function during a heat wave among residents of non-air-conditioned buildings: An observational study of young adults in the summer of 2016. In: PLoS Med 15(7).

Clayton, S.; Manning, C. M.; Krygsman, K.; & Speiser, M. (2017): Mental Health and Our Changing Climate: Impacts, Implications, and Guidance. Washington, D.C.: American Psychological Association, and ecoAmerica.

Clemens, V.; von Hirschhausen, E.; Fegert, J. M. (2020): Report of the intergovernmental panel on climate change: implications for the mental health policy of children and adolescents in Europe—a scoping review. In: European Child & Adolescent Psychiatry. 31 (5), S. 701–713.

Cunsolo, A. & Ellis, N. R. (2018): Ecological grief as a mental health response to climate change-related loss. In: Nature Climate Change, 8, S. 275-281.

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) (Hrsg.) (2022). Trendsuche der DGUV: Trendbericht für das Jahr 2021. (abgerufen am 25.11.2022)

Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e. V. (DGUV) (Hrsg.) (2017): Standards in der betrieblichen psychologischen Erstbetreuung (bpE) bei traumatischen Ereignissen (DGUV Information 206-023). (abgerufen am 25.11.2022)

Kulp, S. A.; Strauss, B. H. (2019): New elevation data triple estimates of global vulnerability to sea-level rise and coastal flooding. Nature Communications, 10. 

Statistisches Bundesamt (02.11.2020): Jahr 2030: Mehr über 65-Jährige als unter 20-Jährige im Erwerbsleben [Pressemeldung]. (abgerufen am 28.11.2022)

Thompson, R.; Hornigold, R.; Page, L.; Waite, T. (2018): Associations between high ambient temperatures and heat waves with mental health outcomes: a systematic review. In: Public Health, 161, S. 171-191