Auswirkungen des Klimawandels auf den Arbeitsschutz im Fokus der Forschung
Der Klimawandel ist ein Megatrend, der die Arbeitssicherheit und Gesundheit direkt, indirekt und durch Wechselwirkungen mit weiteren Trends beeinflusst. Das Risikoobservatorium der DGUV bestätigt dies. Darauf aufbauend forscht und berät das Kompetenzzentrum für Klimawandel und Arbeitsschutz zur Prävention klimawandelbedingter Gefährdungen.
Der Klimawandel ist in vollem Gange – mit gravierenden Folgen für Ökosysteme weltweit und unsere Lebensbedingungen in Deutschland. Erst kürzlich hat ein Bericht der Europäischen Umweltagentur bestätigt: Europa ist der Kontinent, der sich am schnellsten erwärmt.[1] Die Politik reagiert auf zwei Ebenen: Zum einen geht es darum, Deutschland und seine Wirtschaft an die Folgen des Klimawandels anzupassen. Zum anderen gilt es, die globale Erwärmung zu begrenzen. Auch der Arbeitsschutz hat die Bedeutung des Klimawandels für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit erkannt: Unter der Überschrift „Klima wandelt Arbeit“ befasst sich eine Politikwerkstatt des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) mit den Folgen und Risiken des Klimawandels für die Beschäftigten. Auch die gesetzliche Unfallversicherung hat das Thema Klimawandel auf die Agenda gehoben. Dabei wird sie unterstützt von aktuellen Ergebnissen aus dem Risikoobservatorium der DGUV.
Trendidentifikation und -analyse im Risikoobservatorium
Das Risikoobservatorium der DGUV besteht seit dem Jahr 2011 am Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) und befindet sich seit Ende 2022 bereits in seiner dritten Befragungsrunde.
Das Risikoobservatorium sichtet, priorisiert und analysiert neue Trends und dient der gesetzlichen Unfallversicherung so als Früherkennungssystem für Top-Trends, das heißt Trends mit besonders großem Einfluss auf die Arbeitswelt und die Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten in der nahen Zukunft. Das Risikoobservatorium rückt zukünftig relevante Trends in den Fokus, analysiert ihre Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit, deckt Zusammenhänge zwischen Top-Trends auf und unterstützt die gesetzliche Unfallversicherung bei der Identifikation neuer Präventionsschwerpunkte. Zudem bieten die Top-Trends Ansatzpunkte für Vernetzung, Austausch und Zusammenarbeit innerhalb der gesetzlichen Unfallversicherung und mit Dritten. Das spart Ressourcen und vermeidet Doppelarbeit, weil Wissen sich leichter generieren und teilen lässt.
Trendsammlung
Der erste Schritt zur Identifikation von Top-Trends für den Arbeitsschutz ist die Recherche und Registrierung aktueller Trends. Diese Sammlung aktueller Trends durch das Team des Risikoobservatoriums berücksichtigt verschiedenste Quellen (DGUV-intern, externe Online- und Printmedien).
Zum Zeitpunkt des Starts der Befragungen im Frühjahr 2023 umfasste die Trendsammlung 117 Trends, die zehn Trendkategorien zugeordnet wurden:
- Digitalisierung und Konnektivität
- Neue Technologien
- Globalisierung
- Wirtschaft
- New Work
- Klimawandel, Natur- und Ressourcenschutz, Dekarbonisierung
- Infrastruktur
- Mobilität
- Demografische Entwicklungen und Diversität
- Soziales und Gesundheit
Bewertung und Priorisierung von Trends
Im nächsten Schritt wurden die Trends durch Fachleute bewertet. Dafür fanden sowohl mehrere sogenannte Zukunftsrelevanz-Befragungen statt als auch eine zentrale Branchenrelevanz-Befragung.
Analog zur Anzahl der Trendkategorien gab es zehn verschiedene Zukunftsrelevanz-Befragungen, in denen der Einfluss der Trends jeweils einer Kategorie auf die Arbeitswelt bewertet werden sollte. 1.332 ausgewählte Fachleute aus der Wissenschaft und der Prävention der gesetzlichen Unfallversicherung, wurden gebeten, ihre Einschätzungen abzugeben. Der Rücklauf betrug 16,4 Prozent. Über statistische Auswertungen wurden anschließend Top-Trends identifiziert.
In der Branchenrelevanz-Befragung bewerteten insgesamt 252 Branchenfachleute der gesetzlichen Unfallversicherung alle 117 Trends für ihre jeweilige Branche. Berücksichtigt wurden 57 Branchen. Die Stichprobengröße der bewertenden Branchenfachleute variierte zwischen n = 1 und n = 17. Die Branchenfachleute schätzten den Einfluss jedes Trends auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit der Versicherten in der jeweiligen Branche ein. Die Top-Trends dieser Befragung wurden numerisch bestimmt: Hat ein Trend großen Einfluss in mindestens 30 Prozent aller Branchen, zeichnet er sich durch breite Branchenrelevanz aus und gilt als Top-Trend.
Top-Trend-Analysen
Jeder identifizierte Top-Trend war anschließend Gegenstand einer umfassenden Analyse durch das Team des Risikoobservatoriums. Die Ergebnisse der Top-Trend-Analysen fließen in sogenannten Trendbeschreibungen zusammen.
Jede Top-Trend-Analyse beantwortet folgende Fragen:
- Worum geht es bei dem Trend? Was ist das Ziel des Trends?
- Was beschleunigt, was bremst den Trend? Welche Wechselwirkungen mit anderen Trends gibt es?
- Welche Branchen/Gruppen sind besonders von dem Trend betroffen?
- Welche Veränderungen ergeben sich für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten? (Chancen und Risiken)
- Was sind Erkenntnisse und Perspektiven für den Arbeitsschutz?
Die Trendbeschreibungen werden durch den Austausch mit Fachleuten inhaltlich abgesichert und nach Fertigstellung sukzessive in das Trendportal des Risikoobservatoriums auf den Internetseiten des IFA eingestellt (siehe Abbildung 1).
39 Top-Trends
Über statistische Auswertungen konnten in den Zukunftsrelevanz-Befragungen insgesamt 36 Top-Trends identifiziert werden, also die Trends mit dem größten Einfluss pro Trendkategorie.
Die Branchenrelevanz-Befragung ermittelte elf Trends mit großem Einfluss und breiter Branchenrelevanz. Acht davon wurden auch in den Zukunftsrelevanz-Befragungen als besonders einflussreich identifiziert.
Insgesamt ergaben sich 39 Top-Trends (siehe Abbildung 2).
Megatrend Klimawandel
Abbildung 2 zeigt, dass sieben Top-Trends direkt der Trendkategorie „Klimawandel, Natur- und Ressourcenschutz, Dekarbonisierung“ zugeordnet sind und mindestens zehn weitere unter den 39 Top-Trends einen Bezug zu dieser Trendkategorie aufweisen.
Sechs dieser 17 Trends sind eng verbunden mit den direkten Auswirkungen des Klimawandels. Das sind zum Beispiel zunehmende Hitze, erhöhte UV-Bestrahlung, Ausbreitung infektionserregerübertragender Vektoren (Zecken, Mücken), verlängerte Pollenflugsaison, Ausbreitung allergener Pflanzen, Anstieg des Meeresspiegels sowie Versauerung der Meere.
Im Bereich der direkten Folgen des Klimawandels ist insbesondere Hitze schon jetzt ein zentrales Problem des Arbeitsschutzes: Erprobte Schutz- und Präventionsmaßnahmen greifen nur zu Teilen, wenn Außenarbeit erforderlich und Arbeitszeitanpassungen nicht oder nur bedingt möglich sind, weil Tätigkeiten keinen Aufschub zulassen (zum Beispiel bei Rettungskräften). Auch Maßnahmen wie Nachtauskühlung oder Lüften in den frühen Morgenstunden verlieren in lang andauernden und extremen Hitzeperioden mit tropischen Nachttemperaturen an Effektivität. Heiße Nächte mindern die Schlafqualität und damit Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit von Beschäftigten und stellen den Arbeitsschutz vor Herausforderungen.
Zwar ist Hitze nur eine Folge des Klimawandels, aber sie verdeutlicht die globale Dimension von Klimaveränderungen und ihren direkten und indirekten Folgen für das Leben und Arbeiten auf der Erde. Kommt es zu einer nicht unwahrscheinlichen globalen Erderwärmung um 2,7 Grad Celsius, wird der jährliche Temperaturdurchschnitt für ein Drittel der Weltbevölkerung im Jahr 2100 bei mehr als 29 Grad Celsius liegen und Migrationsbewegungen auslösen.[2]
Die vielfältigen komplexen Folgen von Klimaveränderungen und ihre Interdependenzen sowie ihre Wechselwirkungen mit anderen globalen Herausforderungen wie Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch und Biodiversitätsverlust erhöhen die Wahrscheinlichkeit der weiteren Überschreitung planetarer Grenzen und des Erreichens irreversibler Kipppunkte – Szenarien mit Folgen auch für die Arbeitswelt.
Um Arbeit zukünftig sicher und gesund gestalten zu können, muss der Arbeitsschutz handeln: Im Fokus stehen sowohl Maßnahmen, die die Klimaanpassung unterstützen – beispielsweise der verbesserte Schutz von Beschäftigten, die im Freien arbeiten –, als auch die aktive Begleitung und Ertüchtigung von technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen mit dem Ziel des Klimaschutzes durch langfristige Dekarbonisierung. Zum einen lassen sich mögliche Folgen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit antizipieren und im besten Falle vermeiden, wenn es der gesetzlichen Unfallversicherung gelingt, Innovation und Trends in Bereich der Dekarbonisierung frühzeitig zu erkennen. Zum anderen gilt es, das Portfolio der Präventionsvorschläge im Hinblick auf deren Klimaeffekte neu zu bewerten. Wo es ohne Einbußen für Sicherheit und Gesundheit möglich ist, sollte effektiven ressourceneffizienten und CO2-neutralen Maßnahmen der Vorzug gegeben werden (zum Beispiel Beschattungen statt Klimaanlagen).
Dass das Thema Klimaschutz durch Dekarbonisierung und Ressourcenschutz für die Arbeitswelt und damit den Arbeitsschutz eine wesentliche Rolle spielt, zeigen auch die Ergebnisse des Risikoobservatoriums: Elf Top-Trends betreffen die indirekten Folgen des Klimawandels (siehe Tabelle 1).
Forderungen nach Dekarbonisierung und Ressourcenschutz bewirken einen Strukturwandel mit vielfältigen Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.
Dies war auch eine Erkenntnis des G7-Networking-Events „Climate change meets Occupational Safety and Health“ im Oktober 2022 in Dresden. Hier diskutierten etwa 100 Präventionsfachleute aus über 15 Ländern, wie der Klimawandel die Arbeitswelt heute schon beeinflusst und zukünftig beeinflussen wird. Drei Symposien waren den direkten und eines den indirekten Auswirkungen des Klimawandels (Dekarbonisierung, alternative Antriebstechniken und Kreislaufwirtschaft) gewidmet.[3]
Der weltweite Ressourcenverbrauch hat sich in den letzten 50 Jahren bereits mehr als verdreifacht.[4] Der massive Ausbau erneuerbarer Energien und der Elektromobilität sowie die immer umfassendere digitale Infrastruktur und digitale Inklusion bedingen auch in Deutschland einen weiter steigenden Ressourcenbedarf – besonders von Metallen (zum Beispiel Aluminium, Kupfer, Cobalt, Nickel, Lithium).
Der Aufbau einer umfassenden Kreislaufwirtschaft ist notwendig, um mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen: die Umsetzung der grünen Transformation, Klimaschutz durch Einsparungen von Treibhausgasemissionen, die Schonung von Ökosystemen und die Verringerung deutscher Rohstoffabhängigkeiten.[5] Letzteres mindert den Bedarf der Primärrohstoffgewinnung aus Ländern mit aus Sicht des hiesigen Arbeits- und Umweltschutzes untragbaren Bergbaupraktiken und trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei. Die Entstehung einer zirkulären Wirtschaft in Deutschland ist angewiesen auf den Ausbau von Recyclingkapazitäten und den Aufbau von Recyclinginfrastrukturen für zum Beispiel Elektroschrott und Elektrobatterien, Photovoltaikanlagen sowie bisher nicht verwertete Elemente von Windkraftanlagen.[6]
Benötigt werden dazu neue und komplexere Technologien, neue oder veränderte Materialien, modifizierte Prozesse, Arbeitstätigkeiten und Qualifikationsbedarfe. Fachkräfte zur Umsetzung der Transformationen sind vielfach nicht in ausreichender Anzahl vorhanden und müssen erst entsprechende Qualifizierungen durchlaufen. Berufliche Anpassungserfordernisse können Stressoren sein und mit Überforderung, Zukunfts- und Existenzängsten einhergehen. Insbesondere während des Übergangs zu einer echten Kreislaufwirtschaft können für Beschäftigte im Recycling, bei der Weiterverwertung von Rohstoffen und bei Reparaturen Expositionen gegenüber Gefahrstoffen entstehen. Im Zuge der Elektromobilität steht zudem die Verhütung von Bränden durch sichere Lagerung und Ladung sowie im Falle von Bränden die Exposition gegenüber Gefahrstoffen im Vordergrund. Auch bei Sanierungen und Modernisierungen von Bestandsbauten stehen Expositionen gegenüber Gefahrstoffen, insbesondere Asbest, im Fokus. Viele der mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien einhergehenden Risiken sind bekannt und entsprechende Präventionsmaßnahmen etabliert. Allerdings verschieben sich prinzipiell bekannte Risiken und Gefährdungen durch die grüne Transformation in andere Branchen, wodurch ein Wissenstransfer hinsichtlich sicherer und gesunder Arbeit zwischen den betroffenen Branchen umso wichtiger wird. Beim Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur spielt die Kontrolle von Explosionsgefahren die größte Rolle für sicheres Arbeiten.
Schon dieses kurze Schlaglicht auf Einzelaspekte des Klimawandels und seiner Effekte auf den Arbeitsschutz macht deutlich:
Der Strukturwandel ist für den Arbeitsschutz mit Unbekannten verbunden. Wichtig ist, Veränderungsprozesse im Blick zu halten, sie mit Forschung zu flankieren und von Beginn an zu begleiten.
Dieser Herausforderung stellt sich auch das IFA: Zum einen tut es das mit dem Risikoobservatorium, das mittels Trendbeobachtung und -analyse neue Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit identifiziert. Zum anderen bündelt das IFA seine Expertise in einem Kompetenzzentrum „Klimawandel und Arbeitsschutz“ (KKA), um speziell dem Megatrend Klimawandel in seiner Forschung gerecht zu werden.
Kompetenzzentrum „Klimawandel und Arbeitsschutz“ im IFA
Das Kompetenzzentrum „Klimawandel und Arbeitsschutz“ im IFA wurde im Frühsommer 2023 konstituiert.
Im Fokus des KKA steht die technisch-naturwissenschaftliche Präventionsforschung, die praktische Hilfestellung für den Umgang mit direkten sowie indirekten Folgen des Klimawandels am Arbeitsplatz geben will. Forschungsaktivitäten des IFA sollen auf Anknüpfungspunkte zum Klimawandel geprüft und, wo möglich und sinnvoll, unter Berücksichtigung dieses Aspekts abgestimmt bearbeitet werden.
Das KKA sieht seine Ziele und Aufgaben darin,
- Fachkompetenz im IFA im Hinblick auf die Auswirkungen des Klimawandels auf den Arbeitsschutz zu bündeln und aufzubauen und sich dazu innerhalb der DGUV und mit den Unfallversicherungsträgern zu vernetzen.
- offene Forschungsfragen mit Bezug zum Klimawandel und mit Relevanz für den Arbeitsschutz zu identifizieren und (in Projektpartnerschaften) interdisziplinär zu bearbeiten. Dabei soll die Ergebnisumsetzung bereits im Projektkonzept mitgedacht werden und sicherstellen, dass konkrete Produkte für die Unfallversicherungsträger (zum Beispiel DGUV Informationen, Dienst- oder Präventionsleistungen) entstehen.
- die Unfallversicherungsträger im Rahmen der technisch-naturwissenschaftlichen Expertise des IFA zu Klimaanpassungsmaßnahmen für die versicherten Betriebe und Einrichtungen zu beraten.
- die Unfallversicherungsträger im Rahmen der technisch-naturwissenschaftlichen Expertise des IFA, so weit wie aktuell möglich, zur Gestaltung sicherer und gesunder Arbeit im Prozess der Transformation zur CO2-neutralen Wirtschaft zu beraten.
In einem ersten Schritt hat das KKA eine Bestandsaufnahme von Projekten und Aktivitäten im IFA oder mit IFA-Beteiligung durchgeführt, die einen Bezug zum Klimawandel aufweisen. Eigene Internetseiten des KKA[7] bündeln diese sowie zukünftige Aktivitäten und Projektergebnisse.
KKA-intern hat im Januar 2024 ein Workshop stattgefunden, in dem neue IFA-Projektideen und -Aktivitäten generiert wurden. Der Schwerpunkt lag dabei auf kombinierten Risiken, die sich aus dem Wechselspiel verschiedener Folgen des Klimawandels (zum Beispiel UV-Strahlung und Hitze) ergeben. Gerade in solchen Fällen ist bereichsübergreifende Projektarbeit sinnvoll, um ganzheitliche Lösungen anzubieten und Zielkonflikte im Arbeitsschutz von vornherein zu vermeiden. So wurde beispielsweise im Anschluss an den Workshop ein Projekt zur Hitzeprävention bei Kurierfahrenden gestartet, das sich in eine Reihe von IFA-Studien zur Untersuchung der multifaktoriellen Belastung von Beschäftigten bei Schnelllieferdiensten einreiht.
Multifaktorielle Belastungen von Kurierfahrenden
Die Folgen des Klimawandels zeigen sich in Deutschland in einer Zunahme der Tage mit Temperaturen von mindestens 30 Grad Celsius, den sogenannten Hitzetagen. Bis zum Jahr 2050 wird in Norddeutschland mit einer Zunahme von fünf bis zehn Hitzetagen und in Süddeutschland mit einer Zunahme von zehn bis 15 Hitzetagen pro Jahr gerechnet.[8]
Diese Hitzetage stellen eine erhebliche Belastung für Personen dar, die im Freien arbeiten. Starkes Schwitzen und eine unzureichende Flüssigkeitszufuhr können die Wärmeregulation des Körpers an diesen Tagen überfordern und zu Kreislaufversagen, Muskelkrämpfen sowie hitzebedingten Erkrankungen wie Sonnenstich oder Hitzschlag führen. Der DAK-Gesundheitsreport 2024 belegt, dass Beschäftigte im Baugewerbe und Handwerk, in der Pflege und bei Lieferdiensten während Hitzeperioden deutliche Leistungseinschränkungen erfahren.[9]
Kühlwesten können die physische Belastung bei Hitze reduzieren, indem sie die Körpertemperatur stabilisieren oder sogar senken. Eine Überhitzung des Trägers oder der Trägerin der Kühlweste soll dadurch vermieden und die Leistungsfähigkeit erhalten werden. Allerdings werden Kühlwesten im beruflichen Kontext bisher kaum eingesetzt.
Mit dem Ziel, die Nutzung von Kühlwesten zu fördern, hat das IFA ein Pilotprojekt zur Wirkung und Akzeptanz von Kühlwesten bei radgestützten Schnelllieferdiensten gestartet. Hierbei wird der Einfluss einer Kühlweste auf die Körpertemperatur, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden von Kurierfahrern und Kurierfahrerinnen an einem Hitzetag ermittelt. Vergleichsmessungen an einem Hitzetag ohne Kühlweste sollen die Effekte der Kühlweste quantifizieren.
Aber nicht nur die steigenden Außentemperaturen stellen eine Belastung für die Beschäftigten dar. Auch die einwirkenden Hand-Arm- und Ganzkörpervibrationen, die Körperhaltung sowie das Tragen der Kuriersendungen in einem Lastenrucksack belasten die Kurierfahrer und Kurierfahrerinnen. Wie hoch diese Belastung ist, wird gegenwärtig in Feldmessungen während einer realen Arbeitsschicht der Beschäftigten erfasst. Fragebögen zur Arbeitsanstrengung und zu vorhandenen Muskel-Skelett-Belastungen ergänzen die Messungen.[10] Weitere Teilprojekte zur Untersuchung der kognitiven Beanspruchung und der UV-Belastung der Kurierfahrenden sowie eine Unfallsimulation sind geplant.
Aus den Ergebnissen der Projekte sollen Präventionsempfehlungen abgeleitet werden, die sich unter anderem auf den Schutz vor UV-Strahlung und Hitze, die Lastverteilung am Fahrrad sowie die Einstellungsmöglichkeit des Fahrrads zur Vermeidung ungünstiger Körperhaltungen beziehen. Um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, müssen die Empfehlungen jedoch zunächst in die betriebliche Praxis überführt werden. Dies erfordert maßgeblich die Mitwirkung und das Engagement der betrieblichen Akteurinnen und Akteure.