Zertifizierte Spezialeinheiten zur Versorgung von Mesotheliomen

Auch 30 Jahre nach dem Asbest-Verwendungsverbot in Deutschland ist die Zahl der jährlich neu als Berufskrankheit anerkannten Mesotheliome weiterhin auf einem hohen Niveau. Um die Expertise zur Mesotheliombehandlung zu fördern und betroffene Versicherte zu unterstützen, wurden zielgerichtete Maßnahmen durch die DGUV-Projektgruppe Mesotheliomtherapie initiiert.

Im Zeitraum 1999 bis 2019 wurdem dem Robert-Koch-Institut in Deutschland im Mittel knapp 1.600 Mesotheliome pro Jahr neu gemeldet.[1] Damit zählt dieser Tumor des „Brust- und Bauchfells“ zu den äußerst seltenen Erkrankungen.[2] Die Erstdiagnose erfolgt überwiegend erst jenseits des T1-Stadiums der TNM-Tumorklassifikation mit einer entsprechend schlechten Überlebensrate.[3] Nur acht bis neun Prozent der Betroffenen lebten fünf Jahre nach der Erstdiagnose noch.[4]

Mesotheliome entwickeln sich bevorzugt im Bereich des Lungen- und Rippenfells (Pleura), können aber auch im Bereich des Bauchfells (Peritoneum) oder in sehr seltenen Fällen im Bereich des Herzbeutels (Perikard) und im Bereich der Hoden (Tunica vaginalis testis) entstehen. Orientierend werden Mesotheliome in der Regel in drei Subtypen eingeteilt, von denen der sogenannte sarkomatoide Subtyp die schlechteste Überlebensrate hat.

Mesotheliome gelten als Signaltumoren für eine häufig Jahrzehnte zurückliegende, meist berufliche Asbestexposition. In den Jahren 2009 bis 2021 wurden jährlich durchschnittlich mehr als 1.300 der Mesotheliome als Verdachtsfälle für das Vorliegen einer Berufskrankheit gemeldet. Bei knapp 70 Prozent der Verdachtsmeldungen lagen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Anerkennung als Berufskrankheit nach Nummer 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (im Folgenden: BK-Nr. 4105) vor. Somit sind Mesotheliome nach dem Hautkrebs der zweithäufigste als Berufskrankheit anerkannte Tumor. Einen zeitlichen Überblick gibt Diagramm 1.

Neben dem persönlichen Leid der Betroffenen haben Mesotheliome zusätzlich eine besondere volkswirtschaftliche Dimension: Zwischen 1990 und 2016 haben die Unfallversicherungsträger rund 3,3 Milliarden Euro für die BK-Nr. 4105 überwiegend für Renten und Hinterbliebenenleistungen ausgegeben. Nur 17 Prozent der Ausgaben betreffen die medizinische Rehabilitation.[5]

Diagramm 1: Anzahl der jährlich anerkannten Mesotheliome als Berufskrankheit Nr. 4105 nach Berufskrankheitenverordnung. | © Grafik: Hosbach, Daten siehe Fußnote [1]
Diagramm 1: Anzahl der jährlich anerkannten Mesotheliome als Berufskrankheit Nr. 4105 nach Berufskrankheitenverordnung. ©Grafik: Hosbach, Daten siehe Fußnote [1]

Neue Ansätze in der Therapie des Pleuramesothelioms

Nach Diagnosesicherung durch die videoassistierte Thorakoskopie und zyto- beziehungsweise histopathologischer Bestätigung besteht die Behandlung von Pleuramesotheliomen neben der begleitenden psychoonkologischen Betreuung meist aus einer Kombination verschiedener Chemotherapeutika. Auch die Immuntherapie gewinnt zunehmend an Bedeutung bei der Therapie und zeigt hier bereits vielversprechende Erfolge. In fortgeschrittenen Stadien sind Mesotheliome häufig nur schwer chirurgisch zu entfernen und onkologisch zu behandeln. Umso zuversichtlicher stimmen die Fortschritte auf dem Gebiet der immunonkologischen Therapieansätze zur Behandlung von Mesotheliomen. Hierbei sind die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren auch beim Mesotheliom fester Bestandteil der Therapieleitlinien. In der Forschung spielen immer mehr molekularbiologische Ansätze zur Diagnose und zur Prognose eine Rolle, um gezieltere Therapien von Mesotheliomen zu ermöglichen. Es besteht somit der dringende Bedarf, Mesotheliome in früheren Tumorstadien erkennen zu können, als das bislang der Fall ist.[6] Je nach Tumorstadium, Mesotheliom-Subgruppe, Allgemeinzustand und Präferenzen der Betroffenen geht der Chemo-/Immuntherapie eventuell eine Operation voraus, meist in Form einer einfachen oder erweiterten Entfernung der Pleura (Pleurektomie-Dekortikation). Hierzu sind neben großer chirurgischer Erfahrung auch hohe Anforderungen an die intra- und perioperative Anästhesiologie zu stellen. Es zählt zu den Besonderheiten von Mesotheliomen, dass sie sich operativ in der Regel mikroskopisch nur selten komplett entfernen lassen, da das Mesothel, aus dem sich der Tumor entwickelt, sehr dünn ist und lebenswichtige Strukturen eng benachbart sind. Da eine echte Tumorfreiheit mikroskopisch meist nicht erreichbar ist, kommt einer systemischen Therapie in Form einer immunonkologischen Behandlung eine besondere Bedeutung zu. Bei der Immuntherapie werden Antikörper gegen Rezeptoren (zum Beispiel PD-1, CTLA-4) eingesetzt. Deren Blockade lenkt auf unterschiedlichen Wegen den zellgestützten Teil des Immunsystems, die sogenannten T-Zellen, gegen die Tumorzellen. Die Wirksamkeit der Immuntherapie bei Mesotheliomen zusätzlich zur Chemotherapie konnte in der sogenannten CheckMate-743-Studie nachgewiesen werden: Dabei lebten nach drei Jahren 23 Prozent der Immuntherapie-Behandelten gegenüber 15 Prozent der mit Chemotherapie Behandelten. Besonders interessant ist dabei, dass Patientinnen und Patienten, die besonders intensiv mit unerwünschten Arzneimittelwirkungen reagierten und zu einem Therapieabbruch gezwungen waren, das beste Langzeitüberleben überhaupt zeigten: Nach drei Jahren lebten 37 Prozent der Betroffenen.[7] Somit könnten die unerwünschten Arzneimittelwirkungen Ausdruck einer besonders starken Immunreaktion sein, die dann trotz Therapieabbruch zu einer höheren Überlebensrate führt.

Weitere Immuntherapeutika befinden sich in größeren Wirksamkeitsstudien.[8] Andere Forschungsansätze befassen sich mit der Wirksamkeit von Immuntherapeutika zum Einsatz als Folgetherapien bei Persistenz beziehungsweise Wiederauftreten der Mesotheliome.

Abbildung 1: In Deutschland durch die DKG zertifizierte Mesotheliomeinheiten (Stand 9/2023) | © Grafik: DGUV, Daten: https://oncomap.de/centers?selectedOrgans=[Mesotheliom]&showMap=1
Abbildung 1: In Deutschland durch die DKG zertifizierte Mesotheliomeinheiten (Stand 9/2023) ©Grafik: DGUV, Daten: https://oncomap.de/centers?selectedOrgans=[Mesotheliom]&showMap=1

Zertifizierung von Mesotheliomeinheiten

Die persönliche Erfahrung aller beteiligten Teams, deren infrastrukturelle Ausstattung und die sichere Expertise zu hochkomplexen systemischen Therapien der Onkologie kann bei einem sehr seltenen Tumor wie dem Mesotheliom nur durch Bündelung der Fälle in hoch spezialisierten Zentren in hoher Qualität und Zuverlässigkeit erreicht werden.

Aus diesem Grund hat die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) mit Unterstützung durch die DGUV im Jahr 2021 ein Zertifizierungsprogramm Mesotheliomeinheiten an bereits zertifizierten Lungenkrebszentren initiiert. Bislang wurden 15 bundesdeutsche Mesotheliomeinheiten zertifiziert (Stand 09/2023; siehe Abbildung 1).

Zur Abrechnung der speziellen Ambulanzleistungen für betroffene Versicherte wurde eine eigene Vergütungstabelle geschaffen. Die Mehrzahl der Mesotheliomeinheiten ist in der gemeinsamen Mailingliste MesoTheraNet zusammengeschlossen und trifft sich zum gegenseitigen fachlichen Austausch am 9. Dezember 2023 in Bochum zum 2. DGUV-Fachgespräch Mesotheliomtherapie. Alle Maßnahmen werden koordiniert und begleitet von der Projektgruppe Mesotheliomtherapie, die sich aus Expertinnen und Experten der Unfallversicherungsträger und der DGUV zusammensetzt (siehe Infokasten).

Zusammensetzung der DGUV-Projektgruppe Mesotheliomtherapie

Andreas Altena, BG ETEM
Michael Büschke, BG BAU
Melanie Duell, DGUV
Andreas Goergens, BG HM
Dr. med. Ingolf Hosbach, IPA, Leiter der Projektgruppe
Andrea im Sande, BG HM
Dr. rer. nat. Georg Johnen, IPA
Judith Kayka, BG RCI
Ruth Macke, BG RCI
Dr. med. Sarah-Constanze Steiner, IPA
Dr. rer. nat. Dirk Taeger, IPA
Dr. rer. nat. Daniel Weber, IPA
Dr. rer. medic. Thorsten Wiethege, IPA
Simone Wouterse, BG HW