Gefahrstoffe am Arbeitsplatz und chronische obstruktive Lungenkrankheit (COPD)

In dem von der DGUV geförderten Forschungsprojekt „COPD mindern“ ging es um folgende Fragen: Wie viele Personen sind an einer COPD erkrankt? Wie viele Beschäftigte sind an ihrem Arbeitsplatz einatembaren Gefahrstoffen ausgesetzt? Und in welchen Berufsgruppen ist das Wissen über das Vorliegen einer Exposition am geringsten?

Die chronische obstruktive Lungenkrankheit (COPD) ist weltweit gesehen die dritthäufigste Todesursache.[1] Bei einer COPD werden durch die Entzündung der Bronchialschleimhaut und den Kollaps der großen und insbesondere der kleinen Bronchien die Luftwege verengt, sodass die Atmung erschwert wird. Die COPD ist nicht heilbar, da der Umbau der Bronchien unumkehrbar ist. Die Lungenbläschen (Alveolen) blähen sich auf und werden ebenfalls zerstört (Emphysem). Zu den Symptomen einer COPD gehören Atemnot bei körperlicher Belastung (bei fortgeschrittener COPD bereits im Ruhezustand) und Husten mit Auswurf über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten.[2]

Der mit Abstand größte Risikofaktor in Europa ist das Rauchen von Tabakprodukten – circa 80 Prozent aller COPD-Erkrankungen sind darauf zurückzuführen. Weitere Einflussfaktoren sind die Feinstaubbelastung und die Exposition am Arbeitsplatz gegenüber chemischen Dämpfen, Gasen, biologischen und mineralischen Stäuben sowie Rauchgasen.[3] Tätigkeiten wie Schweißen und Schleifen oder Berufe im Bergbau und im Tiefbau erhöhen das Risiko für die Entstehung einer COPD, was bereits bekannt und gut erforscht ist.[4] Das Forschungsprojekt „COPD mindern“ hatte daher das Ziel, weitere potenziell belastete Berufsgruppen beziehungsweise belastende Tätigkeiten in der Bevölkerung einer Großstadt zu identifizieren, die bisher in der Wissenschaft und betriebsmedizinischen Praxis nicht detektiert wurden.

Daten von 15.000 Personen einbezogen

Als Datengrundlage des Forschungsprojektes diente die Hamburg City Health Study (HCHS), eine prospektive Kohortenstudie, die Personen im Alter zwischen 45 und 74 Jahren mit Wohnsitz in der Freien und Hansestadt Hamburg einschließt. In die Analyse konnten Daten von 15.000 untersuchten Personen einbezogen werden. Neben soziodemografischen Angaben (unter anderem Alter, Geschlecht, Beruf) wurde auch die Lungenfunktionsleistung zur Bestimmung einer COPD erfasst. Zusätzlich wurde abgefragt, ob sich die Personen einer Exposition gegenüber inhalativen Gefahrstoffen bewusst sind und wie häufig eine Exposition am Arbeitsplatz nach eigener Einschätzung erfolgt ist. Neben dieser subjektiven Erfassung der Arbeitsplatzexposition wurde das Expositionsrisiko der Befragten auch anhand einer Job-Exposure-Matrix (JEM) bestimmt. Durch eine JEM kann das typische Expositionsrisiko gegenüber einzelnen Stoffen in den verschiedenen Berufen abgeschätzt werden. In der Studie wurde dann anhand der Differenz der subjektiven und der objektiven Expositionsabschätzung bestimmt, wie hoch das Bewusstsein der Personen in der Studie für eine Exposition gegenüber einatembaren Gefahrstoffen war. Das Rauchen von Tabakprodukten, das Alter und die sportliche Aktivität der Studienteilnehmenden wurden als Beziehungsfaktoren bei den statistischen Berechnungen berücksichtigt.

Die Prävalenz für eine COPD lag insgesamt bei 7,4 Prozent; sie war bei Frauen höher als bei Männern (7,6 Prozent versus 7,1 Prozent). Dies weicht vom internationalen Forschungsstand ab, der eine deutlich höhere COPD-Prävalenz bei Männern anzeigt – erklärt durch höheren Tabakkonsum und Arbeit in gegenüber inhalativen Gefahrstoffen exponierten Berufen. Der Vergleich der durch die Befragten selbst berichteten ärztlich diagnostizierten COPD mit den Messergebnissen der Lungenfunktionsuntersuchung zeigt eine geringe Übereinstimmung. Nur 24 Prozent der Personen, die eine in der Lungenfunktionsuntersuchung bestätigte COPD aufwiesen, gaben diese auch im Fragebogen an. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass drei Viertel der Personen sich ihrer schweren Erkrankung nicht bewusst waren.

Auf die Frage zur Exposition gegenüber inhalativen Gefahrstoffen am Arbeitsplatz antworteten 22,1 Prozent im Fragebogen mit „Ja“ (Frauen 14,0 Prozent; Männer 30,2 Prozent). Der am häufigsten genannte Gefahrstoff war Staub. Gegenüber chemischen Dämpfen waren eher Frauen exponiert, Männer vermehrt gegenüber Rauchgasen. Die höchste Unsicherheit gab es bei Expositionen gegenüber Gas.

Mithilfe der Job-Exposure-Matrix (JEM) konnten 31,5 Prozent der Beschäftigten als beruflich exponiert charakterisiert werden (Frauen 23,9 Prozent; Männer 38,8 Prozent). Auf Grundlage der JEM war die häufigste Arbeitsexposition ebenfalls Staub – fast ein Viertel war exponiert. In der Rangfolge folgte die Exposition gegenüber chemischen Dämpfen (17,7 Prozent), gefolgt von Rauchgasen (14,9 Prozent) und Gas (14,3 Prozent). Frauen waren häufiger gegenüber chemischen Dämpfen exponiert, Männer häufiger gegenüber Gas, Staub und Rauchgasen. Diesen gegenüber waren Frauen zu 17,4 Prozent „niedrig“ exponiert, Männer zu 26,4 Prozent. Einer mittelhohen Exposition waren 3,9 Prozent der Frauen und 6,3 Prozent der Männer ausgesetzt. Hohe Expositionen waren mehr als doppelt so häufig bei Männern zu beobachten als bei Frauen (6,1 zu 2,6 Prozent).

Im Fragebogen gaben 22,1 Prozent mindestens eine Exposition am Arbeitsplatz an. Auf Basis der JEM sind 31,5 Prozent der Teilnehmenden beruflich exponiert. Die Differenz von 9,4 Prozentpunkten spricht dafür, dass in der HCHS die Arbeitsplatzexposition von den teilnehmenden Beschäftigten eher unterschätzt wird. Am höchsten ist diese Differenz in den Berufshauptgruppen „Textil- und Lederberufe“ (66,0 Prozentpunkte Differenz zwischen JEM und Selbsteinschätzung), „Lebensmittelherstellung und -verarbeitung“ (60,8 Prozentpunkte), „Reinigungsberufe“ (59,6 Prozentpunkte), „Führer/-innen von Fahrzeug- und Transportgeräten“ (57,7 Prozentpunkte), „Gartenbauberufe und Floristik“ (52,4 Prozentpunkte) und „Nichtmedizinische Gesundheits-, Körperpflege- und Wellnessberufe, Medizintechnik“ (52,2 Prozentpunkte). In diesen Berufshauptgruppen könnte ein höheres Expositionsrisiko bestehen als von vielen Beschäftigten angenommen. Es besteht hier also möglicherweise ein erhöhter Aufklärungs- und Arbeitsschutzbedarf.

Zur Methodik

Bekanntermaßen hat die Verwendung einer JEM zur Bestimmung der Arbeitsplatzexposition im Vergleich zur Selbstangabe im Fragebogen Vor- und Nachteile. Die Bestimmung des Expositionsrisikos durch eine JEM ist zwangsläufig sehr unspezifisch. Es wird beispielsweise nicht zwischen einem Bäcker in einer traditionellen Bäckerei oder einer Nahrungsmittelfabrik unterschieden. Zudem gibt es in verschiedenen Unternehmen unterschiedliche Standards bei der Arbeitssicherheit und Arbeitshygiene. Auch könnte der eine Bäcker in der Produktion und ein anderer in der Qualitätskontrolle tätig gewesen sein.

Diese Unterschiede in der Expositionsintensität gehen durch die JEM verloren, es bleiben geschätzte Durchschnittswerte der Exposition in einem Beruf. Vorteile der JEM sind hingegen die schnelle Anwendbarkeit, der geringe Aufwand und die niedrigen Kosten. Zudem müssen sich Beschäftigte nicht mehr an vergangene Expositionen erinnern, da deren Bewertung mit fortlaufender Zeit immer ungenauer wird. Alternativ müsste bei jeder einzelnen Person am Arbeitsplatz eine Gefährdungsanalyse gegenüber einatembaren Gefahrstoffen über den zeitlichen Verlauf durchgeführt werden, die jedoch ebenfalls große Ungenauigkeiten aufweisen könnte.

Lehrtätigkeit und Softwareentwicklung

In der Analyse des Zusammenhangs zwischen der Arbeitsplatzexposition und der Erkrankung an einer COPD wurden statistische Methoden genutzt, um den Effekt von Alter, Geschlecht und der sportlichen Aktivität und des Raucherstatus herauszurechnen. Dabei konnten zwei zusätzliche Berufsgruppen identifiziert werden, die bisher nicht im Fokus der beruflichen COPD-Prävention stehen: die Berufsgruppen „Softwareentwicklung und Programmierung“ und „Lehrtätigkeit an allgemeinbildenden Schulen“. Verglichen mit der Referenzgruppe „Unternehmensverwaltung“ zeigte sich für beide Berufsgruppen jeweils ein mehr als doppelt so hohes Risiko für das Vorliegen einer COPD. Die biologische Plausibilität dahinter ist noch unklar, hierzu bedarf es sicherlich weiterer Studien. Lehrkräfte sind womöglich über mehrere Jahre vielen verschiedenen Atemwegsinfektionen am Arbeitsplatz ausgesetzt. Die Kumulation der Infektionserkrankungen könnte zu Entzündungsreaktionen in der Lunge führen, die über die Jahre eine COPD verursachen könnten. Hypothetisch könnten bei Programmiererinnen und Programmierern vermehrte Ansammlungen von Staub in PC-Gehäusen und Servergestellen vorliegen, die durch die Ventilatoren in der Raumluft verteilt werden und eine chronische inhalative Belastung darstellen, die die Entstehung von chronischen obstruktiven Atemwegserkrankungen begünstigt.

Fazit

Zusammengefasst konnten zwei zusätzliche neue Berufsgruppen („Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen“ und „Beschäftigte in der Softwareentwicklung und Programmierung“) identifiziert werden, die in den statistischen Analysen ein erhöhtes Risiko für eine COPD aufwiesen. Außerdem zeigten sich bei vielen Berufen deutliche Unterschiede zwischen der selbst wahrgenommenen Exposition gegenüber einatembaren Gefahrstoffen am Arbeitsplatz und den anhand der JEM quantifizierten Expositionen. In den betroffenen Berufsgruppen besteht daher ein erhöhter Schulungsbedarf zur Verbesserung der Arbeitshygiene und Gesundheitskompetenz der Arbeitnehmenden.

Das Projekt wurde finanziell unterstützt durch die Forschungsförderung der DGUV (FP 0391).