EVA-Mesothel: Früherkennung von Mesotheliomen
Im Rahmen des Früherkennungsprogramms EVA-Mesothel werden die im IPA-Forschungsprojekt MoMar (Molekulare Marker) identifizierten Biomarker zur Sekundärprävention eingesetzt.
Mesotheliome sind bösartige Tumoren, die meist im Bereich des Brustfells (Pleura) und des Bauchfells (Peritoneum) und sehr häufig infolge einer zurückliegenden Exposition gegen Asbest auftreten. Deswegen werden Mesotheliome auch als Signaltumoren für eine frühere Asbestexposition bezeichnet. Sie treten bei beruflich gegenüber Asbest exponierten Personen mit einer als Berufskrankheit anerkannten Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankungen der Pleura (BK-Nr. 4103) rund 18-mal häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.[1] Weniger als die reine Expositionsdauer scheint die kumulative Höhe der Exposition über die Jahre von Bedeutung zu sein. Zusätzlich scheinen insbesondere kurze, aber intensive Expositionen zum gehäuften Auftreten von Mesotheliomen beizutragen. Bei einer kumulativen Exposition von weniger als zehn Faserjahren sterben die Betroffenen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung bereits viermal so häufig an einem Mesotheliom. Bei über 40 Faserjahren ist die Mortalität sogar 23-mal so hoch.[2] Insgesamt sind Mesotheliome zusammen mit den asbestassoziierten Lungen- oder Pleuraveränderungen (BK-Nr. 4103) und dem asbestassoziierten Lungenkrebs (im Wesentlichen BK-Nr. 4104) für fast zwei Drittel aller durch eine Berufskrankheit bedingten Todesfälle in Deutschland verantwortlich. Rund 1.300 Versicherte verstarben 2023 an den Folgen einer asbestbedingten Berufskrankheit – rund 650 davon an einem Mesotheliom.[3]
Zahl der Mesotheliomerkrankungen weiterhin hoch
Trotz des in Deutschland seit 1993 geltenden Asbest-Verwendungsverbotes bewegt sich die Zahl der Mesotheliomerkrankungen weiterhin auf hohem Niveau. Grund hierfür sind zum einen die langen Latenzzeiten. Möglicherweise spielen auch Expositionen im Rahmen von Abrissarbeiten und Sanierungen von asbestbelasteten Gebäuden, die noch in der Zeit vor dem Verwendungsverbot von Asbest errichtet wurden, eine Rolle. Schätzungsweise 20 Millionen Tonnen Asbestzement sind derzeit noch in älteren Gebäuden verbaut.
Da die Primärprävention von Mesotheliomen angesichts fehlender „unbedenklicher“ Asbestkonzentrationen in der Atemluft und langer Latenzzeiten von bis zu 50 Jahren ihre Grenzen hat, kommt der Sekundärprävention eine besondere Bedeutung zu. Mesotheliome werden in der Regel erst in späten Stadien entdeckt, sodass eine Behandlung schwierig ist. Im Falle von Mesotheliomen gibt es – im Gegensatz zur Darmkrebsvorsorge – keine bekannten Krebsvorläufer, die entfernt werden könnten. Der Fokus der Maßnahmen muss daher auf der frühzeitigeren Erkennung von Mesotheliomen in anfänglichen Entwicklungsstadien liegen, um – ähnlich der Brustkrebsvorsorge – aufgrund von frühzeitigeren Behandlungsansätzen den Therapieerfolg optimieren zu können.
Früherkennung von Mesotheliomen ist herausfordernd
Es gehört zu den Besonderheiten von Mesotheliomen, dass sich klinische Symptome erst sehr spät entwickeln und die Tumoren deswegen vergleichsweise selten im Anfangsstadium erkannt werden. Bislang werden nur rund 15 Prozent der Mesotheliome in einem frühen Stadium (T1) diagnostiziert.[4] Eine frühe klinische Erkennung erfolgt bisher meist nur dann, wenn die Tumoren einen Pleuraerguss entwickeln, der per Ultraschall oder radiologischer Diagnostik nachgewiesen wird. Das ist jedoch gerade im Anfangsstadium erfahrungsgemäß selten der Fall und daher im Rahmen eines Früherkennungsprogramms nicht sinnvoll einsetzbar.
Auch die in der Lungenkrebsfrüherkennung etablierte Diagnostik mit hochauflösenden Niedrig-Dosis-Computertomografien (LD-HRCT) bietet keinen Nutzen bei der Früherkennung der anfangs sehr flach wachsenden Mesotheliome. Keine der führenden nationalen und internationalen Leitlinien empfiehlt daher den Einsatz radiologischer Verfahren zur Früherkennung von Mesotheliomen außerhalb von Studien.
Biomarker zur Früherkennung
An dieser Stelle zahlen sich die langjährige Forschung zu molekularen Markern am IPA und die Unterstützung der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM), der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM), der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU), der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW) und der Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation (BG Verkehr) als die zahlenmäßig am häufigsten betroffenen Unfallversicherungsträger aus. Um Biomarker zur Früherkennung zu entwickeln und validieren zu können, werden Proben von frühen Tumorstadien benötigt. Bei den seltenen Mesotheliomen ist dies nur zu erreichen, wenn viele Personen mit einem hohen Risiko, zum Beispiel Exponierte mit einer Asbestose oder ähnlichen gutartigen asbestbedingten Erkrankungen, über mehrere Jahre regelmäßig untersucht werden und Blutproben abgeben. In der MoMar-Studie traten bei mehr als 2.700 Teilnehmenden während der Studiendauer von elf Jahren 40 Mesotheliome neu auf und von den meisten sind Blutprobenverläufe bis kurz vor der Diagnose verfügbar und in der Biobank des IPA eingelagert. So können auch zukünftig weitere Marker-Kandidaten validiert werden. Durch die Kombination von Calretinin und Mesothelin als blutbasierte Biomarker konnte in der MoMar-Studie gezeigt werden, dass in fast der Hälfte der Fälle Mesotheliome durch eine einfache Blutentnahme ohne Strahlenbelastung bis zu einem Jahr vor der klinischen Diagnose entdeckt werden können.[5] Dies ist umso bedeutender, als bislang die meisten Mesotheliom-Betroffenen innerhalb eines Jahres nach Erstdiagnose versterben.[6] So kann aber ein frühzeitiger Therapiebeginn ermöglicht werden.
EVA-Mesothel erfolgreich gestartet
Diese Erkenntnisse wurden seit April 2023 im erweiterten Vorsorgeangebot zur Früherkennung von Mesotheliomen „EVA-Mesothel“ in großen Teilen Nordrhein-Westfalens im Rahmen eines Pilotprojekts für die Versicherten von BGHM, BG ETEM, BG BAU, BG RCI und BGHW in die Praxis umgesetzt. Ziel war es, die Abläufe und verschiedenen Schnittstellen zu erproben.
Im Rahmen der internen Qualitätskontrolle der beteiligten Unfallversicherungsträger liegen nun die ersten vielversprechenden Ergebnisse der Pilotphase vor. Mit Stand Juli 2024 hatten 688 versicherte Personen von ihren Unfallversicherungsträgern ein Angebot zum ärztlichen Beratungsgespräch erhalten. Von diesen haben 343 Versicherte teilgenommen, sodass zusammen mit den ersten erneuten „Wiederholern“ nach einem Jahr aktuell 377 Blutproben zur Biomarker-Messung vorlagen. Unter den auffälligen Biomarker-Befunden wurden mittels der weiterführenden Diagnostik zwei Mesotheliome erkannt. Bei einem Patienten wurde das Mesotheliom in einem relativ früheren Stadium entdeckt. Er könnte von der kürzlich etablierten neuen Immuntherapie-Kombination Nivolumab und Ipilimumab profitieren.[7]
Die Anzahl der entdeckten Mesotheliom-Fälle liegt über den vorab statistisch ermittelten Erwartungen. Das liegt nach wissenschaftlicher Einschätzung vermutlich daran, dass bei einem neu sich etablierenden Früherkennungsprogramm zusätzlich zu den jährlich neu entstehenden Mesotheliomen auch ältere Mesotheliome zunächst mitentdeckt werden.
Forschung zahlt sich für die Prävention aus
Die bisherigen Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass das Verfahren einer Früherkennung von Mesotheliomen mittels Biomarkern in der Praxis einsetzbar ist. Zurzeit wird eine bundesweite Ausrollung von EVA-Mesothel vorbereitet. Damit wäre Deutschland das erste Land, das eine Biomarker-gestützte Früherkennung von Mesotheliomen für eine Risikogruppe flächendeckend einführen würde. Im Rahmen einer internationalen Kooperation erfolgt derzeit auch ein Einsatz der Biomarker in Mexiko. Eine umfangreichere Anwendung könnte sich zudem durch eine Kooperation zwischen der Europäischen Union (unter Beteiligung der DGUV) und der Volksrepublik China ergeben, da auch dort ein Interesse am Aufbau einer Früherkennung für Asbestexponierte besteht.
Die erzielten Ergebnisse sind ein Beleg dafür, dass bezüglich Berufskrankheiten eine aufwendige und zeitintensive Forschung notwendig ist, um schließlich eine praxistaugliche Anwendung für die Prävention zur Verfügung zu stellen.
Zusammensetzung der DGUV-Projektgruppe Mesotheliomtherapie
Die DGUV-Projektgruppe Mesotheliomtherapie setzt sich zusammen aus (in alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen):
Andreas Altena, BG ETEM
Michael Büschke, BG BAU
Melanie Duell, DGUV
Dr. med. Ingolf Hosbach, IPA, Leiter der Projektgruppe
Andrea im Sande, BGHM
Dr. rer. nat. Georg Johnen, IPA
Ruth Macke, BG RCI
Frank Spenner, BG HM
Dr. rer. med. Dirk Taeger, IPA
Dr. rer. nat. Daniel Weber, IPA
Dr. rer. medic. Thorsten Wiethege, IPA
Simone Wouterse, BGHW