Das erweiterte Vorsorgeangebot (EVA) zur Lungenkrebsfrüherkennung – Update 2019
Im Herbst 2014 startete das erweiterte Vorsorgeangebot der DGUV zur Lungenkrebsfrüherkennung in den ersten Pilotregionen. Inzwischen wurde das Angebot deutschlandweit eingeführt.
Lungenkrebs nimmt trotz verschiedener neuer Behandlungsansätze bei der krebsbedingten Sterblichkeit weltweit noch immer eine Spitzenposition ein. In Deutschland ist Lungenkrebs bei Männern weiterhin die häufigste, bei Frauen die zweithäufigste krebsbedingte Todesursache.[1][2] Bei mehr als der Hälfte der Betroffenen wird die Erkrankung erst in einem fortgeschrittenen Stadium diagnostiziert, in dem eine kurative Behandlung meist nicht mehr möglich ist.[3]
Der Früherkennung von Lungenkrebserkrankungen kommt deshalb eine besondere Bedeutung zu. Ein im Anfangsstadium entdeckter Tumor bietet einen Ansatz für eine kurative Behandlung, was die Langzeitprognose verbessern kann.[4] Eine US-amerikanische Studie, der National Lung Screening Trial (NLST, 2011), hat gezeigt, dass Personen mit einem bestimmten Risikoprofil von jährlichen Untersuchungen mittels Niedrigdosis-Computertomografie (Low-Dose-HRCT) profitieren können. Hierzu zählen Personen im Alter von 55 bis 74 Jahren, die aktive Raucher oder Raucherinnen mit einem Raucherstatus von mindestens 30 Packungsjahren oder Ex-Raucher beziehungsweise Ex-Raucherinnen mit einer Karenzzeit von weniger als 15 Jahren sind.
Auf Grundlage der Ergebnisse des NLST hat die DGUV das erweiterte Vorsorgenangebot zur Lungenkrebsfrüherkennung (EVA) auf Basis einer Niedrigdosis-CT-Untersuchung (LD-HRCT) entwickelt. Die 2018 publizierte Leitlinie „Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge des Lungenkarzinoms“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) enthält eine Kann-Empfehlung für eine HRCT-basierte Lungenkrebsfrüherkennungsuntersuchung bei bestimmten Rahmenbedingungen. Sie bestätigt damit den Ansatz der DGUV.
Der Früherkennung von Lungenkrebserkrankungen kommt eine besondere Bedeutung zu.
Der Nutzen eines Früherkennungsprogramms ist umso größer, je höher das individuelle Erkrankungsrisiko ist.[5] Basierend auf den (raucheradjustierten) Ergebnissen des NLST liegt dem EVA der Ansatz zugrunde, dass Personen, die ein bestimmtes Risikoprofil erfüllen und zusätzlich einer beruflichen Asbestexposition ausgesetzt waren, von einem jährlichen Früherkennungsangebot profitieren.
Organisation des EVA
Das für sie kostenfreie Angebot erhalten derzeit zwei Gruppen von Versicherten:
1. Versicherte, die
- mindestens 55 Jahre alt sind,
- einen Raucherstatus von mindestens 30 Packungsjahren und
- eine mindestens zehnjährige berufliche Asbestexposition mit Beginn vor 1985 aufweisen.
Diese Gruppe erhält das Angebot zur erweiterten nachgehenden Vorsorge im Rahmen von DGUV Vorsorge über die Gesundheitsvorsorge (GVS).
2. Versicherte, die
- mindestens 55 Jahre alt sind,
- einen Raucherstatus von mindestens 30 Packungsjahren und
- eine anerkannte Berufskrankheit nach Nr. 4103 (Asbestose oder durch Asbeststaub verursachte Erkrankung der Pleura) der Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufweisen.
Diese zweite Gruppe erhält das EVA direkt durch den zuständigen Unfallversicherungsträger.
Das EVA erhalten Versicherte, die einer beruflichen Asbestexposition ausgesetzt waren und ein bestimmtes Risikoprofil erfüllen.
Im ersten Schritt beinhaltet das EVA ein ärztliches Beratungsgespräch. In diesem werden der individuelle Nutzen der LD-HRCT-Untersuchung, aber auch mögliche Risiken und medizinische Gründe, die im Einzelfall gegen eine solche Untersuchung sprechen können (zum Beispiel Komorbiditäten), beraten. Es soll die versicherte Person in die Lage versetzen, am Ende des Gesprächs eine informierte Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an der LD-HRCT-Untersuchung zu treffen.
Bei einer Entscheidung für die LD-HRCT-Untersuchung folgt die ärztliche Überweisung an ein geeignetes radiologisches Institut, nach Möglichkeit in Wohnortnähe, das die Qualitätskriterien des EVA erfüllt. Die Ergebnisse der Untersuchung erhält die Ärztin oder der Arzt, die beziehungsweise der die Beratung durchgeführt hat. Auf Wunsch auch die Hausärztin oder der Hausarzt.
Ist der Befund unauffällig, erhält die versicherte Person nach Ablauf eines Jahres eine erneute Einladung zum erweiterten Vorsorgeangebot. Bei unklaren Befunden kommen entsprechend den ärztlichen Empfehlungen vorzeitige Kontrolluntersuchungen oder eine weiterführende diagnostische Abklärung in Betracht – möglichst unter frühzeitiger Einbindung eines zertifizierten Lungenkrebszentrums. Bestätigt sich der Krebsverdacht, prüft der zuständige Unfallversicherungsträger, ob die Erkrankung als BK-Nr. 4104 anerkannt werden kann.
Nutzen und Risiken von Früherkennungsuntersuchungen
Neben dem prognostizierten Nutzen können mit der Früherkennungsuntersuchung im Einzelfall auch Nachteile verbunden sein.
Dies sind zum einen die mit der diagnostischen Abklärung (zum Beispiel bei einer Biopsie nach unklarem LD-HRCT-Befund) sowie die mit der zusätzlichen Strahlenexposition verbundenen Gesundheitsrisiken. Zum anderen können sogenannte falsch-positive Befunde auftreten. Dies sind Veränderungen, die sich zunächst als auffälliger Befund in der Bildgebung zeigen, bei denen die weitere Diagnostik aber ergibt, dass es sich nicht um maligne Veränderungen handelt.[6]
Ebenso kann es zu sogenannten Überdiagnosen kommen. Diese betreffen in der Regel kleine, langsam wachsende Tumoren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne die Früherkennungsuntersuchung klinisch niemals in Erscheinung getreten wären und sich mutmaßlich auch nicht lebenszeitverkürzend auswirken.[7]
Qualitätssicherung der Untersuchung
Bei Anwendung ionisierender Strahlen sind die gesetzlichen Vorgaben zum Strahlenschutz zu berücksichtigen. Die rechtfertigende Indikation ist daher ärztlicherseits in jedem Einzelfall zu prüfen (§ 119 StrlSchV).
Wissenschaftlich belastbare Daten über die Folgen einer wiederholten Strahlenexposition in einem mehrjährigen Zeitraum mittels einer LD-HRCT-Untersuchung – auch im Niedrigdosisbereich – auf ein mögliches zusätzliches strahlenbedingtes Krebsrisiko liegen bislang nicht vor.[8] Das EVA sieht deshalb vor, dass in den Untersuchungen die individuell notwendige, aber geringstmögliche Strahlendosis zur Anwendung kommt.
Infolge der teilweise langen Latenzzeiten asbestbedingter Erkrankungen ist auch in Zukunft mit einer hohen Zahl von Versicherten zu rechnen, denen ein EVA anzubieten ist.
Wissenschaftliche Begleitung
Die AG DRauE (Diagnostische Radiologie arbeits- und umweltbedingter Erkrankungen) der Deutschen Röntgengesellschaft hat ein Protokoll erarbeitet, das eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung von CT-Untersuchungen (unabhängig vom verwendeten Gerätetyp) zum Ziel hat und bildtechnisch eine möglichst lückenlose Abdeckung von Lunge und Pleura gewährleistet.[9] Im Rahmen der Maßnahmen zur Qualitätssicherung wurden die Empfehlungen der AG DRauE in das EVA integriert.
Bei dem EVA der gesetzlichen Unfallversicherung handelt es sich nicht um eine wissenschaftliche Studie, sondern um die Umsetzung der Ergebnisse des NLST in die arbeitsmedizinische Vorsorge.[10] Das Angebot wird wissenschaftlich begleitet, um einerseits eine Auswertung der im Rahmen des Angebots erhobenen Befunde zu ermöglichen und andererseits neue medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse in das Angebot einfließen lassen zu können.[11]
An ausgewählten Untersuchungsstandorten werden die teilnehmenden Versicherten um Abgabe einer freiwilligen Blut- und Speichelprobe gebeten, die in die zentrale Biobank des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA) überführt wird. Die Proben sollen als Bausteine für die Entwicklung und Validierung sogenannter Biomarker für die Früherkennung beruflich bedingter Lungenkrebserkrankungen dienen.[12]
Bedeutung für die gesetzliche Unfallversicherung
Nachdem das EVA 2014 zunächst in drei Pilotregionen mit Versicherten aus dem Versichertenkollektiv der Gesundheitsvorsorge (GVS) gestartet worden war, wurde es zwischenzeitlich bundesweit (ab 2017 schrittweise einschließlich der anerkannten BK-Nr. 4103-Fälle) eingeführt. Bis Ende 2019 haben im Versichertenbestand der GVS rund 22.000 Versicherte das erweiterte Vorsorgeangebot erhalten. Bei den anerkannten BK-Nr. 4103-Fällen kommen voraussichtlich rund 7.000 Versicherte für das EVA in Betracht.
Infolge der teilweise langen Latenzzeiten asbestbedingter Erkrankungen ist auch in Zukunft mit einer hohen Zahl von Versicherten zu rechnen, denen ein EVA anzubieten ist.