Ein geordneter „Werkzeugkoffer“ für die Feststellung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren

Ende des vorigen Jahres ist die neue Handlungsempfehlung „Ermittlung und Bewertung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren“ von der DGUV veröffentlicht worden. Sie fasst sowohl die juristisch relevanten Rahmenbedingungen als auch die von den Unfallversicherungsträgern entwickelten, einheitlichen Qualitätsstandards und Werkzeuge für die Ermittlung der geforderten Einwirkung sowie deren Bewertung im Berufskrankheitenverfahren zusammen.

Die Unfallversicherungsträger haben nach dem Amtsermittlungsgrundsatz zu prüfen, ob eine Berufskrankheit vorliegt. In diesem Zusammenhang haben sie unter anderem auch festzustellen, ob die betroffene versicherte Person nach Art und Ausmaß den rechtlich geforderten Einwirkungen ausgesetzt war. Nach den allgemeinen unfallversicherungsrechtlichen Grundsätzen gilt für den Nachweis der Einwirkung der sogenannte Vollbeweis. Bei dieser Feststellung treten in der Praxis immer wieder Schwierigkeiten auf, insbesondere wenn zwischen Beendigung der Einwirkung und dem Eintritt der Krankheit eine jahre- oder sogar jahrzehntelange Latenzzeit liegt. Eine retrospektive Ermittlung der individuellen Verhältnisse an den jeweils betroffenen Arbeitsplätzen der versicherten Personen ist oftmals nicht mehr möglich, weil der Arbeitsplatz oder das ganze Unternehmen nicht mehr vorhanden ist beziehungsweise sich die Arbeitsbedingungen oder die Produktionsverhältnisse so verändert haben, dass daraus keine sicheren Rückschlüsse auf frühere Belastungen gezogen werden können.

Die DGUV hat sich im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Berufskrankheitenrechts die Aufgabe gestellt, einheitliche Qualitätsstandards und Werkzeuge in einem zweistufigen Projekt zu beschreiben und bei Bedarf weiterzuentwickeln. Das soll die Situation verbessern und sicherstellen, dass die Unfallversicherungsträger alle ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten bei der Einwirkungsermittlung umfassend nutzen und die erhobenen Daten im Rahmen des rechtlich Zulässigen zugunsten der versicherten Personen bewerten können. 

In Projektstufe 1 sollten die bereits vorhandenen Instrumente in Form einer Handlungsempfehlung systematisch zusammengefasst und allen Unfallversicherungsträgern zentral zur Verfügung gestellt werden. In Projektstufe 2 sollen regelmäßig auftretende Konstellationen mit Problemen bei der Ermittlung und/oder Bewertung der Einwirkungsbedingungen identifiziert werden. Anschließend sollen diese zum Beispiel durch die Entwicklung entsprechender Instrumente, Vereinbarungen oder Einwirkungskataster die Situation verbessern. 

Projektstufe 1 – Handlungsempfehlung mit „allgemeinem“ und „besonderem“ Teil

An der Erstellung der Handlungsempfehlung waren Beschäftigte aller gewerblichen Berufsgenossenschaften sowie mehrerer Unfallkassen, der Sozialversicherung Landwirtschaft, Forsten, Gartenbau (SVLFG), des Instituts für Prävention und Arbeitsmedizin der DGUV (IPA), des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) sowie der Abteilung „Versicherung und Leistungen“ und des Referats „Statistik“ der DGUV beteiligt.

Zunächst hat sich die Projektgruppe in der ersten Projektstufe in zwei Teilprojektgruppen aufgeteilt: Während in einer Teilprojektgruppe vorrangig Fachleute des Berufskrankheitenrechts aus den Leistungsbereichen der Unfallversicherungsträger vertreten waren, rekrutierte sich die zweite Teilprojektgruppe vorrangig aus den Präventionsdiensten. 

Die jeweils erarbeiteten Teilergebnisse wurden schließlich in der Gesamtprojektgruppe gemeinsam abgestimmt und zu einem einheitlichen Entwurf zusammengeführt, der dann von allen fachlich zuständigen Gremien der DGUV abgenommen und freigegeben wurde. Durch diese Vorgehensweise ist gewährleistet, dass die Handlungsempfehlung einen gemeinsamen Konsens aller Unfallversicherungsträger für ein einheitliches Vorgehen bei der Einwirkungsermittlung und der rechtlichen Bewertung der ermittelten Ergebnisse abbildet. Darüber hinaus kann sie in der Praxis wertvolle Unterstützung für Unfallversicherungsträger mit wenig Erfahrung bei der Ermittlung vergleichsweise seltener Berufskrankheiten sein. Auch für die Einarbeitung von (neuen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unfallversicherung, die bisher noch keine Erfahrungen mit der Einwirkungsermittlung im Berufskrankheitenverfahren haben, kann die Handlungsempfehlung als Unterstützung dienen.

Veröffentlicht wurde die knapp 100-seitige Handlungsempfehlung im Herbst 2019. Da den an der Erstellung Beteiligten ein hohes Maß an Transparenz wichtig war, steht die Handlungsempfehlung in ihrer vollständigen Fassung auch der interessierten Öffentlichkeit (zum Beispiel versicherten Personen, Sozialgerichten, Medien) auf der Webseite der DGUV zur Verfügung. 

Neben der Handlungsempfehlung hat die Projektgruppe auch ein Konzept für einen standardisierten trägerübergreifenden Erfahrungs- und Wissensaustausch auf Expertenebene erstellt. Bei diesem Verfahren handelt es sich um ein Angebot an die Unfallversicherungsträger, sich bei bestimmten schwierigen Fallgestaltungen der Einwirkungsermittlung oder  -bewertung durch ein Gremium von Fachleuten beraten zu lassen. Dabei ist insbesondere an folgende Fallkonstellationen gedacht, bei denen ein Unfallversicherungsträger

  • bisher über keine oder nur geringe Erfahrung bei der Ermittlung und Bewertung einer bestimmten Einwirkung verfügt (zum Beispiel bei selten gemeldeten Berufskrankheiten oder außergewöhnlichen Sachverhaltskonstellationen);
  • sich nicht sicher ist, ob er bereits alle bestehenden geeigneten Möglichkeiten der Einwirkungsermittlung ausgeschöpft hat, oder 
  • nach Ausschöpfung aller ihm als geeignet erscheinenden Ermittlungsmöglichkeiten zu dem Ergebnis gelangt, dass die Einwirkung zwar möglich erscheint, aber weder eindeutig bewiesen noch eindeutig widerlegt werden kann (sogenanntes „non liquet“).

Dieses Beratungsangebot wird derzeit in die Praxis umgesetzt und zukünftig im Rahmen der Projektstufe 2 zentral durch eine trägerübergreifende Arbeitsgruppe unter Federführung der DGUV koordiniert (AG „BK-Einwirkung“, siehe unten).

Wesentliche Inhalte der Handlungsempfehlung

Die Handlungsempfehlung enthält zunächst einen „allgemeinen Teil“, der die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ermittlung der Einwirkung und die Bewertung der Ermittlungsergebnisse sowie die generellen Qualitätsstandards für das Ermittlungsverfahren beschreibt. Dieser Teil beinhaltet insbesondere eine strukturierte Zusammenfassung der aktuellen Rechtslage.

In einem „besonderen Teil“ werden dann zu einzelnen Berufskrankheiten spezifische Hinweise zur Ermittlung der Einwirkung gegeben und das bereits vorhandene Erfahrungswissen der Unfallversicherungsträger zusammenfassend dargestellt. In diesem Teil werden die Lesenden darüber hinaus zielgerichtet auf die Publikationen verwiesen, die weiterführende Informationen enthalten. Soweit die Publikationen online zur Verfügung stehen, wurde die elektronische Version der Handlungsempfehlung mit diesen „verlinkt“, sodass die Anwendenden von einer zentralen Stelle unmittelbar auf alle relevanten Informationen zugreifen können.

Bildlich gesprochen steht den Unfallversicherungsträgern mit der vorliegenden Handlungsempfehlung nun ein „Werkzeugkoffer“ zur Verfügung, in dem erstmals alle „Werkzeuge“, die für die Durchführung der Einwirkungsermittlung und die sich anschließende rechtliche Bewertung der Ermittlungsergebnisse benötigt werden, an einer zentralen Stelle systematisch zusammengefügt wurden.

„Allgemeiner“ Teil der Handlungsempfehlung: Rechtliche Grundlagen und Verfahren

Der allgemeine rechtliche Teil der Handlungsempfehlung enthält zunächst verfahrensrechtliche Ausführungen, insbesondere zum Amtsermittlungsgrundsatz, die sich aus den Regelungen des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) ergeben. An dieser Stelle wird verdeutlicht, dass die Unfallversicherungsträger bei der Feststellung einer Berufskrankheit von Amts wegen vollständig, objektiv und neutral zu ermitteln haben, ob und in welchem Umfang eine versicherte Person den erforderlichen Einwirkungen ausgesetzt war. Dabei sind sie verpflichtet, bei ihren Ermittlungen objektiv alle Umstände zu berücksichtigen, die für und gegen das Vorliegen einer relevanten Einwirkung sprechen.

Darüber hinaus werden spezielle Hinweise auf das Reha-Management „Berufskrankheiten“ für den Umgang mit besonders schwerwiegenden Erkrankungen (insbesondere Krebserkrankungen) gegeben; hier ist die Einwirkungsermittlung besonders zügig einzuleiten und in der Regel in einem persönlichen Gespräch mit der betroffenen versicherten Person durchzuführen.

Nach diesen allgemeinen Hinweisen orientiert sich der weitere Aufbau der Handlungsempfehlung an den einzelnen Verfahrensschritten, die bei der Einwirkungsfeststellung durchlaufen werden. Diese Struktur bestimmt den gesamten „allgemeinen Teil“ der Handlungsempfehlung.

  • Klärung der beweisbedürftigen Einwirkung: Der Unfallversicherungsträger muss zunächst erkennen, welche Einwirkung für die jeweils zu prüfende Berufskrankheit im konkreten Fall vorliegen muss.
  • Beweisaufnahme: In einem nächsten Schritt ist dann mithilfe aller verfügbaren, geeigneten Beweismittel so umfassend wie möglich zu ermitteln, wie die tatsächliche Einwirkungssituation während der versicherten Tätigkeit war.
  • Beweiswürdigung: Im Rahmen der Beweiswürdigung hat sich der Unfallversicherungsträger eine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der jeweils für die Anerkennung einer Berufskrankheit erforderlichen Einwirkung zu verschaffen. Die Überzeugungsbildung muss sich dabei am Beweismaßstab des Vollbeweises orientieren.

Diese Verfahrensschritte werden in der Handlungsempfehlung ausführlich – auch anhand von Beispielen – erläutert. Auf einzelne Abschnitte des „allgemeinen Teils“ wird nachfolgend näher eingegangen.

Beweismittel und sonstige Informationsquellen

Bei der Ermittlung der Einwirkung haben die Unfallversicherungsträger von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen, die ihnen vernünftigerweise zur Verfügung stehen. Dabei haben sie sich aller zulässigen Beweismittel zu bedienen.

Diese Beweismittel werden in der Handlungsempfehlung näher beschrieben. Ein besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die Befragung der versicherten Person und die Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen (zum Beispiel Arbeitgeberin, Arbeitgeber, Kolleginnen und Kollegen, betriebliche Interessenvertretung, Betriebsärztinnen und Betriebsärzte, Fachkräfte für Arbeitssicherheit) gelegt.

In diesem Zusammenhang werden auch die rechtlichen Grenzen aufgezeigt, die bei der Beweisaufnahme zu berücksichtigen sind. Hier sind insbesondere Zeugnisverweigerungsrechte und die Vorgaben des Sozialdatenschutzes exemplarisch zu benennen. 

Wenn mithilfe der beschriebenen Beweismittel keine vollständige und abschließende Klärung der Arbeitsbedingungen herbeigeführt werden kann, beschreibt die Handlungsempfehlung die heute schon bestehenden Möglichkeiten der Unfallversicherungsträger zur Ergänzung und Objektivierung der Ermittlungsergebnisse.

Beweiswürdigung

Sobald alle verfügbaren und geeigneten Beweismittel durch den Unfallversicherungsträger bei seiner Einwirkungsermittlung ausgeschöpft und herangezogen worden sind, erfolgt die abschließende Beweiswürdigung. Im Gegensatz zu den Vorschriften über das sozialgerichtliche Verfahren existieren im Verfahrensrecht der gesetzlichen Unfallversicherung keine ausdrücklichen gesetzlichen Regeln über die rechtliche Würdigung der erhobenen Ermittlungsergebnisse. Um diese „Gesetzeslücke“ zu schließen, überträgt die Handlungsempfehlung die Grundsätze der sogenannten freien (richterlichen) Beweiswürdigung aus dem sozialgerichtlichen Verfahrensrecht auf die Bewertung der Ergebnisse der Einwirkungsermittlung im Berufskrankheitenverfahren.

Nach dieser freien Beweiswürdigung haben die Unfallversicherungsträger sich unter vernünftiger Abwägung aller Umstände des Falls, ihrer besonderen Fachkunde sowie nach allgemeiner Lebenserfahrung eine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der jeweils für die Anerkennung einer Berufskrankheit erforderlichen Einwirkung zu verschaffen. Die Überzeugungsbildung muss sich dabei am Beweismaßstab des Vollbeweises orientieren. Zur Verdeutlichung des Vollbeweises enthält die Handlungsempfehlung auch einen eigenen Abschnitt, in dem dieser Beweismaßstab näher erläutert wird. Im Anschluss an die allgemeinen Ausführungen werden in der Handlungsempfehlung die Möglichkeiten der freien Beweiswürdigung anhand von mehreren konkreten Beispielfällen näher erläutert.

Berücksichtigung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) und/oder (Schutz-)Kleidung bei der Bewertung der Einwirkung

Die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung persönlicher Schutzausrüstung sowie das Tragen von (Schutz-)Kleidung bei der Bewertung der Einwirkung ist eine in der Praxis häufig vorkommende Fragestellung, die in der Handlungsempfehlung in einem eigenen Abschnitt aufgegriffen wurde.

Hinweise für eine Zusammenarbeit zwischen BK-Sachbearbeitung und BK-Ermittlung

Neben den rechtlichen Ausführungen beschreibt der „allgemeine Teil“ der Handlungsempfehlung auch Qualitätsstandards für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Leistungs- und Präventionsbereichen der Unfallversicherungsträger bei der Einwirkungsermittlung. Diese umfassen auch Hinweise für eine trägerübergreifende Zusammenarbeit in Fällen, in denen versicherte Personen potenziell gefährdende Tätigkeiten in mehreren Beschäftigungsverhältnissen im Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Unfallversicherungsträger ausgeübt haben.

„Besonderer“ Teil der Handlungsempfehlung: Besondere Aspekte bei der Ermittlung einzelner Berufskrankheiten

Im „besonderen Teil“ der Handlungsempfehlung werden, gegliedert nach Berufskrankheitengruppen, detaillierte Aspekte zur Ermittlung verschiedener Einwirkungen beschrieben. Zu allen Berufskrankheiten bieten die wissenschaftlichen Begründungen, Stellungnahmen und Empfehlungen des Ärztlichen Sachverständigenbeirats (ÄSVB), die juristischen Kommentare zum SGB VII und zur Berufskrankheitenverordnung (BKV), die Merkblätter der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) sowie die BK-Informationen zur Verdachtsanzeige der DGUV Informationen und Hilfestellungen. Die Handlungsempfehlung beinhaltet darüber hinaus weitere Verweise zu geeigneten Quellen, zum Beispiel auf spezielle BK-Reporte der DGUV. Um für eine trägerübergreifend einheitliche Quantifizierung der schädigenden Einwirkung zu sorgen, wird die Verwendung der „Anamnese-Software“, die das IFA entwickelt hat, empfohlen.

Bei der Ermittlung von chemischen Einwirkungen stehen Stoffe, Gemische und Stoffgruppen im Fokus. Da es sich in vielen Fällen um weit zurückliegende Tätigkeiten handelt, kommt der Dauer und vor allem der Intensität der Einwirkung eine besondere Bedeutung zu. Messungen in der Vergangenheit liegen häufig nicht vor, Schadstoffkonzentrationen müssen aber bezüglich der Einwirkung möglichst konkret abgeschätzt werden. Nicht immer lassen sich genaue Angaben von Handels- und Produktnamen feststellen. In diesen Fällen bietet die Handlungsempfehlung Hinweise auf Angaben zu Vergleichsarbeitsplätzen und/oder Katasterdaten. Weiterführende Informationen können auch aus Stoffdatenbanken der Unfallversicherungsträger und des IFA gewonnen werden. Die Handlungsempfehlung fasst übersichtlich zusammen, auf welche Besonderheiten bei den Arbeitsplatzverhältnissen zu achten ist: Gefahrstoffquellen, ablufttechnische Anlagen oder natürliche Lüftung und Raumabmessungen. Ebenso ist der individuelle Umgang mit Gefahrstoffen berücksichtigt, zum Beispiel das Tragen persönlicher Schutzausrüstung, Arbeitsplatzhygiene und das Vorhandensein von hautresorptiven oder sensibilisierenden Stoffen.

Bei einigen speziellen Stoffen (definiert durch die BK-Nummern) sind bei der Ermittlung besondere Umstände zu hinterfragen. Bei Krebserkrankungen, bei denen nach aktuellem Kenntnisstand keine anerkannten Dosis-Wirkungsmodelle existieren, ist eine Quantifizierung nur in Einzelfällen möglich. Insbesondere kann die dermale Einwirkung krebserzeugender Stoffe häufig nicht quantifiziert werden. Die Handlungsempfehlung sieht in diesen Fällen eine ausführliche Beschreibung der Einwirkung vor. Zusätzlich enthält sie stoffspezifische Hinweise, auf welche spezifischen Einwirkungsmöglichkeiten oder andere Besonderheiten zu achten ist. Bei Einwirkungen durch Chrom und seine Verbindungen beispielsweise sind häufig Produkte von Bedeutung, die Chromverbindungen als Verunreinigungen oder Begleitstoffe enthalten (zum Beispiel Arbeitshandschuhe aus chromgegerbtem Leder), oder Verfahren, in denen Chromverbindungen als Einsatz- oder Reaktionsprodukte entstehen. Aromatische Amine und Azofarbstoffe wiederum werden zwar in einer Vielzahl von Produkten und Branchen eingesetzt, jedoch ist nur ein Teil der Verbindungen als krebserzeugend eingestuft. Für eine Übersicht wird auf den BK-Report „Aromatische Amine“ verwiesen. Ein weiteres Bespiel sind die Ermittlungen zu einer Einwirkung durch Benzol. In vielen Fällen wurde nicht mit Reinstbenzol umgegangen und die Konzentrationen von Benzol unterscheiden sich zum Beispiel im Waschbenzin je nach Zeitraum der Einwirkung oder der Art der Verwendung gravierend. Es wird daher empfohlen, die Anwendungshinweise zur retrospektiven Beurteilung der Benzoleinwirkung, die allen Unfallversicherungsträgern zentral zur Verfügung gestellt werden, zu berücksichtigen.

Nach wie vor zählen Ermittlungen zum Thema Asbest und silikogener Staub zu den häufigsten angefragten Stellungnahmen. Die Handlungsempfehlung verweist hierzu auf die umfassenden Informationen und Hinweise zu asbestbedingten Berufserkrankungen im BK-Report „Faserjahre“. Demnach ist bei der Erfassung der Tätigkeit auch auf geringe Einwirkungen (kurzfristige Dauer, niedrige Konzentration oder Bystanderarbeiten), den möglichen Asbestgehalt sämtlicher Feststoffe sowie auf Reparatur- und Hilfsarbeiten (zum Beispiel Auswechseln von Dichtungen, Demontage von Asbestplatten) zu achten.

Ebenso wie für die Einwirkung von Gefahrstoffen werden in der Handlungsempfehlung Grundsätze der Einwirkungsermittlung in Bezug auf allergisierende und chemisch-irritativen Stoffe beschrieben. Es ist eine möglichst genaue Beschreibung der Einwirkungsverhältnisse (Stoffe, Lüftungsverhältnisse, Umgebungsfaktoren) notwendig, da hier in vielen Fällen multiple Stoffsysteme vorkommen und Grenzwerte meist nicht berücksichtigt werden können.

Ein eigenes Kapitel befasst sich mit den Ermittlungen physikalischer Einwirkungen, bei denen einseitige, langdauernde oder mechanische Beanspruchungen und ungewohnte Arbeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung betrachtet werden. Dabei sind Tätigkeiten in Abhängigkeit von Beschleunigungen, Kraftaufwand und Wiederholungen sowie Körperhaltungen und Bewegungsradien zu berücksichtigen. Dem Thema Lärm ist ein eigener Abschnitt gewidmet.

Bei der Ermittlung der durch Infektionserreger oder Parasiten verursachten Krankheiten sowie Tropenkrankheiten ist in der Regel ein Unfallereignis durch Stich- und Schnittverletzungen, bei denen die Übertragung von potenziell infektiösem Material zu befürchten ist, der Ausgangspunkt. Bei allen durch Infektionserreger oder Parasiten verursachten Berufskrankheiten werden die Häufigkeit und der zeitliche Umfang der gefährdeten Situation ermittelt. Den getroffenen Schutzmaßnahmen, der Arbeitsmedizinischen Vorsorge sowie Impfungen wird bei der Ermittlung ein besonderes Augenmerk geschenkt.

Die Entstehung von berufsbedingten Hauterkrankungen wird häufig durch eine Kombination von äußeren Einwirkungen (exogene Faktoren) und persönlicher Veranlagung (konstitutionelle Faktoren) beeinflusst. Bei der Ermittlung werden deshalb Feuchtarbeit, sensibilisierende, reizende oder ätzende Stoffe sowie im Falle der BK-Nr. 5103 eine Einwirkung durch natürlicher UV-Strahlung ermittelt. Der Schutz gegenüber natürlicher UV-Strahlung durch persönliche Schutzmaßnahmen wird bei der Betrachtung der Einwirkung berücksichtigt.

Projektstufe 2 und die DGUV-Arbeitsgruppe „BK-Einwirkung“

Mit der Veröffentlichung der Handlungsempfehlung, die die aktuelle rechtliche Situation und das derzeitig vorhandene Erfahrungswissen der Unfallversicherungsträger abbildet, endeten die Arbeiten in Projektstufe 1. Mit der Aktualisierung und der Fortschreibung der Handlungsempfehlung in Projektstufe 2 wurde die neu gegründete DGUV-Arbeitsgruppe „BK-Einwirkung“ beauftragt, die nun seit November 2018 ihre Arbeit unter Federführung des IFA aufgenommen hat. In der Arbeitsgruppe sind wiederum Beschäftigte aller neun gewerblichen Berufsgenossenschaften, von drei Unfallkassen, der SVLFG sowie mehrerer Bereiche der DGUV (IFA, IPA, Abteilung „Versicherung und Leistungen“, Referat „Statistik“) vertreten. 

Die Aufgaben der Arbeitsgruppe sind

  • die Identifizierung von Defiziten bei adäquaten Qualitätsstandards oder Werkzeugen zur Ermittlung und Bewertung der Einwirkung,
  • die Entwicklung neuer trägerübergreifender Standards (zum Beispiel Software, Kataster, Anleitungen) sowie
  • die Schaffung eines trägerübergreifenden Erfahrungs- und Wissensaustauschs. 

Neben der allgemeinen Fortschreibung und Aktualisierung der Handlungsempfehlung beschäftigt sich die Arbeitsgruppe aktuell mit Arbeitspaketen zu einzelnen BK-Nummern. Hierzu zählen zum Beispiel die Überarbeitung der Empfehlungen zur Ermittlung und Bewertung der Einwirkung bei der BK-Nr. 2113 („Carpaltunnelsyndrom, CTS“), die Entwicklung eines trägerübergreifenden Einwirkungskatasters für das Stufe-1-Verfahren der BK-Nr. 2301 (Lärmschwerhörigkeit) sowie die Vereinheitlichung der Ermittlung und Bewertung bei der BK-Nr. 2101 („Erkrankungen der Sehnenscheiden“). Des Weiteren verfolgt die Arbeitsgruppe Ziele zur Standardisierung und Optimierung trägerübergreifender Instrumente zur Ermittlung und Bewertung der Einwirkung im Berufskrankheitenverfahren. Hierzu zählen aktuell die Schaffung einer trägerübergreifenden elektronischen Informationsplattform (im „IFA-Ringbuch“ im UV-Net) sowie die Überarbeitung und Weiterentwicklung standardisierter Anamnese-Programme. Die Neu-Entwicklungen, die durch die Tätigkeiten der Arbeitsgruppe entstehen, sollen permanent in die Fortschreibung der „DGUV-Handlungsempfehlung“ einfließen und somit unmittelbar in der Praxis zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus stärkt die Arbeitsgruppe in Zukunft die gegenseitige Unterstützung der Unfallversicherungsträger bei seltener vorkommenden Berufskrankheiten sowie bei der Bearbeitung von „non-liquet“-Fällen als zentrale Koordinierungs- und Beratungsstelle im Rahmen eines „standardisierten trägerübergreifenden Erfahrungs- und Wissensaustausches auf Expertenebene zur Bewertung der Einwirkung in Einzelfällen“. Nach Entwicklung und Schaffung der dazu notwendigen Strukturen werden die Unfallversicherungsträger über den Start des Verfahrens und die Möglichkeiten der Nutzung informiert.