Bochumer Empfehlung überarbeitet
Die „Empfehlung für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen (Silikosen) – Bochumer Empfehlung“ wurde in umfassend überarbeiteter Neuauflage (Update 2019) publiziert.
Bereits seit Anfang der 1970er-Jahre (Königsteiner Merkblatt, HVBG 1974) bietet die gesetzliche Unfallversicherung mit ihren Begutachtungsempfehlungen (früher: Merkblätter) zu verschiedenen Berufskrankheiten eine bewährte Hilfestellung für Gutachterinnen und Gutachter zu begutachtungsrelevanten Fragestellungen.
Im Jahr 2011 veröffentlichte die DGUV im Nachgang zur Leitlinie „Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 (Silikose)“ (im Folgenden: Leitlinie) der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) die „Empfehlung für die Begutachtung von Quarzstaublungenerkrankungen (Silikosen) – Bochumer Empfehlung“ (im Folgenden: Bochumer Empfehlung), die erstmals den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand zur Silikose-Begutachtung sowie die besonderen unfallversicherungsrechtlichen Aspekte in einem Kompendium bündelte. Neben Hinweisen zur Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), zur Anwendung von
§ 3 Berufskrankheitenverordnung (BKV) und zu Heilbehandlungsmaßnahmen enthielt das Papier den neuen Aspekt, dass zur Diagnosesicherung auch eine Low-Dose-Volumen-CT-Untersuchung mit HR-CT (LD-HRCT) mit standardisiertem Untersuchungsprotokoll und einer Beurteilung nach der internationalen CT-Klassifikation (ICOERD) in Betracht kommen kann.
Nachdem Ende 2016 ein Update der Leitlinie publiziert worden war, wurde auch die Bochumer Empfehlung von einem interdisziplinär besetzten Arbeitskreis vollständig überarbeitet. Diesem gehörten Vertreterinnen und Vertreter der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM), der Deutschen Gesellschaft für Pathologie, der Deutschen Röntgengesellschaft, der Vereinigung Deutscher Staatlicher Gewerbeärzte, ein Betroffenenvertreter sowie Vertreterinnen und Vertreter der von der BK-Nr. 4101 hauptbetroffenen Unfallversicherungsträger sowie von deren Instituten und Kliniken an. Die Festlegungen erfolgten vollumfänglich im Konsens.
Im Folgenden werden die Neuerungen und überarbeiteten Aspekte des Updates der Bochumer Empfehlung zusammengefasst. Eine instruktive Darstellung der medizinischen Aspekte enthält das IPA-Journal 03/2019, S. 11–14.
Bildgebung
- BK-Verdacht
Obwohl die Bedeutung der Computertomographie zunimmt, fußt der Verdacht auf Silikose (BK-Nr. 4101 der Berufskrankheitenverordnung, BKV) noch immer überwiegend auf Röntgen-Thorax-Befunden. Ist die Übersichtsaufnahme nicht eindeutig, wird jetzt anstelle einer ergänzenden Seitaufnahme eine Bildgebung mittels Low-Dose-Volumen-CT empfohlen (vgl. Kapitel 5.1.1). - Erstbegutachtung
In der Erstbegutachtung wird zur Diagnosesicherung nun grundsätzlich ein LD-HRCT empfohlen (vgl. Kapitel 5.1.2).
Pathologie
Liegt geeignetes Lungengewebe vor, kann eine pathologisch-histologische Untersuchung erfolgen (nicht mitwirkungspflichtig). Befunde, bei denen weniger als fünf Silikoseknötchen pro Lungenflügel palpatorisch erfasst und histologisch bestätigt werden, gelten dabei als insignifikant (vgl. Kapitel 5.1.4).
Funktionseinschränkungen
Für die Erfassung und Quantifizierung von Funktionseinschränkungen wird eine qualitätsgesicherte und vollständige Lungenfunktionsprüfung empfohlen. Die Lungenfunktionsprüfung umfasst Spirometrie, Ganzkörperplethysmografie, Bestimmung der CO-Diffusionskapazität und Blutgasanalyse in Ruhe und unter standardisierter Belastung (gegebenenfalls Spiroergometrie). Bei der Spirometrie sind nunmehr die neuen GLI-Referenzwerte anzuwenden (siehe unten). Weitere Untersuchungen sind Ruhe-EKG und in Einzelfällen bei Verdacht auf eine pulmonale Hypertonie gegebenenfalls auch eine weiterführende kardiologische Diagnostik, zum Beispiel eine Rechtsherzkatheteruntersuchung (nicht mitwirkungspflichtig).
Die Bochumer Empfehlung ist von einem interdisziplinär besetzten Arbeitskreis vollständig überarbeitet worden.
Zur Dokumentation der Beschwerdesymptomatik wird entsprechend den Maßgaben der COPD-Leitlinie der COPD-Assessment-Test (CAT) oder alternativ die MMRC-Dyspnoe-Skala (Modified Medical Research Council) empfohlen (vgl. Kapitel 5.2).
GLI-Referenzwerte
Die Spirometrie ist als Basisuntersuchung ein wichtiger Baustein bei der Bewertung des medizinisch-funktionellen Anteils des BK-bedingten Gesundheitsschadens.
Seit den 1970er-Jahren erfolgte die Einordnung der spirometrisch erhobenen Lungenfunktionsbefunde anhand der sogenannten EGKS-Referenzwerte (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl). Die European Respiratory Society (ERS) hat über ihre Global Lung Initiative (GLI) neue Referenzwerte unter besonderer Berücksichtigung von Alter, Geschlecht und Ethnie ermittelt. Sie wurden 2015 im Rahmen des Updates der Spirometrie-Leitlinie in Deutschland veröffentlicht.
Die Bochumer Empfehlung weist darauf hin, dass die Anwendung der GLI-Referenzwerte in der Nachbegutachtung dazu führen kann, dass die Spirometrie-Bewertungen nach GLI von den Ergebnissen der Vorbegutachtung (EGKS) abweichen. Dies kann bei jüngeren Versicherten bedeuten, dass Funktionsverluste jetzt als schwergradiger – und damit gegebenenfalls als MdE-relevant – zu bewerten sind.
Bei älteren Versicherten kann die Lungenfunktion hingegen als besser oder sogar als normal zu beurteilen sein. Wegen der Einzelheiten und der rechtlichen Bewertung wird auf Kapitel 5.4.4.2 verwiesen.
Lymphknoten
Unter bestimmten Voraussetzungen können Lymphknotenveränderungen im Einzelfall als silikosebedingt bewertet werden. Das Kapitel 5.3.1. führt aus, dass der Versicherungsfall gegeben ist, wenn Lymphknotenveränderungen mit beginnenden Parenchymveränderungen radiomorphologisch oder pathologisch-anatomisch als silikosebedingt festgestellt werden können. Somit kann eine BK-Nr. 4101 bereits dann in Betracht kommen, wenn die Parenchymveränderungen nach CT-Kriterien für eine eindeutige Diagnose der Silikose nicht ausreichen, aber Lymphknotenveränderungen vorliegen, die als silikosebedingt einzuordnen sind. Haben die Lymphknotenveränderungen nachweislich zu Funktionseinschränkungen geführt, kann ihnen auch Relevanz für die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zukommen.
Überprüfung des BK-Folgezustandes
Die Überprüfung des BK-Folgezustandes soll grundsätzlich im Rahmen einer Nachbegutachtung erfolgen. Die Bochumer Empfehlung führt aus, welche Untersuchungen dabei obligatorisch und welche fakultativ sind, und gibt Hinweise zu den Untersuchungsfristen (Kapitel 5.5.1 und 5.5.2).
Minderung der Erwerbsfähigkeit
Hinweise zur MdE finden sich im Kapitel 5.4. Das Unterkapitel 5.4.4.1. führt aus, dass die MdE-Tabelle des Updates der Bochumer Empfehlung (Kapitel 8) auf der MdE-Tabelle der Leitlinie basiert und als Orientierungshilfe zu verstehen ist. Für Gutachterinnen und Gutachter bleiben Entscheidungsspielräume in der Einzelfallbeurteilung.
Die Bochumer Empfehlung gibt auch Hinweise zum Sonderfall einer Lungentransplantation nach schwerer Silikose. Hierzu gibt es bislang nur versorgungsmedizinische Anhaltspunkte, auf die sich die Bochumer Empfehlung bezieht. Danach beträgt der Grad der Schädigungsfolgen (GdS nach Versorgungsmedizin-Verordnung) in den ersten zwei Jahren nach der Lungentransplantation 100 Prozent. Für die Folgejahre wird ein GdS von mindestens 70 Prozent empfohlen.
§ 3 BKV
Das Kapitel 6 enthält Hinweise für Gutachterinnen und Gutachter zu den rechtlichen Grundlagen und den Auswahlkriterien bei § 3-Maßnahmen.
Behandlungsmaßnahmen
Der Abschnitt 7 befasst sich mit den Zielen der Silikose-Rehabilitation und den Auswahlkriterien für stationäre und ambulante Rehabilitationsmaßnahmen.
Die Bochumer Empfehlung wurde den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit DGUV-Rundschreiben 0399/2019 vom 12. September 2019 zur Anwendung in der Praxis bekannt gegeben. Die Publikation kann über die Publikationsdatenbank der DGUV bezogen werden.
Ausblick
Wie bei den Begutachtungsempfehlungen der DGUV üblich, erfolgt spätestens nach Ablauf von fünf Jahren eine Überprüfung der Inhalte der Bochumer Empfehlung auf ihre Aktualität und gegebenenfalls die Überarbeitung.