Systematische Übersichtsarbeit zu physischen Belastungen bei mobiler Bildschirmarbeit

Welche Auswirkungen kann Wissensarbeit an Bildschirmgeräten im Homeoffice oder unterwegs auf die körperliche Gesundheit haben? Das IFA hat zu dieser Fragestellung eine Analyse der wissenschaftlichen Literatur im Zeitraum 2011 bis 2021 durchgeführt. Aufgrund der Ergebnisse können konkrete Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.

Die stetige Weiterentwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) sowie die Digitalisierung von Arbeitsbereichen führte zu einer enormen Zunahme von ortsflexiblen Modellen im Bereich der Wissensarbeit. Diese mobilen Arbeitsformen haben viele Vorteile, können aber auch zu Problemen führen. Ein hohes Maß an Bildschirmarbeit (BSA) wird generell mit körperlichen Beschwerden in verschiedenen Körperregionen in Verbindung gebracht. Mehrere Studien fanden bei mehr als 60 Prozent der Beschäftigten regelmäßige Beschwerden im Zusammenhang mit einem hohen Anteil an BSA.[1][2][3] Gründe für diese Zusammenhänge sieht die Forschung zum Beispiel in der Abweichung der Körperhaltung von gelenkneutralen Winkelstellungen, im statischen Verharren in unveränderten Positionen und in der Dauer der Belastung.[4] Unklar ist, inwieweit gesicherte Erkenntnisse über Gefährdungen bei stationärer Bildschirmarbeit auf mobile Bildschirmarbeit übertragbar sind. Gängige Empfehlungen und Forschungsergebnisse aus der Zeit vor der weiten Verbreitung tragbarer Arbeitsgeräte berücksichtigen nämlich nicht die Herausforderungen einer Arbeitswelt, die sich zunehmend von stationären, ergonomisch ausgestatteten Büroarbeitsplätzen entfernt. Was bisher fehlte, waren ein Überblick über Belastungen und Beschwerden in mobilen Arbeitssituationen sowie Empfehlungen zur Reduzierung dieser Probleme.

In einer systematischen Literaturrecherche wurde daher der aktuelle Forschungsstand zum Einfluss mobiler BSA auf die körperliche Gesundheit untersucht. Betrachtet wurden Arbeitsumgebungsfaktoren wie Körperhaltung, Mobiliar oder Lichtverhältnisse sowie ergonomische Einflussfaktoren wie die Nutzung unterschiedlicher Geräte, die typischerweise in mobilen Arbeitssituationen eingesetzt werden (Laptop, Tablet, Smartphone), die jeweilige Nutzungsdauer und die Benutzungsschnittstellen (Ein-/Ausgabegeräte). Bei den gesundheitlichen Outcomes lag der Fokus auf Risikofaktoren und Prävalenzen von muskuloskelettalen Beschwerden wie Schmerzen oder Erkrankungen sowie Augen- und Sehbeschwerden.

Abbildung 1: PRISMA-Schema der Studienauswahl | © DGUV / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: PRISMA-Schema der Studienauswahl ©DGUV / Grafik: kleonstudio.com

Literaturrecherche und Auswertungsergebnisse

Um einen aktuellen und umfassenden Überblick über den Wissensstand zu erhalten, wurde deutsche und englischsprachige Literatur im Zeitraum 2011 bis 2021 gesucht. Nach der Anwendung von Ein- und Ausschlusskriterien fand die Beurteilung der Eignung aller Beiträge in einem mehrstufigen Auswahlverfahren durch mindestens zwei Personen statt. Das komplette, auf dem PRISMA-Schema[5] basierende Vorgehen lässt sich in Abbildung 1 nachvollziehen.
Insgesamt 21 Originalarbeiten, darunter fünf Übersichtsarbeiten, bestanden das Auswahlverfahren und wurden in die Auswertung aufgenommen. Die einbezogenen Artikel zeigten, dass ungeeignete Arbeitsmittel, verschiedene Umgebungsfaktoren und ungünstige Körperhaltungen allein oder in Kombination bereits nach kurzer Zeit zu verschiedenen körperlichen Beschwerden führen können. In den meisten Fällen waren die Beschwerden stärker als bei der Arbeit an einem voll ausgestatteten stationären Bildschirmarbeitsplatz.

Sowohl zu wenige Zusatzgeräte wie eine externe Maus und Tastatur und ein externer Bildschirm als auch für die Arbeitsaufgabe ungeeignete Geräte – zum Beispiel Textverarbeitung mit Tablet oder Touchpad des Laptops – führten in auffällig vielen Studien zu negativen Folgen. Nicht neutrale Körperhaltungen führten zu verschiedenen Problemen wie erhöhter Muskelanspannung oder Beschwerden in verschiedenen Körperregionen. In einigen Studien zeigten sich bereits nach kurzer Zeit (fünf bis 15 Minuten) auffällige Befunde, deren Ausmaß sich mit zunehmender Dauer manifestierte und teilweise noch verstärkte. Die meisten Ergebnisse wurden zu Beschwerden im Nackenbereich gefunden. Der Nacken wurde von den Autorinnen und Autoren der einbezogenen Arbeiten weitgehend übereinstimmend als die am stärksten betroffene Körperregion hervorgehoben.

Arbeit zu Hause am Esstisch kann viele Probleme mit sich bringen: Hier können die Arme nicht ausreichend aufgestützt werden, eine Höhenveränderung des Stuhles oder Tisches ist nicht möglich. Der Blick muss nach unten gerichtet werden, der Nacken wird durch einen zu tief platzierten Laptop belastet. Es fehlen externe Eingabegeräte wie Maus oder Tastatur. Die Kinderbetreuung muss in Einklang mit der Arbeit gebracht werden. All diese Aspekte können mit Empfehlungen adressiert werden.

Das Projekt wurde im Auftrag der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) und in Kooperation mit den DGUV Sachgebieten „Büro“ und „Neue Formen der Arbeit“ durchgeführt.

Abbildung 2: Homeoffice mit ungünstigen Arbeitskonstellationen | © David Pereias – stock.adobe.com
Abbildung 2: Homeoffice mit ungünstigen Arbeitskonstellationen ©David Pereias – stock.adobe.com

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Mit einer Ausnahme wurde in allen Studien ein Einfluss der Arbeitsgestaltung (wie Vergleich von Arbeit mit und ohne Zusatzgeräte) auf die körperliche Gesundheit gefunden. Dies bedeutet, dass bei mobiler BSA unterschiedliche Körperhaltungen, Umgebungsfaktoren und Arbeitsmittel in unterschiedlichen Kombinationen unterschiedliche körperliche Beschwerden verursachen können.

Die Gestaltung mobiler BSA erfordert daher eine sorgfältige Planung, ein geschärftes Bewusstsein für mögliche Probleme und die Bereitschaft, eine Arbeitssituation zu schaffen, die diesen Problemen durch eine Kombination verschiedener Maßnahmen entgegenwirkt. Empfehlungen, auch aus den eingeschlossenen Studien, legen daher nahe, dass Extrempositionen unbedingt vermieden werden sollten. Hierbei kann auch die Nutzung von externen Eingabegeräten behilflich sein. Grundlegende Ansätze wie die Möglichkeit, Endgeräte auf einem Tisch oder die Unterarme auf Armlehnen abzulegen, wurden ebenfalls als besonders wirksam hervorgehoben. Beschäftigte sollten außerdem in die Gestaltung des Arbeitsfeldes einbezogen werden und entsprechende Empfehlungen sollten oftmals wiederholt/bekräftigt werden.

Eine Sitzplatzbuchung mit Tisch, wahlweise im Ruhe- oder Handybereich, schafft günstige Umgebungsbedingungen für mobiles Arbeiten im Zug. Eventuelle Augenbelastung durch einfallendes Sonnenlicht kann durch Verdunklung vermieden werden. Neben einer Maus als Eingabehilfe sollte auch eine Sichtschutzfolie verwendet werden, insbesondere wenn mit sensiblen Daten gearbeitet wird. Die ergonomisch nicht optimale Situation kann durch wechselnde Arbeitsaufgaben und kurze Bewegungspausen aufgelockert werden.

Abbildung 3: Mobiles Arbeiten im Zug klappt am besten mit Vorausplanung. | © Goodluz – stock.adobe.com
Abbildung 3: Mobiles Arbeiten im Zug klappt am besten mit Vorausplanung. ©Goodluz – stock.adobe.com

Identifizierte Wissenslücken und Folgeprojekte

Durch die Literaturrecherche wurden umfangreiche Erkenntnisse darüber gewonnen, welche Konstellationen mit Blick auf Endgeräte, Tätigkeiten, Arbeitsumgebungen oder Nutzungsdauern noch nicht hinreichend bezüglich ihrer muskuloskelettalen Belastung und Augenbelastung untersucht wurden, um konkrete Empfehlungen ableiten zu können. Diese Wissenslücken werden nun durch gezielte Labor- und Felduntersuchungen des IFA adressiert, um die Gestaltung hybrider Arbeit noch sicherer und gesünder zu machen. Über breit gefächerte Befragungen zur aktuellen Arbeitssituation, den ergonomischen Gegebenheiten und eventuell auftretenden Beschwerden werden besonders relevante und dringliche Fragestellungen identifiziert. Aufbauend auf diesen Ergebnissen und den Erkenntnissen der Literaturrecherche sollen exemplarische Situationen mit sensorgestützter, detaillierter Analyse über längere Intervalle als in bisher publizierten Studien im Labor betrachtet werden. Außerdem wird ein Vergleich des Bewegungsverhaltens von Beschäftigten in der Betriebsstätte und im Homeoffice angestrebt.