Das Zero Accident Forum (ZAF) – Voneinander lernen für null Unfälle

Die Zahl der Arbeitsunfälle in Deutschland ist im Jahr 2022 leicht gesunken. Dennoch sind es noch bei Weitem zu viele, denn mit jedem Unfall geht auch Leid einher. Vor zehn Jahren hat das Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) ein Netzwerk nach finnischem Vorbild ins Leben gerufen, um Erfahrungen und Wissen auszutauschen. Das Netzwerk wird in der kommenden Zeit erheblich ausgebaut und steht jedem Betrieb offen.

Das Arbeits- und Wegeunfallgeschehen in Deutschland

Technische, organisatorische Mängel oder einfach menschliche Fehler können dazu führen, dass ein Arbeits- oder Wegeunfall geschieht. Es liegt in der Natur des Menschen, dass er manchmal unachtsam ist. Das ist auch nicht schlimm, solange keine Schäden für Dritte oder einen selbst folgen. In Deutschland werden Arbeits- und Wegeunfälle meldepflichtig, wenn eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Tagen oder der Tod erfolgte. Im Jahr 2022 waren 787.412 Arbeitsunfälle meldepflichtig, immerhin 2,3 Prozent weniger als im Vorjahr. Bei den Wegeunfällen ist die absolute Zahl zwar um 1,43 Prozent auf 173.288 gestiegen, bezogen auf 1.000 Vollarbeiter ging sie jedoch zurück.[1]

Blickt man auf die Zahl der neuen Arbeitsunfallrenten, dann erkennt man einen Rückgang um knapp zehn Prozent auf 10.927, die Zahl der Wegeunfallrenten ist sogar um 13 Prozent auf 3.587 gesunken. Erfreulich ist, dass die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle um 17 Prozent auf 423 abgenommen hat, sie ist aber dennoch viel zu hoch. Erschreckend ist, dass die Zahl der tödlichen Wegeunfälle um mehr als neun Prozent auf 248 im Jahr 2022 gestiegen ist. 14.514 neue Renten und 671 arbeitsbedingte Todesfälle im Jahr 2022 – das sind sehr hohe Zahlen, die es zu verringern gilt. Darin noch nicht eingeschlossen sind Unfälle in der Schülerunfallversicherung, die mehrere Hunderttausend umfassen.

Häufige Unfallursachen

Unfälle im beruflichen Umfeld passieren täglich mehrfach. Gerade aufgrund der hohen Anzahl bildet die Unfallprävention ein wesentliches Forschungsfeld in der gesetzlichen Unfallversicherung. Insbesondere Unfälle aus der Bewegung heraus (sogenannte Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle) sind für etwa ein Drittel der länger anhaltenden Ausfälle verantwortlich[2], obwohl sie doch nach üblichem Verständnis einfach durch sichere Verkehrswege, die sich durch ein hohes Maß an Ordnung und die Kenntlichmachung von Gefahren auszeichnen, zu verhindern sind. Auch persönlich kann man einiges tun: Sicheres Schuhwerk, Aufmerksamkeit oder gerade bei älteren Beschäftigten ein Bewegungstraining können dabei helfen, Unfälle zu vermeiden. Die Unfallstatistik der DGUV zeigt noch weitere interessante Erkenntnisse im Zusammenhang mit den Unfallschwerpunkten (Abbildung 1). Die manuelle Handhabung von Gegenständen, zum Beispiel das einfache Zubinden, liegt noch vor der Arbeit mit Handwerkzeugen, beispielsweise der Arbeit mit einem Trennschleifer. Beide sind für jeweils etwa 17 Prozent der meldepflichtigen Unfälle verantwortlich und liegen damit auch noch deutlich vor der Bedienung von Maschinen mit fünf Prozent. Leider ist die zitierte Statistik nicht hinsichtlich der personenbezogenen Ursachen für Unfälle aufgeschlüsselt, da sich diese auch nur schwer erfassen lassen. Dennoch sprechen andere Quellen von der Missachtung von Sicherheitsvorschriften, mangelnder Erfahrung, Nachlässigkeit durch Routine und dem mangelnden Bewusstsein für Sicherheit und Risiken als nachgeordnete, aber dennoch wesentliche Ursachen für Unfälle.[3]

Gerade in der Verhaltensprävention hängt vieles von Kommunikation, Prozessen und Verständnis aller Beteiligten ab. Auch hier gilt, dass man sich am besten an praktische Beispiele erinnert und von positiven Beispielen anderer beeindruckt ist.

Abbildung 1: Unfallschwerpunkte, die durch den Gegenstand der Abweichung beschrieben werden (abhängig Beschäftigte, Unternehmerinnen und Unternehmer), adaptiert nach [1]. | © DGUV / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: Unfallschwerpunkte, die durch den Gegenstand der Abweichung beschrieben werden (abhängig Beschäftigte, Unternehmerinnen und Unternehmer), adaptiert nach [1]. ©DGUV / Grafik: kleonstudio.com

Das Zero Accident Forum (ZAF)

Unfälle kommen in allen Bereichen des Lebens vor. Oftmals haben Unfälle dieselbe Ursache oder eine vergleichbare Historie. Daher ist es sinnvoll, sich auszutauschen – Kommunikation ist der Schlüssel. Seit Oktober 2013 gibt es deshalb das „Zero Accident Forum – Voneinander lernen für null Unfälle“, welches ein Netzwerk von Unternehmen ist, die alle das Ziel haben, die Zahl der Arbeits- und Wegeunfälle in ihrem Betrieb auf null zu reduzieren.[4] Dazu werden alle geeigneten Mittel eingesetzt. Im Vordergrund der Zusammenarbeit der Unternehmen aller Branchen und Größen stehen der regelmäßige Austausch und die vertrauensvolle Vernetzung.

Bislang sind etwas mehr als 50 Unternehmen Mitglied im ZAF und engagieren sich in verschiedenen Fokusgruppen, die nach Themenschwerpunkten organisiert sind und das im Arbeitsschutz verankerte (S)TOP-Prinzip prägnant repräsentieren. Dort werden insbesondere Good-Practice-Beispiele vorgestellt und diskutiert.

  • Die Fokusgruppe „Verhaltensbezogene Maßnahmen und Sicherheitskultur“ nimmt insbesondere Führungskräfte und Sicherheitskulturen in Unternehmen in den Blick. Dabei wird besonderen Wert darauf gelegt, Arbeitsschutzstrategie und Unternehmensstrategie als untrennbare Einheit zu propagieren und Werkzeuge wie die Qualifizierung von Mitarbeitenden und Führungskräften zu kommunizieren. Im Rahmen einer Führungskultur sollen Ziele, Absichten, Menschen, Mittel und Rahmenbedingungen für den unternehmerischen Erfolg in Einklang gebracht werden.
  • Die Fokusgruppe „Technische Maßnahmen plus Persönliche Schutzausrüstung“ diskutiert Fragestellungen um die Digitalisierung, Industrie 4.0 im Allgemeinen und Wartung im Speziellen. Dabei wird die technische Sicherheit von Maschinen und Anlagen betrachtet. Aspekte wie Cybersicherheit und die Zusammenarbeit mit Maschinen (wie zum Beispiel Robotern) werden auch unter praktischen Arbeitsschutzaspekten und international gültigen Regelungen (Normen, Gesetze) besprochen.
  • Die Fokusgruppe „Organisatorische Maßnahmen“ beschäftigt sich mit Arbeitsschutzmanagementsystemen und einer rechtssicheren Arbeitsschutzorganisation. Dazu gehört auch das betriebliche Gesundheits- und Krisenmanagement, worunter zukünftig sicher auch verwandte Aspekte des Schutzes vor den Auswirkungen des Klimawandels gehören werden. Die Gefährdungsbeurteilung als zentrales Element im Arbeitsschutz, Unfallanalysen oder der Umgang mit Leiharbeitnehmern, Leiharbeitnehmerinnen und Fremdfirmen in der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation werden behandelt.
  • Die Fokusgruppe „Mobilität und betriebliche Verkehrssicherheit“ ist eng mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verbunden. Psychologische Variablen der Person wie Risikoverhalten, Ablenkung und Stress tragen ebenso zu Unfällen bei wie organisatorische Variablen, zum Beispiel die Expositionszeit, Faktoren aus der Umwelt und Technik, etwa Witterung oder Fahrerassistenzsysteme. Hieraus entstehen situative Komponenten, die im Zusammenspiel der einzelnen Variablen zu Unfällen führen können. Das Ziel der Arbeitsgruppe ist es, wissenschaftliche und praktische Aspekte der Erkennung und Diagnose, der Maßnahmen und Interventionen der Wirksamkeitsmessung und der Kommunikation der Erkenntnisse weiter zu verbessern. Dabei soll eine Brücke zwischen Verhältnis- und Verhaltensprävention geschlagen werden.

Das ZAF steht ausschließlich Unternehmen, Einrichtungen und Unternehmensverbänden offen. Unternehmen aller Größen und Branchen können sich gleichberechtigt austauschen. Der Austausch guter Praxis ist freiwillig und das Voneinanderlernen soll die Sicherheitskultur und die verhaltensbasierte Sicherheit voranbringen.

Das Vorbild für das deutsche ZAF kommt aus Finnland. Dort sind seit dem Start im Jahr 2003 mittlerweile etwa 500 Betriebe dem Forum beigetreten, die mit insgesamt 460.000 Beschäftigten rund 18 Prozent aller finnischen Arbeitskräfte repräsentieren. Beinahe 60 verschiedene Branchen aus Industrie, Bau-, Dienstleistungsgewerbe, Rohstoffabbau, Logistik und öffentlicher Verwaltung sind vertreten.[5] Interessant ist, dass ein dreistufiges Zertifizierungssystem eingeführt wurde, das nach einem bestimmten System Verbesserungen in der Arbeitsplatzsicherheit berücksichtigt. Seit seiner Einführung im Jahr 2005 wurden bereits 891 Zertifikate verliehen, was in vielen Betrieben zu sehr hohen Sicherheitsstandards führte. Bemerkenswert ist, dass beispielsweise von den 87 im Jahr 2021 ausgezeichneten Betrieben sogar 33 das Ziel von null Unfällen erreicht haben.[6] Ein absolutes Vorbild, dem es nachzueifern gilt.

Beitritt in das Zero Accident Forum (ZAF)

Das ZAF steht jedem Betrieb in Deutschland offen, vom kleinen oder mittleren Unternehmen (KMU) bis zum Global Player. Jeder interessierte Betrieb kann einmal probeweise und unverbindlich als Gast am Jahrestreffen des ZAF teilnehmen. Möchte man dann kostenfrei beitreten, verpflichtet man sich zur Einhaltung folgender Grundsätze:

  • „Wir entwickeln und verbessern mit der Leitung und der Belegschaft gemeinsam unsere Arbeitssicherheit mit dem Ziel, alle Unfälle zu vermeiden.“
  • „Wir betrachten Gesundheit am Arbeitsplatz und Arbeitssicherheit als feste Bestandteile unserer Arbeit.“
  • „Wir verpflichten uns, relevante Informationen zur Arbeitssicherheit jährlich an das Forum weiterzuleiten.“

Ziel ist es, eine positive Präsenz des Themas Arbeitsschutz in der Arbeitswelt und in der Öffentlichkeit zu schaffen.

Weitere Informationen zum ZAF und zum Beitritt: www.dguv.de > Webcode: d664972

Die Zukunft sicher gestalten

Die Reise des deutschen ZAF hat gerade erst begonnen. Während der Coronapandemie in den Jahren 2022 bis 2023 konnte auch das ZAF nur schwer vorankommen, da gerade die wichtigen Jahrestreffen nicht stattfinden konnten. Zukünftig sind die regelmäßigen Treffen jedoch wieder gesetzt und werden – nach den Erfahrungen während der Pandemie – durch online stattfindende Projekt- und Fokusgruppentreffen ergänzt. Ein Nahziel ist die Weiterentwicklung allgemeingültiger Kennzahlen zur Darstellung der zeitlichen Entwicklung der Zahl der Arbeits- und Wegeunfälle, wie beispielsweise der 1.000-Mann-Quote. Solche Kennzahlen dienen dazu, die Zahl der Unfälle auf die Zahl der Beschäftigten zu beziehen und damit vergleichbar zu machen. Da aber auch bei einer solchen Betrachtung der Teufel bekanntermaßen im Detail steckt – sie bezieht sich nur auf die meldepflichtigen Unfälle –, muss möglicherweise eine andere oder eine weitere Kennzahl eingeführt werden. Kennzahlen, Berichte und Erkenntnisse zu Beinaheunfällen sind auch für die Prävention wichtig. Es lassen sich daraus Lehren für die Zukunft ziehen und man kann erkennen, warum etwas beinahe passiert ist und was das Ereignis gerade noch verhindert hat. Langfristig könnte auch eine Zertifizierung dazu dienen, das Bewusstsein und die Anstrengungen für mehr Arbeitsschutz zu stärken.

Das ZAF soll wachsen. Daher ist jedes Unternehmen eingeladen, sich zu melden und beim nächsten Jahrestreffen „hineinzuschnuppern“, um Teil eines Netzwerks für eine sichere Zukunft zu werden!