VISION ZERO – eine Vision, die das Handeln leitet

Jeder Arbeitsunfall und jede Berufskrankheit kann verhindert werden, wenn zur richtigen Zeit die geeignete Präventionsmaßnahme getroffen wird. Diese Überzeugung führte 2014 zum Start der Präventionsstrategie Vision Zero bei der BG RCI. Wie sieht es nach neun Jahren mit der Umsetzung und ihren Auswirkungen in den Mitgliedsbetrieben der BG RCI aus?

Wenn jemand bei der Arbeit eine Berufskrankheit entwickelt oder – im schlimmsten Fall tödlich – verunglückt, bedeutet das einen großen Einschnitt für die Betroffenen und ihre Familien. Die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sind meist von Dauer und daher lebensverändernd.

Neben dem menschlichen Leid entstehen aber auch hohe Kosten. Allein die Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) bringt jährlich etwa 960 Millionen Euro für die Folgen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten auf, die die Unternehmen beitragsmäßig belasten.

Die Überzeugung, dass jeder Arbeitsunfall und jede beruflich bedingte Erkrankung mitsamt allen Folgen vermeidbar sind, wenn zur rechten Zeit die richtige Präventionsmaßnahme getroffen wird, führte vor neun Jahren zum Start der Vision Zero-Strategie.

Null Unfälle – gesund arbeiten!

Mit der Präventionsstrategie „VISION ZERO. Null Unfälle – gesund arbeiten!“, die im Mai 2014 vom Vorstand der BG RCI beschlossen wurde, hat sich die BG RCI zum Ziel gesetzt, die Zahl tödlicher Arbeitsunfälle und neuer Unfallrenten innerhalb von zehn Jahren deutlich zu reduzieren, mindestens jedoch zu halbieren. Nach dieser Zeit sollte Bilanz gezogen, die einzelnen Elemente geprüft und die strategische Ausrichtung gegebenenfalls angepasst werden.

Die Arbeitswelt in den Mitgliedsbetrieben der BG RCI sollte derart umgestaltet werden, dass niemand bei der Arbeit getötet wird oder so schwere Verletzungen oder Krankheiten erleidet, dass daraus lebenslange Gesundheitsschäden entstehen. Primär geht es dabei also darum, dass Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz bei allen Handlungen selbstverständlich mitgedacht werden, das heißt, dass die Vision Zero Teil der Unternehmenskultur ist.

Ehrgeizige Ziele, um das Bestmögliche zu erreichen

Damit eine Sache Erfolg hat, braucht sie festgelegte, konkrete Ziele. Die Vision Zero der BG RCI wurde auf sieben Ziele ausgerichtet, die bis heute verfolgt werden:

Ziel 1: Senkung des Arbeitsunfallrisikos um 30 Prozent

Ziel 2: Senkung der neuen Arbeitsunfall-Rentenfälle um 50 Prozent

Ziel 3: Senkung der tödlichen Arbeitsunfälle um 50 Prozent

Ziel 4: Berufskrankheiten verringern

Ziel 5: Anzahl der unfallfreien Betriebe steigern

Ziel 6: Präventionsangebote eng am Bedarf ausrichten

Ziel 7: Nutzung der Präventionsangebote steigern

Die Ziele wurden bewusst hochgesteckt, auch wenn von Beginn an klar war, dass sie in dieser Größenordnung innerhalb von zehn Jahren nur schwer erreichbar sein würden. Aber der Grundgedanke bleibt bestehen: Jeder Arbeitsunfall ist ein Unfall zu viel und jede Berufskrankheit ist eine Erkrankung zu viel.

Konkrete Angebote für Unternehmen

Damit diese ehrgeizigen Ziele gemeinsam mit den Unternehmen erreicht werden können, entwickelte die BG RCI, wenn auch zwischenzeitlich leicht ausgebremst durch die Corona-Pandemie, vielfältige Aktivitäten, um auf einen Bewusstseins- und Kulturwandel in den Betrieben hinzuwirken. Denn nur, wenn Sicherheit und Gesundheit als elementare Werte anerkannt und Führungskräfte sowie Beschäftigte ihrer Verantwortung gerecht werden, können Unfälle und Berufskrankheiten verhindert werden.

Zu den Maßnahmen gehört die kontinuierliche Verbesserung des Präventionsangebots, das eng am Bedarf der Mitgliedsbetriebe ausgerichtet ist. Im Folgenden werden einige Aktivitäten vorgestellt.

Medienangebot

Die Basisschrift ist der Vision Zero-Leitfaden für Führungskräfte[1], in dem die sieben Erfolgsfaktoren der Vision Zero für die Umsetzung im Betrieb detailliert beschrieben werden. Dieser Leitfaden wurde später mit einem Vertiefungsleitfaden[2] zu jedem der Erfolgsfaktoren ergänzt.

Daneben wurden auf der Grundlage von Unfallanalysen die „12 LEBENSRETTER für Beschäftigte/Führungskräfte“[3] zur Vermeidung von tödlichen Arbeitsunfällen sowie die „8 LEBENSRETTER für Ihren Arbeitsweg“[4] zur Verhinderung von Wegeunfällen herausgegeben.

Bereits vorhandene Präventionsprodukte werden stetig aktualisiert und bei Bedarf weiterentwickelt, altbewährte Angebote, wie beispielsweise der (Fachwissen-)Newsletter der BG RCI, sowohl inhaltlich als auch über den geänderten Titel in den Dienst der Vision Zero gestellt.

Mit dem Vision Zero-Newsletter[5] bietet die BG RCI regelmäßig aktuelle Informationenen zu Präventionsthemen rund um den Arbeitsplatz sowie für den Straßenverkehr an.

Qualifizierungsangebote

Zum Maßnahmenpaket gehört ferner der Ausbau des Qualifizierungsangebots der BG RCI, denn die zielgerichtete Aus- und Weiterbildung im Rahmen von qualitativ hochwertigen Ausbildungsmaßnahmen ist für eine wirksame Prävention unverzichtbar. Die BG RCI hat sich insbesondere der Konzeption von Vision Zero-Führungskräfte-Seminaren[6]gewidmet, die Führungskräfte der mittleren und oberen Ebenen für die Belange der Strategie sensibilisieren sollen.

BG RCI-Gütesiegel „Sicher mit System“

Die BG RCI bietet ihren Mitgliedsbetrieben außerdem umfassende Lösungen für die Einführung eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) sowie die Überprüfung seiner Wirksamkeit. Auch Unternehmen, die bereits ein AMS implementiert haben, können dieses überprüfen lassen. Nach erfolgreicher Begutachtung wird der Betrieb mit dem BG RCI-Gütesiegel „Sicher mit System“ ausgezeichnet.

Das Gütesiegel der BG RCI gibt es schon länger. Es wird nun zur Unterstützung der Vision Zero genutzt, da es sich als Werkzeug hervorragend eignet, um die Ziele der Vision Zero konkret umzusetzen.

Veranstaltungen und Kampagnen

Darüber hinaus bietet die BG RCI auf verschiedene Zielgruppen zugeschnittene Veranstaltungen und Kampagnen an, wie beispielsweise den Wettbewerb für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit "Arbeitsschutz GEWINNT!", den Azubi-Wettbewerb oder das Forum protecT, die unter dem Motto der Vision Zero durchgeführt werden.

Arbeitsschutz GEWINNT![7] ist die Weiterentwicklung des „VISION ZERO Förderpreis“, dem Arbeitsschutzpreis des BG RCI gilt als Fundus innovativer Präventionslösungen aus den Mitgliedsbetrieben der BG RCI.

Der Azubi-Wettbewerb „Sicherheit von Anfang an“[8] stellt die Auszubildenden der BG RCI-Mitgliedsbetriebe in den Mittelpunkt und vermittelt ihnen sicheres und gesundheitsorientiertes Verhalten.

Das Forum protecT[9] ist ein jährlich stattfindender Kongress für Unternehmerinnen und Unternehmer, Führungskräfte, Betriebsräte sowie weitere Schlüsselpersonen aus den Mitgliedsbetrieben der BG RCI.

Vision Zero-Kooperationen

Um die Vision Zero flächendeckend zu leben, sucht die BG RCI den Schulterschluss zu Verbänden, Unternehmen und anderen Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Rund 50 Unternehmen und Verbände konnten bis heute als Kooperationspartner gewonnen werden. Kern dieser Kooperationen ist die öffentliche Selbstverpflichtung zur Vision Zero, um gemeinsam die Sicherheitskultur der Arbeitswelt nachhaltig zu stärken.

Es gibt viele Möglichkeiten, sich auf unterschiedlichen Ebenen zu engagieren. Unternehmen können die Kooperationsvereinbarung nutzen, um die Aufmerksamkeit der Beschäftigten verstärkt auf bereits etablierte Werte zur Vision Zero im Unternehmen zu lenken oder sich noch intensiver mit dem Thema einer Präventionskultur zu befassen und neue Aktivitäten hierzu zu entwickeln.

Hauptanliegen der BG RCI ist, allen betrieblichen Akteurinnen und Akteuren für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Hilfestellungen zu bieten, damit diese ihr Know-how effizient einsetzen können.

Nachfrage und Wirkung der Vision Zero

Die Resonanz der Mitgliedsbetriebe zeigt, dass die BG RCI den Vision Zero-Zielen in Bezug auf die Nachfrage nach Präventionsangeboten gerecht wird. Diese ist nicht nur sehr gut, sondern steigt sogar leicht an. Dieser Umstand bestärkt die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Bewährte Instrumente und Angebote sollten indes weiter professionalisiert und digitale Angebote wie Erklärfilme oder E-Learning-Angebote weiter ausgebaut werden.

Blickt man jedoch nur auf die Zahlen und gleicht sie mit den Parametern und Zielgrößen ab, die 2014 beim Start der Vision Zero festgelegt wurden, gestaltet sich eine Bewertung der zurückliegenden Jahre als schwierig. Die gesetzten Ziele, insbesondere die angestrebten prozentualen Reduzierungen des Arbeitsunfallrisikos und der neuen Arbeitsunfall-Rentenfälle bis 2024, sind noch nicht vollständig erreicht worden. Die neuen Berufskrankheitenrenten der BG RCI gingen hingegen stark zurück.

Abbildung 1: Vision Zero Ziel 1 – Senkung des Arbeitsunfallrisikos um 30 Prozent bis 2024 (hier melde- und nicht meldepflichtige Arbeitsunfälle) | © Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 1: Vision Zero Ziel 1 – Senkung des Arbeitsunfallrisikos um 30 Prozent bis 2024 (hier melde- und nicht meldepflichtige Arbeitsunfälle) ©Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 2: Vision Zero Ziel 2 – Halbierung der neuen Arbeitsunfall-Rentenfälle bis 2024 | © Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 2: Vision Zero Ziel 2 – Halbierung der neuen Arbeitsunfall-Rentenfälle bis 2024 ©Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 3: Vision Zero Ziel 3 – Neue Berufskrankheitenrenten BG RCI gesamt (absolut) | © Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com
Abbildung 3: Vision Zero Ziel 3 – Neue Berufskrankheitenrenten BG RCI gesamt (absolut) ©Quelle: BG RCI / Grafik: kleonstudio.com

In den vergangenen Jahren gab es Ereignisse, die die statistische Entwicklung stark beeinflusst haben, allen voran Corona. Die Pandemie hat das Bild deutlich beeinflusst. So ging die Zahl der Arbeits- und Wegeunfälle zwischen 2020 und 2021 vermutlich vor allem wegen der Lockdowns zurück. Dabei ist nicht erkennbar, in welchem Umfang getroffene Anstrengungen in der betrieblichen Prävention einen Einfluss auf die Unfallentwicklung hatten.

Von Zahlen allein den Erfolg von Präventionsmaßnahmen abzuleiten, wäre indes der falsche Weg. Aber aus ihnen zu folgern, dass die Vision Zero nicht genug Wirkung entfaltet, würde der positiven Gesamttendenz nicht gerecht. Insgesamt ist die Vision Zero der richtige Weg zu weniger Unfällen und Berufskrankheiten. Ein Weg, auf dem weiterhin deutlich gemacht werden muss, dass es bei der Vision Zero um mehr geht als nur um das reine Einhalten von Vorschriften und Regeln.

Es geht in erster Linie um die Einstellung von Führungskräften und Beschäftigten, um einen Bewusstseins- und Kulturwandel in den Unternehmen. Dabei spielen vor allem Sozialkompetenzen wie Risikobewusstsein und Achtsamkeit sich selbst und den Kolleginnen und Kollegen gegenüber eine wichtige Rolle. Mit Zahlen und Richtlinien kann man diese kaum abbilden.

In Unternehmen sollte eine positive Fehlerkultur etabliert werden, in der Fehler nicht bestraft, sondern als Lernanlass genutzt werden. Das ist wichtig, da ein beträchtlicher Anteil aller Arbeitsunfälle auf Verhaltensfehler wie Leichtsinn, Ignoranz oder Unachtsamkeit zurückzuführen ist, sprich: Die Präventionskultur sollte in die Unternehmenskultur eingebettet werden.

Wie geht es nach 2024 weiter?

Die Ziele der Vision Zero zu erreichen und langfristig zu erhalten, ist nur möglich, wenn es gelingt, die Vision einer gesunden und unfallfreien Arbeitswelt in den Unternehmen über den gewählten Zehnjahreszeitraum hinaus zu etablieren.

Zukünftig wird es aber zu einer Akzentverschiebung kommen müssen: weg von der Betrachtung bloßer Zahlen hin zur Einführung einer beständigen Präventionskultur in den Mitgliedsbetrieben jeder Größe. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht, vermutlich weit über das Jahr 2024 hinaus.

Wenn die Begeisterung für das Thema weiterhin gelebt und in die Unternehmen getragen wird, wird die Vision Zero auch künftig ein starkes Leitbild für eine Welt ohne arbeitsbedingte Unfälle und Erkrankungen bleiben.